logo kopfgrafik links adresse mitte kopfgrafik rechts
   

FÖRDERGEBER

   Bundeskanzleramt

   Wien Kultur

PARTNER/INNEN

   Netzwerk Literaturhaeuser

   mitSprache

   arte Kulturpartner
   Incentives

   Bindewerk

kopfgrafik mitte

Raoul Schrott: Das Geschlecht der Engel, der Himmel der Heiligen

Ein Brevier
Autorenlesung
2 CDs
Spielzeit: 118 Min.
ISBN 3-89903-029-X
Hörbuch Hamburg 2002

Kommt unter den professionellen Lyrikproduzenten und -rezipienten dieser Welt die Rede auf Raoul Schrott, so schwebt oft ein ganz bestimmtes, unter den meisten anderen Umständen schlichtweg vernichtendes Wort in der Luft: "Plünderer". Offen ist zu solchen Zeitpunkten meist nur, wer es aussprechen und wer daraufhin den Advocatus Diaboli geben wird. Die Notwendigkeit dieser Rolle im Schrott-Diskurs akzeptieren dabei wohl auch jene gerne, die das Verfahren ablehnen, mit dem er sich immer wieder einer exotischen, überkommenen Form zu bedienen und sie zu "beleben" weiß. Denn "dieser Schrott" hat im Laufe seines Schaffens etwas zuwege gebracht, das zumindest im deutschen Sprachraum ebenso bemerkenswert wie selten ist: Seine Werke sind auch nicht-Spezialisten namentlich bekannt, mehr noch, viele sonst "hochliterarisch" eher unbeleckte Zeitgenossen haben sie sogar gelesen. Da er dies nicht erreicht hat, indem er Kompromisse mit der Publikumserwartung eingegangen wäre oder indem er auf das Gewusel der abgehobenen l'art-pour-l'art-Bedeutungsebenen in seinen Konstrukten auch nur im Ansatz verzichtet hätte (wie etwa der ebenfalls weithin bekannte Erich Fried in seinen "politischen" "Gedichten"), gestaltet sich die Beantwortung der Frage, was genau den "Plünderer" denn populär gemacht hat, schwierig.

Vielleicht ist es das, was H.C.Artmann (nachzulesen im Booklet der vorliegenden CD) wie folgt beschrieben hat: "Dieser ungeheure Radius, diese Übersicht, die heute ja nur mehr die wenigsten haben, das ist das Hoffnungsvolle an Raoul Schrott." All seine Werke beschäftigen sich mit der Auslotung der gemeinsamen Strukturen verschiedener Dichtungsformen, wobei auch vergangene Zeiten nie zu kurz kommen: Schrott hat sich in der Vergangenheit als Kenner zahlreicher alter Sprachen, als Übersetzer, als einfühlsamer Nachdichter erwiesen, als Mensch, dem durch die tausend Masken verschiedener kulturbedingter Gestimmtheiten stets das gemeinsam-menschliche des Phänomens Sprache sich präsentiert. Schrott hat ein tiefes Gefühl für Etymologie und ihre Schnittstellen zu "Erkenntnis" und "Mythos" (ja, es kommt auch heutzutage noch vor, daß diese beiden Begriffe zusammengehören können).

Sein Buch "Das Geschlecht der Engel, der Himmel der Heiligen" beispielsweise bedient sich der barocken Form des Breviers, nicht ohne ihre Entwicklung zu den enzyklopädischen Arbeiten der Romantik einerseits und ihre Wurzeln in der mittellateinischen Vitenliteratur und den kosmologischen Werken der Kirchenväter andererseits einzubeziehen. Was er mit Hilfe der Quintessenz dieses Formenkanons, den er da entfaltet, aber tut, darüber lässt er seinen Erzähler nicht ganz unprätentiös im 11. Brief eine überraschend ehrliche Auskunft geben: "Und: nein, ich schreibe nicht um des Schreibens willen, nein, sollte auch nur das geringste Schöne an diesen Briefen sein, dann nur wegen dir, nein, sie sind nicht in sich beschlossen, alles, was sie tun, ist, nach einer Antwort zu schreien und die Frage, so gut sie können, zu verschleiern (...)" Die Frage nämlich ist diejenige, die eine Frau in absentia zum Engel werden läßt und zum Gleichnis: Das Buch wie das Hörspiel sind vom sozusagen ritterlichen Gestus der "hohen minne" getragen, ohne formal an ihn zu streifen. Aus der Sehnsucht des schreibenden Ich-Erzählers entspinnt sich das Gewimmel eines von allerlei Kreaturen erfüllten Nachthimmels.

Die Ausgesetztheit des "Sehers" (Dichter und Verliebte als Schamanen ...) wird mitthematisiert, wo die Rede auf den Blick des Verliebten auf diesen Himmel kommt, des Erzählers, der von sich in Beziehung zu seinem Engel wie von einem sich seiner Selbst bewußten Anbeter in Beziehung zu einer Göttin oder Fee spricht. Diese Beziehung wird aber an keiner Stelle direkt benannt, sondern nur symbolisch aufgerollt, indem die Geschichte von der Vereinheitlichung der Dämonen- und Halbgötterschar durch die Sprachen und Denkleistungen der verschiedenen Kulturen hindurch erzählt wird, mit bedeutungsschwangeren Einschüben und Seufzern zwar, aber doch: So ähnlich, scheint das Buch zu sagen, wird mittels der einen Sehnsucht aus den tausenderlei Trieben etwas Neues, Tieferes.

Es gibt noch weitere Ansätze, wie man Schrotts Buch beschreiben oder auch nur lesen könnte, und sie alle bilden einen Chor, stehen in Beziehung zueinander. In höchstem Maße erotisch und in höchstem Maße "europäisch" sind sie alle. Das Hörbuch nun, in Form von 2 CDs bei Hörbuch Hamburg erschienen, bietet da - abgesehen von einem Interview mit dem großen Selbstdarsteller Schrott - nicht viel Neues. Der Vortragsstil des Autors erweitert das Texverständnis des mit dem Buch Vertrauten nicht übermäßig, versetzt den Erstrezipienten, dem das Buch bisher unbekannt war, sogar eher in einen akusischen Religionsgeschichte-Seminarraum, dem es nur noch an Overhead-Projektionen von Miniaturmalereien oder etymologischen Tabellen mangelt, anstatt ihm den blauen Sternenhimmel und die weite Landschaft der irischen oder italischen Küsten vor das innere Auge zu zaubern, auf den sich der Erzähler ab und an als auf sein "Hier und Jetzt" bezieht. Daß er seinen Vortrag aufs professionellste plastisch gestaltet, hilft da nichts: Zu sehr ist das Buch als Brevier konzipiert, das zum Vor- und Zurückblättern, zum Verharren bei Details einlädt, und zu erfüllt ist das Buch nebst Poetisierung von Schrotts Detailwissen über obskure Autoren und Werke, als daß es - vorgelesen - nicht den Charakter eines Vortrages über Angelologie und Mytholgie mit Poesie zwischendurch zur Auflockerung gewinnen muß. Zu entfernt ist die Geliebte, der rothaarige Engel, dem die Briefe gelten, als daß sie - die "Handlungsträgerin" - dem Hörer im Gegensatz zum Leser auch nur annähernd präsent sein könnte.

Insofern das Hörbuch aber durchaus zur Lektüre des Textes einlädt, erfüllt es wohl seinen Hauptzweck. Die Draufgabe, das Interview mit dem Autor, ist in dieser Hinsicht dem Medium schon angemessener: Es tritt wie ein Post Skriptum zu den letzten beiden Briefen, die gleichsam eine Leinwand einreißen und scheinbar - und natürlich nur scheinbar - Schreibanlaß, Motivwahl und -deutung auf die sehr "irdische" Situation der Beobachtung einer Sonnenfinsternis beziehen (und somit formal die judäochristliche Emanationslehre nachvollziehen, die sie einem "im Vorbeigehen" schildern). Raoul Schrott erläutert darin allerdings nur die bereits im gesamten Text geschilderten Stoffzusammenhänge nochmals komprimiert und skizziert kurz einige Gedanken zum Dichterpriestertum. Man merkt diesem kurzen Stück an, daß bei Raoul Schrott tatsächlich die Zusammenhänge von Mythologie-, Kultur- und Sprach(en)geschichte den einzelnen Themen gegenüber primär sind.

Das macht ihn zu einem bedeutenden Fürsprecher des Blicks fürs "große Ganze", und darin liegt wohl der eigentliche Grund seiner Popularität in einer Zeit des auch intellektuellen Spezialistentums: Er ist ein "Spezialist für das große Ganze."

Originalbeitrag

Stefan Schmitzer
14. August 2002

Link zur Druckansicht
Veranstaltungen
Radio rosa 12 – Verena Dürr | Ilse Kilic | Caroline Profanter | Sophie Reyer

Do, 20.09.2018, 19.00 Uhr Text-Sound-Performances "Warum sind wir da, wo wir sind, wenn...

Gabriele Petricek Die Unerreichbarkeit von Innsbruck (Sonderzahl, 2018)
Jürgen Berlakovich Tobman (Klever, 2018)

Fr, 21.09.2018, 19.00 Uhr Neuerscheinung Herbst 2018 | Buchpräsentationen mit Lesungen &...

Ausstellung
ZETTEL, ZITAT, DING: GESELLSCHAFT IM KASTEN Ein Projekt von Margret Kreidl

ab 11.06.2018 bis Juni 2019 Ausstellung | Bibliothek Der Zettelkatalog in der...

Cognac & Biskotten

Das schräge Tiroler Literaturmagazin feiert seinen 20. Geburtstag und präsentiert sich mit einer...

Tipp
flugschrift Nr. 24 von Lisa Spalt

Wenn Sie noch nie etwas vom IPA (dem Institut für poetische Allltagsverbesserung) gehört haben,...

Literaturfestivals in Österreich

Sommerzeit - Festivalzeit! Mit Literatur durch den Sommer und quer durch Österreich: O-Töne in...