Ein kleiner Totentanz in fünf Bildern.
Laufzeit: 54:54 Min.
Christoph Merian Verlag, Basel 2011.
ISBN 978-3-85616-552-9.
"Glaube Liebe Hoffnung", schreibt Ödön von Horváth in der "Randbemerkung" zu seinem Drama , "könnte jedes meiner Stücke heißen." In allen seinen Werken für das Theater geht es um den aussichtslosen Kampf zwischen Individuum und Gesellschaft, um die wachsame Beobachtung des "bestialischen" (triebhaften) Menschlichen und um die rücksichtslose Darstellung von Dummheit und Lüge. Der Autor (1901 – 1935) wuchs als Sohn eines Diplomaten in verschiedenen Ländern der Donaumonarchie auf, ab 1919 lebte er in Deutschland, ab 1926 wurden seine ersten Theaterstücke aufgeführt.
Der zeitgeschichtliche Hintergrund für das um 1932 entstandene Drama "Glaube Liebe Hoffnung" ist die politisch hoch brisante Zeit zwischen den beiden Weltkriegen. Hyperinflation, Massenarbeitslosigkeit und politische Radikalität prägten das Bild. Dazwischen wurden die "kleinen Leute" zermalmt und von einer veralteten Gesetzgebung terrorisiert. Der junge Gerichtsreporter Lukas Kristl aus München trat an Ödön von Horváth mit der Idee heran, ein Theaterstück zu schreiben, das die Realität der "kleinen Fälle" aufzeigen sollte. Menschen, die sich aus purer Not verschuldeten, wurden mit harten Strafen auf die schiefe Bahn gezwungen, was mit dem Verlust von "Ehre" und gesellschaftlicher Anerkennung verbunden war.
Horváth, der an der Erneuerung des deutschen "Volksstücks" arbeitete, griff den von Lukas Kristl dokumentierten Gerichtsfall auf. In dem Stück, das den Untertitel "Ein Totentanz in fünf Bildern" trägt, wird am Beispiel der Miederwarenvertreterin Elisabeth dem Publikum vor Augen geführt, wie eine bislang unbescholtene junge Frau immer tiefer in die wirtschaftliche Misere rutscht, für ihre Mitmenschen unglaubwürdig wird und sich schließlich der übermächtigen "Meinung" der anderen (und dem Tod) ergibt. Die Anwendung des Ersten Briefes Paulus’ an die Korinther auf das Drama spricht diesem Hohn: "Jetzt bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei: das Größte von ihnen ist die Liebe." Nichts davon bleibt Elisabeth.
Die wieder aufgelegte Hörspielfassung des Theaterstücks des SFR aus dem Jahr 1978 kommt mit einer Mini-Information zu Inhalt und Autor aus. Da es kein Booklet gibt, ist auch kein Platz für mehr Hintergrundinformation. Eine der vielen "Gebrauchsanweisungen", die Horváth beinahe ängstlich für die Aufführung seiner Stücke schrieb, wäre vielleicht als Sprechtext auf der CD interessant gewesen - als Verständnishilfe zum Werk. Hier warnt Horváth ausdrücklich vor dem Gebrauch des Dialekts oder vor einer parodistischen Darstellung und verlangt nach einer "Stilisierung" seiner "Volksstücke". Das "Volk" konnte sich in den 1930er Jahren einen Theaterbesuch allerdings kaum leisten. Dennoch wollte der engagierte und wache Autor dem Kleinbürgertum einen Spiegel vor Augen halten.
All diese Vorgaben hat Robert Bichler in seiner Regie der Hörspielfassung beherzigt. 18 Sprecher kommen mit den verschiedensten regionalen Sprachfärbungen - die sich in der Konzentration auf das Zuhören stärker vermitteln als beim Zuschauen - zum Einsatz. Die gemeinsame Verwendung des geforderten Hochdeutsch, trotz umgangssprachlicher Ausdrücke, erzeugt den typisch Horváth’schen Ton. Die Umgangssprache wird stilisiert, denn das Publikum soll die Fehlerhaftigkeit seines Tuns unter anderem über den Umweg der Verfremdung seiner Sprache erkennen.
In dieser moralisierenden Haltung Horváths liegt ein Widerspruch zu seinem eigenen persönlichen Handeln. Die "bestialischen" Triebe und die Lüge, die er anprangert, lebte er selbst. Einerseits wandte er sich in seinem literarischen Schaffen hart gegen die Nationalsozialisten, andererseits bat er, nachdem seine Stücke nicht mehr aufgeführt wurden, um Aufnahme in den "Reichsverband deutscher Schriftsteller" und versuchte sich als Drehbuchautor mit deutschem Decknamen. Da der Kampf zwischen Individuum und Gesellschaft aber nach wie vor aktuell ist, gehören Horváths Stücke heute wieder zum Repertoire bedeutender Bühnen und Regisseure - Christoph Marthaler inszeniert "Glaube Liebe Hoffnung" für die Wiener Festwochen 2012.
Beatrice Simonsen
21. Mai 2012