Sprecher: Miguel Herz-Kestranek
Spielzeit: ca 70 Min.
ISBN 3-7085-0002-4
Preiser Records 2002
Der Ehrentag
Sprecher: Walter Schmidinger
Spielzeit: ca 53 Min.
ISBN 3-933199-16-6
Produktion des Mitteldeutschen Rundfunks
Audiobuch, o. J.
"Es fließen ineinander Traum und / Wachen, Wahrheit und Lüge. / Sicherheit ist nirgends. / Wir wissen nichts von anderen, / nichts von uns. / Wir spielen immer, / wer es weiß, ist klug." Diese Zeilen aus dem 1899 geschriebenen Einakter "Paracelsus", der diesen als frivolen Abenteurer zeichnet, sind den beiden Erzählungen "Ich" und "Der Ehrentag" akustisch - stimmungsvoll untermalt mit Cellosolo - vorangestellt. Solche Sorgfalt ist bei Hörbüchern leider selten und verdient daher besonders gewürdigt zu werden. Denn das Zitat schafft Einstimmung, stellt einen Rahmen her und gibt Interpretationshilfen für den folgenden Hörgenuß. Und es ist wirklich einer. Man muß kein Miguel Herz-Kestranek Liebhaber sein, sein geschmeidiges und immer treffsicheres Changieren zwischen den verschiedensten Tonlagen, vom neutralen Erzählton bis zum heftigen Wienerisch ist beeindruckend.
Die Novellette "Ich", geschrieben 1927 und erst posthum veröffentlicht (1968, nicht 1978 wie im schmalen aber doch mit Basisinformationen ausgestatteten Booklet vermerkt) ist der Bericht eines Ich-Zerfalls. Eines Tages verliert die Welt für den biederen, in wohlgeordneten Familienverhältnissen lebenden Kravattenverkäufer ihre Selbstverständlichkeit. Ein simples Schild "Park", das er während eines Sonntagsspaziergangs zufällig sieht, wird zum Auslöser. Nach und nach verliert er die Sicherheit der Welt- und Selbstwahrnehmung. Immer manischer wird sein Zwang, alles und jedes Ding zu beschriften. Am Ende klebt er sich selbst ein Schild mit der Aufschrift "Ich" an, Ernst Jandls beschrifteten Stuhl um mehr als ein halbes Jahrhundert präludierend. So klar und spannend die Erzählung geschrieben ist, wird sie von Herz-Kestranek auch gelesen. Keine Betonung zu viel, keine Pause zu lang - einfach perfekt.
Perfektion gelingt ihm auch bei der zweiten Erzählung, die eine ungleich differenziertere Herangehensweise erfordert. "Der Ehrentag" (1897) ist die Geschichte eines tödlichen Scherzes, ersonnen von der wenig einnehmenden Kaffeehausexistenz August Witte, Liebhaber der Primadonna des Theaters Albine Blandini. Das Opfer seiner Inszenierung ist der Kleindarsteller Friedrich Roland, der sich mit der Tatsache, daß seine künstlerische Karriere gescheitert ist, noch immer nicht abfinden kann. Für Roland, den gescheiterten Mimen, inszeniert August tobenden Applaus bei einem seiner kleinen Auftritte als Diener - um ihm einmal eine Freude zu machen, wie er vorgibt. In Wahrheit, um ihn der Lächerlichkeit preiszugeben und damit endgültig, vor allem als potentiellen Rivalen bei der Blandini, zu vernichten.
Die Erzählung ist in drei nummerierte Abschnitte gegliedert: 1. die Vorbereitung des üblen Scherzes im Kaffeehaus 2. die Perspektive Rolands vor und während des Eklats 3. die Nachbereitung, zunächst im Kaffehaus, dann die Nachricht vom Selbstmord Rolands und die Verachtung Blandinis für August.
Mit dem Wechsel zwischen salopp dahinschleifendem Wienerisch in den Kaffeehausszenen zwischen August und seinen von der Idee gar nicht so begeisterten Freunden Emmerich und Fred, nüchternem Berichtston und feiner Anteilnahme in den Roland selbst gewidmeten Passagen, liefert die stimmliche Wiedergabe der Erzählung einen zusätzlichen Kommentar. Die Gedanken und das Leiden Rolands an seinem gescheiterten Leben zeigen ihn, so wie die Passagen gelesen werden, als keineswegs lächerliche, sondern als tragische Figur. Und das ist auch im Text angelegt. Betont wird damit die Perfidität in der Auswahl des Opfers und die Gemeinheit des Scherzes, wodurch der Charakter August Wittes zusätzlich kommentiert wird.
Wie sehr diese eigentlich in der Erzählweise Schnitzlers selbst vorgegebene Interpretation durch die Art der akustischen Präsentation konterkariert werden kann, zeigt die zweite, vom Mitteldeutschen Rundfunk produzierte Version mit Walter Schmidinger als Sprecher. Der jammernd-singende Tonfall des Wienerischen mit mitunter leicht brüchiger Stimme wirkt hier schon in den Kaffeehausszenen schwer erträglich. Vollends verfehlt ist die gleichbleibende Tonlage aber im Mittelteil der Erzählung, der Rolands Innenperspektive wiedergibt. Schmidinger liest Rolands Hadern mit seinem Schicksal, seine Resignation und Unzufriedenheit und schließlich seine bodenlose Verzweiflung während der Applausszene aus der Perspektive August Wittes. Dort, wo Schnitzler die Figur Rolands als eigenen Charakter mit eigenem Schicksal ernst nimmt, macht Schmidingers Tonfall sie lächerlich. So wie hier Rolands Satz in der Dienerszene gesprochen wird - "Schöne Dame, dieses Geschmeide ..." -, kann man Roland wirklich nur als lächerlichen Schmierenkomödianten wahrnehmen, der er in Schnitzlers Text keineswegs ist.
So unverständlich wie diese Interpretation ist auch die Zerstückelung des Textes. Daß ein längerer Text in Hör-Portionen segmentiert wird, um die Möglichkeiten des Texteinstiegs zu erhöhen, ist notwendig. Gerade "Der Ehrentag" bietet diese Möglichkeit durch seine Dreiteilung natürlich an. Daraus kann man auch fünf Einschnitte machen, in dem man die beiden längeren Abschnitte noch einmal teilt. Warum aber gezielt die von Schnitzler vorgegebene Einteilung überspielt wird, und Abschnitt drei so keine eigene Einstiegsmöglichkeit mehr hat, ist nicht nachvollziehbar.
Originalbeitrag
Evelyne Polt-Heinzl
13. August 2002