Epos
Mit Zitaten der ninivitischen Fassung in der Übertragung von Raoul Schrott
Bearbeitung, Komposition und Regie: Klaus Buhlert
Sprecher: Josef Bierbichler, Martin Wuttke u. v. a.
3 CD
ISBN: 3-89584-505-1
Spielzeit: ca 195 Min.
Produktion: Bayerischer Rundfunk
Der Hörverlag 2001
Das Gilgamesh-Epos ist vielleicht das erste "aufgeschriebene" literarische Werk der Welt. Die dreistündige CD-Fassung, basierend auf der Neuübersetzung von Raoul Schrott, wirkt wie im Jungbrunnen gebadet. Viertausend Jahre soll das alt sein, unglaublich! Doch zuerst zum Philologischen: Schrott hat den bruchstückhaften Text nach der "Ninivitischen Fassung" (um 1200 v. Chr.) übersetzt und Lücken geschlossen. In "Gilgamesh" hat er nicht das klassische Epos gesehen, sondern eher ein "szenisches Oratorium": "Mir ging es um das Wechselspiel zwischen Poesie oder epischem Erzählen und dramatischem Erzählen, das schon im Original zu finden ist. Die eigentliche Faszination an diesem Stoff ist aber seine Modernität" (Schrott im Burgtheatermagazin "Vorspiel" Nr. 13). Was ist so modern an "Gilgamesh", das Rilke einmal "das Epos der Todesfurcht" genannt hat?
Gilgamesh, der König, der nicht sterben will, blickt auf sein ruheloses Leben zurück. Er, zu zwei Dritteln Gott, zu einem Drittel Mensch, hat sich gegen die Götter aufgelehnt, hat, um unsterblich zu werden, die ganze Welt bis in den Hades durchquert, hat gegen seine Ängste und bösen Träume angekämpft, und wie Sisyphos nicht aufgegeben. Am Schluß ist er allein und sein Leben erscheint als endloses Scheitern. Alles was groß begonnen hat, endet kläglich. Der Tod ist nicht besiegt, die Götter sind nicht gestürzt. Der Mensch ist klein. Schrott hat die Helden aus dem Original auf ein menschliches Maß zurückgeführt. Zwölf Meter hohe, überlebensgroße Gestalten werden bei Schrott wieder Menschen aus Fleisch und Blut. Klein sind sie vor allem in ihrer Angst vor dem Tod und dem Ungewissen.
Wo hat alles begonnen? Wie ein wilder Stier hatte Gilgamesh in Uruk geherrscht, ein unbändiger Tyrann war er. Bis er jemanden fand, der ihm ebenbürtig war, Enkidu. Die Götter hatten den Tiermenschen Enkidu aber geschaffen, um Gilgamesh zu besiegen, doch aus dem Kampf wird eine Lebensgemeischaft: das Liebespaar Gilgamesh und Enkidu. Die beiden ziehen von einem Abenteuer ins nächste, besiegen den dämonischen Riesen Humbaba, den Wächter über einen Zedernwald, töten den rasenden Himmelsstier, den die verschmähte Göttin Ischtar ihnen schickte. Die Götter aber lassen nicht mit sich scherzen, Enkidu muß sterben und Gilgamesh irrt in unsterblicher Trauer weiter bis ans Ende der Welt, wo er den babylonischen Noah findet.
Die im Hörverlag erschienene CD-Fassung beginnt leise, wie eine moderne Expedition ins Totenreich: "Hallo, ist da jemand?", forscht eine Frauenstimme. Erzählerstimme und direkte Rede greifen ineinander, eine wilde Reise beginnt, akustisch angepeitscht durch Musik. "Jajajajajaja", schreit Ishtar voller Lebenslust. Die gekürzte Radiofassung des Bayerischen Rundfunks wurde zum Hörspiel des Monats Oktober 2001 gekürt. Man kann sagen, daß die Produktion zum Interessantesten gehört, was es auf diesem Gebiet gibt. Gekonnt wird die Spannung zwischen hohem Ton und salopper Rede, zwischen Pathos und Slang, zwischen Epos und Abenteuergeschichte, zwischen Gestern und Heute, gehalten. Das umfangreiche Booklet zu den drei CDs informiert ausführlich über philologische und historische Hintergründe.
In der Regie von Klaus Buhlert sind einige der besten Schauspieler unserer Tage versammelt. Aus der Berliner Volksbühne: Martin Wuttke als Gilgamesh, Kathrin Angerer als Ishtar/Shamhat/Siduri, Bernhard Schütz als Humbaba. Josef Bierbichler ist Enkidu, und selbst kleine Rollen sind hochkarätig besetzt. Plötzlich ist Mesopotamien mitten in Berlin. Und Syrien klingt nach Bayern, wenn Bierbichler sagt: "Das ist mir ein schöner Sauhaufen, eure Götter". So jung war alte Literatur schon lange nicht mehr. Und man sieht, daß man einen Text nur gut erden muß, damit er ohne Mühe hoch aufsteigen kann.
Originalbeitrag
Karin Cerny
29. Jänner 2002