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Leseprobe: Vladimir Vertlib - "Am Morgen des zwölften Tages."



[...] Unsere Botschaft in Teheran sowie unsere zahlreichen Informanten berichteten, dass im ganzen Land Geistliche auftreten, die zu den Gläubigen von alten geheimnisvollen Weissagungen und Träumen sprechen, dass die Gestalt Ado/f Hitlers als der zwölfte Imam der Schiiten von Gott auf die Erde gesandt worden sei. Demzufolge wäre Ali der erste, Hitler der letzte Imam.
In einer Notiz formulierte ich meine Einschätzung folgendermaßen: Ein Weg, um diese Entwicklung zu fördern, wäre das klare Herausarbeiten des Kampfes Mohammeds gegen die Juden in früherer und des Führers in jüngster Zeit. Verbindet man hiermit eine Gleichsetzung von Briten und Juden, so wird eine außerordentlich wirksame anti-englische Propaganda in das schiitische iranische Volk getragen. Eine mit den Achsenmächten befreundete oder gar verbündete iranische Regierung könnte den Krieg erheblich verkürzen, weil sie einen strategischen Keil zwischen das britische Kolonialreich im Nahen Osten und in Indien treiben und uns zudem den Zugriff auf die Erdölquellen im Irak und Kuwait ermöglichen würde.
Oberst von Lahousen gab mir recht. "Na ja", meinte er, als er mit mir allein in seinem Büro war, "bis jetzt ist noch kein Krieg ohne Hilfe von Deppen gewonnen worden."
"Jawohl, Herr Oberst."
"Heisenberg, haben Sie schon einmal einen Hundekampf miterlebt?" Dies musste ich ehrlicherweise verneinen, weil ich jegliche Form von Wettkämpfen als simplen Zeitvertreib, nicht aber als anspruchsvolle Unterhaltung, die nach meinem Geschmack gewesen wäre, erachtete.
"Sehr schade, Herr Akademiker", sagte der Oberst. "Sie sollten einmal statt ins Konzert oder ins Theater zu so einem Hundekampf hingehen. Das Publikum tobt, und nach einiger Zeit weiß man nicht, ob die Hunde im Ring oder die Leute, die zuschauen, die größeren Bestien sind. Aber das mein' ich jetzt gar nicht, sondern was anderes: Man reizt die Tiere so lange, bis sie sich gegenseitig zerfleischen. Aber eigentlich wissen wir nie, was [94] im Kopf von so einem Viech wirklich vorgeht. Wenn man sie scharfmacht und irgendwann den Bogen überspannt und im falschen Moment nicht aufpasst, gehen s' nicht auf andere Hund' los, sondern springen einem selbst an die Gurgel."
"Ein gewisses Risiko ist natürlich immer ... ", setzte ich zu einer Anrwort an, aber er unterbrach mich: "Ja, ja, schon gut. Letzdich sind wir ja selber die größten Viecher."
Ich wunderte mich, dass der Oberst den Mut aufbrachte, etwas zu sagen, was ihn Kopf und Kragen hätte kosten können, aber offensichdich war seine Menschenkenntnis gut genug, um sich auf meine Diskretion verlassen zu können.

Ich überspringe einige Passagen in Großvaters Manuskript, in denen er ausführlich über die Kompetenzstreitigkeiten, mit denen die Abwehr in jenen Jahren beschäftigt war, berichtet. Er erinnere sich, dass oft bis zu acht Behörden der Wehrmacht, des Außenamtes und der SS für ein und dasselbe Projekt zuständig gewesen seien. Die vielgerühmte deutsche Effizienz und Gründlichkeit sei, so Großvater, nicht besser als eine polnische Wirtschaft gewesen. Nur mäßig interessant ist meiner Ansicht nach Großvaters Bericht über den vergeblichen Versuch der Abwehr, einen im italienischen Exil lebenden afghanischen König zurück nach Kabul zu bringen, und in einem, wie ich meine, ebenfalls etwas langatmigen Einschub erzählt er von einer Reise, die er mit Hauptmann Kohlhaas nach Plovdiv unternommen hatte, um mit Scheich Abdallah VI. Kontakt aufzunehmen. Der Scheich war von den Briten aus seinem Heimatland, den Emiraten am Persischen Golf, verbannt worden und hatte nach mehreren Zwischenstationen schließlich – unter einem falschen Namen und mit einem gefälschten albanischen Reisepass versehen – in Bulgarien ein neues Zuhause gefunden. Laut Großvater sei aber eine Verwendung des Scheichs für deutsche Zwecke aus charakterlichen Gründen nicht in Frage gekommen. Hinderlich seien vor allem [95] die Vorliebe des Scheichs für starke alkoholische Getränke und für Knaben zarten Alters gewesen. Während man Letzteres, wenn auch mit einem gewissen Ekel, noch hinnehmen hätte können, hätte die Trunksucht des Scheichs in kritischen Momenten ernsthafte Schwierigkeiten bereitet.

(S.93-95)

© 2009 Deuticke Verlag, Wien.

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