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Startseite > Bücher > Fantasy > Bastei > Uschi Zietsch > FYRGAR - VOLK DES FEUERS > Leseproben > 1. - Der halbe Mensch

1. - Der halbe Mensch

FYRGAR - VOLK DES FEUERS

Uschi Zietsch
Roman / Fantasy

Bastei

Taschenbuch
ISBN: 978-340428549-5

Nov. 2010, 14.00 EUR

So gehe denn durch das Feuer.
Möge es dich ewig begleiten, dich leiten und schützen, und dir Heilung spenden. Mögest du Teil werden der Urkraft und ihr Hüter. Gib das Feuer weiter in Dankbarkeit und Demut, um zu leiten, zu wärmen und zu dienen. Bewahre, was dir gegeben wurde, und halte es in Ehren. Missbrauche niemals seine Macht und nimm sein Urteil an, sobald es gefällt ist.
Das Feuer ist dein Baiku, und dein Baiku ist das Feuer.
Und dies bist du: Fyrgar.


Erstes Leben

Das stolze Kind

1. - Der halbe Mensch

Aldavinur hätte auf den Rat hören sollen.
Nur wie hätte er ahnen können, was daraus erwachsen würde. Wie hätte er vom Verborgenen wissen sollen, das schon so lange existierte und nun erst zutage trat, wenn es doch nicht einmal die Götter erkannt hatten.
Aber Aldavinur war es, der den Fehler beging, ans Ende seiner Weisheit zu gelangen.
Der Morgen tropfte kühl auf den Fyrgar herab. Spinnweb war angebrochen und färbte die Welt vor seinen Augen grau. Der schwere Sturm der vergangenen Nacht hatte endlich nachgelassen, doch es sah nicht so aus, als würde das Wetter bald besser werden. Schwarze Wolken zogen zwischen den Gipfeln hindurch, und jedes Mal, wenn sie sich an schroffem Gestein stießen und sich verletzten, weinten sie bittere Tränen, die schwer auf Aldavinurs Fell platschten. Er schüttelte sich, und die Fontänen aus seinen Haaren vereinigten sich mit dem Wolkenblut und prallten auf Felskanten, fielen weiter hinab auf Klippen und Grate, sprangen, in Rinnen und Gräben, flossen zusammen und schwollen weiter an. Breite Ströme ergossen sich in Schluchten und Senken wie Wasserfälle und rauschten in schäumenden Fluten immer steiler hinab in die ferne Welt dort unten, die darob zu bedauern war, fand Aldavinur, denn sie war schutzlos ausgeliefert.
Die langen Grannenhaare legten sich wieder eng über das Unterfell, damit keine Feuchtigkeit hindurchdringen konnte. doch Aldavinurs Kopf und seine Pfoten waren triefnass, und dementsprechend mürrisch war seine Miene. Einige Angehörige seines Volkes schätzten den Regen, aber er gehörte nicht dazu. Die dichte Winterwolle seines blauschwarzen Fells saugte sich bei zu lange andauernden Schauern voll, wurde prall und schwer, und nahm ihm jeglichen Schwung in der Bewegung. An Jagd war dann kaum zu denken.
»Meister!«
Eine Stimme, hell wie ein Glockenläuten, drang in seine trüben Gedanken, schob den grauen Schleier einfach fort und ließ für einen Augenblick sogar den Regen innehalten. Aldavinur brummte und richtete die langen, spitzen Ohren auf, bewegte sie leicht in die Richtung, aus der die Stimme erklungen war.
»Efrynn, wieso bist du so früh schon auf?«
»Ich habe ein Geräusch gehört, Meister, und wollte nachsehen!«
»Geräusche gibt es hier viele, närrisches Kind, selbst die Steine stoßen Töne aus, wenn sie in der glühenden Hitze ihre Hülle sprengen oder mit dem Regen plaudern, so wie jetzt.«
Manche Flachländer dort unten suchten in einem Augenblick tiefer Lebensverzweiflung den Weg in die Berge, um Stille zu finden. Was für ein törichter Gedanke. Selbst die Kälte hatte hier oben vierunddreißig verschiedene Klänge, und erst der Ton des Schnees! Er war wechselvoll, je nach Tageszeit, oder wenn man ihn berührte. Aldavinur hatte einst an einem Wettstreit teilgenommen und als Sieger eintausendachthundert Schneetöne gezählt, doch das waren bei weitem nicht alle, die es gab. Und wie viel mehr erst erklangen bei Regen und wenn der Morgentau trocknete … hier holten sich die Barden der Fyrgar ihre Inspiration, um ihre einzigartigen Melodien zu schaffen.
»Meister, du hörst mir nicht zu!«
»Sollte ich das?«
Das Kind sprang lachend über die Felsklippen heran. Der Regen konnte seiner glatten Schuppenhaut nichts anhaben, er perlte einfach in funkelnden Tropfen ab. Alles an Efrynn war Farbe, selbst in diesem Morgengrau. Je nachdem wie das Licht auftraf, schimmerten seine Schuppen hell oder dunkel, in allen Farben des Regenbogens, ineinandergegossen und vermischt. Purpur und Violett herrschten an Kopf und Rumpf vor,, durchsetzt von zarten Blautönen; am Bauch und an den Gliedmaßen wechselte es zu Grün und Gelb. Seine Kopfhörner fingen gerade an, sich auszubilden, und auch die Schuppen an seinen Wangen wurden allmählich länger. Ebenso wuchs sein kurzer Schwanz und bildete an der Spitze Stacheln aus.
Die großen, stets fragend wirkenden Augen des Kindes schillerten ebenfalls vielfarbig wie edle Opale mit goldener Einfassung um die schlitzförmigen schwarzen Pupillen. Wie alle Kinder war Efrynn sehr lebhaft und kaum zu bändigen, ging jeden Tag auf Abenteuerreise und unternahm alle möglichen Versuche, sich den Hals zu brechen.
»Der Regen hört auf«, bemerkte Efrynn strahlend, als er bei seinem Meister angekommen war.
»Das ist mir nicht entgangen.«
So war es doch meistens. Nicht einmal schlechtes Wetter konnte sich bei dieser Erscheinung halten. Das Kind war von einem ganz besonderen Glanz umgeben, der weithin strahlte. Efrynn ließ bei jeder Bewegung eine unverwechselbare Melodie erklingen, der sogar die Elemente verzückt lauschten.
»Was für ein Geräusch hast du gehört, Efrynn?«, fragte Aldavinur nun.
»Ein sehr fremdes«, antwortete der Junge. »Einen Klagelaut, der von keinem Tier kam, das wir jagen. Er passte zu nichts, was hierher gehört. Und vorher gab es das Geräusch eines Aufschlags, doch ich konnte nicht erkennen, wodurch es verursacht wurde.«
Aldavinur fragte sich, ob Efrynn jemals irgendetwas entging. Was die hellwachen Sinne betraf, war er seinem Lehrmeister sehr ähnlich. Kein anderer Fyrgar war hier draußen. Anscheinend waren sie beide die Einzigen, die eine Veränderung bemerkten. Oder die anderen achteten nicht darauf. Die Wahrnehmung eines Fyrgar war äußerst fein; Aldavinur konnte sich nicht vorstellen, dass niemand sonst den Schrei gehört hatte.
Sie beschränken sich wieder einmal aufs ferne Lauschen.
Das Hören war der wichtigste Sinn der Fyrgar, er konnte kaum getäuscht werden. Und hier oben, viele Tausend Schritte über dem Talgrund, war das Gebirge karg und reizlos, und es gab weniger Farben als Töne.
»Sehen wir nach?«, schlug Efrynn aufgeregt vor. Alles, was die tägliche Gleichförmigkeit des Lernens und Rezitierens unterbrach, begeisterte ihn, und die Aussicht auf ein Abenteuer umso mehr.
Aldavinur überlegte kurz, dann stimmte er zu. »Warum nicht.« Eine Gefahr, mit der nicht fertig wurde, würde wohl nicht drohen. Der unsterbliche Fyrgar war nicht nur Efrynns Lehrmeister, sondern auch verantwortlich für dessen Schutz, und er nahm diese Aufgabe sehr ernst. Efrynn war der kostbarste Schatz des Volkes. Dennoch konnte Aldavinur seinen Schützling nicht in Daunenfedern packen und für immer in seiner Höhle anketten. Er entwickelte sich beängstigend schnell und musste vorbereitet werden.
Außerdem würde Efrynn in seiner lebhaften Neugier nicht gehorchen, wenn er ihn jetzt zurückschickte; er würde ihm entweder heimlich folgen oder nach einem anderen, schnelleren Weg suchen, um herauszufinden, was geschehen war. Also war es besser, ihn unter seiner Aufsicht mitzunehmen und ihm gleichzeitig eine Lektion zu erteilen.
Auffordernd sah er seinen Schüler an. »Aus welcher Richtung kam das Geräusch?«
Efrynn deutete mit einer Kralle Richtung Sonnenuntergang, nach Westen, und nach unten, wo die messerscharfen Klingfelsen lagen. Das Gebiet war nicht ungefährlich. Aldavinur zögerte, ob er nicht vorschnell nachgegeben hatte, denn tatsächlich war das Geräusch von dort gekommen. Genau in jenem Augenblick, als der Sturm sich legte. Hatte der Wind sich etwa an den spitzen Felsenzähnen verfangen und war dazwischen zerrieben worden, bis er mit einem letzten Schrei erstarb?
Nein. Ein Lebewesen hatte in grellem Schmerz geschrien. Aldavinur kannte diese Art Schrei in Todesnot, die jeden, Fyrgar und Tier, gleichmachte.
»Habe ich recht, Meister?«
»Du hast recht.«
Efrynn stürmte los, und Aldavinur streckte blitzschnell seine Pranke aus, sodass Efrynn stolperte und ächzend auf den nasskalten Felsboden plumpste. Aldavinur schüttelte die Pfote, es hatte ihm beinahe das Vorderbein ausgekugelt. Efrynn hatte ordentlich an Gewicht zugelegt. Das nächste Mal konnte er ihn vielleicht nicht mehr aufhalten. »Du gehst hinter mir, verstanden?«
»Ja, Meister«, murmelte Efrynn und neigte den Kopf mit griesgrämiger Miene.
Ja, der Junge wuchs heran. Er war nicht mehr weit entfernt von der zweiten Stufe seiner Entwicklung. Vom Schüler zum Meister.
Aldavinur maß kurz die Entfernung, schätzte mit den Augen den Weg ab, dann spannte er die Oberschenkelmuskeln an und sprang mit einem geschmeidigen Satz hinunter auf den nächsten Vorsprung. »Schlaf nicht, Junge!«, rief er zu Efrynn hinauf, der einen Jubelschrei ausstieß. Ein rasanter Abstieg bevor, der Efrynns Gleichgewichtssinn und Geschicklichkeit einiges abverlangte.

Szenentrenner


Aldavinur wollte so schnell wie möglich der Ursache des Schreis auf den Grund gehen. Jeder Moment zählte. Der Tod kam schnell in den Bergen, erst recht zu dieser Jahreszeit, wenn die Felsen nass und kalt waren. Und nicht alle waren so zäh wie Fyrgar.
Der Weg verlangte große Sprünge über klaftertiefe Abgründe, und Landungen auf schmalen Felsgraten oder lockeren Brocken, auf denen jemand von Größe und Gewicht der beiden Fyrgar nicht länger als einen Atemzug verweilen durfte. Der richtige Absprungwinkel zum nächsten Ziel musste mit traumwandlerischer Sicherheit gefunden werden, zum Innehalten und Nachdenken war keine Zeit.
Es hatte aufgehört zu regnen, und hie und da brach sogar ein Sonnenstrahl durch die grauschwarzen Wolkenballungen. Aldavinurs feuchtes Fell glänzte wie schwarzblauer Schwertstahl, wenn er lang gestreckt zwischen Himmel und Abgrund dahinflog, und Wassertropfen sprühten in einem feinen Nebel auf, sobald seine schweren Pfoten festen Untergrund erreichten und er die gelben Krallen ausfuhr, um im Gestein Halt zu finden .
Ab und zu musste Aldavinur auf einem Vorsprung innehalten. Trotz seiner Jugend und Stärke und trotz seines Draufgängertums schaffte Efrynn es noch nicht, mit ihm Schritt zu halten. An seiner Gestalt lag es nicht, diese war wie geschaffen für das Gebirge, schlank und geschmeidig, mit beweglichen, muskulösen Gliedern, und er war sehr geschickt durch das ausdauernde Üben. Aber er war immer noch ein Kind und beherrschte seinen Körper bei Weitem nicht so vollkommen wie sein Meister.
Wie ein Regenbogen flirrte er durch die Luft im nächsten Sprung und kam außer Atem bei seinem Lehrmeister an. Er schnappte kurz nach Luft, sein Kopf ruckte hoch, und seine Nüstern blähten sich. »Meister, ich wittere etwas …«
Aldavinur nickte und deutete mit ausgestreckter Kralle nach links, ungefähr fünfzig Höhenschritte unter ihnen. Spitz und steil ragten die Klingfelsen auf, voller Zacken und Sporne. Abweisend gegen jeden, der keine Flügel besaß oder nicht mehr als vier Beine.
»Meine Eltern haben mir verboten, dorthin zu gehen«, sagte Efrynn.
»Aus gutem Grund«, erklärte Aldavinur. Er hatte den Jungen in letzter Zeit einige Male dabei ertappt, wie der sich heimlich hinunterschleichen wollte. »Du musst sehr vorsichtig sein und darfst keinen falschen Schritt tun. Sprich nicht, stoße keinen Laut aus. Halte dich genau an meine Anweisungen!«.
Vorsichtig kletterte er den steilen Felsgrat hinunter. Hier, zwischen den Bergen, trafen verschiedene Luftschichten aufeinander und erzeugten ihren eigenen Wind, der sich niemals über die Grate erhob, sondern durch die Schluchten und Täler donnerte, schneller und zerstörerischer als ein Wolkensturm.
Dieser Wind war es auch, der die Klingfelsen umwarb und umschmeichelte, der mit ihnen spielte wie auf einer Harfe und ihnen Lieder entlockte, die von Krallen handelten, von Blut und Tod, von Schneidschlingen und Würgenetzen, von Giftzähnen und Stacheln. Es waren schaurige Lieder, die dem, der ihre Sprache nicht verstand, allein schon wegen ihres Klangs die Haare zu Berge stehen ließen.
Die Fyrgar ertrugen diese schrillen Misstöne nicht, und für Aldavinurs besonders empfindliche Ohren waren sie eine Qual. Es fiel ihm schwer, Gleichmut zu bewahren und die Klingfelsen als Teil des großen Ganzen zu sehen. Hohn und Spott verbreiteten sie über die Täler. Nicht einmal Flechten konnten dort wachsen, wo deren Schall hindrang.
Nur eine einzige, zumeist sehr verborgene Lebensform gedieh in harmonischer Eintracht mit den spitzen, schmalen, messerscharfen Felskanten, die aufragten wie gebogene Zähne und Stacheln. Es gab nur wenige Stellen dort unten, an denen Pranken oder Hände Halt fanden, kaum Überhänge und Hochflächen, nur Löcher, Spalten und Höhlen, in die kein Licht eindringen konnte, aus denen nur Finsternis herausdrang. Viele der kleinen Löcher waren rund und so angeordnet, dass der Wind hindurchstrich wie bei einer Flöte und das schaurige Konzert nur noch verstärkte.
Efrynn schob sich neben Aldavinur, und er konnte sehen, dass dem Jungen nun doch etwas von seinem Forscherdrang und Mut abhandengekommen war. Mit dem Kopf nach unten zu verharren behagte ihm nicht sonderlich, und der Blick hinüber war wenig erbaulich. »Meister, es klingt furchtbar«, flüsterte er seinem Beschützer zu. Seine Wangenschuppen sträubten sich. »So schlimm hat es sich noch nie an angehört …«
»Sie rufen zur Jagd«, murmelte Aldavinur. Efrynn war manchmal recht ungeschickt. Er hatte gerade zugegeben, dass er sich schon mehrmals heimlich hierhergeschlichen hatte. Doch der Lehrmeister verzichtete auf eine Ermahnung. »Das sind nicht nur die Felsen, die da singen.«
»Aber ich sehe nichts …«
Auch Aldavinur konnte nichts erkennen, und das beunruhigte ihn. Kein hauchfeines Gespinst, kein abgesetztes Schwarz vor den silbergrauen Felsen. Und das zu Spinnweb! Erstaunlich, denn gerade jetzt kamen sie häufiger hervor. Oft verirrten sich Zugvögel oder Klippspringer auf der Reise in tiefere, wärmere Gefilde hierher. Sie waren willkommene Beute vor dem Schlaf bis zum Frühjahr. Den Winter hier oben hielten nur wenige Tiere ohne Winterschlaf aus, und auch Aldavinur musste daran denken, bald Vorräte anzulegen.
»Du solltest besser hierbleiben und mir Rückendeckung geben«, ordnete er an.
Efrynn schüttelte heftig den Kopf. »Du wirst mich hier nicht auf halber Höhe im Zwischennichts zurücklassen, Meister! Ich gehe mit dir dorthin.«
»Du hast zu gehorchen.«
»Aber in diesem Fall gehorche ich nicht!«
Aldavinur richtete seine Turmalinaugen auf den aufsässigen Jungen, und der wich rasch dem Blick aus, doch seine trotzige Miene blieb.
»Da braucht jemand unsere Hilfe, und du wirst auf meine Unterstützung nicht verzichten können, Meister!«
Aus diesem Grund trug er den Namen: das stolze Kind.
Erneut unterließ Aldavinur den Tadel. »Wem auch immer hier etwas zugestoßen ist, der ist nicht mehr am Leben, Efrynn. Ich gehe nur nachsehen, welche Ursache das hatte, um nötigenfalls Vorsorge zu treffen, dass es kein zweites Mal passiert.«
»Und wenn du dich irrst? Außerdem können die da drin mir nichts anhaben. Ich bin sehr schuppig, anders als du.« Er spannte die Rückenmuskeln an, und kleine Stacheln richteten sich auf. »Siehst du?«
»Seit wann …«, entfuhr es Aldavinur verblüfft. Er unterbrach sich und winkte mit einer Pranke ab. »Wir sprechen nachher darüber. Also gut. Du darfst mitkommen – aber von jetzt an wirst du mir widerspruchslos gehorchen.«
»Verstanden, Meister!«, versicherte Efrynn eifrig. Seine Wangen glühten rot auf.

Szenentrenner


Aldavinur stieß sich ab und überwand den Abgrund zwischen den beiden Bergen, durch die verwirbelten Luftströme hindurch. Das war die unsichtbare Grenze zwischen dem östlichen und dem südlichen Gebirgszug, hier endete das Gebiet der Fyrgar. Wenn man von den Klingfelsen aus immer weiter südlich wanderte, gelangte man zur Unendlichen Wüste, die sich von Osten nach Westen, von Meer zu Meerbusen zog, von Luvgar bis Nerovia. Auf der anderen Seite des Meerbusens lag Ishgalad, von dem man heute nicht mehr viel wusste. Die Seefahrer bereisten nur die Inseln dazwischen, bis zu einer gewissen, nie verbürgt festgelegten Grenze, aber keinesfalls bis in das große Reich des Westens. Umgekehrt schien auch Ishgalad diese geheimnisvolle Grenze zu achten, denn nie kam es zu einer Begegnung auf See.
Diese Trennung des Reiches geschah vor langer Zeit während des Titanenkrieges, als Götter und Mächtige um die Herrschaft über Waldsee kämpften. Die letzte Schlacht fand auf dem Titanenfeld in Valia statt und endete in einem solch schrecklichen Gemetzel, dass dies das Ende des Krieges bedeutete, ohne dass es einen Sieger gegeben hätte. Die ursprünglichen Vier Königreiche waren für immer zerstört, und Ishgalad wurde zudem durch eine gewaltige Katastrophe von den anderen Reichen getrennt, ein riesiges Loch tat sich durch einen Einschlag plötzlich auf im Kontinent und füllte sich in einer gewaltigen Springflut mit Meerwasser. Ein Dämon sollte dies ausgelöst haben, hieß es, der in der Schlacht verwundet wurde und dessen austretende Lebensessenz das Gefüge der Welt aus dem Lot gebracht hatte. Es war natürlich eine Legende, aber nicht unmöglich, wenn man bedachte, dass an jenem Tag auch Götter fielen, dunkle ebenso wie helle.
Nur ein schmaler Streifen Land blieb erhalten, eine tödlich heiße Wüste im äußersten Süden, doch dieses Gebiet war noch niemals durchquert worden. Seit der Titanenschlacht war Ishgalad von den anderen Ländern getrennt, und es kam nie wieder zu einer Verbindung, nicht einmal mittels den Luftschiffen der Daranil. Es war, als läge dazwischen nicht nur das Meer, sondern auch eine Schutzmauer.
Seltsam, dass Aldavinur sich genau in dem Moment daran erinnerte, als sein Körper durch die Luft flog, bevor er geschmeidig auf der anderen Seite aufkam und sich mit steil hochgerecktem Schwanz auf einem schmalen Grat im Gleichgewicht hielt. Als hätte der Gesang der Lüfte diese Bilder in ihm hervorgerufen, irgendwelche Überbleibsel des nächtlichen Sturms aus Westen. Eine Botschaft, die er durch Zufall empfing? Hatte er je daran gedacht, mehr über Ishgalad herauszufinden? Schließlich rühmten sich die Fyrgar, dass sie alles wüssten über Waldsee.
»Das Wissen kommt zu uns, wenn es an der Zeit ist«, lautete ein Spruch des Volkes. »Was wir nicht wissen, hat keine Bedeutung.« Die Fyrgar warteten seit je her ab. Früher oder später erfuhren sie alles. Und sie würden ebenso alles bewahren.
Efrynn hatte ab und zu davon gesprochen, wenigstens einmal das ganze Gebirge zu durchwandern, um mit eigenen Augen zu sehen, was er nur vom Hörensagen wusste. Seine Eltern waren über dieses Ansinnen entsetzt gewesen. Fyrgar wanderten nicht, sie blieben und bewahrten, beobachteten und lauschten, ließen das Wissen zu sich kommen. Sie versuchten, den Göttern so nah zu sein wie möglich, vor allem Lúvenor, dem Schöpfergott und Beschützer der Alten Völker, zu denen auch die Fyrgar gehörten.
Aldavinur hatte den Jungen streng ermahnt, doch wie konnte er einen solchen Forscherdrang ausmerzen? Das war unmöglich. Deshalb nahm er Efrynn jetzt mit, das heutige Abenteuer würde ihn wieder für einige Zeit zufriedenstellen, bevor er von neuer Ruhelosigkeit erfüllt würde. Und Efrynn, das stolze Kind, musste Erfahrungen sammeln, um zu erkennen, wie falsch sein Streben war.
Es gab Fyrgar, die ebenso ruhelos waren wie der Junge. In früheren Zeiten war es immer wieder vorgekommen, dass der eine oder andere nach dem Gang durch das Feuer auf die Dritte Stufe die Berge verließ, um im Tiefland seine Dienste anzubieten. Dort unten nannte man diese sterblich gewordenen Fyrgar ehrfürchtig »die Flammenritter«, weil sie den Umgang mit dem Schwert in Vollendung beherrschten, doch bei ihrem eigenen Volk galten sie als Narren und vor allem als blutgierige Söldner. Man sprach nicht über sie. Die letzten Fyrgar waren wohl vor tausend Jahren gegangen, aber Aldavinur hatte keinen von ihnen gekannt. Sie hatten ziemlich weit entfernt in den westlichen Ausläufern des Gebirges gelebt. Er hatte sich nicht darum gekümmert; wenn jemand gehen wollte, dann war es dessen freie Entscheidung. Er urteilte auch nicht über diese sogenannten »Abtrünnigen«, über die der Rat sich empörte.
Andererseits konnte er die Besorgnis durchaus verstehen, dass solches Verhalten eines Tages zu Verwicklungen führen konnte, wenn dadurch etwa die Lebensweise der Fyrgar bekannt würde oder wenn sich mehrere Tiefländer auf den Weg zu ihnen herauf machen würden. Ab und zu kam das zwar vor, aber es waren immer nur Einzelne, die den Pfad der Erleuchtung betreten wollten oder nach Erlösung suchten, und keiner von ihnen kehrte wieder zurück.
Aldavinurs erste Vermutung, nachdem er den Schrei gehört hatte, war deshalb, dass es sich um einen solchen ungeladenen Besucher handelte, dem etwas zugestoßen war. Vielleicht hing dies auch mit den Stürmen der letzten Zeit zusammen, die immer aus Westen kamen …

http://www.andrae-martyna.de/
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