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Leseprobe: Doris Rüdisser - "Fuchsgesicht."

Sie kannte sie alle, so aufgefädelt an den Geleisen, die Bahnhöfe und die Gärten der k. u. k. Bahnhofsvorstehers-Frauen. Wie kleine Balkone, schwindlige Schwalbennester, hingen sie an die Bahnhöfe geklammert, hoch über dem Talboden, in den man nicht hinabsehen konnte. Steil unten vernarbten sich im dunkelgrünen Schatten die Tannenwipfel, in einer vom lieben Gott ins Land geschlagenen Kerbe. Nur die Jahreszeit war jetzt eine andere; ihre letzte Reise war im Frühsommer gewesen. Wie auf ihren Postkarten-Fotografien standen die Bahnhöfe vor den schmutzigen Waggonfenstern. Was auf den alten Karten abgegriffen, retuschiert und nur mehr zu erahnen war, machte hier der Ruß, der auf allem lag. Wie durch einen Witwenschleier besehen schaute die Landschaft entlang der Geleise aus. (S. 10)

Weißt du, Maria, ich hatte im Gefängnis viel Zeit, diese Momente zusammenzukratzen und der Reihe nach aufzufädeln. Und wenn man das ganze Heimliche und Verbotene zusammenzählt, gibt das dann mein Leben, ein paar Tage und ein paar Nächte. Ist das viel, wenn es schön war? Was ist das für ein Leben? Immer nur arbeiten, keine Zeit ein Mensch zu werden, geschweige denn eine Frau. Ich kann es nicht verstehen. Was hätte ich denn anders machen sollen? Ohne Mutter, mit Vater und Marie und der Base, in diesem Dorf, wo alle wissen, was recht und was unrecht ist. Lauter verstrittene Händler im Tempel des Herrn, die zusammenhelfen, wenn es gilt, eine Bettlerin hinauszuwerfen, und sich hinterher angeekelt die Hände waschen. (S. 62)

Mit Schuld bedacht vom Pfarrer, auswendig gelernt die Sünden, die nicht begangenen, mich selbst bezichtigen, den Schmerzhaften Rosenkranz beten, zur Buße, ohne Reue, ich hatte ja nichts von all dem getan. Den Tag des Herrn nicht geheiligt, Vater und Mutter nicht geehrt, gelogen, gestohlen und unkeusch gewesen, nichts. Aber irgendwie brachte es der Pfarrer zuwege, dass ich mich schämte. Alle haben sich geschämt, über die Gedanken des Pfarrers. Und indem er sie durchs Gitterfenster hauchte, uns mitten ins Gesicht, feucht und warm und riechend, konnte er sie immer wieder aussprechen, seine Sündenfragen. Ich wich jedes Mal zurück, bis ich hinten an der Wand anschlug und er zischte, dass ich sofort wieder herkommen solle. Ja, Hochwürden. Und hinterher, wenn wir nebeneinander aufgefädelt mit reuig gesenktem Kopf im Kreuzgang knieten, drückte er uns mit seinem Daumen ein kuhzitzenweiches Kreuz zwischen die Augen. "Sündige fortan nicht mehr." – "Amen", und nach Hause rennen und ganz lange das Gesicht waschen. (S. 91-92)

© 2010 Limbus Verlag, Hohenems.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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