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Funkhausanthologie 22. Woche 2016


Beiträge 241-250

von: Martin Höfer, Karin Jahn, Wolfgang Kauer, Erwin Einzinger (1), M. A. Karjalainen (1), Dr. Christian Zillner, M. A. Karjalainen (2), Erwin Einzinger (2), Franz Kabelka, Veronika Seyr

Martin Höfer: … und halt!
 
„Fassen Sie mit der linken Hand hinter dem Kopf ans rechte Ohr, aber nicht etwa verkrampfen, nein, locker bleiben! Und jetzt ziehen Sie das Ohrläppchen nach unten, wobei Sie das linke Bein heben und mit dem Fuß kreisen. Zählen Sie bis sechs. Jetzt auch mit der anderen Hand, zum linken Ohr… Zweimal wiederholen … und halt.“ Die „Buck-Challenge“ bestand zunächst darin, die isometrische Übung zu verstehen – immerhin frühmorgens auf Ö1 oder Ö3, zwischen Gary Glitter und Neil Diamond. Es traf dich mitten in den gewöhnlichsten Handlungen, Haltungen, wie ein Sketch mit Ossy Kolmann als „tramhappata“ Frühaufsteher später auch unterstrich, der vor YouTube bis heute geschützt werden konnte, denn ich suche ihn jährlich zumindest zweimal und finde ihn nicht. „Kottan ermittelt“ gibt vor, ganz Wien habe „gebuckt“. Aber hat es je eine Umfrage gegeben, wie viele wirklich mitgemacht haben, wenn Ilse unverwüstlich sie aufforderte? Opa und Oma turnten, glaube ich, nie mit. Dabei hätte Opa, in seiner spiegelnden Trainingshose fast wie in schlotternden Latex gehüllt, das passende Outfit schon getragen. Frau Buck klang nie resigniert, nie hoffnungslos, nie übelmeinend, Herr und Frau Österreicher könnten vielleicht faule Säcke sein, ihre Ambition mit „Geh’, schleich’ di’!“ quittieren. Nein, jeder Tag bot eine neue Chance auf einen blütenweißen Neubeginn, in jedem Morgen schlummerte in nuce das Motiv für jenen ersten Schritt der langen Reise zu sich selbst. Diese Verheißung! Und wie sie über den Äther kam und den Store der Balkontür bauschte. Dort stand das Radio, und dahinter war nur noch der nächste Gemeindebau und darüber der unendliche Himmel.


Karin Jahn

Mitte der Achtziger Jahre arbeitete ich etwa vier Jahre als freie Mitarbeiterin des ORF für den Hörfunk: vor allem Features und Autorenporträts. Das war eine wunderbare Zeit. Ich hatte einen „Chef“, der mir freie Hand ließ, die Techniker, mit denen ich zusammenarbeitete, waren äußerst kompetent und hilfsbereit und ich bekam viel positives Feedback. Noch dazu war ich mehr oder weniger zufällig zu diesem Job gekommen, jedenfalls ohne „Beziehungen“. Kurz: die gängigen negativen Vorurteile gegenüber dem ORF bestätigten sich nicht. Ständig auf der Suche nach Feature-Themen stieß ich – ebenfalls zufällig – auf eine Gruppe von Aussteigern, die im Mühlviertel begonnen hatten, Nutztiere artgerecht zu halten. Sie erzählten mir die abenteuerlichsten Geschichten. Etwa über Hennen, die keinen Hahn als Autorität respektierten, lieber Nudeln fraßen als Würmer oder nicht in der Lage waren, auf ihre Küken aufzupassen, weil sie es nie gelernt hatten. Sie waren in der Batterie aufgewachsen. Ein Tierpsychologe bestätigte mir die Bedeutung von „früher Prägung“ auch für Tiere. Das Thema gefiel mir, es wurde – für Radio Wien – akzeptiert und ich fuhr mit einem sauschweren Aufnahmegerät ins Mühlviertel. Alle O-Töne gelangen wunderbar, witzige Erwachsene, glückliche Kinder, blökende Schafe – mit einer Ausnahme: Die gackernden Hühner waren leiser als die Autogeräusche einer weit entfernten Straße. Also: was tun? Im Tonarchiv des Funkhauses fanden sich perfekte Hendl-O-Töne, die allerdings absolut unneurotisch klangen. Da fiel mir ein Autor ein, den ich nicht lange zuvor porträtiert hatte und der auch Musiker war: David Ender. Er kam tatsächlich ins Studio und improvisierte mit seinem Saxophon zu dem Gegacker eine fantastische frühkindlich traumatisierte Atmosphäre. Noch dazu gratis. Der Tonmeister war entzückt. Sowas kam nicht alle Tage vor.


Wolfgang Kauer: Freie Berichterstattung – Heute nennt sich so etwas, glaube ich, Volontariat

I.

Salzburg 1978:
Unter den vielen Frauengruppen erstmals
eine bekennende Männergruppe
Herzklopfen, ob das Thema genommen wird
Schauen wir mal!

II.

Mit dem Tonbandgerät auf dem Fahrrad unterwegs
Neben dem Studium auf der Suche nach Menschen,
die was wollen vom Leben:  
Interessante Charaktere aufspüren
Interessante Charaktere ansprechen
Interessante Charaktere aufnehmen

III.

Die Mitschnitte für die Sendung auswählen
und kürzen
Nur 40 Sekunden Zeit für Musik
Ein kurzer Eindruck braucht mehr
Interview und Übersetzung: lassen sich überlappen
Aber alles zu lang
Zu lang
Zu lang!

IV.

Abends in Kneipen, mittags im Bett, morgens im Studio
Und wieder kürzen, schneiden, kürzen, schneiden
Und wieder zu lang, zu lang, zu lang,
Für zwei Minuten Sendezeit
Alles noch mal von vorn

Das ist ein Gefühl von Freiheit, sag ich Ihnen!
Die Gewissheit haben, freier Journalist zu sein!
Frei, frei, frei!
Ist das nicht unfassbar?

V.

Die Hoffnung
auf einen Fünfhunderter
morgen
Auf die Hand!

Unparteiisch, unabhängig, ungebunden
Und dann:
Der Beitrag konnte leider nicht auf Sendung gehen!
Wir mussten etwas Aktuelles einschieben!
Für die nächsten Wochen und Monate …
sind wir leider schon verplant!

VI.

Wie
Tom van der Geld
gespielt hat,
interessiert nach zwei Tagen
keinen mehr

Warum
Walter Kappacher
eine Männergruppe gegründet hat,
ist vorerst nicht mehr von Belang

Das nächste Mal wieder,
melden Sie sich doch einfach bei uns,
rufen Sie uns an! 

VII.

Radio-Reporter –
Beruf der Träumenden:
Überall und jederzeit frei!

Kennen Sie die Freiheit zu schweben,
ohne ein soziales Fangnetz?
Die Freiheit, nicht pensionsversichert zu sein?
Die Freiheit, keinen Vertrag in der Tasche zu haben?

VIII.

Die Freiheit freier Themensuche
Die Freiheit freier Themenwahl

Was wiegt das
gegen die Freiheit der Vorbehalte
auf Seiten der Redaktion!

Bleiben Sie doch zu Hause,
wenn sie sich überlastet fühlen,
heißt es voll Empathie.

IX.

Und am Ende:
Keine Kohle für so viel Freiheit,
die zum Himmel stinkt!


Erwin Einzinger:
Radio, für Peter Hanusch (1)

Als ich im Alter von etwa zwölf Jahren vermutlich zum erstenmal in meinem Leben ein Lied von den Beatles hörte, aus dem uralten braunen und fein lackierten Radiokasten, der im zu Anfang der sechziger Jahre unter Mühen und Entbehrungen gebauten eigenen Haus meiner Eltern im sogenannten Eßzimmer – unserem eigentlichen Aufenthaltsraum neben der Küche – stand, las ich gerade, während im Hintergrund die Samstagabendhitparade lief, ein aus der Kirchdorfer Gemeindebibliothek entlehntes dickes Buch über Sitting Bull, den Häuptling der Prärieindianer vom Stamm der Dakota. Einige Jahre später saß ich einmal mit ein paar Mitbewohnern des Lehrlings- und Schülerheims Froschberg, wo ich im Verlauf meiner vier Schuljahre in Linz wohnte, in der Stunde zwischen dem im großen Speisesaal ausgegebenen Abendessen und dem Beginn der sogenannten Studierzeit bei einer unerlaubten Pokerrunde und gewann innerhalb kurzer Zeit 16 Schilling, heute gerade einmal etwas mehr als 1 Euro, also eine wahrhaft lächerliche Summe, damals aber für einen Schüler genug Geld, um sich nach dem Fußball- oder Tischtennisspielen an mehreren Tagen hintereinander eine Flasche Cola aus dem Automaten im Kellergeschoß des Schülerheims leisten zu können. Zu meiner Freude über den Gewinn beim Kartenspielen kam noch hinzu, daß zur selben Zeit Honky Tonk Women von den Rolling Stones auf Platz eins der Hitparade im Radio gelandet war. Vielen sagt heute wahrscheinlich der Ausdruck Kofferradio kaum mehr etwas, und möglicherweise gäbe es unter all den Leuten, die nun ihre Musik hauptsächlich aus dem Internet herunterladen, sogar welche, die meinen würden, es handle sich dabei um ein Radiogerät von Koffergröße, größer noch als die sprichwörtlich gewordenen Ghettoblaster es einmal gewesen sind. Mein erstes und vom eigenen Taschengeld gekauftes Kofferradio, nur wenig größer als mein Lieblingsbuch aus der Kindheit, Die Welt von A bis Z, war bereits einer der damals erst seit wenigen Jahren produzierten Radiorekorder, also eine Kombination aus Radio und Kassettenrekorder. Über kaum etwas habe ich mich in meiner Jugend so sehr gefreut wie über die Anschaffung dieses Geräts, das mir ein bei einer Zweigstelle der Firma Philips beschäftigter und etliche Jahre älterer Cousin günstig besorgt hatte: Mit diesem im Vergleich zu herkömmlichen Tonbandgeräten überaus handlichen Apparat konnte ich nun nicht nur Radio hören, sondern auch nach eigenem Geschmack Musik aufnehmen und zusammenstellen, etwas damals ziemlich Neues. Kurz danach besaß ich dann auch noch einen kleinen Dual-Plattenspieler, von dem ich von Freunden ausgeborgte Schallplatten auf meine Musikkassetten überspielen konnte. Die ersten beiden LPs, die ich mir schließlich selbst anschaffte, waren Get Yer Ya-Ya´s Out, ein Konzertmitschnitt eines Auftritts der Rolling Stones im New Yorker Madison Square Garden aus dem Jahr 1969, sowie das von Artur Rubinstein gespielte Klavierkonzert in b-Moll von Tschaikowsky. Daß diesen beiden Platten im Laufe meiner Studentenjahre und auch danach noch hunderte andere folgen würden, hätte ich mir in jenen Tagen kaum vorstellen können.


M. A. Karjalainen: Wie das Funkhaus mein Leben prägte (1)

Es war am 26. Oktober 1984, als ich zum ersten Mal in meinem Leben das Funkhaus in der Argentinierstraße betrat. Noch dazu war ich mit meinen damals 18 Jahren gleich auf der Bühne des Großen Sendesaals zu Gast, weil ich den von Radio Wien ausgeschriebenen Autoren-Wettbewerb in der Kategorie Hörspiel gewonnen hatte. Dieser Nationalfeiertag hatte mich kurz vorher bei der Angelobung in einer Wohnhausanlage im 23. Bezirk zum Soldaten gemacht und zeigte die Ambivalenz meines damaligen Lebens. Meinen achtmonatigen Präsenzdienst beim Bundesheer hatte ich am 1. Oktober angetreten, weil ich mich nicht in der Lage fühlte, meinem Vater, der Berufssoldat war, entgegenzutreten und meinen Weg zu gehen. Den beschritt ich seit meinem 16. Lebensjahr mit Texten und Gedichten und eben jenem Hörspiel. Das handelte von einem Landjungen und einem Stadtmädchen, einer unglücklichen Liebe und dem Selbstmord des jungen Mannes namens Edi. Ich hatte dabei eine zweite Ebene eingeführt, in der mein Protagonist aus dem Jenseits sein Leben und die Ereignisse der letzten Wochen und Tage sozusagen von oben nochmals kommentiert. Es war eine gesellschaftskritische Abrechnung mit den handelnden Personen, die ich in echt so nicht zu Wege gebracht hatte. Es war ein unbeschreibliches Gefühl, dass mein Text und die ihm innewohnenden Gedanken in die Welt hinaus übertragen wurden. Ich erlebte nach den beengenden Stunden des militärischen Vormittags, das ungemein belebende Gefühl der Freiheit. Mein Leben war aber auch in den nächsten Jahren noch viel von Konformität und Angepasstheit bestimmt, das Gegen-den-Strom-Schwimmen übernahm weiterhin meine dichterische Seite. Die aber spielte im Funkhaus dann keine Rolle mehr.


Christian Zillner

Requiem für die Moderne

Darf man es wagen, die Moderne
das zu nennen, was sie wirksam war,
ein Konzentrationslager der Seele?
Le Corbusier, ihr Himmelvater, nahm
das Maß vom Menschen, doch nur um
ihn besser einkojen zu können.

Mein Gott, wie sie die tapf’re neue Welt
verteidigt haben mit beleidigten Gesichtern.
Kitsch, Kleinbürger und Ornamentverbrechen
waren ihre Waffen, Schwerter, die sie sich
aus ihren eigenen Wunden zogen, sie, Provinzler
allesamt. Ihr Traum von einer großen Stadt
nur kleiner als der eines Schicklgrubers.

Dem Auto, dieser Kürbiskutsche ihrer Vorstellung
von Freiheit, sollte alles in die Tunnel weichen,
was auf zwei Beinen oder mehr im Freien war.
Begeistert von Visionen leerer Plätze und dem Glas
vor Stahlbeton erschufen sie der Langeweile Monumente.
Die Postmodernen dann mit schiefen Wänden, spitzen
Winkeln und der Unbarmherzigkeit von denen, die
den Bruch mit ihrer Väter Bräuchen nie gewagt.

Die Dichter, Maler auf den Knien vor der Moderne,
deren Zweck sie nie verstanden haben: Kunst ist
Kunst und alles andere ist das andere. Doch das Andere,
wer war denn das, womöglich andere Menschen?
Ih, nein! Unmündige der Zeit doch bloß, Pfahlbürger,
Höhlenmaler, Knechte eines Kapitals, das die Modernen
nur dann gern nahmen, wenn man ihre Werke
in der Zeitung oder auch im Fernsehen lobte. Ich
möcht’ auch ein Star sein, dieses Mantra flüstert jeder
Baukünstler in den Spiegel seiner unsterblichen Seele.

Sie haben’s gut gemeint, das kann man doch,
wiewohl es nach Verdammnis klingt, ihnen zugute halten.
Den meisten, mindestens. Ich geh‘ auch lieber heut’ zum
Zahnarzt als im neunzehnten Jahrhundert. Sonst? Ein Musil,
Proust, Pound, Wittgenstein und Heidegger, der Husserl
auch, natürlich und Schalamow, Kokoschka, der große
Spanier mit einem Namen wie Pyjama. Und seine Gesellen.
Wieso hat Philo Farnsworth, vierzehnjährig Miterfinder
des Fernsehens, es spät im Alter so gehasst?

Weil Hass die Liebe der Moderne war. Der Hass
auf alles Hergebrachte, Überständige, das krumm
und lahm, halt eben nicht modern gewesen ist. Und dieser
Hass nagt immer noch an uns, lässt uns die Welt
als einen Ort voll Anderer erleben, die fremd und alt,
die dumm und hilflos sind, vom Fortschritt ausgesogen
wurden und sich im Müll des Zeitgeists gütlich tun.
Sie haben den modernen Mensch’ verhindert. Das
kann ihnen die Postmoderne nie verzeihen.

Nun ist sie tot, die göttliche Moderne. Hat Götter selbst
erlegt und sich auf ihren Platz gesetzt. Die alten Jünger
bauen ihr Mausoleen in den großen Städten, hoch und glatt,
verhöhnen jedes Maß, das Corbusier einst für den Menschen
ausgab. Den Menschen ist es gleich, ob sie vor Katastrophen
oder Atomgeräten Ängste hegen. Denn Angst muss sein,
auch das hat die Moderne uns gelehrt, damit wir ihrem
Fortschritt folgen. Es ist dies aber nur die Angst
der ihrer Macht verlustig gehenden Tyrannen.


M. A. Karjalainen: Wie das Funkhaus mein Leben prägte (2)

Als ich Geschäftsführer einer großen österreichischen Familienorganisation war, wurde ich ins Studio einer Sendung auf Radio Niederösterreich eingeladen, in der es um die Arbeiterkammerkampagne “Stopp dem Kinderfang” ging. Dabei wurde den in Supermärkten in Kassennähe platzierten Süßigkeiten der Kampf angesagt. In der Call-in-Sendung gab ich meine Meinung zum besten und beantwortete HörerInnen-Fragen. Kurze Zeit später lud man mich zu einer Abendsendung zu Struwwelpeter und Erziehungsmaßnahmen ein, ich weiß nicht mehr ob es Radio NÖ oder Wien war. Erinnern kann ich mich noch an die sehr dichte Atmosphäre im Studio, es war offenbar ein heißes Thema und ich weiß noch, dass ich am Ende ziemlich verschwitzt und erschöpft und froh war, wieder an der frischen Luft zu sein. Die Pädagogik prägte ja dann sehr bald mein weiteres berufliches Leben – und die Gedanken über gelungene Erziehung bzw. die Zeitgemäßheit von Erziehung ließen mich nicht mehr los. Irgendwann später war ich nochmals bei einer Sendung von Lizzy Engster auf Radio Niederösterreich zu Gast und durfte meine Ferienwochen für Kinder im Waldviertel vorstellen. Das war mein letzter Auftritt im Funkhaus, dessen Atmosphäre sich aber tief eingeprägt hat. Vor kurzem erst hätte es beinahe ein weiteres Mal die Chance gegeben, im Funkhaus zu sein, aber ich musste den Termin mit den KollegInnen von Freak Radio aufgrund einer familiären Verpflichtung absagen. Dem Radio aber bin ich treu geblieben, gestalte ich doch seit etwas mehr als einem Jahr im freien Wiener Radio Orange eine monatliche Sendereihe mit dem Titel “Nie mehr Schule - das Magazin für alle, die Bildung verändern wollen”. Wie sich zeigt, ist es mit meiner Anpassung ans System mittlerweile vorbei und ich genieße nun endlich nicht nur dichterisch sondern auch beruflich, die Freiheit, die mir die erste Begegnung mit dem Funkhaus vor mehr als 30 Jahren verheißen hat. Das Funkhaus, das auf diese und jene Weise mein Leben geprägt hat, wird mir jedenfalls fehlen.


Erwin Einzinger: Radio, für Peter Hanusch (2)

Risé, Sam and Rimsky Korsakov heißt die letzte Komposition auf Music for a New Society von John Cale, der als Kind eine Ausbildung in klassischer Musik genossen hatte und dessen Onkel für einen walisischen Radiosender, BBC Wales, Programm machte. Über seine Viola-Lehrerin kam er in Kontakt mit einem Komponisten, der ein Schüler von Anton Webern gewesen war und den er um seine Einschätzung von musikalischen Neuerern wie Luigi Nono oder Pierre Boulez fragte. Cale ging später als Stipendiat in die U.S.A., wo er bald danach mit seiner Viola die Musik von Velvet Underground prägen sollte und seinen egozentrischen musikalischen Partner Lou Reed zu einem Neider machte, dessen kreatives Potential nie wirklich an das von Cale heranreichte. In dem erwähnten letzten und nur knapp über zwei Minuten langen Beitrag auf einer Platte mit ziemlich dunklen, großteils im Studio improvisierten und von erstaunlichen Zufallselementen bestimmten Liedern heißt es unter anderem:

He slept with the radio
He talked to the radio
He disagreed with the radio
He believed in a far away radio land

Und weiter:

He believed he would never find this land
So he reconciled himself to listening to it only
He believed he had been banned from the radio land
And was doomed to prowl the airwaves forever
Seeking some magical channel
That would reinstate him to his long lost heritage.

Auch der in Belfast aufgewachsene und später ebenfalls in die U.S.A. gegangene Van Morrison, der keine Musikliebhaberin als Mutter gehabt hatte, aber einen Vater, der amerikanische Bluesplatten importierte und in seinem Fahrradgeschäft verkaufte, weist in etlichen seiner Kompositionen auf die Bedeutung hin, die in seiner Jugend der Zauber des Radioapparats gehabt hat. So etwa auf On Hyndford Street (where you could feel the silence at half past eleven, on long summer nights, as the wireless played Radio Luxembourg…) oder auf In the Days Before Rock`n`Roll, in dessen Verlauf er die verschiedenen Radiostationen aufzählt, auf denen er den Jazz- und Bluessängern, welche zu den Stars seiner Jugend geworden waren, begegnen konnte. Ich erinnere mich, daß auf meinem Gerät der Marke Philips jener damals so berühmte Sender Radio Luxemburg meist nicht rein genug empfangen werden konnte, um Musikstücke mit dem Rekorder direkt aufzunehmen, aber sehr wohl gab es die Abende, an denen ich noch lange nach dem Lichtausdrehen durch den Erzieher im Dunkeln im Bett lag, mit einem Ohr am Radio, um die Kennmelodie und die in einheimischen Programmen noch kaum gespielte Musik von Radio Luxemburg zu hören. Als mich Jahre später Wolfgang Kos, damals noch Student und nebenbei Radiomann, als einer der Gestalter der Musicbox, der einzigen Sendung im österreichischen Rundfunk, die meine Altersgefährten und ich nur ungern versäumten, einmal einlud, nach Wien zu kommen und die Musik für eine ganze Sendung in Verbindung mit Gedichten aus meinem soeben erschienenen ersten Buch auszuwählen, wurde mir ganz warm ums Herz. Kos lieh mir danach, um mir die Möglichkeit zu geben, die Platten auf eine meiner Musikkassetten zu überspielen, zwei LPs von Matching Mole aus seiner privaten Sammlung. Und obwohl mittlerweile kaum noch irgendwo auf der Welt Musikkassetten eine nennenswerte Rolle spielen, wie ich sie einst auf meinem längst ausrangierten alten Radiorekorder verwendet habe, besitze ich dreieinhalb Jahrzehnte später besagte Aufnahmen mit der hohen Stimme des damals so jungen und noch nicht querschnittgelähmten Robert Wyatt nach wie vor, wenngleich arg ramponiert und mehrmals geflickt.


Franz Kabelka: Kantinengespräche in der Argentinierstraße 30a

Herbst 2012. Ich sitze in der Kantine des Funkhauses beim Kaffee und warte auf die Ö1-Redakteurin S., mit der ich besprechen will, wie mein geplantes Feature über Kuba aussehen soll. Nein, wie es sich anhören soll. Witzig, denke ich beim zweiten Verlängerten Braunen, dass die U-Bahnstation, wo man aussteigt, um ins Zentrum des Hörfunks in Österreich zu gelangen, ausgerechnet Taubstummengasse heißen muss ... Aber vermutlich bin ich nicht der Erste, der das einigermaßen kurios findet. Als S. mit halbstündiger Verspätung eintrifft, hört sie sich mit halbem Ohr an, was ich so vorhabe: Über meine Besuche in kubanischen Krankenhäusern und Schulen möchte ich berichten, in Behinderteneinrichtungen und Gewerkschaftshäusern, aber auch in den ersten Privatbetrieben. Ja, auch diese soll es mittlerweile wieder geben, vor allem im Tourismusbereich – jene zarten Pflänzchen, die seit Raúl Castros Machtübernahme immer öfter zaghaft aus dem Boden lugen. Dass ich hinter die Kulissen des Staatsapparats zu blicken gedenke, scheint S. nicht sonderlich zu interessieren. Viel wichtiger ist es ihr, mich, den erstmals freien Mitarbeiter des Funkhauses, technisch zu briefen. Welchen Windschutz ich denn für den O-Ton („man kann nie zu viel davon haben!“) zu verwenden gedächte. Welches Mikrofonstativ am geeignetsten sei und, sorry, aber Aufnahmegeräte und technisch hochwertige Mikros habe das Funkhaus keine zu verleihen, die Hardware müsse ich mir schon selbst besorgen. Und natürlich gebe es keine Garantie, dass mein Beitrag dann auch tatsächlich gesendet werde. „Auf eigene Kosten und Regie“ – das bekomme ich mehrmals zu hören. Irgendwie klingen ihre ständigen Warnungen eher wie eine Abschreckung denn als Aufmunterung für den Newcomer. Als sich S. bald wieder verabschiedet – „der Zeitdruck ist in diesem Haus die einzige Konstante, Sie wissen schon!“ – bleibe ich noch eine Weile in der Kantine hocken und mache mir Notizen über das Gespräch mit der Redakteurin. Ein wenig ratlos betrachte ich die vielen Punkte auf meiner Checkliste, für deren Besprechung S. leider keine Zeit hatte. Neben mir nimmt eine Gruppe junger Leute Platz, Angestellte des Funkhauses, wie sich schnell herausstellt, die hier zu Mittag essen. Ohne es zu wollen werde ich Ohrenzeuge einer einzigen akustischen Frustrationsgebärde: Wie „die Freien“ ihnen, den fix Angestellten, die letzten Projekte wegnähmen, nein, „klauten!“. Wie die Anzahl der Features in den letzten Jahren dramatisch zurückgegangen sei, zusätzlich zur Länge der Beiträge. Wie gleichzeitig die Aufnahmezeiten im Studio gekürzt würden und die Sprecher keine Chance mehr hätten, sich gediegen auf die Texte vorzubereiten. Wie solle man denn unter solchen Bedingungen noch vernünftig produzieren können! Ich komme mir vor wie ein Schurke. Ein Schriftsteller, ein „Freier“, der dem angestammten Personal die Arbeit stiehlt! Der sich anmaßt, ein Zubrot verdienen zu wollen, während die hauseigenen Redakteure selbst kein Brot mehr haben. Aber war es nicht einmal so, dass Schriftsteller in Österreich nur dadurch überlebten, indem sie halbwegs seriös bezahlte Features für den ORF machten? Als ich mich geduckten Hauptes davonmache, fällt mir ein, welche Frage ich S. aus Zeitmangel ebenfalls nicht mehr stellen konnte: Wie hoch das Honorar für meinen Beitrag eigentlich sei – gesetzt den Fall, er würde gesendet.


Veronika Seyr: Brief, Jänner 1997

An einem solchen Tag sollte ich eine fertig geschnittene Kassette zur Überspielung ins TV-Zentrum bringen. Ich war allein zu Hause, das Auto stand sicher in der Garage, von meinem Team konnte ich niemanden erreichen. Wir hatten einen Satelliten bestellt und mussten daher die Zeit einhalten, weil sonst hohe Stornogebühren anfielen. Also machte ich mich allein auf den Weg. kam aber nur bis zum Gartentor, denn der Kosava [kalter Wind in der Gegend des Donaudurchbruchs in den Banater Bergen zwischen Serbien und Rumänien] hatte einen Eisregen mit sich gebracht, der alles, Stufen, Gehsteige, Straßen, Zäune, Geländer, Bäume und Büsche mit einer dicken Eisschicht überzog. Ich kehrte ins Haus zurück und suchte nach etwas, womit ich den kurzen, steilen Weg bis zur ersten Niederung bestreuen konnte. Keine Asche, der Kamin war erst vor kurzem gereinigt worden. Erde und Sand im Garten waren so beinhart gefroren, dass ich nicht einmal einen Löffel voll davon abkrauchen konnte. Ich versuchte es noch einmal und trat vor die Tür. Natürlich wagte sich bei diesem Wetter kein Auto in die steile Banjckih-Zrtava-Straße. Es sah hoffnungslos aus, ich rutschte sofort auf dem Eis aus und schlitterte rücklings einige Meter den Hügel hinunter. An den rauen Steinen der Gartenmauer entlang kroch ich wieder hinauf zum Tor und schleppte mich in die Gartenkammer. Wie schade, dass ich noch nie an Spikes, Pickel und Steigeisen gedacht habe. Aber ich fand immerhin verschiedene Tücher und Fetzen, die ich mir um die Schuhe band; die festen, ledernen Gartenhandschuhe an den Händen hangelte ich mich auf allen Vieren an der Gartenhecke des oberen Grundstückes – von Eis und Stacheln starrende Schlehdorn-, Brombeer- und Heckenrosenbüsche – entlang. Leider rutschte mir dabei die Kassette aus dem Mantel und schlitterte einige Meter den eisigen Gehweg hinunter, bis sie an einem Mauervorsprung meines Grundstücks hängenblieb. Also robbte ich am Bauch mich mit meinen Fetzenfüßen stützend, wieder zum Ausgangspunkt zurück. Was wohl die Nachbarn dachten, wenn sie jetzt aus dem Fenster schauten? Nochmals also die Hecke entlang, mich über die festen Gartenhandschuhe freuend, bis ich kriechend nach etwa 30 Metern an den ersten Maschendrahtzaun an der Kreuzung der Puschkin-Straße mit der Gogol-Gasse gelangte. Meine russischen Säulenheiligen hatten mich gerettet, ich konnte mich endlich wieder aufrichten. An der gegenüberliegenden Straßenseite zog sich ein eisernes Geländer den Hügel hoch, das musste ich noch erreichen. Mit den vorsichtigsten Schritten meines Lebens überquerte ich auf meinen Fetzenschuhen die Gasse und erreichte schließlich heil das rettende Ufer. Griff um Griff kletterte ich nun den Rest der Banjckih-Zrtava hoch, bis ich an der deutschen Botschaftsresidenz ins Flache kam, ein Taxi aufhalten und ins Zentrum fahren konnte. Der Portier wunderte sich nur leicht über mein ramponiertes Aussehen und über das Bündel von Fetzen, das ich bei der Kontrolle neben der Kassette verwies. Aber dass viel passieren kann, während die Kosava tobt, weiß man hier. Weil das Blitzeis noch einige Stunden anhielt, konnte ich keinen Belgrader Taxifahrer – nicht einmal für doppelten Fuhrlohn – locken, meine Adresse anzufahren. Ich musste mich in Buchhandlungen und Kaffeehäusern herumtreiben und kam so zu einem unerwarteten halben Rasttag im Hotel Majestic und Moskva. Im Dom Omladine (Haus der Jugend) kaufte ich die neuesten CDs der Belgrader Pop-Rock-Stars, ein altes Video von Kusturica und die aktuellsten Zeitungen. Ein wirklich geruhsamer Tag!

 

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