und andere Erzählungen
Es liest: Gerd Udo Feller
Spielzeit: 76:29 Min.
ISBN: 3-933514-44-4
Naxos Hörbücher 1999
Man könnte, würde man für die Erzählsammlung "Ein Landarzt", erschienen 1999 bei Naxos Hörbücher, einen Untertitel suchen, sich einen Romantitel von Thomas Bernhard ausleihen: "Verstörung". 12 Erzählungen, eine rätselhafter als die andere, ungewöhnlich, sperrig, traumhaft-gespenstisch, widerständig. Die totale Negation.
Die titelgebende Erzählung "Ein Landarzt" ist einer der bekanntesten Texte von Kafka. Ein Landarzt wird im Schneegestöber zu einem Patienten gerufen, hat aber kein Pferd zur Verfügung. Sein Dienstmädchen Rosa läuft ins Dorf, um eines zu organisieren, kehrt aber unverrichteter Dinge wieder zurück. Überraschend stehen dann aber doch zwei mächtige Tiere im Stall, daneben ein mysteriöser, brutaler Pferdeknecht. Als der Landarzt abfährt, sieht er noch, wie der Pferdeknecht das zurückgelassene Dienstmädchen verfolgt, sich offenbar an ihr vergehen will. Aber er kann Rosa nicht helfen, kann den Wagen nicht anhalten. Im Bett findet er einen kranken Jungen, der sterben will. Er entdeckt in dessen Hüfte eine grässliche Wunde, in der Würmer stecken. Der Landarzt wird von den Dorfbewohnern ausgezogen und legt sich feierlich zum Kranken ins Bett. Anschließend kehrt er, in ernster Sorge um Rosa, zurück, muss aber feststellen, dass die Pferde viel langsamer laufen als bei der Herfahrt. Die Zeit, die Wegstrecke dehnen sich ins Unendliche.
Die Literaturwissenschaft hat sich am "Landarzt" die Zähne ausgebissen. Keine der vielen Interpretationen, von Medizin- und Fortschrittskritik zu symbolischen Deutungsversuchen, hat gegriffen. Ein Landarzt bleibt resistent gegen die Erklärungsversuche, ein Rest unerklärbarer Handlungen und Motive bleibt bestehen.
Ein altes Bett: Der kaiserliche Hof hat Truppen, Nomaden aus dem Norden gerufen, die sich jetzt aber in der Vorstadt aufhalten, weil sie nicht in den Hof eingelassen werden. Warum sie gerufen wurden, bleibt unklar. Jedenfalls wird man sie nicht mehr los. Ein großes Missverständnis also. Die Nordmänner sprechen eine fremde Sprache, haben Pferde, die Fleisch fressen. Sie tun den wehrlosen Bewohnern der Vorstadt zwar keine Gewalt an, plündern aber ihre Vorräte. Der Dorfplatz mutiert zum Stall. Last und Qual, an der die Bewohner langsam zugrunde gehen.
Zuletzt die Erzählung "Ein Traum". Hauptfigur ist Josef K., den man aus dem Prozess kennt. Er geht spazieren, gelangt an einen Friedhof. Ein Grab tut sich auf, zwei Männer stoßen den Grabstein in die Erde. Ein Künstler mit Samtkappe kommt hinzu, fängt an, Josef K.s Namen auf dem Grabstein einzugravieren. K. wird von einer sanften Strömung ins Loch gezogen, versinkt, von der Tiefe aufgenommen. Ein hässliches Versehen.
Gerd Udo Feller liest die 12 Erzählungen, aufgelockert von drei kurzen Ausschnitten aus L. Janáceks Streichquartett Nr. 1. Fellers Stimme wirkt gequält, schwach, wie außer Atem oft, so, als würde ein Lungenkranker lesen, Kafka eben. Damit schreibt er das kursierende Kafka-Klischee vom schwachen, leidenden Sohn, das in der jüngsten Kafka-Biografie von Reiner Stach endlich differenzierter dargestellt wurde, weiter. Warum Kafkas Texte eigentlich nicht mit fester, hart akzentuierter Stimme vortragen? Fellers Interpretation wirkt etwas zu manieriert, auch etwas zu eintönig. Die einzelnen Erzählungen verschwimmen, werden ununterscheidbar, die Akzente gehen unter.
Kafkas Erzählungen hätten sich an manchen Stellen einen variantenreicheren Vortrag, mehr Farbe, eine stärkere Betonung verdient. Zudem sind die 12 Erzählungen auf diesem Hörbuch von einer sehr hohen erzählerischen Dichte. Noch ist die eine Erzählung nicht verdaut, ist schon die nächste zu hören. Ein wenig zuviel des Guten. Hier wäre es angebracht gewesen, zwischen den Texten mehr und längere Pausen einzufügen, Musikstücke zu spielen. Ein Hörbuch, aus dem sicher mehr herauszuholen gewesen wäre, trotz allem aber zu empfehlen ist.
Originalbeitrag
Peter Landerl
4. März 2003