Die Fähre nach Daphni war schon ausgelaufen, und das Büro, das das Diamonitirio bestätigte, schloß um neun Uhr vormittags. Daher überlegte Gartner, zu Fuß über die Grenze zu gelangen, obwohl ihm davon abgeraten worden war. Wenn nichts daraus würde, dachte er sich, konnte er den Ort zumindest für seine Reisegeschichte studieren.
Gartner zog sich um, entnahm dem Koffer den schon in Wien gepackten Rucksack, stellte ihn neben das Bett und ging hinunter vor das Restaurant. Er hörte aus der Richtung des Wehrturms ein lautes Knattern und erblickte, als er sich zur Seite wendete, einen barfüßigen jungen Mann in blauen Bermudashorts, eine Baseballkappe auf dem Kopf, der einen Lenkdrachen steigen ließ. Mit zwei Seilen steuerte der Bursche ihn so gegen den Wind, daß der Lenkdrachen wie ein Modellflieger wilde Kapriolen in der bewegten Luft schlug und bei scharfen Böen zu knattern anfing.
Ein halbwüchsiges Mädchen mit Sonnenbrille, grüner Baseballkappe und gelber Jacke war zu dem jungen Mann hingetreten. Sie übernahm den Lenkdrachen, während ihr Begleiter sie von hinten umschlang, um mit seinen Händen ihre Arme zu führen. Im nächsten Augenblick stürzte der Flugkörper jedoch ins Wasser. Sogleich eilten die beiden ans Ufer, wickelten ruhig die Seile auseinander und lachten, als der junge Mann die Sonnenbrille des Mädchens aufsetzte.
Gartner nahm im Gastgarten Platz. Inzwischen kamen der Wirt und ein Mann mit einer Sonnenbrille aus dem Restaurant. Der Mann ignorierte Gartner, zündete sich eine Zigarette an und beobachtete ebenfalls das Treiben um den Lenkdrachen. Der Wirt stellte Rotwein auf den Tisch, und Gartner begann mit ihm ein Gespräch über den Athos. Viele Jahre, erzählte er, hatte er am heiligen Berg als Holzarbeiter sein Geld verdient. Natürlich sei er orthodox, er zuckte mit den Acheln und zeigte auf die Halbinsel, "was soll ich anders sein". (S. 105f.)
© 2000, S. Fischer, Frankfurt / Main.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.