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Friedrich Torberg: Die Tante Jolesch oder der Untergang des Abendlandes in Anekdoten.

Es liest der Autor
2 CDs, 71:01, 38:56 Min.
Gesamtdauer 140 Min.
ISBN 978-3-7844-4040-8
München: Langen Müller Hörbuch, 2008

Hörbücher sind mitunter eigenartig gedächtnislos, und wie es dabei mit dem Copyright funktioniert, ist schwer nachzuvollziehen. Bekannt ist, dass der Langen Müller Verlag 1988 die Audiokassetten-Edition einer Autorenlesung Friedrich Torbergs auf den Markt brachte, die das ORF Landesstudio Salzburg in der Regie von Klaus Gmeiner produziert hat. Wann genau diese Lesung stattgefunden hat - es muss zwischen Erscheinen des Buches 1975 und dem Tod des Autors 1979 gewesen sein - müsste man beim ORF Landesstudio Salzburg recherchieren, der Langen Müller Verlag verrät es nicht. Er verrät nicht einmal das Erscheinungsjahr des Buches, für den uninformierten Hörer ist also keinerlei zeitliche Einordnung des Textes möglich. Prompt heißt es in einer der berühmten Amazon Kunden-Reaktionen zur Hörbuch-Ausgabe der Kassettenedition, die erstmals 2004 erschien: "Mittendrin im Café Central!" Datiert ist diese Reaktion mit 27. November 2004, und vom zugehörigen Produkt hat Amazon am 1. September 2008 noch 4 Stück auf Lager. Zum 100. Geburtstag des Autors präsentiert Langen Müller neuerlich ein Hörbuch der einstigen Torberg'schen Jolesch Lesung. Dieses Hörbuch 2008 ist mit jenem von 2004 selbst in der Coveraufmachung in jeder Einzelheit ident, doch im Impressum scheint beim Copyright-Zeichen die Jahreszahl 2008 auf. Wer hat also hier woran das Copyright? Oder bezieht es sich nur auf den Nachspann, der für andere Hörbücher des Verlags wirbt, u. a. mit einem ausführlichen Trailer zu Gustav Meyrinks "Golem"?

Abgesehen von diesen editorischen Problemen ist die Tante Jolesch gelesen vom Autor selbst wirklich ein Hörerlebnis. Torberg liest mit einer so selbstverständlichen Klarheit in der Stimme und einer treffsicheren, kaum je überinstrumentierten Modulation, dass einem im Hören dieser Eigen-Interpretation erst klar wird, was bei vielen Jolesch-Anekdoten-Lesungen von Schauspielern fehlt oder eben zu viel ist. Textlich folgt Toberg der Kapiteleinteilung des Buches, von den bekanntesten Gags fehlt keiner, die Krautfleckerln, von denen die Tante Jolesch nie genug gemacht hat ebenso wenig wie der Wirt Neugröschl und seine "was ein Kompott ist, bestimme ich"-Haltung, die Kartenspieler-Anekdoten ebensowenig wie die Originale aus der Redaktion des "Prager Tagblatts". Am radikalsten sind die Schnitte dort, wo es um Anekdoten rund um die Kaffeehaus-Literaten geht, die für ein breiteres Publikum vielleicht weniger interessant sein mögen. Kundige Hörer werden das sicher bedauern, denn Torbgerg hatte durch sein Pendlerleben zwischen Wien und Prag Anteil an den Kaffehaus-Sphären beider Städte; er wurde in Wien von Karl Kraus wohlwollend aufgenommen, lernte Alfred Polgar und Robert Neumann kennen, Fritz Grünbaum, Armin Berg oder Peter Hammerschlag, während er in Prag als Redakteuer des "Prager Tagblatts" automatisch im Zentrum des dortigen Kaffeehausgeschehens verankert war. Über das Prager Deutsch macht er sich in den Tagblatt-Anekdoten rücksichts-, fast möchte man sagen hemmungslos lustig, etwa wenn er einen ehemaligen Redaktionskollegen genüsslich in den Gang brüllen lässt: "Sch'ackiies, bei mir ist nicht geheizt", um zu demonstireren, dass er mit Umlauten auch in Fremdsprachen (Zolas "J'accuse") kompromisslos verfuhr. Ein bißchen hämisch registriert der Hörer, dass Torberg selbst hin und wieder, gewissermaßen in unbeobachteten Augenblicken, in gut Wienerischer Art mit den harten Verschlusslauten kollidiert und man deutlich hören kann, dass jemand etwas "dad" oder auf "babier" schreibt.

Maßstäbe der political correctness darf man an Torbergs Anekdoten-Sammlung jedenfalls nicht anlegen, Gendering zumal war in den 1970er Jahren noch nicht angesagt und Torberg verkneift sich kein Witzchen in diese Richtung und manchmal sind sie sogar zum Lachen. Etwas verstörend sind vielleicht die kleinen Seitenhiebe auf Max Brod, dem er den fulminanten Start seiner Karriere verdankt. Es war Max Brod, der ihm knapp zwanzigjährig den Eintritt in die Redaktion des "Prager Tagblatts" verschaffte, und der Torbergs Romanerstling "Der Schüler Gerber hat absolviert" 1930 - Torberg war gerade 22 Jahre alt - prominent bei Zsolnay unterbrachte. Der Langzeiterfolg dieses Romans steht dem seiner beiden Jolesch-Anekdotensammlungen kaum nach. Es ist aktuell der einzige Roman Torbergs, der im Buchhandel erhältlich ist; der 100. Geburtstag des Autors hat zwar eine Neuauflage seiner Novelle "Mein ist die Rache" (dtv) gebracht, aber leider keine von seinen großen Romanen wie "Hier bin ich, mein Vater" oder auch "Süßkind von Trimberg". Ein wenig hat sich auch Torbergs Befürchtung bewahrheitet, Ephraim Kishons enorme Popularität könnte ihn zum Kishon-Übersetzer degradieren: Von den über 30 aktuell im Handel erhältlichen Titeln Torbergs sind etwa ein Drittel Kishon-Übersetzungen, ein Drittel Tante-Jolesch-Ausgaben samt Audiobooks, der Rest sind andere Bücher Torbergs, von den Romanen eben nur "Der Schüler Gerber". Den gibt's dafür auch als Hörbuch, gelesen von Gabriel Barylli, der 1981 in der Verfilmung von Torbergs Roman durch Wolfgang Glück die Hauptrolle spielte.

Was das Hörbuch der "Tante Jolesch" - und das gilt auch für die ebenfalls und mit vergleichbarer editorischer Vorgeschichte vorgelegte Hörversion der "Erben der Tante Jolsesch" - dem gedruckten Buch voraus hat, ist die Tatsache, dass die Sprünge und oft uneleganten Anschlüsse und Verbindungsstücke in der Hörversion nicht stören, auch die notwendige Straffung tut dem Text eher gut. Denn bei aller Originalität sind die Jolesch-Anekdoten mitunter etwas umständlich oder auch vorhersehbar erzählt. Sie zeigen die Schwierigkeiten, mit denen Torberg die beiden Tante Jolesch-Bände (1975/1978) den Unbilden des Alters abgerungen hat. Den ganzen Sprachwitz dieses Autors lernt man vielleicht besser kennen beim Briefschreiber Friedrich Torberg, diesem "Virtuosen der Epistolographie" (Ulrich Weinzierl).


Weitere Torberg-CDs im Langen-Müller-Verlag:

Friedrich Torberg
Die Erben der Tante Jolesch
2 CDs, 55:47, 54:5 Min.
Gesamtdauer 110 Min
ISBN 978-3-7844-4151-1
München: Langen Müller Hörbuch, 2008

Friedrich Torberg
Der Schüler Gerber
5 CDs, 73:10, 76:37, 75:25, 65:51, 57:51 Min.
Gesamtdauer 347 Min
ISBN 978-3-7844-4166-5
München: Langen Müller Hörbuch, 2008


Evelyne Polt-Heinzl
2. September 2008

Originalbeitrag

Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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