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Das Kreuz der Qualen
Die Kreuzigung war eine in der Antike weitverbreitete Hinrichtungsart. Sie wurde im Orient und besonders im Römischen Reich angewandt. Sklaven, Diebe oder Gotteslästerer erlitten auf diese Weise einen besonders langsamen und grausamen Tod. Es konnte Tage dauern, bis die Delinquenten starben. Das möglichst lange, qualvolle Leiden der Gekreuzigten sollte die Beobachter demütigen, einschüchtern oder gar abschrecken. Es gab keine römische Vorschrift, wie eine Kreuzigung genau durchzuführen war. Den oft aus ausgesonderten Soldaten bestehenden Henkerkommandos wurde dabei ein hohes Maß an Freiheit zugestanden. Sie mussten die Verurteilten allerdings streng bewachen, bis deren Tod eingetreten war.
Marcus Celus war ein solcher Soldat. Vom Stadthalter Jerusalems wurde ihm die Aufgabe zugeteilt, einer besonders prekären Hinrichtung beizuwohnen.
Aramos, ein Gotteslästerer und Teufelsanbeter, sollte sein Leben am Kreuz aushauchen.
Zur Strafe für seinen Verrat, den Morden und den unzähligen Folterungen, die er an dem römischen Volk begangen hatte. Erst nach einer wochenlangen Hetzjagd war es den Soldaten gelungen, Aramos in den Bergen zu stellen und dessen Anhänger zu töten.
Marcus war dabei gewesen und er erinnerte sich noch sehr genau an die Worte des Verräters, die dieser kurz vor seiner Gefangennahme ausgesprochen hatte.
Die dunklen Götter werden einst über mich richten.
Jene Götter, die Aramos anbetete und denen er Opfer dar brachte, um sie gnädig zu stimmen.
In den Augen des Kaisers war dies eine schamlose Beleidigung seines Glaubens und er entschied über den Tod Aramos innerhalb eines Wimpernschlages.
Der, welcher an einem Kreuz gemartert wird, soll nicht nur vom Leib der Bürger Roms fernbleiben, sondern auch schon von ihrer Wahrnehmung, ihren Augen und Ohren.
Dieser Befehl des Kaisers wurde von seinem Volk tagelang bejubelt. Aramos sollte auf die grausamste Art und Weise sterben, die ihm und seinen Taten gebührte.
Doch zum Erstauen aller fürchtete er sich nicht vor der Qual, die ihm bevorstand. In seinem Kerker begann er zu singen und zu tanzen. Und selbst bei der Folterung, die jeder Kreuzigung vorausging, nahm er die zahlreichen Peitschenhiebe mit einem Grinsen im Gesicht hin.
Der Stadthalter von Jerusalem zog daraus die Schlussfolgerung, dass Aramos tatsächlich mit den bösen Mächten im Bunde stand. Zwar ließ er die Kreuzigung durchführen. Jedoch änderte er die üblichen Vorgehensweisen, indem er silberne Nägel verwenden ließ.
Seine Gelehrten rieten ihm dazu, nachdem diese sich in alten Schriften kundig gemacht hatten.
So kam der Tag der Kreuzigung. Wie alle seiner Vorgänger musste auch Aramos das Kreuz selbst zum Hinrichtungsort tragen.
Marcus Celus trieb seinen Delinquenten mit der Peitsche vorwärts. Die klatschenden Geräusche, die immer ertönten, wenn sich die Lederriemen in Aramos Haut fraßen, ließen die Gaffer zusammenzucken.
Die schmalen Straßen Jerusalems waren mit Menschenmassen angefüllt. Ein jeder wollte dem letzten Gang des Verräters beiwohnen. Vereinzelt flogen Steine aus der Menge und trafen Aramos an Kopf und Körper.
Alte Frauen schrieen ihm die schlimmsten Hasstiraden entgegen und spieen auf den Mann, wenn dieser gebückt an ihnen vorbeischritt.
Geh schneller!, befahl Marcus Celus und schwang die Peitsche.
Aramos schwieg. Stumm schleifte er das schwere Holzkreuz hinter sich her. Und als sie schließlich den Ort erreichten, an dem er gekreuzigt werden sollte, ließ er es einfach fallen.
Der römische Soldat trat neben den keuchenden Mann und schlug diesem seine Faust ins Gesicht.
Wer hat dir erlaubt, das Kreuz fallen zulassen? Heb es auf, Verräter!
Aramos gehorchte.
Er ergab sich seinem Schicksal, das in seinen Augen eigentlich keines war. Die dunklen Götter hielten schützend ihre Hände über ihn. Das wusste er und somit verspürte er auch keine Angst vor dem nahenden Tod.
Als sich wenig später die silbernen Nägel durch seine Hand und Fußwurzelknochen bohrten, schloss er die Augen.
Die Schmerzen waren fürchterlich. Die kraftvollen Hammerschläge schienen ihn förmlich zu zerreißen. Doch Aramos kämpfte gegen die Qual an. Nie würde er eine Schwäche zeigen. Die Macht der dunklen Götter, die er in sich verspürte, gab ihm den nötigen Willen.
Seine Ohren vernahmen das Keifen der alten Weiber, die kurz darauf um das aufgerichtete Kreuz standen und ihm drohend die geballten Fäuste entgegen reckten.
Aramos war verhasst unter den Menschen. Er war ihr Peiniger, ihr Mörder und er hatte es gewagt gegen die Götter zu lästern.
Nun schien sein Ende gekommen zu sein.
Marcus Celus hielt Wache, so wie es Vorschrift war. Der römische Soldat wunderte sich darüber, dass Aramos am zweiten Tag noch immer am Leben war. Der Gekreuzigte bekam keine Nahrung, kein Wasser und die sengende Hitze, die tagsüber das Land überzog, schien ihm nichts auszumachen.
Sein Körper verdorrte nicht. Jeder normale Mensch hauchte spätestens am dritten Tag sein Leben aus. Doch Aramos überwand diese Zeitspanne ebenfalls unbeschadet.
Er lachte seine Henker sogar aus und schwor ihnen, dass diese ewig unter dem Kreuz wachen müssten, um den Tod des Mannes herbeizuführen.
Marcus Celus benachrichtigte den Stadthalter von Jerusalem und erhielt den Befehl, dem Verräter die schlimmsten Qualen aufzuerlegen.
So wurde Aramos am Kreuze ausgepeitscht. Mit glühenden Lanzen fügte man ihm tiefe Wunden zu. Als die Römer bemerkten, dass auch diese Maßnahmen nicht fruchteten, überstrichen sie den Körper des Delinquenten mit einer übelriechenden Paste.
Es war ein Lockmittel für Insekten, die kurz darauf zu Tausenden über den Körper des Gekreuzigten krochen.
Doch Aramos starb nicht. Seine Augen fixierten die römischen Soldaten, die unter dem Kreuz standen und zu ihm aufblickten.
Marcus Celus wusste nicht, was er noch tun konnte. So ritt er abermals nach Jerusalem. Als er zurückkehrte, wirkte sein Antlitz entschlossener als je zuvor.
Häutet ihn!, gab er den Befehl.
Die Soldaten gehorchten und begannen mit einer der grausamsten Foltermethoden, die selbst Aramos in den Tod treiben sollte.
Und endlich, am fünften Tag hauchte er schließlich sein Leben aus. Die Menschen jubelten, feierten und umtanzten singend das Kreuz, an dem der Gehäutete hing.
Doch die dunklen Götter nahmen das Ableben ihres Dieners nicht so einfach hin.
In einer finsteren Nacht verließ die Leiche Aramos seine Grabstätte und wurde in die Reihen jener mächtigen Götter aufgenommen.
Marcus Celus hatte es gesehen.
Vor dem Hügel, unter dem der Verräter begraben lag, hatte er gewacht. Als sich die Erde bewegte und sich fleischlose rötlich schimmernde Finger dem Nachthimmel entgegenreckten, war er panisch geflohen.
Doch die Rache Aramos erreichte ihn dennoch.
Der Stadthalter Jerusalems erblickte eines Morgens das Kreuz, dass man vor seinem Palast aufgestellt hatte. Darin hing Marcus Celus, dem ebenso die Haut vom Körper gerissen worden war wie einst dem Verräter.
Nun war Aramos wieder in aller Munde. Die Menschen fürchteten sich, beteten zu ihren Göttern und suchten in deren Tempeln Schutz.
Viele der römischen Soldaten flohen. Sie ritten davon, versteckten sich in Galiläa oder kehrten nach Rom zurück.
Aramos jedoch wurde nie wieder gesehen. Es vergingen Jahrhunderte. Das Römische Reich zerfiel und kaum einer erinnerte sich noch an die grausamen Geschehnisse von damals.
Doch die dunklen Götter lauerten weiterhin im Verborgenen. Das aufstrebende Christentum, das sich immer mehr auf der Welt ausbreitete, riss diese jedoch wieder aus ihrer Lethargie. Im Namen des Kreuzes wurde nun eine neue Gottheit verehrt, die sich selbst Erlöser und Messias nannte.
Aramos konnte dies nicht dulden. Einst hatte er die schlimmsten Qualen und Demütigungen über sich ergehen lassen müssen.
Und jetzt wurde jenes Symbol verehrt und angebetet. So entschieden sich die dunklen Götter dazu, einen schrecklichen Rachefeldzug gegen die Menschen zu führen, die sich mit diesem neuen Glauben identifizierten.
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