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Josef Haslinger: Mein Fall.

Leseprobe:

Am Ende des ersten Schuljahres, ich war gerade elf Jahre alt geworden, lud er mich ein, ihn in den Ferien im Kloster zu besuchen. Wir könnten mit dem Ruderboot einen Ausflug auf dem Kamp machen. Wahrscheinlich wusste er, wie sehr ich Ruderbootfahren mochte. Mein Vater brachte mich mit dem Auto nach Stift Zwettl. Pater Gottfried nahm mich im Stiftshof in Empfang. Er hatte mich in einem Gästezimmer im sogenannten Schwarzen Gang untergebracht. Zwischen den Zimmertüren hingen lebensgroße Porträts von Äbten. (…)
Das Ruderboot war an einen Brückenpfeiler angeleint. Pater Gottfried hatte es schon vorbereitet. Wir ruderten los. Zuerst er, dann ich. Als wir nach einigen Flusswindungen in das breiter weedende Gewässer des Stausees kamen, zog er eine Flasche Wein aus der Tasche seines Habits und einen Korkenzieher. Was dann geschah, ist seltsam dunkel in meinem Gedächtnis verankert. Ich weiß aber, dass ich erstmals mit seinem Penis zu tun hatte, der ganz und gar nicht so war, wie ich mir den Penis eines Homosexuellen ausgemalt hatte. Wenn ich meiner schwachen Erinnerung trauen kann, liefen die sexuellen Handlungen auf den ersten Versuch einer Masturbation hinaus, weil ich mich daran erinnere, dass ich "versagt" habe. Das Ganze muss sich irgendwie unter dem Habit abgespielt haben. Er hatte eine starke Erektion, ich hatte keine, aber er fummelte an mir herum.
Ich muss an diesem Tag wohl auch noch in der Zelle von Pater Gottfried gewesen sein, denn ich erinnere mich, dass er mich über den Dachboden, auf dem wir mehrere Feuermauern mit Eisentüren durchschritten, zum Gästezimmer im schwarzen Gang zurückbrachte. Auf dieses Weise konnte uns niemand begegnen. Was in der Zelle geschah, vermag ich nicht mehr im Detail zu sagen.

(S. 47ff)

Ab dem Sommer 1967 kam Pater Gottfried im Kloster und in den Pfarren von Stift Zwettl nicht mehr zum Einsatz. Möglicherweise habe ich ihn noch bei einem Konzert in Heiligenkreuz unter den anwesenden Mönchen erblickt. Aber es gab keine weitere persönliche Begegnung.
Bis ich dann zehn Jahre später als Studierender mit Professor Michael Benedikt zu diesem Wochenendseminar nach Heiligenkreuz fuhr. Am Ende unseres ersten Seminartages, das Abendessen war schon eingenommen, brach ich zu einem kleinen Spaziergang auf. In der Hoffnung, dass der Friedhof auch abends geöffnet sein könnte, wollte ich noch einmal zum Grab der Mary Vetsera gehen. Als ich durch den äußeren Klosterhof schlenderte, kam mir Pater Gottfried entgegen. Ich erkannte ihn sofort. Er kam direkt auf mich zu. Ich zwang mich, nicht meinem ersten Impuls zu folgen und in eine andere Richtung abzubiegen. Wir gingen aufeinander zu, er blickte mich an, wir grüßten einander, er zuerst: Grüß Gott, dann ich: Guten Abend, ein kurzer Blick von ihm in mein Gesicht, keine Regung, keine Erinnerung, er ging einfach weiter.
Als er da auf mich zukam, sagte ich mir innerlich, hoffentlich erkennt er mich nicht. Als er mich aber dann wirklich nicht erkannte, war ich getroffen. Wie konnte er mich vergessen haben? Diese Nähe, die er angeblich für mich empfunden hatte, musste es ihm doch möglich machen, mein Gesicht wiederzuerkennen, auch wenn ich jetzt kein Kind mehr war, sondern ein junger Erwachsener.

(S. 32ff)

© 2020 S. Fischer, Frankfurt am Main

 

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