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Teufelsbraut

TEUFELSBRAUT
TEUFELSBRAUT

Lilith Saintcrow
Roman / Dark Fantasy

LYX

Dante Valentine – Dämonenjägerin: Band 1
Taschenbuch, 432 Seiten
ISBN: 978-380258175-5

Okt. 2008, 9.95 EUR
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Kapitel 1

Mein Arbeitsverhältnis mit Luzifer begann an einem regnerischen Montag. Ich hatte mich auf einen langen gemütlichen Nachmittag mit Holovid-Seifenopern und ein wenig Divination eingerichtet und breitete gerade Karten und Runen auf dem blauen Seidentuch aus, als es so laut an meiner Haustür klopfte, dass die Wände wackelten.
Meine lackierten Fingernägel kratzten über den Tisch, als ich eine Karte umdrehte. Der Bernsteinring an meinem linken Mittelfinger blitzte auf. Die Karte des Teufels pulsierte und landete auf einem Stapel flacher Runensteine, ohne dass ich sie berührt hätte. Die Karte, die ich umgedreht hatte, war leer.
„Interessant“, sagte ich und spürte, wie mir eine Gänsehaut über den Rücken lief. Ich schwang mich von dem roten, abgetretenen Teppich hoch und tappte barfuß hinaus in den Flur. Meine Ringe blitzten, grüne Funken stoben hervor und peitschten meine Finger entlang. Stirnrunzelnd schüttelte ich sie ab. Die Psenergie-Leitungen, mit denen meine Haustür verbunden ist, wirbelten beunruhigend hin und her. Irgendetwas Scheußliches stand draußen auf der Treppe. Ich zog meine Jeans hoch, dann griff ich nach dem Schwert, das an der Wand hing. Ich nahm es herunter, packte das Heft und streifte die Scheide ab.
Hinter dem Spion in der Tür lag alles in völliger Dunkelheit. Ich hielt mich gar nicht erst damit auf, hindurchzuspähen. Stattdessen berührte ich mit den Fingerspitzen der rechten Hand die glatte Eisentür. Meine Ringe klirrten und schillerten in wechselnden Farben, während sie den Energiefluss des Wesens auf der anderen Seite der Tür lasen.
Oh Götter des Himmels und der Unterwelt, dachte ich, was auch immer das ist, es ist riesig.
Darauf gefasst, dass mich jemand entweder umbringen oder mir einen neuen Job anbieten wollte, schloss ich die Tür auf und trat, das Schwert halb gezogen, einen Schritt zurück. Das leuchtende Blau von Psenergie-geladenem Stahl durchflutete meinen Flur und wurde von den weißen Wänden und dem hohen Spiegel neben meinem Garderobenständer zurückgeworfen. Ich wartete.
Die Tür knarrte, als sie langsam geöffnet wurde. Fehlt nur noch ein bisschen stimmungsvolle Musik, dachte ich ironisch und beschloss, meine Haut teuer zu verkaufen, falls jemand vorhatte, mich umzubringen.
Ich kann mein Schwert in etwas weniger als eineinhalb Sekunden ziehen. Glücklicherweise erwies sich das als unnötig. Ich blinzelte.
Auf der Treppe vor meiner Tür stand ein großer, hagerer Mann mit goldfarbener Haut. Er trug schwarze Jeans und einen langen schwarzen Mantel mit Stehkragen. Die silberglänzende Waffe, die er auf meine Brust gerichtet hielt, war kaum weniger irritierend als die Tatsache, dass seine Aura von verschlungenen, schwarz-diamantenen Flammen umhüllt war. Er hatte kurzes dunkles Haar, lasergrüne Augen, ein unauffälliges Gesicht und traumhaft breite Schultern.
Klasse, dachte ich. Vor meiner Tür steht ein Dämon. Ich rührte mich nicht. Ich atmete sogar kaum mehr.
„Danny Valentine?“, fragte er. Eigentlich klang es eher wie ein Befehl.
„Wer will das wissen?“, schnauzte ich zurück. Die silberne Waffe sah nicht wie eine Plaspistole aus, eher wie eine altmodische 9mm.
„Ich möchte mit Danny Valentine sprechen“, sagte der Dämon und betonte dabei jede Silbe. „Sonst bringe ich dich um.“
„Komm rein“, antwortete ich. „Und steck das Ding da weg. Es gehört sich nicht, eine Frau mit der Waffe zu bedrohen. Hat deine Mutter dir das nicht beigebracht?“
„Woher soll ich wissen, was für Wachen ein Nekromant an seiner Tür stehen hat? Wo ist Danny Valentine?“
Ich seufzte innerlich auf. „Jetzt komm endlich rein“, sagte ich. „Ich bin Danny Valentine, und du bist echt unhöflich. Falls du mich umbringen willst, dann bring es gefälligst hinter dich. Und falls du mich anheuern willst, gehst du die Sache gerade völlig verkehrt an.“
Ich glaube nicht, dass ich schon jemals einen verblüfften Dämonen gesehen hatte. Er steckte die Waffe ins Holster und schob sich durch die Schichten meines Sicherheitssystems, die sich gehorsam für ihn öffneten, in meinen Flur hinein. Bis er endlich vor mir stand und die Tür mit dem Fuß zustieß, hatte ich seine Psenergie schon bis zum letzten Erg berechnet.
Das wird bestimmt kein Vergnügen, dachte ich. Was führt einen Mann der Hölle zu mir?
Eine bessere Gelegenheit, das zu klären, würde es kaum geben. „Was führt einen Mann der Hölle zu mir?“, fragte ich.
„Ich habe einen Auftrag für dich. Oder genauer gesagt: Ich möchte dich zu einer Audienz beim Fürsten einladen, und er wird dir einen Auftrag erteilen. Wenn du den Auftrag erfolgreich erledigst, liegt vor dir ein Leben voller Reichtümer, wie du es dir nicht mal im Traum ausmalen könntest.“ Das klang nicht wie leichtfertig dahingesagt.
Ich nickte. „Und wenn ich kein Interesse habe? Du weißt, ich bin eine vielbeschäftigte Frau. Man ist heutzutage ganz schön gefragt, wenn man die Toten ins Leben zurückholen kann.“
Der Dämon betrachtete mich vielleicht zwanzig Sekunden lang, bevor er zu grinsen anfing, und mir brach am ganzen Körper der Schweiß aus. Mein Nacken prickelte, und meine Finger zuckten nervös. Auch die drei breiten Narben auf meinem Rücken durchlief ein unangenehmes Zucken.
„Okay“, sagte ich. „Ich hole nur meine Sachen, dann kann’s losgehen. Auf zum Besuch bei seiner allergnädigsten Durchlaucht, blabla, blubblub. Capice?“
Das schien ihn nur unwesentlich weniger zu amüsieren. Auf seinem grimmigen Gesicht lag immer noch dieses mörderische Lächeln. „Selbstverständlich. Ich gebe dir zwanzig Minuten.“
Hätte ich geahnt, auf was ich mich einließ, hätte ich mir lieber ein paar Tage ausbedungen. Oder besser gleich den Rest meines Lebens.

Szenentrenner


Kapitel 2

Während der zwanzig Minuten inspizierte der Dämon die Bücherregale in meinem Wohnzimmer. Zumindest hatte ich, als ich die Treppe runterkam und in meine Jacke schlüpfte, den Eindruck, dass er sich die Bücher ansah. Abracadabra hat mich mal als „den Indiana Jones unter den Nekromanten“ bezeichnet, ein hohes Lob aus dem Mund der Spinne von Saint City – so es denn nett gemeint war. Ich zog mich gern so an, dass ich gegen möglichst alles gewappnet war.
Entsprechend bestand meine Arbeitskleidung aus einem Mikrofaserhemd von Trade Bargains, das rasch trocknet und von dem man den Schmutz einfach abbürsten kann, einer butterweichen, ausgewaschenen Jeans, abgestoßenen Mechanikerstiefeln mit abgelaufenen Absätzen, meiner Botentasche, die ich mir quer über den Oberkörper gehängt hatte, und einer alten Cargo-Jacke, die für Fotojournalisten in Kriegsgebieten entworfen worden war und jede Menge Taschen und eingenähte Kevlarstreifen hatte. Ich flocht gerade meinen Zopf zu Ende und schlang ein Gummiband herum, als ich das Wohnzimmer betrat, in dem nun der Geruch nach Mann und Rasierwasser und auch der völlig unphysische Geruch nach Dämon hing – eine Mischung aus brennendem Zimt und schwerem bernsteinfarbenem Moschus.
„Meine Büchersammlung scheint dir zu gefallen“, sagte ich, vielleicht etwas ironisch. Meine Hände schwitzten, und meine Zähne hätten am liebsten losgeklappert. „Du wirst mir wahrscheinlich nicht verraten, was der Prinz von mir will.“
Er wandte sich von den Regalen ab und zuckte mit den Schultern. Dämonen tun das oft. Wahrscheinlich sind sie überzeugt, dass das meiste, was wir Menschen so treiben, nur ein Schulterzucken verdient. „Na toll“, murmelte ich und nahm meine Athame und den kleinen Krug mit Weihwasser von meinem aus Feldstein gebauten Altar. Mein Rücken prickelte, und erneut überlief mich eine Gänsehaut. In meinem Wohnzimmer steht ein Dämon. Hinter mir. Da steht ein Dämon hinter mir. Verdammt, Danny, konzentrier dich!
„Es ist nicht gerade höflich, geweihte Gegenstände zur Audienz beim Fürsten mitzunehmen“, teilte mir der Dämon mit.
Ich schnaubte. „Es ist nicht gerade höflich, eine Waffe auf mich zu richten, wenn du willst, dass ich für euch arbeite.“ Ich strich mit der Hand über meinen Altar – nein, mehr war da nicht. Ich ging zu dem großen Eichenschrank und wühlte in den Schubladen. Wenn doch bloß meine Hände endlich zu zittern aufhören würden!
„Der Fürst hat ausdrücklich nach dir verlangt und mich geschickt, um dich zu holen. Über die Feinheiten menschlicher Etikette hat er sich nicht ausgelassen.“ Der Dämon starrte mich aus seinen lasergrünen Augen an. „Dieser Auftrag hat eine gewisse Dringlichkeit.“
„Aha.“ Ich machte eine abwinkende Geste. „Aber wenn ich schlecht vorbereitet bin, werde ich deinem Prinz kaum nützen, oder?“
„Du riechst nach Angst“, sagte er leise.
„Ich bin gerade von einem Mann der Hölle mit der Waffe bedroht worden. Ich glaube kaum, dass du einer dieser durchschnittlichen Imp-Dämonen bist, mit denen ich gelegentlich zu tun habe, mein Junge. Und dann erzählst du mir auch noch, dass der Teufel meine Gesellschaft wünscht.“ Ich kramte in der dritten Schublade herum, fand meine Kette aus Türkisen, zog sie mir über den Kopf und stopfte sie unters Hemd. Immerhin höre ich mich gut an, dachte ich und spürte, wie in meiner Brust das irre Bedürfnis hochstieg, einfach loszulachen. Ich klinge gar nicht, als würde ich mir gleich vor Angst in die Hose machen. Ein Punkt für mich.
„Der Fürst erwartet dich zu einer Audienz“, sagte der Dämon.
Vermutlich hört es der Fürst der Hölle nicht gern, wenn man ihn Teufel nennt. An jedem anderen Tag hätte ich das vermutlich komisch gefunden. „Wie soll ich dich eigentlich nennen?“, fragte ich beiläufig.
„Du kannst mich mit Jaf anreden“, antwortete er nach einer langen, knisternden Pause.
Mist, dachte ich. Wenn er mir seinen Namen gesagt hätte, hätte ich vielleicht etwas damit anfangen können. „Jaf“ allerdings konnte ein Witz oder ein Spitzname sein. Dämonen waren verschlagen. „Nett, dich kennenzulernen, Jaf“, sagte ich. „Wie kommt’s, dass du dich mit Botengängen abgeben musst?“
„Es handelt sich um eine delikate Angelegenheit.“ Er klang wie ein Politiker. Ich schob das Stilett in die Scheide in meinem Ärmel und drehte mich um. Er beobachtete mich. „Diskretion wäre durchaus angebracht.“
„In Diskretion bin ich gut“, versicherte ich und rückte die Tasche zurecht.
„In dem Punkt bist du durchaus noch verbesserungswürdig“, antwortete er, ohne eine Miene zu verziehen.
Ich zuckte mit den Schultern. „Dass wir noch auf ein paar Drinks einkehren, kann ich mir wohl abschminken.“
„Du bist bereits spät dran.“
Als würde man mit einem Roboter reden. Hätte ich mich an der Akademie doch bloß mehr mit dem Thema Dämonen beschäftigt! Es war nicht üblich, dass sie Waffen trugen. Ich zermarterte mir das Gehirn, ob ich schon jemals von einem bewaffneten Dämon gehört hatte.
Mir fiel keiner ein. Klar, ich war ja auch kein Magi, mit Dämonen hatte ich nichts zu schaffen. Nur mit Toten.
Ich trug mein Schwert in den Flur und wartete auf ihn. „Geh voraus“, sagte ich. „Ich muss das Haus absperren.“
Er nickte. Als er an mir vorbeiging, streifte er mich leicht, und sein Dämonengeruch hüllte mich ein – in einem geschlossenen Raum verfärbt sich dabei die Luft, das psychische Äquivalent zu statischer Aufladung. Ich ging hinter ihm her und aktivierte aus langer Gewohnheit das Sicherheitssystem um mein Haus. Die Psenergie verschob und schloss sich wie eine Luftschleuse in einem alten B-Movie. Regen peitschte herab und klatschte in dicken Tropfen auf das Vordach und den gepflasterten Weg. Der Garten bog und verneigte sich unter den Wassermassen.
Ich folgte dem Dämon den Weg hinunter. Der Regen traf ihn nicht – andererseits, wie hätte ich das feststellen wollen, sein Haar war so schwarz, dass es sowieso schon nass aussah. Genau wie sein langer, dunkler, hochgeschlossener Mantel. Meine Stiefel machten bei jedem Schritt ein schmatzendes Geräusch. Ich überlegte mir, ob ich in die zweifelhafte Sicherheit meines Hauses zurückstürzen sollte.
Der Dämon sah mich über die Schulter hinweg an, seine grünen Augen blitzten im Regen. „Folge mir“, sagte er.
„Habe ich denn eine andere Wahl?“ Ich spreizte ein wenig die Finger, um auf den Regen hinzuweisen. „Entschuldige mal, aber hier draußen ist es ekelhaft nass. Ich will mir schließlich keine Lungenentzündung holen und seiner Majestät ins Gesicht niesen.“
Er trabte los, die Straße hinunter. Ich blickte mich um. Weit und breit kein Auto. Sollte ich etwa zu Fuß in die Hölle gehen?
Am Ende des Blocks wandte der Dämon sich nach links. Ich trottete ihm hinterher. Offensichtlich musste ich wirklich latschen.
Klasse.

Szenentrenner


Kapitel 3

Wenn man in der U-Bahn mit einem Schwert unterwegs ist, halten die Leute meistens einen gewissen Abstand, selbst in überfüllten Gleitzügen. Ich bin eine zugelassene und tätowierte Nekromantin und darf auf der Straße alles tragen außer einem Sturmgewehr, und in Transportmitteln sogar scharfes Metall. Die 30.000 Credits, die ich an der Akademie für Prüfungen und Zulassung hingeblättert hatte, waren das Beste, was ich je für meine persönliche Sicherheit getan hatte.
Auch wenn mir die Abschlussprüfungen ein paar graue Haare beschert hatten. Zugelassene Nekromanten gab es nicht allzu viele.
Der Dämon hielt mir die Leute ebenfalls vom Leib. Zwar konnten die normalen Menschen nicht genau wissen, was er war, sie machten aber trotzdem einen weiten Bogen um ihn. Normale Menschen können psychische Kraft und Energieverschiebungen nicht sehen, aber wenn diese stark genug sind, können sie sie fühlen, wie einen kalten Luftzug.
Auf der Treppe zur U-Bahn ging Jaf langsamer, bis ich ihn eingeholt hatte, zeigte mir, welchen Eingang wir nehmen würden, und warf zwei altmodische Chips ein. Ich versuchte den Schauer zu unterdrücken, der mich dabei überlief – Dämonen zahlen normalerweise nie für irgendetwas. Was in Dreidämonennamen war hier eigentlich los? Wir stiegen in den Zug Richtung Süden. Der Druck der Menschenmassen schwappte weich und erstickend gegen meine mentalen Grenzen. Meine Fingerknöchel waren weiß, die Schwertscheide hielt ich fest umklammert. Der Dämon stand ein Stück hinter mir, und mein Rücken prickelte bei dem Gedanken – er könnte mir ein Messer zwischen die Rippen stoßen und mich einfach hier liegen lassen, Götter, beschützt mich. Das Jaulen des Antigrav vibrierte in meinen Backenzähnen, als der nachgerüstete Zug auf seinen Gleisen voll reaktiven Fetts dahinglitt. Der Antigrav ließ jeden Stoß zu einer seltsam fließenden Empfindung werden.
Gewisper und Gemurmel erfüllten das Abteil. Ein kleines blondes Mädchen in Schuluniform starrte mir ins Gesicht. Vermutlich musterte sie die Tätowierung auf meiner linken Wange, einen verschlungenen Merkurstab, an dessen Spitze ein funkelnder Smaragd sitzt. Smaragde sind das Erkennungszeichen der Nekromanten – als ob irgendjemand das Schwert hätte übersehen können. Ich lächelte sie an, und sie lächelte zurück. Ihre blauen Augen strahlten. Die Mutter, die eine käsigweiße Gesichtsfarbe hatte und über und über mit Einkaufstaschen behängt war, bemerkte es, sog scharf die Luft ein und zog das Kind ein bisschen näher an sich heran als unbedingt nötig.
Mein Lächeln erlosch.
Als der Zug durch eine Kurve schoss, rempelte mich der Dämon leicht an. Nervös machte ich einen Satz, und wenn es die Menschenmassen erlaubt hätten, hätte ich mich am liebsten davongeschlichen. So aber stieß ich versehentlich mit dem Ellbogen eine ältere Frau mit einer knisternden Plastiktüte, die einen würdelosen Quiekser von sich gab.
Genau deshalb fahre ich nie mit öffentlichen Verkehrsmitteln, dachte ich und lächelte die Frau entschuldigend an. Die Frau erbleichte unter ihrer grauen Haube, hustete und sah ganz schnell weg.
Ich seufzte, und wieder erstarb mein Lächeln. Wieso versuche ich es eigentlich immer wieder? Die sehen ja doch nur meine Tätowierung.
Ausnahmslos alle normalen Menschen fürchten sich vor Psionen – sie werden von der atavistischen Angst beherrscht, dass wir ihre Gedanken lesen können und über sie lachen und dass wir irgendeinen ruchlosen Plan aushecken, um sie zu unseren mentalen Sklaven zu machen. Gerade solchen Befürchtungen hatten Tätowierung und Zulassung eigentlich Rechnung tragen sollen, indem sie Psionen eindeutig erkennbar machten und genau kontrollierten, wer psychische Dienste gegen Bezahlung anbieten durfte – aber damit waren wir nur noch mehr dem Hass ausgesetzt. Normale Menschen können sich einfach nicht vorstellen, dass für uns das Eintauchen in ihre Gedanken wie ein Bad in einem Abwasserkanal ist. Nur in dringenden Notfällen würde ein Psi freiwillig in die Gedanken eines normalen Menschen eindringen. Das Parapsycho-Gesetz hatte dafür gesorgt, dass Psionen nicht länger wie Vieh ge- und verkauft wurden, aber den Hass hatte es nicht abschaffen können. Auch nicht die Angst, aus der sich der Hass nährte.
Sechs Haltestellen später hatte ich es gründlich satt, dass Leute, die sich in das Abteil zwängen wollten, bei meinem Anblick hastig den Rückzug antraten. Weitere drei Haltestellen später war der Zug weitgehend leer, nachdem wir die Innenstadt rasch hinter uns gelassen hatten. Das kleine Mädchen hielt die Hand seiner Mutter und starrte mich immer noch an, und am anderen Ende des Wagens hockte eine Gruppe jugendlicher Schlägertypen, deren Gesichter in dem Neonlicht blassgelb aussahen. Sie murmelten leise vor sich hin. Ich hatte mich mit dem rechten Arm an einer der Stangen eingehängt, um die Hand frei zu haben, für den Fall, dass ich das Schwert ziehen müsste. Bakterienverseuchte U-Bahn-Sitze konnte ich nicht ausstehen.
„Nächste Haltestelle“, sagte Jaf-der-Dämon. Ich nickte. Er stand immer noch sehr dicht neben mir, und der Geruch nach Dämon überlagerte die abgestandene Luft und die Ausdünstungen der U-Bahn. Ich warf einen Blick zum anderen Ende des Abteils und sah, dass sich die jungen Männer gegenseitig anstießen und miteinander flüsterten.
Na klasse. Sah aus, als wollte mal wieder ein Rowdie herausfinden, ob mein Schwert nur Schau war. Ich habe nie verstanden, warum manche Nekromanten ihre Schwerter nur zu zeremoniellen Zwecken bei Erscheinungen nutzen. Wenn man schon die Erlaubnis hat, ein Schwert zu tragen, sollte man auch wissen, wie man damit umgeht. Andererseits sind nur die wenigsten Nekromanten als Söldner tätig, sie leben einfach in miesen kleinen Wohnungen, bis sie ihre Zulassungsgebühren abgestottert haben, und versuchen erst dann, ein Haus zu kaufen. Und ich? Ich hatte mich für den schnelleren Weg entschieden. Wie immer.
Einer der Jungs stand auf und stampfte den Mittelgang entlang. Als er an der Mutter des kleinen Mädchens vorbeiging, einer stattlichen Brünetten in Krankenschwesterkleidung und Nikesi-Turnschuhen, zog sie ihre Tochter noch näher an sich heran, wobei ihre drei Plastiktüten laut raschelten. Der pickelige junge Mann baute sich direkt vor mir auf. Er roch weder nach Chill noch nach Hasch, und das war schon mal gut; ein Schläger auf Chill hätte die ganze Situation in kürzester Zeit eskalieren lassen. Andererseits – wenn er stocknüchtern war und trotzdem derart blöd ... „Hallo Süße“, sagte er und ließ die Augen von meinen Füßen über meine Brust zu meiner Wange und dann wieder zurück zu meiner Brust wandern. „Was liegt an?“
„Nichts“, antwortete ich so leise und neutral wie möglich.
„Die Klinge, die du da hast – darfst du die denn auch tragen, Süße?“
Ich drehte den Kopf ein wenig zur Seite. Der Smaragd musste in dem grellen Licht glitzern und blitzen. „Klar darf ich die tragen“, sagte ich. „Und ich weiß sogar, wie man damit umgeht. Also verzieh dich wieder zu deinen Freunden, du Clown.“
Sein feuchtes Fischmaul öffnete und schloss sich in sprachlosem Erstaunen. Dann fuhr seine Hand an seinen Hosenbund.
Mir blieb nur der Bruchteil einer Sekunde, um zu entscheiden, ob er bewaffnet war oder einfach nur Ärger machen wollte. Die Entscheidung wurde mir allerdings abgenommen, denn der Dämon schubste mich zur Seite und versetzte dem Bürschchen einen Schlag. Es war bloß ein Schlag mit dem Handrücken, aber dennoch flog der Knabe bis zum anderen Ende des Abteils und landete inmitten der aufmüpfigen Teenager.
Ich seufzte. „Scheiße.“ Sobald ich mein Gleichgewicht wiedergefunden hatte, ließ ich die Stange los. „Das hätte echt nicht sein müssen.“
Dann zog einer der Freunde des Punks eine Transom 987 Projektil-Waffe. Ich kauerte mich nieder, obwohl es keine Deckung gab. Der Dämon setzte sich in Bewegung, schritt an mir vorbei, und ich sah zu, wie die Geschichte ihren vorhersehbaren Lauf nahm.
Die Kids spritzten von ihren Sitzen hoch. Einer von ihnen hievte seinen verletzten, pickeligen Freund in die Senkrechte. Alle trugen sie schwarze Denim-Jacken und grüne Bandanas – wieder mal eine Minigang.
In null Komma nichts hatte der Dämon das Abteil durchquert und dem Jungen die illegale Waffe aus der Hand geschlagen – illegal, wenn man weder eine Zulassung hat noch Polizist ist. Sie schlidderte über den Boden. Die Krankenschwester hielt ihrer Tochter die Ohren zu und starrte mit offenem Mund auf das Geschehen. Ich sprang auf, zog mein Schwert aus der Scheide und stellte mich zwischen sie und die Gang. Der Dämon hatte einem der Jungs den Arm gebrochen und packte gerade den Schützen an der Kehle. Lässig wie eine Katze, die mit einer Maus spielt, schüttelte er ihn hin und her.
„Steigen Sie an der nächsten Haltestelle aus“, empfahl ich der Mutter. „Hören Sie auf mich.“
Sie nickte. Ihre Augen waren vor Angst weit aufgerissen und schimmerten feucht. Das kleine Mädchen starrte mich an.
Ich drehte mich um. Rund um den Dämon lagen zusammengesackte Körper. „Hallo!“, rief ich. In der rechten Hand hielt ich das Schwert waagerecht vor der Brust, in der linken die verstärkte Scheide so, dass ich sie als Schild benutzen konnte. Eine reichlich unorthodoxe Art, ein Katana zu halten, aber Jado-sensei hatte Überleben immer für wichtiger gehalten als orthodoxes Vorgehen, und ich konnte ihm da nur zustimmen. Falls der Dämon auf mich losgehen sollte, konnte ich ihn mir mit der Klinge eine Zeitlang vom Hals halten, und dann noch ein bisschen mittels Psenergie. Natürlich würde er mich bei lebendigem Leib verspeisen, aber zumindest war ich nicht völlig wehrlos.
Er drehte sich um und rieb über seine Hände, als wolle er Staub abwischen. Einer der Jungs stöhnte. „Ja?“ Dieselbe kühle, roboterartige Stimme.
„Du hast doch hoffentlich niemanden umgebracht?“, fragte ich.
Gleißend grüne Augen versengten die Luft. Er zuckte mit den Schultern. „Das würde bloß Ärger geben.“
„Ist das jetzt ein Ja oder ein Nein?“ Ich verstärkte den Griff um das Heft. „Hast du einen von ihnen umgebracht?“ Ich hatte keine Lust auf den ganzen Papierkram, auch wenn es sich um ein Tötungsdelikt in Notwehr handelte.
„Nein, sie werden es überleben“, antwortete er und warf einen Blick nach unten. Dann trat er geziert aus dem Kreis heraus, den die Körper bildeten.
„Anubis et’her ka“, hauchte ich. Anubis, beschütze mich.
Der Dämon hatte die Lippen zu einer dünnen Linie zusammengepresst. Der Zug bremste abrupt, und ich kippte nach hinten, sodass nur noch meine Absätze den Boden berührten. Wenn er mich angreifen wollte, war dies genau der richtige Moment. „Der Fürst wünscht, dass ich dich unversehrt bei ihm abliefere“, sagte er und trat zur Tür, ohne mein Schwert aus den Augen zu lassen.
„Erinnere mich dran, dass ich mich bei ihm dafür bedanke“, gab ich patzig zurück und versuchte den Staub runterzuschlucken, den ich plötzlich im Mund hatte. Ich fragte mich, welche weiteren „Wünsche“ der Fürst wohl noch geäußert hatte.

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