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Gustav Ernst: Zur unmöglichen Aussicht.

Roman.
Innsbruck: Haymon Verlag, 2015.
200 Seiten, gebunden, EUR 19,90.
ISBN 978-3-7099-7173-4.

Autor

Leseprobe

Der Text ist aus Episoden aufgebaut, die in eine Erzählsituation eingebettet werden, in Form einer Rahmenerzählung: Der Ich-Erzähler sitzt in seinem Stamm-Café, als ihn ein Unbekannter auf seine Leder-Aktentasche anspricht. Die Tasche erinnere ihn an jene eines Freundes, den er aus den Augen verloren habe. Ob er sich kurz setzen dürfe?

Was dieser Herrn Kagraner in der Folge erzählt, erfährt der Leser ausschließlich in der direkten Wiedergabe durch den Ich-Erzähler. Begegnungsort bleibt immer dasselbe Café, das Ambiente wird konkret benannt, Habitus und Kommunikationsformen wirken bürgerlich zuvorkommend, beide Herren werden gehobenen Positionen des Managements zugeordnet. Kagraner ist häufig „auf Geschäftsreisen“ unterwegs, aber wenn er da ist, drängt er dem Ich-Erzähler seine Geschichten auf, während dieser sich in die Rolle des „guten Zuhörers“ gedrängt fühlt.

Gustav Ernst grenzt seine beiden Protagonisten stilistisch klar voneinander ab: da die Figuration der Rede Kagraners als ein bedachtsames Erwägen und Selbstbefragen, da der Duktus der Erregung in den kursiven Kommentaren des Ich-Erzählers. Mal zeigt sich der Dialog als eigentümliche Streitform, mal in einem Duett mit klar verteilten Rollen. Die im Titel erwähnten Aussichten sind insofern prekär, als das Leben der beiden seinen Zenit überschritten hat und die über dreizehn Jahre reichenden Begegnungen zunehmend zu Rückblicken führen. Dabei sind die nie vorhersagbaren Erzählungen Kagraners mal von Einverständnis getragen, immer wieder voll relativierender Ironie und erfrischender Komik, aber auch mit einem Anstrich existentieller Gebrochenheit, selbst in jenem Glücksmoment, in dem Kagraner beim Joggen innehält und sich fragt: Ist, wie ich mich fühle jetzt, das was man Einklang mit der Natur nennt?

Kagraner überspielt, erwägt, erörtert, seine Episoden kreisen um Motive, die sich lose und sporadisch weiter entwickeln: Da ist die dubiose Aktentasche, eine gleichartige oder idente hat einem gewissen Victor gehört, ein Werbefilmer, der eine Doku plant über die Finanzskandale der Republik, brisantes Material sammelt und dann tot in einem Kino gefunden wird. Wiederholt finden sich auch Beschreibungen, in denen sich Kagraner verfolgt und observiert fühlt, dazwischen sind so drastisch wie lapidar erzählte Alltags-Katastrophen eingebettet, Geschichten von Ehebruch und Scheidung, Vergewaltigung und Selbstmord, Verkehrsunfälle, von Versagensgefühlen und Gewissensbissen.

Im pointierten Gegenzug zur Tragik Kagraners sorgt sich der Ich-Erzähler eher um seine Blutzuckerwerte und den Dachausbau, er ärgert sich über unzuverlässige Handwerker, bangt um die Montage einer neuen Sattelitenschüssel, um möglichst keine Live-Übertragung eines Premier League Matches zu versäumen. Einmal fliegt er mit seinem Installateur nach Manchester zu einem Finalspiel, auch um sich Luft gegenüber Kagraner zu verschaffen, der ihn zunehmend überfordert und belästigt. Dann aber sitzt er wieder tagelang in seinem Stammcafé in der bangen Hoffnung auf das Auftauchen seines Geschichtenlieferanten. Seine Kommentare zu dessen Erzählungen unterlaufen die episodische Struktur und verbinden sie zugleich, mal rekapitulieren sie das eben Gehörte, dann wieder ergehen sie sich in heftiger Exaltation über Kagraners Klagen. So inszeniert sich der Text als verschmitzte Paradoxie: Der Ich-Erzähler erklärt sich von einem Redeschwall Kagraners überflutet, den er so wohl dosiert vermittelt.

Tatsächlich lesen sich Kagraners Episoden als erzählerische Miniaturen, mal lapidar, mal leicht panisch, dann wieder entlang schrammend an existentiellen Katastrophen. Öfter enden sie auch in einer eleganten Wendung, einem rhetorischen Schwenk oder Schlenker, der dem eben Erzählten eine neue Wendung gibt. Ein Panorama aus Miniatur-Dramen breitet sich so aus, wenn erzählt wird von nervenaufreibenden Alltagsdingen wie Fahrgästen im Zug, die knirschend mehrere rohe Karotten nach einander verzehren, ebenso wie von Ehe- und Beziehungskatastrophen, die Kagraner ratlos zurück lassen, von Alterssorgen und Liebessehnsüchten. Wiederholt fragt Kagraner den Ich-Erzähler: Was sagen Sie dazu?, ohne je eine Antwort zu erwarten. Zwei, drei Ansätze des Ich-Erzählers, etwas von sich zu berichten, werden von Kagraner lachend übergangen.

Konstant ist das Ritual, Kagraners Geschichten aber wechseln in Emotion, Zugang, Atmosphäre, Intensität. Am Ende sitzt er einmal gar nur schweigend da, steht schließlich auf und geht ohne zu zahlen. Und dann findet sich eine Passage in Kagraners „Geschichte vom Meer“, in der er die Wellenbewegung beobachtet und darin eine Form des Ankommens erkennt; vielleicht lässt sich die Stelle lesen als eine Art versteckter Direktive für das Verstehen aller dieser Geschichten in ihren kleinen emotionellen Überschlägen und Wellen, die ans Ufer klatschen: „Das wollte ich ihnen noch sagen vom Meer, sagte Kagraner, damit ich es nicht vergesse. Es mir zu erzählen?, sagte ich. Es mir zu merken, sagte er.“ Im Wechselspiel der Dialoge erzählt Gustav Ernst so von Verlust und Emphase, poetisches Festland im Anrollen der Empfindungen.

Martin Kubaczek
6. Mai 2015

Originalbeitrag.
Für die Rezensionen sind die jeweiligen VerfasserInnen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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