Es liest Birgit Minichmayr
Woman Voices
4 CDs
ISBN 978-3-86604-523-1
Köln: Random House Audio, 2007
Andrea Eckert, Erika Pluhar, Sophie Rois, Elke Winkens, Christiane Hörbiger usw.: In "Woman Voices", einer von der österreichischen Zeitschrift "Woman" lancierten Hörbuchreihe, kommen bekannte österreichische Schauspielerinnen zu Wort; Diven, Luxusweibchen und Jungstars, die sich ihr Stimmrecht am Markt bereits erkämpft haben. Ihre Konterfeis werben auf den Covers. Sie lesen verschiedene (mit einer Ausnahme) von Frauen verfasste Texte. Auswahl und Aufmachung der Edition verfestigen den Eindruck, hier ginge es eher um eine lukrative Geschäftsidee als um das ambitionierte Projekt, Frauen ihren Platz in Literatur und Literaturbetrieb einzuräumen. Sei's drum, der Kunst, wo sie denn Fuß fasst, ist es egal, wie sie verpackt ist und ans hörende Volk gebracht wird.
"Ohrenschmaus. Aufregende und witzige Geschichten, gelesen von den stärksten & schönsten Frauen-Stimmen des Landes", lockt der Begleittext. Wie schön, dass Birgit Minichmayr die Werbestrategen prompt widerlegt. Denn aufregend und witzig, das macht Minichmayr lesend unmissverständlich klar, ist in Schnitzlers Spätwerk "Therese" (1928) rein gar nichts. Es sei denn, man spräche von einem blutigen Witz oder besser: einem blutleeren. So nämlich erscheint das Leben Therese Fabianis, das Schnitzler in dieser "Chronik eines Frauenlebens" in einem vordergründig anspruchslosen realistischen Stil protokolliert.
Therese ist eine Tochter aus besserem Hause, die nach familiären Schicksalsschlägen von Salzburg nach Wien zieht, wo sie sich in diversen Haushalten als Kindermädchen, Erzieherin und Musiklehrerin verdingt. Ihr Kind aus einer vorübergehenden Beziehung mit einem mittellosen Hochstapler, dessen Heiterkeit und Lügencharme sie faszinieren, wird bei Pflegeeltern am Land erzogen; ihre soziale Stellung legt diesen Schritt nahe. Thereses Leben steht unter keinem glücklichen Stern: Der Abstieg des Sohnes in die Kriminalität verstärkt ihre starken Schuldgefühle ihm gegenüber und isoliert sie zunehmend. Schließlich stirbt sie durch seine Hand.
Schnitzlers Chronik verzeichnet Thereses Leben bis zum bitteren Ende. In der Beschreibung eines dauernden Wechsels von Dienst- und Liebesverhältnissen formt sich in erlebter Rede die psychische Gestalt einer Frau, die in den letzten Tagen der k. u. k. Monarchie ihren Platz im Leben nicht zu finden vermag. Ihr über die Jahre dauernder sozialer Abstieg drängt sie in eine radikale Vereinsamung, für die sie selbst nicht unverantwortlich ist. Sich für ihr Umfeld eigentlich zu schade fühlend, bringt sie in letzter Konsequenz den Mut und die Entschlossenheit nicht auf, sich in einem neuen Leben einzurichten. Unmöglich ist es ihr, zu Ruhe und Zufriedenheit zu gelangen.
Einer deterministischen Haltung steht der späte Schnitzler fern. Thereses Unvermögen, eine starke emotionale Beziehung zu ihrem Kind aufzubauen, erscheint so gesehen tragisch, aber nicht ohne weiteres entschuldbar. Vielmehr werden ihr Leben, die Hohlheit ihres Liebeslebens, die Weigerung, Verantwortung zu übernehmen, die Falschheit des Gefühls, das sie umbrandet, Passivität und verweigerte Hilfestellung im übertragenen Sinn als Befindlichkeit der Zeit, in der sie lebt, lesbar, als Begleitwellen der versinkenden Donaumonarchie.
Modern sind die "gemischten" Figuren dieser Erzählung, die sich nicht in simplen Mustern oder einem Gut-Böse-Dualismus erschöpfen. Irritierend zeitgemäß ist auch, dass Thereses Liebesunfähigkeit gegenüber ihrem Kind, die ihr bewusst ist und ein schlechtes Gewissen verursacht, nicht allein aus der Bedingung ihrer Existenz ableitbar ist; ebenso ist der Hass des Sohnes auf seine Mutter nicht einfach erklärt. Immer schwingt ein Quäntchen Unwägbarkeit mit. Delinquenz und das Leben insgesamt, das sich in der Chronik nicht den dramatischen Erzählgesetzen unterordnen muss, ist eben heute wie damals nicht durch einfache Thesen zu erklären, sei es nun der Glaube an sozialen Determinismus oder sogenannte "Gewaltgene".
Thereses Rastlosigkeit, ihre Unzufriedenheit und Bindungslosigkeit erweisen sich in der Rezeption als zugleich historisch und aktuell. Obsolet ist die große Bedeutung der ständischen Hierarchie für die gesellschaftliche Verankerung eines Individuums, das unhinterfragte Anstreben bürgerlicher Lebensziele. Was für ein Glück, dass es mittlerweile eine gesetzliche Unterhaltspflicht für Väter gibt! Heutig dagegen sind die Dissoziations- und Entfremdungsgefühle von einem selbst und seiner nächsten Umwelt, die Therese an sich beobachtet. Ihre Ursachen haben sie heute anderswo, vielleicht in einer unsteten Berufsbiographie, wo viele junge Selbständige, Ich-AGler und freie Dienstnehmer zwischen allen Stühlen vorformulierter Berufe Platz nehmen und weitgehend ohne hinreichende kollegiale Reaktion vor sich hinwerken. Oder in der Arbeitslosigkeit. Das Gefühl, nicht gebraucht zu werden, bringt sie nicht selten aus der Fassung.
Monoton, mit einer Stimme, der schon zu Anfang der Lebenssaft auszutropfen scheint, liest Minichmayr dieses Protokoll eines Frauenlebens. Die 30-jährige Linzerin, die an der Burg ihr Debüt als Dirne in Schnitzlers "Reigen" gab, hat sich auch danach wiederholt mit Schnitzler, dem Dichter der österreichischen Seele, beschäftigt. Sie hat die Figur der Therese von vornherein aufgegeben. Diese mutige Interpretation bewirkt zweierlei: Zum einen entsteht gewissermaßen eine Negativ-Spannung, ein Gefühl der Bestätigung, ein "Ich habe es ja gewusst" mit jedem neuen Schicksalsschlag, jedem Beziehungsbruch, der sich in Thereses Leben ereignet. Ein Fokus aufs Ende, das von Beginn weg auf die Erzählung einwirkt, absorbiert alle Spannung, lässt alle Überraschung und Hoffnung auf einen glücklichen Lebensabend verdunsten. Thereses Schicksal ist vorgezeichnet, ihr einförmiges Leben erfährt in Minichmayrs Sprachmelodie seine Spiegelung.
Andererseits geht diese beherrschte Lesart auf Kosten des Hörgenusses, weil die Aufmerksamkeit kapituliert und man der plätschernden Monotonie erliegt. Gegen Ende wird man durch ein unvermittelt sich beschleunigendes Erzähltempo aufgeschreckt, Einschübe von direkter Rede sowie anderer Sprachcouleurs wirken als unpassender Bruch. Sinnvoller wäre es gewesen, das Hörbuch insgesamt kürzer zu halten, das hätte aber vermutlich den Vorgaben der Edition widersprochen.
Minichmayr versteht es, die im Buch wahrnehmbare Distanz des Erzählers zur Figur der Therese aufs Audio-Medium zu transferieren. Das Hörbuch ist eine Tortur, die den Leser ebenso nervös und desillusioniert zurücklässt wie die Protagonistin. Am Ende ist man regelrecht froh, dass Therese stirbt, nur immer Schlimmeres wäre zu erwarten gewesen. Und auch wenn sie am Totenbett ihren Frieden findet und um Gnade für ihr Kind bittet, bleibt nur der Nachgeschmack von Ernüchterung zurück - und wer wollte leugnen, dass Ernüchterung eine bestimmende Geschmacksnote unserer Zeit ist?
Kristina Werndl
22. Jänner 2008
Originalbeitrag
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