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Ausschnitt aus "DAS ELEMENT LUST" von Antje Ippensen
Mit einem Ruck fuhr Carolynn aus dem Schlaf hoch. Sie lauschte in die Stille, und obwohl sie nicht hätte sagen können, was sie geweckt hatte, brach ihr plötzlich der Schweiß aus.
Carolynn?
Eine schwarzsamtene Männerstimme.
Ein Mann.
Ein fremder Mann in ihrem Hotelzimmer!
Und woher kannte er ihren Vornamen?
Im Dämmerlicht, das durch die auf einmal nur noch halb heruntergelassenen Jalousien fiel, erkannte Carolynn die hochgewachsene, durchtrainierte Gestalt eben dieses Mannes. Er stand nur wenige Schritt von dem Muschelbett der Suite entfernt.
Wer sind Sie? Was machen Sie hier?, stieß Caro schrill hervor.
Er lachte leicht. Du weißt genau, weshalb ich hier bin.
Nein, protestierte sie, das weiß ich nicht! Und wie
wie sind Sie überhaupt
? Gehören Sie zum Hotelpersonal?
Der Mann machte ein, zwei Schritte vorwärts, und nun sah Caro, dass seine Augen aus sich selbst heraus leuchteten. Sie glitzerten wie Feueropale.
Mein Name ist Carneol, sagte er mit seiner festen, dunklen Stimme. Er sprach mit einem leichten französischen Akzent. Und du hast mich gerufen. Er hob eine Hand und zeigte ihr eine rote Kugel, die ihr bekannt vorkam.
Sie merkte auf einmal, dass ihr Herz schneller klopfte und sie verkrampft im Bett saß, die Decke um den Körper gezogen, als sei sie ein Panzer, der sie schützen würde. Vor diesem Fremden, der behauptete, er hieße Carneol?
Vor wem sonst, wies eine ironische innere Stimme sie streng zurecht. Oder ist sonst noch ein fremder Mann uneingeladen in deinem Schlafzimmer?
Ein paar rötliche Locken kringelten sich schweißfeucht in ihre Stirn. Nervös strich sie sie weg.
Der große, dunkle Mann am Fenster, dessen Züge sie im Dämmer nur unscharf sah, abgesehen von den Feueraugen, lächelte. Aber war es ein freundliches Lächeln oder ein spöttisches?
Himmel, sieht der gut aus. Kraftvolle männliche Ausstrahlung, Muskeln, geschmeidige Bewegungen
Das war wieder Carolynns innere Stimme, die sich zu Wort meldete aber diesmal ohne Ironie.
Es stellte für mich keine Schwierigkeit dar, dein Zimmer zu betreten. Schließlich hattest du mich ja eingeladen, erklärte Carneol weich.
Die Situation hatte etwas Bizarres, Unwirkliches, Surreales. Schlief sie am Ende noch immer? War dies ein Traum? Aber nein. Carolynn verwarf diesen Gedanken wieder. Viel zu echt fühlte sich das alles an. Ihr heftig klopfendes Herz
ihr Schweiß, der an ihrer Haut klebte, ihr
Sag, erinnerst du dich wirklich nicht mehr?, forschte der Fremde weiter. Während er sprach, hob er die rote Kugel hoch, hielt sie ihr entgegen und ergriff mit der anderen die Kerze von dem kleinen Tisch.
Jetzt endlich machte es Klick bei Caro.
Ihr fiel das Zauberritual wieder ein. Die Magie der vier Elemente
Aber
, begann sie und verstummte dann wieder.
Mit wachsender Bestürzung betrachtete sie dieses Ding zwischen Carneols Fingern. Sah dann zu dem kleinen runden Tisch, auf dem sie wie auf einem Behelfsaltar die vier Elemente-Kugeln mit ihren dazugehörigen Symbolen angeordnet hatte. Und immer verwirrter registrierte sie, dass sowohl die braune als auch die blaue Kugel verschwunden waren.
Abermals starrte sie den hochgewachsenen Fremden an.
Wer bist du wirklich?, begehrte sie auf. Wenn das Ganze ein übler Scherz ist, dann
Carneol trat ein, zwei Schritte vor.
Seine bislang heitere Miene veränderte sich. Düster funkelten seine Augen.
Caro dachte flüchtig an einen Dämon. Und der Gedanke flößte ihr nicht nur Angst ein. Nein, da war noch etwas anderes. Ein Gefühl von
Es ist kein Scherz, Carolynn. Und auch das weißt du. Seine Stimme besaß jetzt ebenfalls eine dunklere Färbung. Ihr Klang berührte Caro auf höchst eigenartige Weise.
Doch immer noch fragte sie sich, ob ihr nicht die Schlaftrunkenheit einen Streich spielte.
Blödsinn. Du bist hellwach. So wach warst du überhaupt noch nie in deinem Leben, glaub mir. Wieder diese entzückende, so überaus hilfreiche, trocken-ironische Stimme, die immer bloß Kommentare abgab, nie jedoch etwas wirklich Konstruktives zu ihren Problemen beitrug. Diese Stimme verfolgte Carolynn schon seit der 7. Klasse.
Und wer ich genau bin, spielt im Moment keine Rolle. Wichtig ist nur, dass ich dir bei deinem Problem helfen kann. Du staunst? Ja, ich weiß Bescheid über dich. Und du solltest jetzt aufstehen.
Das geht nicht, ich bin
, Blut schoss ihr ins Gesicht, nicht angezogen, setzte sie lahm und fast flüsternd hinzu.
Carneol lachte nun herzlich. Seine Zähne schimmerten perlmuttweiß. Carolynn, Carolynn, du kannst dir doch sicher vorstellen, dass das ein sehr reizvoller Gedanke für mich ist. Wer auch immer ich sein mag, eins ist sicher: Ich bin ein Mann.
Daran konnte überhaupt kein Zweifel bestehen.
Steh auf. Sofort.
Er schnurrte fast, aber seine Stimme hatte gleichzeitig etwas Stählern-Dominantes; sie sank in ihren Magen ein nein, noch ein bisschen tiefer. Ihr blieb keine andere Wahl als zu gehorchen. Mehr und mehr wurde sie in einen bittersüßen Sog gezogen.
Wie hypnotisiert ließ sie die Decke von ihren Schultern rutschen und schwang die Beine über die Bettkante. Ihre schlanken, hellhäutigen Beine, auf die sie ebenso stolz war wie auf ihre festen Brüste.
Sie erhob sich. Stand da, und ihre Hände zuckten, als wolle sie mit ihnen ihre Blöße bedecken. Tat es jedoch nicht. Denn urplötzlich stellte sie fest, dass sie erregt war. Ja, die Situation machte sie an. Wie sie hier nackt vor dem in dunkles Leder gekleideten, ihr so vollkommen fremden Carneol stand. Der ihr Befehle gab. Dem sie gehorchte. Erschrecken mischte sich mit Lust.
Carneol musterte ihre Gestalt wohlgefällig. Du wirst mir folgen, Carolynn.
Im nächsten Moment hielt er ein schwarzes Seil in seiner Hand. Er lächelte warm, als sie ihm sie selbst war verblüfft über die Selbstverständlichkeit, mit der sie das tat ihre Handgelenke gekreuzt hinstreckte. Er schien es erwartet zu haben, aber doch angenehm überrascht zu sein.
Anmutig sank sie auf die Knie nieder, und zugleich reckte sie stolz das Kinn.
Carneols Lächeln vertiefte sich; er fesselte Caro straff und zog sie an dem Seil wieder auf die Füße. Es tat weh, als das Hanftau in ihre Haut eindrang. Caro biss sich auf die Lippen. Gleichzeitig durchströmte ein Gefühl wie flüssiger Honig ihre Lenden.
Dann zog Carneol sie für einen Moment dicht an sich, umarmte sie, ließ sie seine gluthafte Wärme spüren. Er fühlte sich wahrhaftig an wie ein Mann aus Fleisch und Blut. Er war weder ein Geist noch ein Traum.
Sehr schön, murmelte Carneol, wobei eine Spur von Sarkasmus in seinem Ton mitschwang. Wie gut, dass du anfängst zu verstehen. Ein erster Schritt. Doch du weißt, dass das erst der Anfang ist, Sklavin.
Wie hatte er sie genannt?
Aber was war sie im Moment denn, nackt und gefesselt und einem fremden Mann ausgeliefert aus freien Stücken noch dazu? Das Gestaltlose, das so lange schon diffus in ihr gärte, jetzt nahm es erstmals Form an.
Wohin bringst du mich, Carneol?
Er schwieg einen Moment. An einen Ort der Prüfung. Mit diesen Worten umschloss er mit einer sehnigen Hand ihren Ellbogen und zog sie, die keinerlei Widerstand leistete, zur Balkontür.
Aber was ist mit Hakan?, sprudelte Caro hervor. Wenn er
oh, ich weiß nicht einmal, wo er ist, und ich
Sie stammelte nur noch und fühlte einen schmerzlichen Stich so begehrenswert und anziehend der Fremde war, der sie gefangengenommen hatte, sie vermisste ihren Mann, vermisste ihn sehr.
Carneol zuckte leicht, fast unmerklich, zusammen. Für Sekunden verdüsterte sich sein Gesicht, dann klärten sich seine Züge wieder.
Carolynn, der Zauber der Vier Elemente, den du ausgesprochen und in Gang gesetzt hast, ist sehr machtvoll. Er bezieht deinen Mann mit ein. Jetzt, in diesem Augenblick.
Er trat mit ihr ins Freie hinaus.
Die junge Frau erschrak, denn das Balkongeländer war verschwunden.
Vertrau mir, flüsterte Carneol dicht an ihrem Ohr und beschrieb mit seiner Hand, in der er die rote Kugel hielt, ein großes Oval.
Die Luft erzitterte, die Ränder der gezeichneten eirunden Form schienen zu brennen, und es entstand eine Art Atmosphären-Tor.
Obwohl alles noch immer allzu phantastisch war um es glauben zu können, von Sekunde zu Sekunde bizarrer wurde, stellte Carolynn bei sich fest, dass sie Carneol tatsächlich vertraute. Das war verrückt! Gemeinsam traten sie durch das magische Portal.
Und befanden sich nicht etwa am Strand, auch nicht in den Dünen zwischen Bredene und Ostende, nein, sondern in einem zauberhaften lichten Garten. Sommerlich warm, und anstelle des kräftigen Seewindes ging hier nur eine leise Brise.
Der Ort erinnerte Carolynn stark an den Garten ihrer Tante Marie, und sie glaubte fast deren Präsenz zu spüren.
Damals, als sie vierzehn Jahre alt gewesen war
Carneol führte sie zu einem großen knorrigen Apfelbaum. Auch er glich jenem, der in Tante Maries Garten stand. Caro seufzte leise, fast ohne es zu merken; sie spürte taufeuchtes Gras unter ihren nackten Fußsohlen und kleine Kiesel, dann wieder Erdboden und Baumwurzel. Sie nahm all dies äußerst intensiv wahr, und jetzt war sie wirklich in Einklang mit dem, was geschah.
Wo sind wir, Carneol?, fragte sie ihren Begleiter und Herrn, denn für den Moment war er genau das.
Dies ist das Land Douleurdouce. Du wirst nun erfahren, was das bedeutet. Lehn dich mit dem Gesicht gegen den Stamm.
Sie tat es, wiederum seufzend. Mit langen Seilen band er sie am Baum fest, sodass die raue Borke in ihre Haut schnitt und sie so gut wie bewegungsunfähig war, nachdem er sein Werk vollendet hatte.
Du hast lange davon geträumt, nicht wahr?, drang wieder die dunkelmagische Stimme ihres Entführers an ihr Ohr, und Caro nickte stumm. Gleichzeitig spürte sie erneut Röte in ihr Gesicht steigen.
Carneol brach ein Tabu nach dem anderen, mit Worten wie mit Handlungen. Das erschreckte und erregte sie über die Maßen
auf einmal, während sie die tiefe Lust auskostete, an einen Baum gefesselt zu sein, durchfuhr sie wie ein Blitz die Erinnerung an jenes andere Erlebnis, damals, vor sieben Jahren, als sie vierzehn gewesen war.
Oh ja, ich war vierzehn und hatte häufiger seltsame Phantasien, für die ich mich schämte, von denen ich aber nicht lassen konnte. Ich fuhr in die Ferien zu Tante Marie, und sie war streng. Weil ich frech und mutwillig eine ihrer Lieblingstassen zerbrach nahm sie eine Haselgerte und legte mich übers Knie. Von meinen Eltern war ich nie gezüchtigt worden. Oh, wie schmerzhaft und demütigend es war, als sie mich mit der Gerte schlug, wieder und wieder, und wie großartig. Diese Hitze, die mein geschundenes Hinterteil durchströmte! Es machte mich an, damals schon, obwohl ich es nicht begriff. Zwar weinte ich, aber es muss in meinen Augen auch ein anderer Ausdruck gewesen sein, und deshalb wusste Tante Marie auch Bescheid, deshalb ihr wissender Blick auf meiner Hochzeit. Und als sie damals, nachdem sie mich bestraft hatte, freundlich fragte: Na, wirst du dich nun besser betragen, Carolynn?, und ich schluchzend antwortete: Ja, Tante Marie, dachte ich nur daran, dass ich mich gut fühlte, aufgewühlt, ja, aber auch herrlich entspannt und durchpulst von einer neuartigen Empfindung, die bislang nur theoretisch, in meinen Träumen, vorhanden gewesen war
ES. Jenes fremdartige dunkle Verlangen.
Und das hätte sie doch niemals Hakan anvertrauen können! Hakan, der so sanft und zärtlich und achtsam war verachten würde er sie, sich abgestoßen fühlen, grenzenlos enttäuscht und verstört sein. Ja, Caro war sich dessen sicher, so hätte er reagiert, und deshalb hatte sie sich ihm stets verweigert und ES nicht einmal mit einer Andeutung erwähnt, wenn einmal ihr Gespräch auf erotische Vorlieben gekommen war.
Caro stöhnte auf, doch diesmal nicht vor Lust.
Carneol trat nah an sie heran und packte sie hart am Oberarm.
Er schient genau zu wissen, was in ihr vorging nun, schließlich war er auch kein normales menschliches Wesen.
Gib dich hin
entspanne dich, raunte er und zeigte ihr sie schnappte nach Luft eine Haselgerte.
Berührte zart mit der Spitze ihr zuckendes pralles Gesäß.
Carolynns Stöhnen verwandelte sich, nahm einen anderen Klang an.
Er hatte recht: Es war Zeit, sich zu dem, was sie war, zu bekennen. Darin bestand die Prüfung.
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