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Christoph Ransmayr: Die Schrecken des Eises und der Finsternis

Autorenlesung
6 CDs
Gesamtspieldauer 6 3/4 Std.
ISBN 3-8291-1389-7
Berlin: Deutsche Grammophon, 2004

In einem der Exkurse, die der damals dreißigjährige Christoph Ransmayr seinem 1984 erschienen Roman "Die Schrecken des Eises und der Finsternis" einfügte, wird ein fundamentales Prinzip unserer Erinnerungskultur beschrieben: "Wer auf einem Fischkutter rettungslos ins Eis gerät und ersäuft, verhungert oder erfriert, hat keinen Anspruch auf eine historische Notiz. (...) Wer seine Arbeit auf einem Fangschiff verrichtet, hat keinen Anspruch auf Ruhm. Aber den Expeditionen, und seien sie noch so erfolglos, ein Denkmal." Das kollektive Gedächtnis braucht Helden, doch es gibt genaue, quasi institutionalisierte Spielregeln, die entscheiden, wer als Held gelten darf. Auf den ersten Blick respektiert der Roman diese Regeln und dokumentiert minutiös eine der spektakulärsten "Heldentaten" der untergehenden Donaumonarchie: die 1872 begonnene, von Julius Payer und Carl Weyprecht kommandierte österreichisch-ungarische Nordpolexpedition, die im August 1873 einen unter Gletschern liegenden Archipel entdeckte und ihm nach alter Entdeckersitte den Namen des Kaisers gab - "Franz-Josefs-Land". Ransmayr wertet wie in einem klassischen Dokumentarroman alle verfügbaren Quellen zu dieser Expedition aus: Die Tagebücher der Teilnehmer, Auszüge aus ihren Personalakten, ja sogar die Zeichnungen Payers illustrieren den Bericht über die unbestreitbaren Leistungen und die damit verbundenen Leiden der Protagonisten, die vor Antritt ihrer Reise eine Erklärung unterzeichneten, in der sie auf jede Rettung im Falle ihres Scheiterns verzichteten. Das ist also das den Helden zustehende Denkmal, doch der Roman verlässt die dokumentarische Ebene und wiederholt beharrlich die bohrende Frage nach der Gerechtigkeit unseres Umganges mit grenzüberschreitendem Abenteurertum.

Was treibt Männer wie Payer und Weyprecht aus ihrer gesicherten Existenz in die im Titel angesprochenen "Schrecken"? Die Frage bleibt unbeantwortet, Ransmayrs Ich-Erzähler diskutiert sie an Hand einer in den dokumentarischen Roman eingefügten Figur aus dem Heute der Erzählung: Josef Mazzini ist seit seiner Kindheit von den großen Arktis-Entdeckern ebenso besessen wie von ihrem Scheitern. Die Rolle des Chronisten genügt ihm nicht, er muss in gewisser Weise die Erlebnisse der historischen Polarforscher in seinem Leben nachstellen und schließt sich einer norwegischen Nordpolexpedition an. Die Leiden der Payer und Weyprecht verdoppeln sich damit, nicht aber ihr Erfolg: Mazzini geht mit seinem Schlitten in Spitzbergen unwiderruflich verloren - ein Opfer, kein Held. So bekommt die Arktis metaphorischen Charakter und Ransmayrs Mischung aus Dokumentation und Fiktion bietet uns zwei verschiedene Optiken auf die Eiswüste an: eine historische und eine moderne, eine der "Sieger" und eine des "Verlierers". Die Mythen der polaren Wüsten sind mittlerweile zerstört, man hört dort Avantgarde-Jazz aus dem Walkman, doch der Entdecker als absurde und dennoch mythische Figur ist unsterblich und was den archetypischen Kern betrifft ist der Unterschied zwischen den beiden Bilderwelten gering.

Ransmayrs Roman hätte beinahe ein "österreichisches Schicksal" erlitten: von einem heimischen Verlag 1984 in einer Auflage von 4.000 Stück herausgebracht, waren trotz einer mehrseitigen, geradezu hymnischen Rezension von Hans Magnus Enzensberger im "Spiegel" nach fünf Jahren immer noch Exemplare der ersten Auflage lieferbar. Erst Ransmayrs internationaler Erfolg, der in der "Anderen Bibliothek" erschienene Ovid-Roman "Die Letzte Welt" und ein Verlagswechsel hat dem Erstling die gebührende Aufmerksamkeit gesichert und auch das hier zu besprechende Projekt ermöglicht: der Autor liest den kaum gekürzten Roman sozusagen in einem, fast sieben Stunden währenden Zug vor. Das ist - trotz der Popularität von Hörbüchern im allgemeinen und Autorenlesungen im besonderen - kein selbstverständliches Unterfangen, sondern es hat eine durchaus experimentelle Dimension. "Die Schrecken des Eises und der Finsternis" mit ihren zahlreichen Verschränkungen, Sprüngen zwischen Dokument und Fiktion, Wechseln von Zeit und Ort der Handlung sind keineswegs ein ideales Objekt für eine akustische Aufbereitung. "Easy listening" auf der Autobahn ist hier unmöglich, wer Ransmayr nicht genau zuhört, hat den Zusammenhang schnell verloren. Man sollte den Roman zumindest kennen, würdigen kann man die Leistung des Vortragenden wohl nur, wenn man ihn vor dem Anhören der CD wieder gelesen hat. Ransmayr verfügt über eine hohe Vortragskunst, doch setzt er seine Mittel sparsam ein, verzichtet auf Pathos und bleibt auch als Vorleser ratlos gegenüber den Geschehnissen, die er berichtet - "allein mit allen Möglichkeiten einer Geschichte, ein Chronist, dem der Trost des Endes fehlt."

 

Alfred Pfabigan
14. September 2004

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