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Leseprobe: Ruth Cerha - Zehntelbrüder.

Ein dumpfer Schmerz im Schädel signalisierte meinem wiederkehrendem Bewusstsein, dass ich noch lebte. Ich wusste sofort, wo ich mich befand und was passiert war, allerdings hatte ich keine Ahnung, wie lange ich ohnmächtig gewesen war. Vorsichtig betastete ich meine Nase, sofort hatte ich Blut an den Fingern. Ich stand auf und schleppte mich in meine Wohnung. Im Bad machte ich Licht und begutachtete im Spiegel den Schaden. Ich sah aus wie Mr. Fight Club. Schräg unter dem Veilchen von vorgestern prangte ein weiterer, riesiger Bluterguss, eingetrocknetes Blut klebte überall in meinem Gesicht, meine Nase war angeschwollen. Das einzige Tröstliche war, dass sie mir nicht schief vorkam, also vermutlich nicht gebrochen war. Den Kopfschmerzen nach zu urteilen, hatte ich eine Gehirnerschütterung. Ich wusch mir das Gesicht, blieb dann noch kurz vor dem Spiegel stehen und versuchte Kontakt aufzunehmen mit dem Freak, der mir da entgegensah. Hey Alter, ist was nicht in Ordnung, kann ich helfen? Aber der Typ antwortete nicht. Er glotzte mich nur an, als hätte er mich nicht gehört.
Ich fühlte mich müde, aber an Schlafen war nicht zu denken.Ich ging in die Küche, stellte Kaffee auf, zündete mir eine Zigarette an und versuchte nachzudenken, was nicht ganz einfach war mit diesem Brummschädel. Herrgott, man hatte mich zusammengeschlagen! Sollte ich zur Polizei gehen? Ins Krankenhaus fahren? Nella anrufen? Die letzten Tage zogen noch einmal an mir vorbei, Nella, die mit mir telefonierte, als sei ich eine Freundin, Nella, die sich auf der Straße umsah, als würde sie verfolgt, zuletzt hatte sie das direkt vor meiner Wohnung gemacht. So eine Geschwistersache. Du bist die Treppe hinuntergefallen. Die Treppe hinuntergefallen, so ein Schwachsinn! Ich lief zurück zum Spiegel. Wie naiv konnte man eigentlich sein? Verdammte Hormone. Ich habe mal in der Zeitung gelesen, dass Verliebte vermehrt Oxytocin ausschütten, ein Hormon, das in dem Artikel auch als Vertrauenshormon bezeichnet wurde. Unter seinem Einfluss vertrauen wir Menschen, die wir eigentlich gar nicht kennen, damit wir unsere Ängste und Zweifel verlieren und mit ihnen schlafen können. Und dann ist es sowieso vorbei mit der kritischen Urteilsfähigkeit.
Ich ging in die Küche, wickelte ein paar Eiswürfel in ein Geschirrtuch und drückte sie mir auf die schmerzende Nase. Mit der freien Hand rief ich Nella an. Natürlich hob sie nicht ab. Ich probierte es noch zweimal, obwohl ich wusste, dass es sinnlos war, ich brüllte was soll der Scheiß und bemerkte zu spät, dass ihre Mobilbox noch dran war. Ich trommelte mit den Fingern auf den Tisch, stand auf und begann auf und ab zu gehen, immer noch mit dem Eis auf der Nase, das langsam schmolz, das Geschirrtuch durchweichte und in kleinen Rinnsalen mein Gesicht hinunterlief. Was in aller Welt war das für ein Spiel, in das ich hineingeraten war? Und war es überhaupt ein Spiel? Oder hatte ich einfach eine Grenze überschritten und bewegte mich in einer Welt, deren Regeln ich nicht kannte? Wollte ich sie überhaupt kennen? Ich wollte Nella. Waren Mädchen denn nie ohne ihre Familien zu haben?

(S. 141-142)

© 2012 Eichborn Verlag, Köln.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


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