|
1: Teil 1, ca. Seite 40
Ich knipste das Licht über dem Spiegel an und drehte meine Schulter zur Seite, wie ich es in den letzten Wochen oft getan hatte. Was ich erblickte, verschlug mir den Atem.
Die Tätowierung war rot angeschwollen, mehr als am Tag des Stechens. Sie glühte förmlich und schien zu pulsieren. Doch, was viel schlimmer war, und für mich eher wie ein böser Traum aussah, war, dass sie nicht mehr an ihrem ursprünglichen Platz war. Der perfekte runde Kreis mit dem sichelförmigen Symbol in seiner Mitte war um gut fünf Zentimeter nach unten gewandert: Die Tätowierung hatte sich bewegt.
Ich konnte erst nicht glauben, was ich sah, verdrehte meinen Kopf immer weiter, um besser sehen zu können, doch es war, wie ich es Ihnen sagte: Das Wakan-Tanka war nach unten gerutscht. Es befand sich jetzt am unteren Ende des rechten Schulterblatts, und an der Position, an welcher es ursprünglich gewesen war, war nur rote, geschwollene Haut zu sehen. Als ob es eine Spur ziehen wollte. Eine groteske Spur über meinen Körper.
Sie können sich sicher vorstellen, wie mir zumute war. Bei Tätowierungen konnte es manchmal passieren, dass die Farbe sich änderte, ja sogar die Position, wenn sich die darunter liegende Haut veränderte. Beispielsweise bei einem Tattoo auf dem Bauch einer Frau, das sich während der Schwangerschaft dehnt und nach der Geburt plötzlich verzerrt aussieht oder bei einem Teenager, der sich ein Herz auf den Oberarm tätowieren hat lassen, ohne damit zu rechnen, dass er später einmal ein Fitnessstudio besuchen und sein Arm einen Muskelzuwachs von fünfzehn Zentimetern bekommen würde.
Aber ich, verdammt, ich war weder schwanger noch betrieb ich Bodybuilding.
Es musste eine andere Erklärung dafür geben, dachte ich, eine natürliche.
Ich öffnete den Schrank, der links neben dem Waschbecken an der Wand befestigt war, und kramte in einem der Fächer einen kleinen, runden Spiegel hervor. So einen mit Handgriff, den man drehen konnte, und dessen andere Seite ein Spiegel mit Vergrößerungseffekt war. Nun stand ich mit dem Rücken zum Waschbecken und hielt den Handspiegel hoch, um mir ohne Verrenkungen ein klares Bild meines Rückens machen zu können.
Ich hatte nicht geträumt. Im Gegenteil - wenn ich aufrecht stand, sah ich, dass es noch viel schlimmer war, als ich zuerst angenommen hatte. Das beschissene Tattoo war mindestens um sieben, wahrscheinlich acht Zentimeter nach unten gewandert.
Plötzlich kam mir der Gedanke, dass ich vielleicht allergisch auf die Farbe war. Es gab wirklich Allergien gegen Tätowierungstinte, und vielleicht war ich einer von den Unglücklichen, die sich vor dem Akt der Verschönerung keinem Test unterzogen hatten. Andererseits hatte ich das Tattoo schon beinahe ein Monat, was nicht unbedingt etwas bedeutete. Immerhin gab es Allergien, die sich im Laufe der Zeit entwickelten oder sogar solche, bei denen sich der Körper erst nach einer gewissen Zeit gegen bestimmte Stoffe zu wehren begann. Gut, eine Allergie hätte den Juckreiz erklären können, aber die Wanderung? Nein.
[Zurück zum Buch]
|
|