2. Kapitel
Direktor Willi Muster hat durch den Bombenalarm nichts an Schwung eingebüßt. Schläue litzt aus seinen Äuglein, von denen sich Lustfältchen bis zu den Ohren kerben, der Schnurrbart zittert über einem Strahlelächeln, der ganze Mann vibriert wie ein Vertreter, der drauf und dran ist, eine Jahrhundertprovision zu verdienen. Qualitätsschule, Mitarbeiter, um die man mich beneidet, unsere Anstalt allen anderen wieder einmal um Jahre voraus.
Muster erläutert ein neues Corporate-Identity-Logo, das er in den letzten Ferientagen gemeinsam mit einigen Vorzugslehrern entworfen hat: ein vierblättriges Kleeblatt, in dem sich die Worte Dynamik, Offenheit, Globalität und Praxisbezogenheit um das Kürzel Mayer-WIFASCH samt der Kringelschlange des Verbandes Christlicher Kaufleute gruppieren. Das Emblem symbolisiere das Selbstbild des "Betriebes", den "Schwung unserer Anstalt". Die werte Kollegenschaft möge über eine entsprechende Bezeichnung für das Logo nachdenken, vielleicht gebe es bereits spontane Ideen. "Schwungpropeller", schlägt Terlaner vor, "christliches Verbandszeug." Muster lächelt ignorativ. "Eventuell sollten wir uns im Anschluß an die Konferenz etwas überlegen. Nun aber zu einem, ich möchte sagen: künstlerischen Unterfangen ..." Endlich kann der Direktor sein Ruprecht Mayerling-Büstenprojekt enthüllen. (S. 9)
45. Kapitel
"Werfel war mit der Gattin von Gustav Mahler verheiratet", stößt die Kandidatin - eine bleiche Blondine mit Pippi Langstrumpf-Zöpfen - hervor. Externistenmatura-Vorprüfer Urner nimmt es nickend hin, während Beisitzer Terlaner den Satz auf den Umschlag seines Notizbuchs schreibt, ein Grinsen unterdrückend.
Kleinschriftsteller Terlaner ist mehrbereichsliterarisch tätig: beisitzend (des Beisitzerhonorars wegen, das die Monatsalimentation für seine Tochter abdeckt), beischreibend (der für sein neuestes work in progress interessanten Zitate wegen), beilesend (wegen seiner Anstaltsjubiläums-bedingten Arbeit am Leben des Anstaltsnamensgebers Ruprecht Mayerling). Der erste Gipsabdruck der Dichterbüste steht jetzt auf einem Blumentisch in Willi Musters Direktionszimmer: ein Ficus mußte Wunibald Weinstöckls Opus weichen. Das Originalabbild der Originalabbilder des Originals wird anläßlich des Festaktes in der Anstaltsaula enthüllt werden. Terlaner verhüllt den allen Lebenden längst entstorbenen Dichterschädel mit dem Willkürrealismus seines eigenen Zeitalters.
"Sie war darauf erzogen worden, daß sie sich an einen Mann bindet", sagt Pippi Langstrumpf über eine Schädelfigur Handkes, "aber schließlich hat sie sich ein Kind mit der Nadel abgetrieben."
"Nicht nur eine kriminelle Handlung, sondern auch eine Sünde wider den Glauben, nicht wahr," nickt Urner, ich danke Ihnen, Frau Kandidatin, das ist also würde ich sagen ein Befriedigend, nicht wahr?" (S. 157)
© 1999, Sisyphus, Klagenfurt.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.