logo kopfgrafik links adresse mitte kopfgrafik rechts
   

FÖRDERGEBER

   Bundeskanzleramt

   Wien Kultur

PARTNER/INNEN

   Netzwerk Literaturhaeuser

   mitSprache

   arte Kulturpartner
   Incentives

   Bindewerk

kopfgrafik mitte

Rose Ausländer: Mutter Sprache

Gedichte
Gelesen von der Autorin
CD Spielzeit: ca 71 Min.
ISBN 3-89584-757-7
München: Der Hörverlag, 2002

Helmut Braun, Rose Ausländers Herausgeber, Nachlassverwalter und Mitarbeiter der Rose Ausländer-Stiftung, hat ein Hörbuch aus kleinen und kleinsten Archivstücken zusammengestellt, das ein Jahr nach ihrem hundertsten Geburtstag erschienen ist. Es beginnt mit der Aufnahme von zwei Gedichten, gelesen 1959 in New York, gefolgt von der Lesung von 47 Gedichten aus dem Jahr 1976, vier Gedichten von 1978 und endet mit einer Privataufnahme von "Mein Atem" 1984, vier Jahre vor Rose Ausländers Tod. So kann man neben den Gedichten auch der Entwicklung von Ausländers Stimme lauschen. In der Lesung von 1959 begegnet man heute nicht mehr üblichem großem Pathos und einem starken slawischen Idiom mit gedehnten, nasalen Vokalen und rollendem R, das Ausländer auch im Englischen beibehält. Im zweiten Teil aus dem Jahr 1978 liest sie ihre Gedichte wie einen erzählenden Text, ein Text, der ihr fremd zu sein scheint, und der Vortrag verebbt regelmäßig, die Autorin verabschiedet sich noch vor dem Schluss eines Gedichts. Die letzte Aufnahme - sechs Jahre zuvor hatte sich Ausländer für bettlägerig erklärt, ist auch stimmlich geprägt von Zorn und Trotz gegenüber dem Alter, der Zeit: "Die Vergangenheit / hat mich gedichtet / ich habe / die Zukunft geerbt // Mein Atem heißt / jetzt".
Selbstverständlich ist man geneigt, Ausländers slawisches Idiom für unumstößlich originär zu halten - und begegnet in dem 1978 für den SWR entstandenen Interview mit Paul Assall unerwartet einem leichten bundesdeutschen Akzent. Der starke slawische Einschlag entpuppt sich so als Ausländers Rezitationssprache, umso erstaunlicher, als Sprache, Rose Ausländer betonte das häufig , ihr eigentlicher Lebensraum war - und mit dem Satz: "Ich wohne nicht, ich lebe", beginnt sie auch das Interview.

Die Auswahl der Gedichte spiegelt das Spektrum ihrer Lyrik wieder: Bukowina, Heimat und Kindheit, Shoa, Krieg und Exil, Gedichte zu Cézanne, Rembrandt, Kaschnitz, Lasker-Schüler, Celan, die Themen Liebe, Altern und Tod, die Aufhebung der Gesetze von Zeit und Raum und vor allem das "Wunder des Worts". "Wir überstehen II" wird unvermutet von Jazzklängen begleitet - Ausländer lässt sich offensichtlich von der Musik tragen, inspirieren: ihre Rezitation wird überraschend kühl, auf die Klanggestalt des Wortes vertrauend, modern.

Rosalia Beatrice Scherzer wurde am 11. Mai 1901 in Czernowitz / Bukowina geboren, neun Jahre vor Paul Celan, mit dem sie künstlerisch vieles verbindet. Die Landschaft und Kultur des "Viersprachenlandes" ihrer Kindheit bleibt ihr großes Lebensthema. 19jährig wandert sie aus ökonomischen Gründen in die USA aus, heiratet 1923 ihren Jugendfreund Ignaz Ausländer. Die Ehe wird, Ausländer hatte die Liebe ihres Lebens getroffen, nach einigen Jahre geschieden. Aber auch die neue Beziehung geht auseinander. Zwischen 1921 und 1939 kehrt sie siebenmal nach Europa zurück, erhält die amerikanische Staatsbürgerschaft, die ihr, da sie nicht bleibt, wieder entzogen, später aber noch einmal zugesprochen wird. Sie arbeitet als Redakteurin, Sekretärin, Übersetzerin, Englischlehrerin, lässt sich als Fleischbeschauerin ausbilden und veröffentlicht ihre Gedichte in amerikanischen und rumänischen Zeitschriften. Ihr erster Gedichtband "Der Regenbogen" erscheint 1939 in Czernowitz. Als der Zweite Weltkrieg ausbricht, kehrt sie zu ihrer pflegebedürftigen Mutter nach Czernowitz zurück, verbringt die Zeit von 1941 bis zur Befreiung 1944 im Ghetto, verrichtet Zwangsarbeit, kann sich vor der Deportation retten. 1946 geht sie ins amerikanische Exil, pendelt zwischen Amerika und Europa und wird sich nie wieder häuslich niederlassen. Über einige Jahre schreibt sie nicht mehr, danach ausschließlich auf Englisch, kehrt schließlich wieder zur deutschen Sprache zurück. "Heimgekehrt ins Wort" lebt sie für zwei Jahre in Wien, dem kulturellen Focus ihrer geliebten Bukowina der k. u. k.-Zeit, wird aber durch antisemitische Erfahrungen wieder vertrieben. Sie geht nach Düsseldorf, wo es eine kleine Czernowitzer Gemeinde gibt. 1972 übersiedelt sie ins Nelly-Sachs-Haus, dem Altenheim der jüdischen Gemeinde, und verbringt die letzten zehn Jahre ihres Lebens, weitestgehend von der Außenwelt abgeschottet, aber weiterhin arbeitend, im Bett. Sie stirbt am 3. Jänner 1988.

Vor diesem eigenwilligen, rastlosen Lebenshintergrund entstand Ausländers Lyrik in ihrer aufs äußerste verdichteten Kompaktheit, der fast raum- und zeitlosen Ruhe. Ihr Betonen der Sprache als Heimat, Schreiben als Leben, als Bestätigung des Am-Leben-Seins, als Möglichkeit, den Holocaust zu überstehen, verliert so jedes Pathos. Die ihr gebührende Anerkennung erhielt die deutsch-jüdische Lyrikerin, die aufgrund ihres kleinen, fast alltäglichen Wortschatzes, der unkomplizierten Direktheit ihrer Gedichte nicht selten die Kritik "naiv" erntete, erst im Alter. Ihre rund 3.000 Gedichte gelten als ausnahmslos biografisch.
Und es scheint, als könnte man durch die Gedichte mehr als sonst wo über die Autorin erfahren - in dem Interview aus dem Jahr 1978, das den letzten Teil des Hörbuches bildet, wird deutlich, dass Rose Ausländer nicht wirklich gewillt ist, in Kontakt zu treten, sich erzählend oder dialogisch mitzuteilen. Fragen zum Tagesablauf, zum Schreibprozess, zu den Erinnerungen an die Kindheit, Czernowitz oder an Paul Celan, den Holocaust oder das Judentum beantwortet sie knapp, anekdotisch bis klischeehaft und ohne spürbares Engagement - wodurch die erläuternden biografischen, zeitgeschichtlichen und literaturwissenschaftlichen Einschübe, die zu den einzelnen Teilen des Gesprächs überleiten, auch wirklich nötig werden, um ein Porträt der Autorin entstehen zu lassen.

Auch wenn die CD aus disparatem, zeitlich zumeist weit auseinander liegendem Material zusammengestellt ist und die Tonqualität der Aufnahmen aus 1959 und 1984 schlecht sind, so ermöglicht sie doch einen spannenden Zugang zur Autorin. Dass man es gewagt hat, ein 30seitiges booklet mit einer wissenschaftlichen Einführung in Rose Ausländers Leben und Werk (von Helmut Braun) zu produzieren, kann man dem Verlag nur danken.

Originalbeitrag

Ulrike Diethardt
13. März 2003

Link zur Druckansicht
Veranstaltungen
"Wir schreiben uns ein"

Mo, 17.09.2018, 19.00 Uhr Projektpräsentation mit Lesungen & Gespräch Das seit 2017...

"20 Jahre Cognac & Biskotten"

Di, 18.09.2018, 19.00 Uhr Ausstellungseröffnung mit Lesung & Musik Sie ist eine...

Ausstellung
ZETTEL, ZITAT, DING: GESELLSCHAFT IM KASTEN Ein Projekt von Margret Kreidl

ab 11.06.2018 bis Juni 2019 Ausstellung | Bibliothek Der Zettelkatalog in der...

Tipp
flugschrift Nr. 24 von Lisa Spalt

Wenn Sie noch nie etwas vom IPA (dem Institut für poetische Allltagsverbesserung) gehört haben,...

Literaturfestivals in Österreich

Sommerzeit - Festivalzeit! Mit Literatur durch den Sommer und quer durch Österreich: O-Töne in...