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Brigitte Schwaiger: Wie kommt das Salz ins Meer

Gelesen von Julia von Sell
München: Die Langen Müller Audio Books 2004
3 CDs 74:28, 71:45, 73:55 Min
ISBN 3-7844-4060-6

Als Brigitte Schwaiger am 26. Juli 2010 tot in der Donau treibend aufgefunden wurde, hieß es in beinahe allen Nachrufen, sie habe mit ihren späteren Werken nicht mehr an den phänomenalen Erfolg ihres Romanerstlings „Wie kommt das Salz ins Meer“ (1977) „anknüpfen können“. Das suggeriert, die „Schuld“ läge bei der Autorin, und vergisst die Frage, was die literarische Öffentlichkeit dieser Autorin schuldig geblieben ist. Denn es war der Betrieb, der die junge Brigitte Schwaiger mit einiger Häme rasch wieder fallen ließ. Man hat ihre Bücher – immerhin zehn Romane und eine Reihe von Prosa- und Dramenbänden – kaum mehr gelesen, oder nur mit größter Voreingenommenheit. Geringschätzige Untertöne waren zwar schon bei ihrem Debüt zu hören, doch da ließ sich der „Publikumserfolg“, was damals noch etwas Anrüchiges hatte, nicht aufhalten.

Das Schicksal von Brigitte Schwaiger und ihrem Roman „Wie kommt das Salz ins Meer“ ist auch ein Stück österreichischer Literaturgeschichte: Er erschien, als es mit der politischen Öffnung der Kreisky-Ära plötzlich möglich wurde, von Alltagswelten und Alltagserfahrungen mit emanzipatorischem Anspruch zu erzählen. Freilich haben schon die Zeitgenossen oft missverstanden, dass Literatur nicht Autobiografie ist, was letztlich auch zur Vernichtung von Autorenexistenzen wie Franz Innerhofer oder Gernot Wolfgruber führte. Bei Autorinnen aber erfolgt die Überblendung mit ihren Figuren immer noch um einiges radikaler. Als das kurze Zeitfenster sozial engagierter Literatur Ende der 1980er Jahre endgültig wieder zuging, fehlte für eine Neulektüre von Schwaigers Buch jeder Anknüpfungspunkt.

Natürlich ist „Wie kommt das Salz ins Meer“ – wie Thomas Bernhards „Frost“ oder Peter Handkes „Wunschloses Unglück“ – autobiografisch grundiert, aber eben auch literarisch überformt. Es ist die Geschichte der unglücklichen Ehe einer sehr jungen Frau aus der österreichischen Provinz mit dem so tüchtigen wie selbstgewissen Techniker Rolf, in die Schwaiger Traumata wie Wunschprojektionen einer Jugend in der kleinbürgerlicher Enge des Wiederaufbaus verarbeitet. Das wurde ausschließlich als zeittypische Variante weiblicher Selbstfindungsliteratur gelesen. Doch Brigitte Schweiger inszeniert den Clash zwischen vorgespielter Naivität im Kontrastschnitt mit der Verlogenheit gesellschaftlicher Normen und Werte auf ganz eigene Art. Die Neulektüre dieses Buches und eine Analyse seiner literarischen Verfahrensweisen ist ein Gebot der Stunde.

Die bei Langen Müller Audio Books erhältliche Leseversion kann, obwohl auf Striche vorbildlicherweise verzichtet wird, nicht wirklich dazu beitragen, ein neues Licht auf diesen Roman zu werfen. Und das ist keineswegs primär die Schuld der Schauspielerin Julia von Sell, die in der Ära Peymann am Wiener Burgtheater engagiert war. Das Problem beginnt viel mehr bei der Auswahl der Stimme. Dieses Buch von einer sehr jung wirkenden Frauenstimme lesen zu lassen, ist verhängnisvoll. Unbestritten ist Julia von Sells Vortrag gekonnt, aber der Eindruck der dabei entsteht, ist amüsant-glatt. Genau in dieser Art werden auf Ö1 in der Sendeleiste „Radiogeschichten“ (Wochentags 11:40) oft anspruchsvolle Texte „zerlesen“, wenn der Vortrag eine Banalität suggeriert, die dem Text nicht gerecht wird, ohne dass man sich beim Zuhören dessen bewusst würde, dazu muss man den Text kennen oder sich die Mühe der Parallellektüre machen.

Julia von Sell gleitet allzu „gekonnt“ über die Kanten des Textes hinweg und ebnet die fatalen Abgründe ein, der Akzent ihrer Interpretation liegt auf der scheinbaren Leichtigkeit und Naivität der Textoberfläche. Im Lesen hingegen „hört“ man, dass Brigitte Schwaigers karge und knappe Sprache eben nicht nur kindlich naiv ist, sondern auch beinhart, und das Schmunzeln friert einem immer wieder ein, auf das die Hörversion – vielleicht auch ungewollt – hinarbeitet.

Vielleicht müßte den Text ein Schauspieler lesen, in jedem Fall aber wäre eine abstraktere Herangehensweise notwendig, die viel mehr Distanz zum Text erzeugt. Hilfreich wäre wohl auch eine intelligente und dissensbereite Regie gewesen, die eine widerständige Intonation einfordert und begleitet, also den Text im Sprechen weiter aufraut und nicht glättet. Zum Beispiel der Satz: „Ich war nichts, aber ihm galt ich alles.“ Es ist naheliegend, hier auf „nichts“ den aufsteigenden und auf „alles“ folgerichtig den absteigenden Akzent zu setzen. Doch dieser auf-ab-Akzent ergibt nur eine Art stimmlicher Illustrierung, noch dazu eingefärbt mit einem ein wenig kindlich-trotzigen Timbre. Da verflacht das verstörend Lapidare und die Radikalität verzerrt sich ins Banale, der Abgrund darunter wird zugeschüttet und das Amüsante, das der Text eigentlich unterläuft, siegt.

„Wer weiß, was sie wirklich herausräumt, weglegt und wieder zurückräumt“, heißt es einmal. Und wenn man diesen Satz mit kindlicher Harmlosigkeit in der Stimme gelesen hört, kommt man gar nicht auf die Idee, dass das die kürzest mögliche Analyse der Tragik vorbildlich funktionierender Hausfrauen und Mütter der 1950er Jahre ist, die sich mit Leidenschaft dem Ordnen der Laden und Schränke widmeten, in denen auch all die verschwiegenen Familiengeheimnisse aus Krieg und Faschismus wohl verborgen lagerten.

Die Schärfe und Klarheit von Schwaigers „naiv“ verkleideten Sätzen kann offenbar nur in einer nicht illustrativen Wiedergabe hörbar werden. In Julia von Sells Lesart ist und bleibt Brigitte Schwaigers „Wie kommt das Salz ins Meer“ der autobiografische Bericht, als der dieses Buch bis heute gilt – und hat doch so viel mehr zu bieten.

Evelyne Polt-Heinzl
5.1.2011


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