Aus "Der Fall des Lemming"
Weh. Noch immer ein großes Weh, und dabei ist schon früher Nachmittag. Jemand hat kochendes Blei in den Schädel des Lemming gegossen, das schwappt bei jeder Bewegung hin und her und wälzt sich den Nacken hinab durch das Knochenmark. Weh. Ein großes, böses Weh. Er hat sich dreimal die Zähne geputzt, er hat einen Liter Kaffee in sich hineingeschüttet, er hat Castros Haare aus der Wanne entfernt und ein Bad genommen, er hat den Wasserhahn leer getrunken, die Fenster geöffnet, sich Eis an die Schläfen gehalten, noch mehr Kaffee aufgestellt. Bis endlich schemenhaft, ganz langsam, die Erinnerung an den gestrigen Abend wiedergekehrt ist. Nach dem Fensterwurf haben Sedlak und er die Flucht ergriffen; sie haben den delirierenden Steinhauser untergehakt und ihn in den nahe gelegenen Lannerpark gezerrt, so viel weiß der Lemming noch. Wahrscheinlich ist, dass er sich dort übergeben hat, unsicher nur noch, wie er und die beiden anderen zum Naschmarkt gekommen sind, um bei der Gräfin noch ein zwei Achteln nachzulegen. Und ein Gulasch, dessen Reste er heute auf seiner Jacke entdeckt hat. Was absolut ungeklärt bleibt, ist sein Heimweg, ist die Frage, woher der Riss in seiner Hose, woher das Maschineöl auf seinen Fingern stammt.
(S. 141)
© 2004, Rowohlt, Reinbek bei Hamburg.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.
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