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Ernst Jandl: die humanisten

Konversationsoper von Erhan Sanri, frei nach Ernst Jandl
Live-Mitschnitt aus der Opera Stabile Hamburg
Mit York Reynolds, Burkhard Schulz, Ulla Trulla
Musikalische Leitung: Michael Petermann
Violine: Helge Slaatto, Kontrabass: Fank Reinecke, Schlagzeug: Nils Grammerstorf
Inszenierung: Holger Müller-Brandes o.J. (2000/2001)
Spielzeit: ca. 73 Min.

"pfui gack!" "heut in kunst viel nicht gut sein", "viel viel kunst-schmutzen". Als Ernst Jandl "die humanisten", ein "konversationsstück in einem akt", geschrieben hatte, steckte alles noch tief in den 70er Jahren. Das Stück ist als Gegenwehr zu einer eklatanten Reaktion "braver Bürger" anlässlich der Aufführung von Wolfgang Bauers "Gespenster" im Rahmen des "steirischen herbstes '75" entstanden. Versteht sich, dass dieser Einakter im Hinblick auf österreichische Zustände auf dem Hintergrund von "imposantem schlagobersgewölk" (so die sparsamen Regievorschläge des Autors) spielen sollte.

Inzwischen, gut 30 Jahre später, hat der Hamburger Komponist Erhan Sanri Jandls Stück für die Oper adaptiert und dabei Jandl noch im Besonderen einen Wunsch erfüllt: Mit einer Dauer von gut 70 Minuten sind "die humanisten" in der Opernfassung nun auch technisch gesehen durchaus abendfüllend, und damit ist die Gefahr (wie sie für einen fünfzehn Seiten starken Einakter gegeben ist), dass nachher auf der Bühne noch etwas folgen könnte, gebannt. Denn in dem Stück sah der Autor "eine Art Endspiel: es kommt nichts nachher." Die Zuschauer sollen entlassen werden "ins Nicht-Theater ihrer Welt, und mühsam sollen sie dort ihr eigenes Sprechen wiederfinden, ohne daß ein Stück, folgend auf meins, ihnen diese Mühe spart."
Zwei (selbsternannte?) Nobelpreisträger - ein "kunstler", ein "universitäten professor" - ergehen sich da - oder sollte es heißen: erbrechen sich in gebrochenem Deutsch - über die großen Themen der Menschheit, Sprache, Kultur, Kunst, Frau. Schäumendes Bildungsgeschwafel, selbstgefällig und pfauenhaft: "mein schön deutsch sprach", "deutschen sprach sein ein kulturensprach". Im eitlen Austausch von Komplimenten treiben sie sich geradezu in einen Orgasmus aus Sprachversatzstücken, unverblümt den sexuellen Subtext hervorkehrend: "puff denken sein gut denken / sein scharf denken". Bis das Ganze plötzlich in harte Konkurrenz umschlägt, die unterschwellige Gewalt offen ausbricht in "fußentritten" und "kopfenstücken". Erst ein Dritter von außen, ein "terroristä", kann die Verbrüderung nach innen wieder herstellen. Doch da ist das Spiel schon fast aus: Die beiden sollen aufgehängt werden: "deutschen sprach besudelt haben / diesen zweien."

Sanri, 1957 geboren und zwei Jahre später als Kind türkischer Eltern nach Deutschland gekommen, hat Jandls Stück zweifach weiterkomponiert: musikalisch und textlich. Für den freien Umgang mit dem Textmaterial hatte er seinerzeit Jandls Einverständnis erhalten, zur Uraufführung ist es dann, kurz nach dessen Tod, im September 2000 in der Opera stabile Hamburg gekommen. Die vorliegende CD ist ein Mitschnitt dieser ersten Produktion unter der Leitung von Michael Petermann.
Eine bewusst sparsame Besetzung hat Sanri bereits in seinen früheren Kompositionen erprobt. Sie erweist sich auch für Jandls hiermit erste Oper als durchaus angemessen. Drei Instrumente - Violine, Kontrabass, Schlagzeug - treten mit den Stimmen in ein konzertierendes Zusammenspiel, betten sie ein, kontrastieren und konterkarieren sie. Sanris Musik bewegt sich zwischen Avantgarde und Jazz, ist offen für Ironie und möchte "nicht auf Kosten des Hörgenusses" gehen. Neben den beiden Hauptstimmen, m1 (York Reynolds) und m2 (Burkhard Schulz) singt (und spricht) der opernerfahrene Transvestit Ulla Trulla - unter Opernfreunden mindestens in Hamburg ein Begriff (siehe www.ulla-trulla-com) - die Frau (mf) und den Terroristen (t).

Ohne falsche Scheu und zugleich sensibel hat der Komponist Sanri auch in die Textvorlage eingegriffen. Neben dem Einsatz von raffinierten kaskadenartigen Wiederholungen, die im Sinne des Mediums eine Dehnung zur Folge haben, nimmt Sanri auch einzelne Textpartien auseinander, komponiert sie textlich fort, ersetzt und fügt ein. Dabei weicht er von Jandls Zuspitzung des Originaltextes auf eine österreichische Situation ab, passt die Oper stärker an ein deutsches Publikum an und transponiert sie in die Gegenwart. Statt von "salzenburger fetzenspiele[n]" etwa (in Österreich wohl schon zum Alltagswortschatz gehörig) ist bei Sanri von den "bayreuther fetzenspielen" die Rede. Analog zu solchen unmittelbar überzeugenden Übersetzungen findet der Co-Autor auch Vergleichbares zum Donau-Mythos: "Im Rhein da spiegelt im Dome / [...] / das große heilige Mainz". Ebenso ersetzt Sanri den "nazi-spruchen" "gegen kurten schuschniggen" ("der kurten sein furten / die missen geburten / jetzt es gehen uns gurten"), der schon einiges an historischem Insiderwissen voraussetzt, durch einen deutschlandbezogenen Heimatspruch. Schließlich macht er die Sprache des Stückes, diesen "kaudern welschen" der beiden Kollegen Nobelpreisträger selbst zum Thema: "du nicht mal konjugieren können / du sprechen wie gastarbeitern" oder auch "du einen türken bauen". Damit zitiert der Text nicht allein Jandls poetisches Programm "der heruntergekommenen Sprache" (auch als "Gastarbeiterdeutsch" bezeichnet), das dieser in seinen Frankfurter Poetik-Vorlesungen "Das Öffnen und Schließen des Mundes" dargelegt hatte. Ohne seine Position als Deutscher türkischer Herkunft auch nur im mindesten strapazieren zu müssen, leistet Sanri damit auch einen Beitrag zu einer Diskussion, die zuletzt in Deutschland wohl mit einer überraschenden Heftigkeit unter dem Stichwort "Leitkultur" geführt wurde. Im Hinblick auf die Sprache als wesentlicher Teil der Kultur hatte Jandl hier bereits einen Riegel vorgeschoben: "Die Sprache gehört mir nicht, diese meine deutsche Sprache gehört mir nicht. Sie gehört allen." Entsprechendes ließe sich auch hinsichtlich anderer Bereiche der Kultur behaupten.

Freilich, die Aufnahme macht neugierig, man merkt, dass das, was Jandl über das Stück gesagt hatte, auch noch für die Oper gilt: Man muss sie auf der Bühne erleben, die Interaktion der Schauspieler, die Bewegungen, das Gestische scheint essentiell. Erfreulich ist daher, dass es inzwischen weitere Produktionen gibt. Die opera piccola bremen hat die Konversationsoper (unter der Regie von Petrus v. Herberstein) zuletzt in einem Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg (Bunker F38) aufgeführt. Ein Aufführungsort, der den Kontrapunkt der Konversationsoper - den durch den Nationalsozialismus pervertierten Humanismusbegriff - ins Anschauliche überführt. Im Februar 2003 findet die österreichische Erstaufführung von Sanris Jandl-Oper im Wiener Jazz Club Porgy & Bess statt.
Während "die humanisten" also eine Bühne brauchen, um voll zur Geltung zu kommen, müssen hier noch Sanris verstreute Vertonungen von Jandl-Gedichten erwähnt werden, die nicht allein eine langjährige Jandl-Erfahrenheit des Komponisten belegen, sondern für sich genommen kleine kompositorische Perlen sind. Kein Wunder, wenn auch der Autor selbst daran gefallen gefunden hatte. Denn diese Vertonungen machen Jandls Verfahren auf musikalischer Ebene unmittelbar einsichtig. "Der Hörer nimmt Veränderungen von Tonfolgen nicht nur akustisch wahr, sondern er visualisiert sie auch." (Sanri) Nachzuhören sind diese Duos für Violine und Kontrabass auf der Anfang der 90er Jahre erschienen CD "Together" (ambitus, 1994) - enthält neben zwei visuellen Gedichten von Jandl ("Raupe" und "altern") auch zwei von Christian Morgenstern ("Die Trichter" und "Fisches Nachtgesang") - und den späteren "TON-EXKAPADEN" (ambitus, 1997) mit "der kuss" und "ebbeflut".

Zitate aus dem Originalstück "die humanisten" von Ernst Jandl sind dem Band 10 der poetischen werke, hrgs. von klaus siblewski. münchen: luchterhand, 1997. seite 159-175, entnommen.

Originalbeitrag

Martin Reiterer
27. Jänner 2003

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