Leseprobe Seite 178:
„Bitte, erkunden Sie mit mir die Malcontenta!“
Der Champagnerempfang im Schatten der Trauerweide war vorüber, Bertie stieg feierlich die linke Freitreppe zum Portikus hoch. Graf Volpi, der als Gouverneur von Tripolitanien gerade erst drei Tage wieder zurück war, löste sich als Erster von der Traube des knappen Dutzends der Gäste und bot der Gräfin Annina Morosini den Arm. Die anderen folgten zögerlich, Catherine hängte sich bei Sergei Djagilew unter, der Pianist Rubinstein bei der Tänzerin Tilly Losch. Beide hatte Bertie im letzten Moment dazugenommen, Rubinstein war erst gestern angekommen.
Sobald Paul als Letzter den Raum betreten hatte, begann Bertie mit seinem Vortrag. Als er von Vitruv und Palladio, der reinen Form und dem Goldenen Schnitt zu sprechen begann, lauschten noch alle interessiert, da sie dachten, es sei der Auftakt zu einer Art Führung. Doch als er sein Thema, das Leben als Kunst, gefunden hatte, war er nicht mehr zu halten. Wie lange hatte er sich auf diesen Abend vorbereitet! Während Tilly Losch hilfesuchend um sich blickte, verglich Bertie Aussagen von Kierkegaard mit denen Schopenhauers und begann dann noch Oscar Wilde zu zitieren. Die Gesichter der Besucher wurden immer länger. Sie waren auf kostbare Möbel, Ölbilder, Statuen, Tapisserien, Kronleuchter, kurz eine Art Museumskollektion mit dazugehöriger Führung und eine anschließend wenn nicht opulente, so doch spritzige Party gefasst gewesen.
© 2016 Picus Verlag, Wien.