Die Kabarettlegende Folge 2
Spielzeit 1:13:40
Preiser Records 1999
"Wer kein Geschichtsbewusstsein hat, und die Gesellschaft leidet darunter, hat auch kein Kunstgeschichtsbewusstsein, also auch kein Kleinkunstgeschichtsbewusstsein." (Werner Schneyder)
Mit den politischen Visionen der revoltierenden Studenten Ende der sechziger Jahre erlebte auch das politische Kabarett einen Aufschwung. Es wurde schärfer, bissiger, schwärzer, kritischer und selbstbewusster; auf der Kehrseite gelegentlich auch allzu selbstgerecht und sendungsbewusst, mit streng erhobenem didaktischen Zeigefinger.
Dieter Hildebrandt und Werner Schneyder zählen heute bereits zu den Klassikern des politisch-satirischen Kabaretts. 1974 begann mit dem Programm "Talk täglich" ihre achtjährige, deutsch-österreichische Partnerschaft. Sie wurden für ihren intelligenten Witz, ihre treffende Satire und die Originalität ihres Wortspiels berühmt. Das Duo spielte vor ausverkauften Häusern und das Publikum konnte sich auf ein Pointenfeuerwerk gefasst machen. Es wurde selten enttäuscht. Hildebrandt und Schneyder traten in schneller Folge und im perfekten Zusammenspiel in thematisch gebündelten Kurzszenen auf, sie sangen Lieder und Couplets, gelegentlich verirrte sich auch eine Rezitation in den Kabarettabend oder ein Soli.
Preiser Records hat die Höhepunkte aus den beiden Programmen "Wie abgerissen" (aufgenommen von Radio Salzburg bzw. ORF/FS Atelier Wien, 1977) und "Keine Fragen mehr" (SFB Berlin und Bayerischer Rundfunk, 1979) neu aufgelegt. Für den Inhalt zeichnen abwechselnd Hildebrandt und Schneyder verantwortlich, gelegentlich auch beide. Die Texte unterscheiden sich kaum an Witz und Schärfe, in den Interpretationen gab es dagegen große Unterschiede. Werner Schneyder: "Unser Kabarettduo lebte von unserem unterschiedlichen Sprachduktus. Bei mir mochten die Leute dieses singende Österreichische und bei Hildebrandt das schnelle, gestotterte Hochdeutsche. Ich schätze die direkte Pointe, Hildebrandt den verschränkten Witz."
Die Titel der einzelnen Nummern aus den beiden Programmen sind aufschlussreich: "Der mündige Bürger", heißt es da, und "Konsumverweigerung", "Energie sparen", "Rationalisierung", "Überwachung", "Touristenparadies", "Lied vom Konsumzwang" und, vorausschauend, "Europa" - Themenklassiker also, die bis heute wenig an Brisanz und viel an Aktualität verloren haben. Die Kritikansätze des politischen Kabaretts der siebziger Jahre sind heute ins Bewusstsein der Politik einer jeden Couleur gedrungen, viele einst umstrittene Erkenntnisse gehören zum Standardrepertoire eines jeden "mündigen Bürgers" (Stichwort: ungebremster Kapitalismus oder Atomkraft und vor allem Ökologie-Bewusstsein). Und trotzdem: geändert - tja geändert oder gar verbessert hat sich in den letzten dreißig Jahren kaum etwas "am Zustand unserer Gesellschaft", und das meint nicht nur Werner Schneyder.
1996 hat Schneyder seinen Abschied vom Kabarett genommen und sich mehr der Schriftstellerei und der Regie zugewandt, auch als Sportkommentator war der "Universaldilettant" (Eigendefinition) erfolgreich; im Jahr 2000 trat er noch einmal mit seinem einstigen Partner Dieter Hildebrandt auf - diesmal jedoch als Schauspieler. Sie spielten Neil Simons Komödienklassiker "Sunny Boys" vor ausverkauftem Haus in München.
Die große Zeit des politischen Kabaretts ist vorerst vorbei, die Ära Werner Schneyders und Dieter Hildebrandts Legende. Doch tot ist es nicht, im Gegenteil, ihre Kinder haben es weiterentwickelt, das Genre ist vielschichtiger, poetischer geworden; die Bandbreite des Kabaretts reicht heute vom billigen Klamauk bis zum philosphisch inspirierten Monolog. Alfred Dorfer, Roland Düringer, Josef Hader, Andreas Vitasek, Alexander Bisenz und Karl Ferdinand Kratzl, um nur einige österreichische Kabarettisten zu nennen, kitzeln unsere Lachmuskeln - und ihr Humor ist nicht von schlechten Eltern.
Originalbeitrag
Anne Zauner
4. März 2002