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Walter Serner: Die Tigerin

Es liest: Sona MacDonald
Regie: Barbara Raschig
4 CDs
Spieldauer 3 Std. 52 Min.
ISBN 3-0369-1110-3
Kein & Aber Records 2001

Liebesgeschichten, Romane zumal, pflegen zumindest stellenweise das zu sein, was man gemeinhin "romantisch" nennt. Aus dem begrenzten Fundus der ohne weiteres nachvollziehbaren Liebesregungen gilt es, sich so zu bedienen, daß etwas "Neues" dabei herauskommt, da ja die Liebe immer neu und immer, immer "anders" ist, schon gar anders, als erwartet (so zumindest blühen die Binsen der Weisheit am Rande des Sumpfs namens "Volksempfinden"). Dieses "Anders als erwartet" nun kann einem der Autor - bei aufrechter Verwendung des erwähnten Fundus - nur plausibel machen mit der Berufung eben auf die inhärente "Romantik" einer Situation (bürgerlicher Individualismus für Anfänger, sozusagen): Jeder Traum vom Geliebtsein hat andere, neue Requisiten. Was soll's da noch, daß wir die großen Muster schon von ganz weitem erkennen? Bleibt eine Liebesgeschichte (zumal - siehe oben - ein Roman) indes gänzlich unromantisch, läuft sie schnell Gefahr, uninteressant zu sein, es sei denn, sie thematisiert genau dieses Manko von der ersten Seite an, wie zum Beispiel Walter Serner es getan hat.

Dem Bannerträger des DADA, mutmaßlichen Zuhälter und Autor einiger seinerzeit vielbeachteter Kriminalromane, ist es 1925 gelungen, einen der wenigen tatsächlich spannenden Liebesromane "ohne Romantik" zu schreiben und veröffentlicht zu sehen. "Die Tigerin" ist die Geschichte von Fec und Bichette, dem ausgebrannten Hochstapler und der "klassischen" Femme Fatale, die sich in Paris auf dem Montmartre (wo sonst?) über den Weg laufen, eine Geschichte, die von Anfang an durch die - auch als solche zur Schau getragene - Unaufrichtigkeit der beiden Protagonisten gekennzeichnet ist: Immer dringlicher wird im Laufe der Handlung die Vermutung, daß sowohl er als auch sie ihr Techtelmechtel wie ein Planspiel, einen Kampf aufführen, bei dem es darum geht, sich selber NICHT zu verlieben und gleichwohl den anderen in sich verliebt zu "machen". "Dringlicher wird die Vermutung", schreibe ich, denn der äußerst konventionelle, bloß auktorial beschreibende Stil Serners funktioniert genau deswegen so gut, weil er den Leser/Hörer zwingt, sich solange auf die Vermutungen zu stützen, die ihm seine Kenntnis des Genres souffliert, bis sie völlig fadenscheinig geworden sind: Auch über die Motivation der (vielleicht) Liebenden wird bis zuletzt nicht gesprochen, weder Hörer noch Figuren dringen zu jener Wahrheit durch, über die Bichette am Schluß nur sagen kann: "Habe ich ihn geliebt? Hat er mich geliebt? Ich weiß es nicht."

Daß Serner mit einem Klischee der Groschenliteratur auf diese Weise verfährt - mit der kalten Verführung nämlich - und es also, wohl zu Versuchszwecken, so richtig ernst nimmt, macht den Roman zwar oberflächlich reizvoll, man kann aber ohne allzu großen Aufwand noch um einiges tiefer schürfen (Ich bitte um Nachsicht, wenn ich das nun zu tun versuche, ohne die jeweiligen Referenzstellen der Handlung genauer anzuführen: Einem Erzähltext vom Schlage der "Tigerin" möchte ich nicht sein Kernstück - die Handlung - mittels einer Paraphrase entreißen: Braucht er dann den getroffenen Feststellungen nur noch gleichsam nachgereicht zu werden).

Anscheinend leere Herzen stehen sich da gegenüber. Ob sie einander aus reiner Routine in "suggestive Stimmungen" (Fec) versetzen, oder ob sie Feiglinge sind, denen die Manipulation das einzig verbliebene Vehikel von "Liebe" ist, sie wissen es selbst nicht. Die Grenze zwischen dem "Ich" und dem gesellschaftlichen Schein, der mit viel Mühe künstlich errichtet wurde, ist nicht mehr zu erkennen. Es ist, als hätten alle Figuren des Romans, nicht nur Fec und Bichette, Angst davor, aus den Rollen zu fallen, die sie aneinander karikaturhaft überzeichnet vorbeidefilieren lassen. Die Karikatur der Bohème ist ihnen tödlicher Ernst, und es steht zu vermuten, daß Serner genau hierin eine adäquate Beschreibung der damaligen Wirklichkeit abgeliefert hat.

Dies spiegelt sich auch in der Hochstaplergeschichte wider, zu der der Roman sich entwickelt, wo die beiden Protagonisten ihrer Beziehung "irgendwie" eine Form geben wollen: Man flüchtet nach Nizza und tritt als Baron mit Geliebter auf, man verwickelt sich in ein Eifersuchtsskandälchen, um auch hier letzten Endes wieder ratlos vor der Frage zu stehen, was "echt" war und was Teil des betrügerischen Planspiels. Und so, wie es den Protagonisten ergeht, ergeht es auch dem Leser, nur daß er nicht einmal einen kurzen Blick auf den Plan werfen konnte, von dessen Existenz allerdings ausgegangen werden muß, aus dem schlichten Grunde, daß er auch für Fec und Bichette zunächst eine Grundannahme bildet.

Ein bißchen klingt hier aus viel älteren, urwüchsigeren Gefilden das Vanitas-Motiv an: Wie immer Dein Plan beschaffen ist, er ist eitel, weltlich, verurteilt zum Vergehen, hier: zur langsamen Auflösung im Strudel Deiner Emotionalität. Oder anders gefasst, mit Begriffen einer etwas jüngeren Denkweise: Wie unmöglich, wie giftig es doch ist, sich mit der Klassengesellschaft anzulegen. Doch dieser Subtext kommt nie recht zum Schwingen angesichts jener Fragwürdigkeiten, die der letzte Abschnitt der Geschichte birgt: Bichette flüchtet zurück nach Paris, wo Fec sie einige Zeit später "stellt" und mit ihr, einem Hercule Poirot im Kreise der Verdächtigen ähnlich, die gemeinsame Zeit "auseinandernimmt": Jede Regung wird analysiert, jedes Wort, jede Geste, als handle es sich (was aus der Perspektive dieser Beiden sicherlich auch zutrifft) um ein Geflecht von Spuren und Indizien, denen detektivisch zu Leibe zu rücken ist. "Wer hat hier wen, haben wir beide gar einander geliebt?", ist ihre nur halb ausgesprochene Frage an die gemeinsame Zeit, und selbst in dieser Rückschau schaffen sie es nicht, einen Zugang zueinander zu finden, den wir "unverkrampft" nennen würden. Natürlich kommt es nicht zu einer Lösung der Frage, und der definitive Schluß, zu dem es dennoch kommt, ist auf angemessene Weise banal.

Letztlich entspricht das Problem der "Tigerin" dem Gefangenendilemma der Logik: "Wenn sie mich liebt, und ich sie liebe, alles bestens. Wenn ich sie liebe, und sie mich nicht liebt, bin ich verraten und verkauft (und umgekehrt, was für mich auch bestens wäre). Wenn wir einander nicht lieben, naja, dann habe ich eine weitere Chance wahrgenommen."
Das Gefangenendilemma spricht von einer Situation, in der Interakion unmöglich geworden ist: vom Kerker. "Die Tigerin" spricht auf dieselbe Art vom verinnerlichten gesellschaftlichen Schein. In diesem Sinne ist Serners Buch radikal.
Zum Hörbuch selbst gibt es nicht viel zu sagen (was bei Kunstwerken der Reproduktion wohl ein durchaus positives Verdikt ist): Der mitreißende Vortrag von Sona MacDonald versetzt einen ohne weiteres in die Lage, die Notwendigkeiten der unterschwelligen Kriegsführung zwischen den Geschlechtern hinzunehmen und als gegeben vorauszusetzen. Ihre präzise Zeichnung der Sprechweisen aller Personen des Romans (besonders hörenswert: Pimpi!) zeugt von eingehender Beschäftigung mit Serners Werk. Die Gestaltung des Booklets schließlich verfolgt recht offensichtlich - und ebenso erfolgreich - ein bestimmtes Ziel: Dem Konsumenten den zu Unrecht halbvergessenen Dadaisten Serner so nahe zu bringen, wie ihm etwa ein Hans Arp im Idealfall schon ist, und Interesse für sein Werk auch außerhalb des kleinen Kreises der Nostalgiker wiederzuerwecken. Fazit: Ein Hörbuch wie ein abendfüllender Film Noir, und genau derselben Zielgruppe zum Konsum bei ein, zwei Flaschen gutem Rotwein anzuempfehlen. Originalbeitrag

Stefan Schmitzer
4. September 2002

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