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Beiträge 61-70
von: Eva Bauer (Teil 1), Christa Zettel, Eva Bauer (Teil 2), Renate Allmayer-Beck, Eva Bauer (Teil 3), Elisabeth Heresch, Regina Adler, Erwin Riess, Hilde Schmölzer, Ingrid Winter-Schafferhans
Eva Bauer: „Wieden“, Vom Freihaus bis zum Stadtpalais.
Im Schutz der Elisabethkirche im Rücken am Ende der Argentinierstraße kommen Sie entlang der Mauern, die auf der einen Seite das Theresianum, auf der anderen das Gelände der Arbeiterkammer begrenzen, nach Überwindung der trostlosen Durststrecke zu einem Ort, der den toten Bereich belebt: Sie sind beim Rundfunkgebäude Argentinierstraße 30a gelandet, dem ältesten Funkhaus in Österreich. 1924 als RAVAG (Radio Verkehrs AG) gegründet, ab 1958 Bestandteil des ORF. Das Funkhaus wurde auf einem Teil der Theresianum-Gründe zwischen 1935–1938 nach Plänen von Clemens Holzmeister und unter Mitarbeit von Heinrich Schmid und Hermann Aichinger errichtet und beherbergt heute das 1997 eröffnete Radiokulturhaus und das neben dem Sendegebäude befindliche von Ö1 betriebene Radio Café, beides zusätzliche Kulturstätten für die Wieden. Eine Besonderheit des Baus ist, dass keines der Tonstudios und keiner der beiden Sendesäle eine rechtwinkelige Form hat, sondern zur Verbesserung der Akustik ungleichseitige Vierecke als Grundriss aufweist. Im großen Sendesaal sitzt das Publikum auf nicht klappbaren Lederstühlen, um zusätzliche Geräusche zu vermeiden. Nach dem Zwischenspiel als „Reichssender Wien“ nahm der österreichische Rundfunk am 29. April 1945 den Betrieb wieder auf. Entsprechend den vier Besatzungszonen gab es vier Sendegruppen. „Radio Wien“ im Russischen Sektor stand im Einfluss sowjetischer Besatzer, Gegenpol waren die Amerikaner mit dem von ihnen kontrollierten Sender „Rot-Weiß-Rot“. Doch gleichgültig, ob es sich um die „Stimme Amerikas“ oder um die „Russische Stunde“ handelte, die österreichische Bevölkerung reagierte mit Skepsis. Beliebt waren Musiksendungen mit dem Rundfunkchor, dem Rundfunkorchester – speziell unter der Leitung des schwungvollen Kapellmeisters Charly Gaudriot und Unterhaltungssendungen mit den Publikumslieblingen Maxi Böhm, Louise Martini, Alfred Böhm und nicht zuletzt Heinz Conrads, egal auf welcher Welle sie zu hören waren.
Christa Zettel
Weil ich selbst über 15 Jahre für den ORF im Funkhaus arbeitete, weiß ich aus persönlicher Erfahrung, wie wichtig die Nähe am Puls der Stadt ist, um aktuelles Radio machen zu können. Nur ein Beispiel. Ich hatte das Glück, einige Jahre für die erste tägliche Livesendung im Wiener Lokalsender, das „Wiener Stadtradio“, zu arbeiten. Einmal erhielt ich quasi zwischen Tür und Angel den Auftrag, über eine Buchpräsentation im Wiener Konzerthaus zu berichten, die in einer halben Stunde begann. Zu Fuß brauchte ich an die zehn Minuten. Als ich beim Konzerthaus ankam, fielen mir die vielen schön gewandeten Menschen auf. Von einer Buchpräsentation war weit und breit nichts zu sehen und ich wunderte mich. Ich ging zum Aufzug, um mich zu erkundigen, was hier wirklich los war, stand plötzlich neben Leonard Bernstein, majestätisch im schwarzen Cape mit purpurrotem Innenfutter, und schwebte, eh ich mich versah, mit ihm im Aufzug hoch. Wir wechselten nur einen Satz. Der Maestro fragte mich, wo wir uns schon begegnet waren, was bislang nicht der Fall gewesen war, lächelte charmant, legte einen Finger an die Lippen und schlug seine Partitur auf. Als ich ihm, mein Aufnahmegerät eingeschaltet, in seine Garderobe folgte, blieb er, während er geschminkt wurde, in die Partitur vertieft. Nebenan stimmten sich die Musiker ein, dann entschwand er, Applaus brandete auf, und das Konzert, das Bernstein an diesem Tag in Wien dirigierte, begann. Ich hatte keinen Beitrag. Stattdessen gab es einen nur knapp zum Konzert zeitversetzten Bericht darüber, wie ein Beitrag nicht zustande kam. Aktuelles Radio, direkt am Puls der Stadt, begriff ich damals, inkludiert auch jene Momentaufnahmen, in denen Unerwartetes und auch Unaussprechliches mitschwingen darf.
Eva Bauer: „Was gibt es Neues …?“
40 Jahre lang, seit dem Februar 1946, unterhielt Heinz Conrads jeden Sonntagmorgen sein Publikum mit dem Dauerbrenner „Was gibt es Neues?“ Die Livesendung aus dem großen Sendesaal des Funkhauses ausgestrahlt, begann pünktlich um 8 Uhr früh, Fixpunkte waren neben der Kennmelodie, das Abschlusslied „Schau nicht auf die Uhr, es ist schon spät…!“, die jahrelange Klavierbegleitung von „Gustl“ Zelibor und das gekonnte Miteinbeziehen der Zuhörerschaft! Groß und Klein, ob „Madln“ oder „Servas die Buam“ -, alle wurden herzlich begrüßt, das Befinden erfragt und Genesungswünsche über den Äther geschickt. Für Jung und Alt war die Sendung nahezu ein Pflichttermin. Langschläfer verfolgten sie vom Bett aus, viele begleitete sie beim Sonntagsfrühstück, unsere Freundin Gerti war sogar oft im Sendesaal mit dabei. Wenn ihr Vater von einem Stammgast Karten geschenkt bekam, wurde das erziehungsresistente Mädchen einfach ins nahe Funkhaus geschickt – eine Maßnahme, die ihren Eltern zu einer sonntäglichen Mußestunde in Form einer Ruhepause verhalf. Wir beneideten Gerti natürlich, doch ihre absolute Musikrichtung fand sie eher in der „Hitparade“. Im Lauf des Jahres 1955 erhielt die Republik Österreich wieder die Verfügungsgewalt über sämtliche Rundfunk- und Sendeanlagen zurück. Populäre Sendungen wie „Die Radiofamilie“, „Das Traummännlein kommt“, „Du holde Kunst“ blieben so wie „Was gibt es Neues?“ weiterhin im Programm. Ihors Erinnerungen an das Funkhaus sind freundlicher Natur. Er wirkte 35 Jahre lang als 1. Tenor im Rundfunkchor. Der Chor bestritt Messen, Oratorien, Liederabende, Konzerte, wirkte bei Schulfunksendungen mit, auf eigener Schallplatte erschienen a capella gesungene Schubertlieder und Verdis Requiem-Messe. In den Studios wurde nahezu täglich geprobt, da die meisten Chormitglieder berufstätig waren, wochentags von 18.00-21.00 Uhr, fallweise auch sonntags – oft sehr zum Missvergnügen ihrer Familien. Eine Woche Urlaub musste für Gastspiele im In- und Ausland aufgespart werden.
Renate Allmayer-Beck
Das Funkhaus muss auf jeden Fall gerettet werden. Es ist eine Schande mit unserem heutigen Kulturbewusstsein, wieder ein Stück wertvolle Baugeschichte auszulöschen.
Eva Bauer: „Autofahrer unterwegs“
Auch „Autofahrer unterwegs“ – Ikone Prof. Rosemarie Isopp, denkt gerne an ihre Rundfunkzeit zurück. Neben ihrer Tätigkeit als Schauspielerin, schrieb sie damals Kinderbücher und –stücke, Hörspiele und Sketches für Kabaretts, wobei sie sich selbst immer mit einer guten Rolle bedachte. So versuchte sie eines Tages die Aufnahme im Funkhaus. Sprecherinnen wurden nicht gebraucht, doch die Aufnahmekommission wusste, dass sie schreiben und singen konnte und wollte ein Lied von ihr hören. In der Aufregung fiel ihr weder ein Lied, geschweige denn ein Text ein, so kam sie dem Vorschlag nach, einfach „Stille Nacht“ zu singen – und konnte beim Rundfunk beginnen. Bei einer Kabarettprobe fiel sie Wilhelm Hufnagl auf, was letztlich dazu führte, dass sie in der Abteilung Unterhaltung landete und wesentliche Beiträge liefern durfte. Zu „Autofahrer unterwegs“ stieß Rosemarie Isopp dann auf Vorschlag Walter Niesners, der im Hinblick auf die Übernahme der Sendung ins AEZ eine zusätzliche Moderatorin suchte. Louise Martini ging allerdings nach Deutschland und Niesner und Isopp bewältigten die tägliche Ausstrahlung des Publikumsschlagers abwechselnd drei Jahre zu zweit! Was als Werbung für Autoradios begann, entwickelte sich zur längsten Sendung der Rundfunkgeschichte. Frau Isopp hatte ein eigenes Büro, lobt noch heute die Qualität der Studios und die guten Tonmeister, erschrak nur einmal fürchterlich, als – ohne jede Vorwarnung – um 1 Uhr nachts ein Hüne von einem Mann in einer ledernen Motorradkluft plötzlich in der Tür stand und zielstrebig auf sie zusteuerte. Zum Glück wollte er sich bei seiner Lieblingsmoderatorin nur für die gekonnte Unterhaltung via Radio bedanken. Mit dem sonntags viele Jahre später ausgestrahlten „Trost und Rat“ für die „verehrten Hörerinnen und Hörer“, von Willi Resetarits gestaltet und der Signation mit Rosemarie Isopp, wurden „in aller gebotenen Höflichkeit“ und sozialer Anteilnahme, bewusst Stilelemente des alten Conrads-Konzepts verwendet. Das Funkhaus steht seit 1999 unter Denkmalschutz und sendet Programme von Radio Wien, dem Kultursender Ö1 bis zum jungen Sender FM4. Der ORF-Plan, den Standort Argentinierstraße aufzulassen und dem Küniglberg einzuverleiben, sorgt wieder für Empörung. Nicht nur der Wieden würde ein zentrales, kreatives Zentrum im Herzen der Stadt fehlen!
Elisabeth Heresch
Es ist in der Tat absurd, dass Redakteure, die dem politischen oder kulturellen Geschehen auf den Fersen sein sollen, statt von der nahegelegenen Produktionsstätte nun fast vom Stadtrand hin- und herrasen sollen.
Regina Adler: Kindheitserinnerung
Das Funkhaus als Kindheitserinnerung – das ist es für mich. Als Tochter eines Ö1 Journalisten war das Funkhaus vermutlich das erste große Bürogebäude, das ich in meinem Leben betreten durfte. Mit verwirrenden Gängen, vielen Aufzügen und einer ehrfurchtgebietenden Zutrittskontrolle. Oben in der Redaktion – der wievielte Stock war das eigentlich? – war es wunderbar kreativ. Verraucht und laut. Es schreibmaschinenklapperte und es wurde gelacht. Das Berufsleben erschien mir damals als etwas durchaus romantisches. Nun – die eigenen Erfahrungen haben mich diesbezüglich dann eines besseren belehrt. Doch die Stimmung dort hat mich über Jahre begleitet. Es wurde geredet, diskutiert, viel Leben war im Funkhaus. Streitereien gab es vermutlich auch, aber das habe ich ja nicht mitbekommen. Während meiner Schulzeit war das Funkhaus meine Quelle des interschulischen Informationsvorsprunges. Nur ich, niemand sonst in der Klasse, konnte bei seinen Referaten mit halbwegs aktuellen APA-Meldungen aufwarten. Es war das Zeitalter unmittelbar vor dem Internet. Ansonsten habe ich im Funkhaus bei einem mittlerweile pensionierten Kollegen meines Vaters Lateinnachhilfe bekommen. Die Matura habe ich geschafft. Und ein wunderbares Referat über Frauenrechte und -emanzipation inklusive einem Interview auf Tonband mit Erika Fischer entstand in der Kantine. Die seltenen Fälle, in denen mich mein Vater in die Kantine einlud, boten mir die Chance, die eine oder andere Fernsehgröße bzw. Radiostimme leibhaftig zu sehen. Auch das hatte für mich seinen Reiz. Seit der Pensionierung meines Vaters war ich nicht mehr im Funkhaus. Und somit – egal was mit dem Haus passiert – wird es für mich als der Ort erhalten bleiben, der die große weite Welt in mein Leben gebracht hat.
Erwin Riess
Jetzt, wo es im funkhaus endlich rampen und behindertentoiletten gibt, darf man es schon gar nicht auflassen!
Hilde Schmölzer
Ich erinnere mich gerne an die Zeit in den 80-er und 90-er Jahren, als ich etliche Serien für den Hörfunk (u.a. das Radiokoleg) schrieb, und es mir immer viel Freude und Spaß gemacht hat, mit den Cutterinnen meinen Text zurecht zu schneiden, etliches auszusortieren, anderes anzuhängen. Ich habe eine gute, freundschaftliche, von Interesse geprägte Atmosphäre geschätzt, auch immer wieder gerne Anregungen geprüft und auch angenommen, so dass das Endprodukt in mancher Hinsicht das Resultat einer Gemeinschaftsarbeit gewesen ist. Im Zeitalter der Digitalisierung hat sich hier sehr viel geändert, diese Art von Zusammenarbeit gibt es nicht mehr, aber sie ist mir positiv in Erinnerung geblieben.
Ingrid Winter-Schafferhans
Ich unterstütze die Initiativen zum Erhalt des Funkhauses. Aus kulturellen Überlegungen heraus. Aber auch aus der städtebaulichen Verpflichtung zur Nachhaltigkeit heraus. Im Osten Wiens soll eine der größten Bauschuttdeponien Europas entstehen. Um so widerwärtiger ist es, wenn sich der ORF einer machiavellisch-oligarchischen Unternehmermentalität befleißigen und blind für feinsinnigere Denkweisen werden würde. Ich empfinde es nämlich als zunehmend unerträglich, in welcher Weise Immobilien auf Wiener Boden, die ein unverwechselbares Gesicht, eine Seele, eine Geschichte, und in mehrfacher Weise eine Identität haben, dem nackten Kalkül kommerzieller Vermarktung ausgeliefert werden. Und die wahren Werte sind ja oft jene, die man mit Geld nicht mehr regenerieren oder kaufen kann.
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