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Arthur Schnitzler: Casanovas Heimfahrt

Gelesen von Christian Futterknecht
4 CDs
Spieldauer 4 Std. 44 Min.
Naxos Hörbücher Klassiker der Literatur
ISBN 3-89816-224-9
Münster: Naxos, 2006

Vierdreiviertel Stunden dauert die Aufnahme von Arthur Schnitzlers 1918 erschienener Novelle "Casanovas Heimfahrt", die nun in der Reihe Naxos Hörbucher rechtzeitig zum 75. Todestag des Autors erscheint. Vierdreiviertel Stunden, das ist pure Lesezeit für den 120 Seiten langen Text; wenn man den Missbrauch mit ungekennzeichneten Strichen und radikalen Einkürzungen kennt, der sich in die Hörbuchflut eingeschlichen hat, wäre ein Hinweis, dass es hier die Novelle in voller Länge dem Originaltext folgend zu hören gibt, durchaus nützlich gewesen.

Christian Futterknecht, Ensemblemitglied des Theaters in der Josefstadt und im Hörfunk als Coautor des Radiokabaretts "Guglhupf" präsent, liest den Text ruhig und klar; er lässt sich und den Hörern Zeit und outriert kaum. Einzig bei Olivo, dem vor 16 Jahren von Casanova zum Hahnrei gemachten damaligen Bräutigam Amaliens, glaubt er auf eine stimmliche Verschiebung in die Lächerlichkeit nicht verzichten zu können. Nur Olivo muss Chevalier immer wie "Schwalljee" aussprechen, bekommt eine höhere Tonlage und Futterknecht legt in seine Rede gegenüber Casanova eine derart übertriebene Beflissenheit, dass man ihn gleichsam akustisch schwänzeln sieht. Das ist eine häufige, aus Schnitzlers Sicht nicht unbedenkliche Lesart. Olivo ist keine lächerliche Figur; immerhin ist ihm das Leben wohl geglückt, geschäftlich als erfolgreicher Weinbauer, der gerade ein ehemaliges Adelsgut als Familiensitz erworben hat, und privat als Familienvater mit drei aufgeweckten Töchtern. Das verdankt Olivo auch einem vernünftigen und realistischen Umgang mit Schnitzlers Lebensthema Eifersucht, an dem so viele seiner Figuren scheitern. Dass Olivo mit seiner Amalie glücklich geworden ist, obwohl diese sich dereinst genauso wie ihre Mutter dem jungen Casanova "geschenkt" hat, der sich, damals noch wohlhabend, dieses doppelte Geschenk 150 Golddukaten kosten ließ, damit Amalie ihren armen Schullehrer Olivo heiraten konnte, macht aus Olivo noch lange keinen dümmlichen Bauern.

Olivo ist die einzige Figur, die Christian Futterknecht stimmlich zu stark einfärbt, sonst überwiegt der ruhige Fluss, der dem Hörer Zeit lässt, die vielen Themen und Motive zu reflektieren, die Schnitzler in dieser Novelle anschlägt. Denn "Casanovas Heimfahrt" ist keineswegs nur eine Novelle über das Altern. Das natürlich auch - wie der 53-jährige Casanova selbst seine körperlichen Verfallserscheinungen registriert und stets darauf bedacht ist, zumindest nach außen noch "gut ins Bild zu kommen", hat etwas absolut Modernes. Casanova wusste, heißt es im Text, dass "Grimm und Haß länger in den Farben der Jugend zu spielen vermögen als Sanftheit und Zärtlichkeit". Auch Lächeln lässt ihn jünger erscheinen, so glaubt er, aber bei der jungen Marcolina helfen ihm alle Tricks und Routinegesten nichts. Ihre Liebesgunst muss er sich mit einem Identitätsschwindel ergaunern, dem Marcolinas Liebhaber Lorenzo in bewährter männlicher Kuhhandelsmanier zustimmt, um dann von Casanova im Duell getötet zu werden. Marcolina beeindruckt weder Casanovas "jugendliches" Lächeln, noch das beiläufige Erzählen all seiner spannenden Abenteuer und Erlebnisse aus der großen Welt und auch nicht das Prunken mit seiner Intellektualität. An einer Streitschrift gegen Voltaire schreibt er gerade. Nun, da ihm von seinem Leben nichts geblieben ist, verrät er auch noch sein Bekenntnis zur Aufklärung, nur um in Venedig wieder Aufnahme und einen Alterssitz zu finden. Das zumindest gelingt ihm am Schluss auch: als Spitzel ist er dort durchaus willkommen.

Dass bei Marcolina keine der bewährten Charmeoffensiven anschlägt, ja dass sie sie zum Teil gar nicht zur Kenntnis nimmt, hat aber nicht nur mit Casanovas Alter zu tun. Seine ganze Hilflosigkeit dieser jungen, intellektuellen und unabhängigen Frau gegenüber hat ganz wesentlich auch mit einem Generationsbruch zu tun. So wie Casanova Marcolina einfach nicht versteht - sie studiert Mathematik, lebt erotisch selbst bestimmt und ökonomisch dank einer kleinen Erbschaft bescheiden aber unabhängig -, so verständnislos und verstört reagierten auch die Männer zu Schnitzlers Lebenszeit, als Frauen begannen, die Hörsäle und Kaffeehäuser zu erobern. An der Figur Marcolinas zeigt sich auch Olivos Überlegenheit: Er weiß, dass Marcolina einer anderen Generation angehört, die ihr Leben nach völlig neuen Regeln organisiert und auch andere Erwartungshaltungen an die Männer stellt, was Casanova einfach nicht verstehen will. Das völlig unkokette Verhalten Marcolinas irritiert ihn zutiefst und er schreibt es ausschließlich seiner nachlassenden Ausstrahlung zu, was so gar nicht stimmt. Jedenfalls bleibt Casanova, um ans "Ziel" zu kommen, nur die plumpe Maskerade bei Marcolina und der offene Kindsmissbrauch an der 13-jährigen Teresina, den Schnitzler deutlich als solchen beschreibt ohne ihn anders zu kommentieren als mit Casanovas Zufriedenheit, sich mit der kindlichen, völlig verständnislos alles mit sich geschehen lassenden Teresina, die dritte Generation einverleibt zu haben. Auch solche "Feinheiten" im Text, die Literaturwissenschaft lange Zeit gern und großzügig zu überlesen pflegte, kann eine so ruhig präsentierte Hörbuchfassung, bei der man Textstellen nicht überspringen kann, deutlicher zu Bewusstsein bringen.

Die vielen Fälle von Kindesmissbrauch in der "hohen Literatur" beim Namen zu nennen, kann heute noch ungeahnte Aggressionen auslösen, wie vor einiger Zeit das Beispiel Peter Altenberg gezeigt hat. Im Fall Arthur Schnitzlers kommt vielleicht verschärfend hinzu, dass der Arzt und Psychologe es besser hätte wissen müssen bzw. gewusst hat: In Casanovas Sicht reagiert die vergewaltigte Teresina kurz nach der Gewalttat völlig unbeeindruckt und entspannt auf ihren Schänder, der Erzählerkommentar distanziert sich von dieser Sicht in keiner Weise, obwohl Schnitzler in der Vorbereitung der Szene deutlich wert darauf legt, Teresinas Kindlichkeit und Unentwickeltheit zu betonen.

 

Evelyne Polt-Heinzl
6. November 2006

Originalbeitrag

Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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