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Marlene Streeruwitz: Majakowskiring

Autorenlesung
2 CDs
Spielzeit: ca. 120 Min.
ISBN 3-933199-39-5
Audiobuch 2001

"Die Sonne scheint auf die Betonplatten." Ein heißer Sommertag, in einem kühlen Zimmer auf dem Bett liegend, mit Fernbedienung. Ob das die richtige Rezeptionshaltung zu Streeruwitz' kurzer Erzählung wäre? Es liest die Autorin selbst. Es ist der letzte Tag im Mai, das Jahr 1998, ein ausgesprochen heißer Tag, draußen, in dem Bungalow am Majakowskiring, dem ehemaligen Gästehaus der DDR, ist es jedoch kühl, ja geradezu zum Frösteln. Zwischen Draußen und Drinnen, an der Schnittstelle zwischen einer verflossenen Geschichte des sogenannten Ostens und einer bereits verfestigten Gegenwart des so bezeichneten Westens entspannt sich denn auch der Bogen für die vorliegende Erzählung.

Lore, knapp über 50, Wirtschaftsjournalistin, durchaus erfolgreich, die Figur dieser Erzählung, findet sich im Wartezimmer des Bungalows, unsicher, ob sie warten solle, worauf sie warten solle. "Der Blick halb hinaus, halb im Zimmer." Die Schnittstelle zieht sich selbst durch sie hindurch, die angesichts einer Trennung, ihrer bisher letzten, Bilanz zu ziehen versucht. Die Schattenlinie auf den Betonplatten draußen zeigt die Zeit an, die Zeit, die draußen abläuft, die in diesem Wartezimmer, diesem Salon, der es einmal war, zum Anhalten gekommen ist - auch die Uhr in diesem Raum ist stehen geblieben. Diese Schattenlinie auf den Betonplatten draußen - einige davon sind gesprungen, Grasbüschel wachsen darüber - läuft quer durch die Erzählung, strukturiert sie, unterbricht sie. "Halb hinaus, halb nach innen" charakterisiert auch Lores Erzählhaltung. Innen läuft ein Film ab, Filme, Erinnerungen an Liebhaber, Begegnungen, aufkommende Glücksgefühle, Hoffnungen, Trennungen, Enttäuschungen, Katastrophen. Ein plötzlicher Windstoß unterbricht ihren Bewusstseinsstrom, sie sieht nach außen. In die verblassende Wirklichkeit dieses ehemaligen Salons der DDR, der jetzt vermietet, bald verkauft wird. ("Da, wo früher die DDR gewesen, könne man jetzt feiern.") Sie schaut aus dem Fenster. Sie sollte draußen sein, nichts versäumen. Aber die Versäumnisse und Verluste ihres Lebens reißen sie wiederum in den Sog ihres Bewusstseins. In diesen Sog geraten auch die Sätze, mitunter, werden fortgerissen von dem Strom, zerrissen. Die beschädigte Grammatik verweist auf die Beschädigungen des Lebens. Es ist nicht allein die Privatsprache Lores, denn ihre Sprache ist Teil verschiedener sozialer Umfelder und Machtfelder, Teil der sozialen Systeme, die letztlich patriarchal geprägt sind. So überlagert sich - wie bereits mehrfach sinnbildlich angedeutet - Individuelles und Soziales, Privates und Öffentliches, Privates und Politisches.

Wäre es besser gewesen, hier zu leben? In der ehemaligen DDR? Hier hatte es andere Regeln gegeben. Doch sind es immer die Auslegungen der Regeln - die "Regeln der Peiniger" -, auf die es ankommt, und die mächtigsten Auslegungen sind die jeweils entscheidenden. Unterliegen die Beziehungen, wie sie sich zwischen Ost und West entwickelt haben, nicht auch solchen Auslegungen?

Oder zurück zum Privaten: Paul, ihr letzter Liebhaber, hatte, bevor er nun sie selbst verließ, seine Frau in München verlassen. Er hatte sie sich aber weiterhin "gehalten", als Rückzugsposten. Und umgekehrt eben, Lore als bequeme Geliebte. Und sie hatte zu lange mitgespielt. Mitspielen ist eine Facette jener Macht. Richard, ein früherer Liebhaber, war ein polnischer Dandy, dauernd in Angst, sie würde ihn auf ihren Geschäftsreisen betrügen. Als er in Polen verhaftet war, wurde er in Verhören zu Geständnissen gezwungen. An ihr hatte er diese "Verhöre nachgestellt und in Lust" umgewandelt. Jetzt stellt sie sich vor, wie sie ihn umbringen würde. Angesichts ihrer Bilanz, wie viel sie bei jeder Trennung zurücklassen musste, wie sehr sie jedes Mal "wieder unvollständig" zurück gekommen war.

Das führt sie zu ihrem Ausgangpunkt zurück. Das Kindheitszimmer in der Josefstadt (Wien). Das wollte sie einst um jeden Preis verlassen - und für immer vergessen. Nun sieht sie, wie es ihr nicht gelungen ist. Gelähmt sitzt sie in diesem Wartezimmer fest, unmöglich, ihre "Depression weiterzutragen". Nicht einmal eine Fernbedienung ist da, damit sie diesem Ort, der ihrem Ausgangsort so ähnlich scheint, entkommen könnte. "Dieses Zimmer war eine Falle. Eine Fallgrube".

In Streeruwitz' Erzählung ist die Sonne untergegangen. Als hätte es auch hier herinnen abgekühlt, ein leichtes Frösteln in den Armen. Draußen, wo die andere Wirklichkeit - noch immer eine Sommernachmittagswirklichkeit - weitergeht, kann man sich noch etwas aufwärmen ...

Originalbeitrag

Martin Reiterer
24. Juni 2002

http://www.marlenestreeruwitz.at

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