Mit: Walther Reyer, Aglaja Schmid, Vilma Degischer, Peter Fröhlich, Fred Liewehr, Jane Tilden u.v.a.
Regie: Hans Krendlesberger
Erstsendung: 28.9.1974
2 CDs: 71:34, 35:50 Min.
ISBN 3-901846-53-0
Wien: ORF 2004
Als Hörbuch ist Schnitzlers vergleichsweise figurenreiches Stück "Das weite Land" von vornherein etwas problematisch; wer das Stück nicht kennt oder sich zumindest im Groben an die Hanldung erinnert, hat leicht Schwierigkeiten, der Entwicklung der Handlung zu folgen. Die Figuren sind in ihren sozialen (Stimm)Rollen zum Teil sehr ähnlich - allenfalls die immer hysterisiert gezeichnete Mama Wahl (Jane Tilden) und die kindliche Erna Wahl (Kitty Speiser) heben sich von vornherein etwas ab. Und dieses Problem bleibt trotz der Starbesetzung - Walter Reyer als Hofreiter, Aglaja Schmid als Genia, Vilma Degischer als Frau Meinhold - bestehen, auch wenn feine, leicht überhörbare Untertöne noch so gut und zugleich diskret herausgearbeitet werden. Wie Walter Reyer bei seinem ersten Auftritt die Bemerkung "So, die Erna war auch da", wie nebenbei hinstellt und nicht ausstellt, zeigt das Mehr der akustischen Inszenierung, die aus einem zunächst noch belanglosen Satz eine unauffälige aber doch hörbare Vorausdeutung macht.
Die Regie von Hans Krendlesberger ist gediegen und sehr konventionell. Die Musik wird als akustischer Zwischenvorhang eingesetzt, Hintergrundgeräusche - das Ploppen der Tennisbälle, die ferne Musik aus dem Kurparksalon - bauen akustisch die entsprechende Szenerie auf. Die Produktion stammt aus dem Jahr 1974, und es stellt sich ein wenig die Frage, weshalb der ORF diese Produktion im Jahr 2004 als brandneue CD - allerdings im nostalgischen Rillen-Oufit des Zeitalters der Schallplatte - herausbringt. Natürlich versucht der ORF seit Jahren erfolgreich vom Hörbuchboom zu profitieren und Eigenproduktionen aus den Archiven kostengünstig herzustellen und gewinnbringend zu vermarkten. Aber der eigentliche Grund waren in diesem Fall wohl die Festspiele Reichenau, die just im Jahr 2004 "Das weite Land" im Südbahnhotel am Semmering zeigten, in einer Inszenierung von Beverly Blankenship, die um nichts aktueller oder spannender war als die immerhin 30 Jahre alte Arbeit von Hans Krendlesberger. Die Schauspieler hingegen waren um einiges platter und sprachlich indifferenter (Herbert Föttigenr als Hofreiter, Petra Morzé als Genia - und eher peinlich Thaddäus Podgorski als Portier Rosenstock, den in der Hörfassung Maxi Böhm gibt). Natürlich punktete die Kulisse rundum und das Flair des maroden Südbahnhotels - immerhin der Arbeitsort jenes Portiers, dem Schnitzler mit seinem Rosenstock ein literarisches Denkmal gesetzt hat. Aber gefällige Inszenierungen, die das Publikum goutiert, sind nicht immer auch ein Dienst am Autor.
Wie bei Beverly Blankenship sehen wir auch in der Hörfassung die Figuren gleichsam im historischen Kostüm über die Bühne schreiten. Doch es wäre wohl an der Zeit einmal zu fragen, ob Schnitzler wirklich immer im Jahrhundertwende-Kostüm aufgeführt / inszeniert werden muss. Gerade eine Hörversion hätte hier mehr Freiheitsgrade. Natürlich ist das Ambiente bei Schitzler immer in einer Zeit verankert, die wir etwas nebulos als Jahrhundertwende bezeichnen, aber die dargestellten Konflikte sind es nicht. Da ist ein alternder Lebemann (Hofreiter), dessen Objekte der Begierde immer jünger werden, diesfalls ist es Erna, die seine Tochter sein könnte. Zum einen werden ihm erwachsene Frauen mit eigenen Ansprüchen wohl schon etwas anstrengend (Frau Natter), zum anderen ist Erna, deren Vater früh verstorben ist, ein leichtes und williges Opfer. Da genügt die Tatsache, dass ein Mann, der ihr Vater sein könnte, sich für sie interessiert und ihr seine Aufmerksamkeit schenkt. Was vermag nicht alles einem pubertierenden Mädchen zu imponieren. Dass Hofreiter Ernas Leben bei der riskanten Bergtour mutwillig in Gefahr bringt - das geht heute meist einfacher mit einer flotten Fahrt im ledergepolsterten Auto. Mit im Bunde Hofreiters lange schon verstummte Gattin Genia, die ihr Leben einzig ihrem Sohn gewidmet und bei Hofreiters rücksichtslosen Eskapaden mitgespielt hat - wie bei Alkoholikern funktionieren die Hofreiterschen Amourenreigen nur, wenn die Gattinnen aktiv mitmachen, durch "großzügiges" Wegsehen und stilles Erdulden. Frau Meinhold ist der weibliche Gegenentwurf. Sie hat ihren ehebrecherischen Gatten kurz entschlossen verlassen und sich damit wohl einiges erspart und eine prächtige Karriere als Schauspielerin gemacht. Natürlich kann Schnitzler nicht zulassen, dass dieses Leben zu einem ungetrübten Glück führt, aber auch das ist ja letztlich immer so: jede einmal getroffene Entscheidung hinterlässt oder weckt einmal - spätestens an der Schwelle zum Alter - die Sehnsucht nach dem entgegengesetzten Lebensentwurf. So ist es auch bei Genia und Frau Meinhold. Im zweiten Akt unterhalten sich die beiden Frauen über die Vor- und Nachteile der beiden Lebensentwürfe. Das hat alles so gar nichts Verstaubtes. Es ist die gekünstelte Distansziertheit der beiden Frauenstimmen (Aglaja Schmid / Vilma Degischer), die ein unangebrachtes Patina über die Szene legt. Das ist aus der Entstehungszeit der Produktion durchaus verständlich, Anfang der 1970er Jahre begannen in den deutschen Sendeanstalten erst die akustischen und produktionstechnischen Expermiente mit dem "Neuen Hörspiel", während auf Jahre hinaus noch die Vorstellung vom Hörspiel als "Theater für Blinde" dominierte.
Es wäre ein Auftrag an den Österreichischen Rundfunk, eine Hörfassung von Schnitzelrs "Weitem Land" zu produzieren, die dem Stück unter Einbezug radiophoner Mittel eine neue, bislang nicht ausgeschöpfte Spannung und Aktualität abzutrotzen vermag. Für die Schnitzler-Rezeption könnte eine derartige Initiative einen Meilenstein darstellen.
Originalbeitrag
Evelyne Polt-Heinzl
5. September 2005