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NATHANAEL -2-
Nathanael verfolgte den Dämon schon eine Weile, bis er am Ende der Straße um die Ecke bog. Dieses Mal würde er sich nicht von ihm abschütteln lassen. Was hatte der bloß in dem leeren Wohnblock vorhin gesucht? Wenn er den zu fassen bekam, würde er ihm die gewünschten Informationen aus seinem Schlund pressen und ihn umgehend in die Hölle zurückbefördern. Die besondere Fähigkeit dieses Dämons, seine Gestalt zu wandeln und mit seiner Umgebung zu verschmelzen, machte die Sache leider nicht einfacher. Nathanael beobachtete, wie er vor ihm auf das nächste Haus sprang. Mühelos setzte er nach und jagte ihn über die Dächer New Yorks. Zornig ballte Nathanael die Hände zu Fäusten, bevor auch er sich aufs nächste Dach katapultierte. Er stoppte, als der Dämon aus seinem Blickfeld verschwand. Verdammt! Wo war er geblieben? Unter ihm befand sich ein von Unrat übersäter Innenhof, aus dem es nach Urin, Abfällen und Rattenkot stank. Nathanael verzog angewidert das Gesicht. Langsam zog er das Messer mit der Sichelklinge aus der Scheide unter seiner Jacke hervor. Diese Waffe aus der Engelsschmiede war die wirkungsvollste gegen Dämonen. Ein präziser Wurf genügte, um einer dieser Kreaturen den Kopf vom Rumpf zu trennen. Er ließ sich lautlos in den Innenhof gleiten und verbarg sich in einer Mauernische. Das Messer fest umklammert wartete er auf ein verräterisches Zeichen des Dämons, um zuzuschlagen. Nichts regte sich, und er glaubte schon, sich geirrt zu haben. Plötzlich hörte er über sich kräftige Flügelschläge. Instinktiv drückte er sich fester gegen die Mauer. Eine geflügelte Gestalt befand sich im Sinkflug. Nathanael wagte nicht zu atmen. Die schwarzen Schwingen berührten fast sein Gesicht. Nicht nur sein Herz schlug Takte schneller, auch seine Muskeln spannten sich an. Ein Gefallener? Hier? Er konnte es nicht fassen. Seit über tausend Jahren hatte keiner mehr die Erde betreten. Das Gleichgewicht der Mächte musste sich verschoben haben. Warum wusste er dann nichts davon? Nathanael spürte ein Beben unter seinen Füßen, das ihn beunruhigte. Er neigte leicht den Kopf nach vorn und erkannte, dass der Boden aufriss und einen feuerroten Schlund offenbarte. Schwefeldämpfe stiegen aus der Spalte und erweckten mit dem fauligen Geruch Übelkeit. Hier befand sich ein Höllentor! Aus der Nähe hatte er noch keines gesehen. Der Dämon sprang aus dem Mauerschatten und stürzte sich mit wildem Gekreische in den roten Abgrund. Flammen loderten empor, begleitet von gelben Schwefelwolken. Der Gefallene eilte seinem Dämon hinterher, ohne dass Nathanael ihn erkennen konnte. Kaum waren die beiden im Untergrund verschwunden, verschloss sich die Oberfläche. Zurück blieb eine Wulst im Boden, die auch von einem Erdbeben oder Bauarbeiten stammen könnte. Nathanael stieß einen derben Fluch aus. Wieder war ihm der Dämon entwischt. Wütend trat er gegen eine Mülltonne, die mit lautem Scheppern umkippte. Der stinkende Unrat verteilte sich auf dem Pflaster des Innenhofs. Ratten huschten aufgeschreckt an der Mauer entlang. Er hasste diese stinkenden Viecher. Wegen ihnen war ihm der Dämon in der Kanalisation letzte Woche schon einmal entkommen, als sie sich in seinem Bein verbissen hatten. Heute trug die Rothaarige mit ihrer sinnlichen Ausstrahlung die Schuld daran, dass der Dämon ihm erneut entwischt war. Unter allen Wartenden in der U-Bahn war sie ihm sofort aufgefallen. Sie besaß eine Ausstrahlung, der er sich nicht entziehen konnte. Er hatte den Dämon laufen lassen, weil er ihr sogar in die U-Bahn gefolgt war, um sie aus der Nähe zu betrachten. Und es hatte sich gelohnt. Ein Lächeln huschte über seine Lippen, als er an ihre rosigen Brustwarzen dachte, die sich unter dem dünnen Blusenstoff abgezeichnet hatten. Nathanael war sich seiner Wirkung auf Frauen bewusst und hatte ein gewisses Gespür dafür entwickelt, ob sein Interesse erwidert wurde. Die Rothaarige war interessiert, sonst hätte sie sich eher aus seiner Umarmung befreit. Das Funkeln in ihren Augen und die harten Brustwarzen nach seiner Berührung waren ihm nicht entgangen. Aber auch er hatte gespürt, wie das Blut in seine Lenden geschossen war. Das heftige, aufflammende Begehren, das er in ihrer Gegenwart verspürt hatte, irritierte ihn. Das hatte er nach Gina nicht mehr in dieser Intensität empfunden. Nach dem Tod seiner Freundin hatte er nicht gerade wie ein Mönch gelebt, aber er hatte geschworen, sich nie mehr zu verlieben. Das Leben an seiner Seite war für eine Frau gefährlich, wie er schmerzlich hatte erfahren müssen. Gina war durch seine Schuld gestorben. Das würde er sich nie verzeihen. Er schloss die Augen und versuchte, sich ihr Gesicht in Erinnerung zu rufen, aber es verschwamm. Stattdessen formte sich ein anderes, schmales, umrahmt von roten Haaren. Verdammt! Diese Frau ging ihm einfach nicht aus dem Kopf! Wie würde sich ihre Haut unter seinen Fingern anfühlen? Ihre Brüste? Um das herauszufinden, würde er sich ins Zeug legen müssen, denn er spürte, dass sie nicht die Art Frau war, die sich leicht erobern ließ. Aber er vertraute voll und ganz seiner Erfahrung. Bislang war es ihm immer gelungen, jede Frau zu bekommen, die er begehrte. Nathanael lächelte bei der Vorstellung, sie bald in seinen Armen zu halten. Alles in ihm schrie danach, Tessa bald wiederzusehen. Wenig später schlenderte er auf dem Weg zu seiner Wohnung die düstere Hafenstraße entlang. Wie alle Mischwesen wohnte er im Engelsghetto, das aus einem Wohnblock und der Hell’s Bar, dem geheimen Treffpunkt der Blutengel und Propheten in New York, bestand. Ein eisiger Wind pfiff durch die verwaiste Straße, die durch die hohen Lagerhallen zu beiden Seiten wie eine Schlucht wirkte.– Schwarze Wolkenschleier fegten über den Himmel und verhüllten das Sternenlicht. Er stellte den Kragen seiner Jacke auf und vergrub die Hände tief in den Taschen. Die Straßenbeleuchtung war ausgefallen, es war stockfinster. Aber er verfügte über die Fähigkeit, auch in der Dunkelheit zu sehen. Selbst den Staub eines Dämons konnte er erkennen. Er schnitt eine Grimasse, als er an das Fiasko von vorhin dachte. Er blieb stehen, als er einen Luftzug vor sich wahrnahm, und zog das Flammenschwert aus der Scheide zwischen seinen Schulterblättern. Jeder Muskel seines Körpers war gespannt, bereit für einen eventuellen Kampf. Sein Blick suchte nach einer Kontur in der Dunkelheit. Eine Bewegung neben ihm ließ ihn herumfahren. Verblüfft starrte er seinen Vater an, der mit seiner fluoreszierenden Aura das Dunkel erhellte. Ganz in Gedanken versunken hatte er sein Kommen nicht gespürt. Es kam nur selten vor, dass sein Vater ihn aufsuchte, meistens aus einem unangenehmen Grund. Nathanael ahnte, weshalb er hier war. Er schob seine Waffe zurück in die Scheide. Sein Vater, Erzengel Michael, trug einen schwarzen, eng anliegenden Anzug, der seinen muskulösen Körper zur Geltung brachte. Seine Flügel verbarg er genau wie Nathanael auch zwischen den Schulterblättern, unter zwei roten Streifen in der Haut, die man auf den ersten Blick für Narben halten konnte. Es bedurfte großer Konzentration, die Flügel zum Einsatz zu bringen. Nathanael verzichtete meist darauf, sie zu nutzen. Es raubte viel Energie und dauerte zu lange, bis Haut und Fleisch an der Stelle, wo die Schwingen ausbrachen, wieder verheilt waren. Er brauchte Tage, um sich davon zu erholen. Blondes Haar fiel auf Michaels breite Schultern. Sein kantiges Gesicht schien wie aus Granit gemeißelt. Der bohrende Blick war der eines Kriegers, unter dem sich Nathanael als Kind unwohl gefühlt hatte. Heute empfand er nur noch Verachtung für den Erzengel. Michael hatte Gina sterben lassen, obwohl Erzengel Heilkräftebesaßen, die es ihnen ermöglichten, einen Menschen aus dem Totenreich ins Leben zurückzurufen. In seiner Verzweiflung hatte er damals seinen Vater angefleht, Gina zu retten, als sie sterbend in seinen Armen lag. Aber Michael hatte nur den Kopf geschüttelt und zugesehen, wie das Leben mit jedem Atemzug aus ihrem Körper wich, bevor er wortlos gegangen war. Das konnte er nicht verzeihen. Niemals! Genauso wenig wie er ihn mit «Vater» anreden könnte. Wie hatte er auch nur einen Moment daran glauben können, Michael würde sich einem Menschen gegenüber gnädig zeigen, wenn er nicht mal für seinen Sohn einen Funken Liebe empfand? Solange Nathanael noch ein Kind war, hatte Michael sich nicht für ihn interessiert. Erst als er dreizehn Jahre alt geworden war, erinnerte der Erzengel sich daran, einen Sohn zu besitzen. Gegen den Willen seiner Mutter nahm Michael ihn mit nach Rom, um sich seiner Erziehung zu widmen und ihn dort fern von allen, die er kannte und liebte, auf seine künftigen Aufgaben vorzubereiten. Nur selten konnte Nathanael seine Mutter besuchen. Erst nach ihrem Tod kehrte er nach New York zurück und lernte Gina kennen. Der Beginn ihrer Beziehung stand unter keine guten Stern, denn Gina wurde von den Nephilim, den Kindern Gefallener, verfolgt. Ausgerechnet den Sohn des gefallenen Engels Leviathan hatte sie in Notwehr erschossen, als er sie vergewaltigen wollte. Leviathan, der Günstling Luzifers, sandte seine Dämonen aus, um Gina zu töten. Nathanael konnte sie vor den Angriffen beschützen – bis zu jenem verhängnisvollen Tag. Michael bewegte sich mit der Kraft und Geschmeidigkeit eines Raubtiers auf ihn zu. Der goldene Schwertknauf seines Flammenschwertes, das er stets bei sich führte, ragte hinter seiner linken Schulter hervor. Seine tiefe Stimme holte Nathanael in die Gegenwart zurück. «Ich hatte dir doch einen Auftrag erteilt.» Der sanfte Tonfall hätte jeden getäuscht außer Nathanael. Er kannte seinen Vater gut genug, um zu wissen, dass er ihn hart bestrafen würde, wenn er den Auftrag nicht erfüllte. Die Frist war bereits vor einem Monat abgelaufen. Die anfangs simpel erscheinende Aufgabe, über die er gelacht hatte, war zu einer echten Herausforderung mutiert. Das Lachen war ihm schon lange vergangen. Nathanael hasste es zu versagen. «Ich brauche mehr Zeit.» Michaels Miene versteinerte angesichts seiner Forderung. «Noch immer renitent. Ich kann dir keinen Aufschub gewähren. Luzifer hat einen neuen Seelenpakt mit einem Irdischen geschlossen. Deshalb ist ein Gefallener hier. Er hat neue Dämonen erschaffen und mehr Verbündete unter den Irdischen, als du dir vorstellen kannst.» «Das habe ich befürchtet.» Knapp und sachlich umriss Nathanael das Geschehen von vorhin. Michael schnaubte, seine Miene verfinsterte sich. «Das bestätigt nur, wie dringend du deine Aufgabe erfüllen musst. Die Macht Luzifers wächst, wenn wir den Gefallenen nicht stoppen. Immer mehr Seelen werden ihm zum Opfer fallen. Unter meinem Gefolge ist Unruhe ausgebrochen. Es ist zu befürchten, dass noch einer überläuft. Ich muss die Pforten bewachen. Du bist von meinem Blut. Vernichte den Gefallenen und seine Dämonen. Erweise dich als Blutengel würdig. Enttäusche mich nicht, mein Sohn.» Michael unterstrich seine Worte mit einer entschiedenen Geste, die keinen Zweifel darüber ließ, dass er keinen Widerspruch duldete. Er beugte sich vor und sah Nathanael mit strengem Blick an. Nathanael wusste, sein Vater forderte jetzt von ihm das Versprechen. «Ich werde dich nicht enttäuschen, Michael.» Weitere Leseproben
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