An den Morgen danach hatte sie mir stets die Hand auf die Stirn gelegt, die Geste einer Segnung, die, ganz im Gegensatz zu meinen Erwartungen, vielleicht doch noch etwas Gutes verheißen konnte. Das Geld hatte ich immer auf die Kommode gelegt, sie hatte mich nie darum gebeten. Es lag dann dort wie all die anderen Objekte, auf denen sich der Staub niederließ, als wäre er stofflich gewordene Zeit, die sich im Raum breit machte. Ich gehe durch diese Wohnung, die einer Wunderkammer gleicht, den Koffer, der mein Leben oder das, was ich dafür halten möchte, enthält, immer noch in der Hand. Ich blicke umher und hoffe auf einen kleinen Beleg, einen Hinweis von ihr. Etwas, das sie geschrieben oder gezeichnet hat, etwas Beschriftetes, eine kleine Zeichenspur, die ich mitnehmen, bewahren und nach meinen Wünschen auslegen kann. Früher hatte sie mir gelegentlich solche Hinweise hinterlassen, etwa eine kleine Blume auf einem Papierfetzen, kaum größer als ein Fingernagel, auf dessen Rückseite ihre süße Nachricht wartete. Ihre kleinen verstreuten Botschaften sind nun, da sie weg ist, noch wertvoller, als ich damals bereits angenommen hatte, sind diese traurigen Stellvertreter doch alles, was mir jetzt noch von ihr bleibt.
Die letzten drei Wochen und dieser ursprünglich geheime Krieg, der dann in aller Öffentlichkeit ausgetragen worden war, ohne dass man ihm allzu viel Beachtung geschenkt hätte, dieser fast schon beiläufige Konflikt, der am Großteil der Bevölkerung einfach vorbeigegangen war wie eine wenig gelungene Fersehepisode, hatte unsere Leben schlagartig verkompliziert. Wir hatten uns bemüht, berufliche Dinge nicht zu besprechen, hatten alles immer sehr professionell gelöst. Als die Ereignisse sich überschlugen, hatte sie nur gelacht, sich in Pose geworfen und Gentlemen! You can't fight in here! This is the war room! wie ein verbindendes Motto für uns gerufen. Da waren immer Worte in der Luft gewesen, manchmal auch Musik. Jetzt ist hier nur Stille und der Staub, den ich aufwirble. Ist das eine Ermittlung, so könnte man mich fragen, nehme ich nun die Untersuchung auf oder verweigere ich die Antworten? Ich stelle meinen Koffer ab und setze mich in den bequemen Lehnstuhl. Die Uhr an der Wand zeigt eine Zeit an, die mir nicht behagt. Manche Menschen söhnen sich nicht aus. Wer ist denn nun der Verräter, könnte man mich fragen. Manche Dinge, das hatte ich schon erwähnt und darauf werde ich immer wieder zurückkommen, bleiben, wie etwa auch ihr jetziger Aufenthaltsort, schlicht unaufgeklärt. Das Telefon beginnt, als wäre es vereinbart gewesen, zu läuten und ich gehe wieder. Ich bin so frei.
(aus: Bewegungsmelder, S. 60-61)
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