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SHAH RA'ZAD von Uschi Zietsch
Ra’zads Eltern weinten bitterlich, als sie ihn ziehen lassen mussten. Aber wer hätte es je gewagt, der Shabune zu widersprechen? Schön und grausam, grausam-schön, das waren ihre Attribute, und sie besaß mehr Beinamen als ein Adler Federn, denn ihren Hauptnamen wagte niemand laut auszusprechen, geschweige denn überhaupt zu denken. Oder vielleicht wusste ihn auch keiner mehr. ![]() Also ging Ra’zad zu seinen Eltern und erzählte ihnen, dass die Shabune ihn zum Ehemann auserkoren habe. Ualed und Samulah schlugen die Hände über den Köpfen zusammen und fingen an zu weinen. Sie freuten sich nicht, dass ihr Sohn auserwählt worden war, sondern beklagten vielmehr ihr Schicksal, da Ra’zad in der Schmiede fehlen würde, und der Vater nun bis ans Lebensende schwer arbeiten musste, um ein Auskommen zu haben. Einen Lehrling könnten sie nicht annehmen, und wovon würden sie auf ihre alten Tage leben? Das sah Ra’zad als treusorgender Sohn ein und ging zurück zum Großwesir. »Was wird aus meinen Eltern, wenn ich fort bin?« »Sag ihnen, sie erhalten eine Rente, und es wird ihnen an nichts mangeln. Dein Vater soll sich einen fleißigen Gesellen suchen, der dereinst die Schmiede übernehmen kann, und sie ihm verpachten, da hat er ein zusätzliches Einkommen.« Ra’zad trug die Worte weiter, und seine Eltern waren getröstet, aber nur ein wenig. Denn wer würde ihre Einsamkeit lindern, wenn sie niemals die Gesellschaft der sanften Ehefrau ihres Sohnes hatten, und die Enkelkinder? Auch diese Frage leuchtete Ra’zad ein, und er stellte sie dem Großwesir. »Sag ihnen, wenn die Zeit gekommen ist, werden sie ein Haus in der Nähe des Palastes beziehen dürfen, wo sie fröhliches Kinderlachen hören können, und sie werden einmal in der Woche Besuch von ihren Enkeln und ihrem Sohn erhalten.« Ra’zad ging zu seinen Eltern und schloss: »Damit müssen wir zufrieden sein, denn mehr werden wir nicht erhalten.« »Aber was ist, wenn wir alt und gebrechlich sind und nicht mehr für uns sorgen können?« Der Großwesir, der inzwischen in der Tür stand, weil ihm dieser Abschied und das dauernde Hin und Her zu lang dauerte, antwortete schnarrend: »So werden wir Diener schicken, die euch pflegen. Und nun lasst euren Sohn ziehen, denn die Shabune, möge ihr Schatten uns Kühlung und Linderung spenden, wartet nicht gern.« Also nahmen sie tränenreichen Abschied. ![]() Ra’zad war es schon ein wenig mulmig zumute, als er in eine fensterlose Kutsche geschubst wurde, flankiert von schwer bewaffneten Wachen, und schaukelnd ins Ungewisse fuhr. Er war noch nie mit einer Kutsche gefahren, und noch nie war sein Blick derart eingeschränkt gewesen. Vor allem verstand er nicht, warum alles derart heimlich geschehen musste, warum niemand davon erfahren sollte, dass er der künftige Gemahl der lieblichen Herrscherin war, und er hätte vor allem gern einmal einen Blick auf den Palast aus der Nähe geworfen. Dem gemeinen Volk war es nicht erlaubt, sich auf weniger als zweihundert Schritte zu nähern, und so hatte er immer nur von Ferne schmachten können. Wie viele junge Männer hatte Ra’zad davon geträumt, eines Tages die göttliche Shabune, Schönste der Schönen, erblicken zu dürfen. Ihm hätte der Anblick ihres zarten Handgelenks schon genügt, denn wann bekam ein Mann schon mehr von einer Frau zu sehen, die nicht seine Mutter war? Und Ra’zad war schließlich im heiratsfähigen Alter. So sehr er seine Mutter auch verehrte, sie genügte ihm nicht mehr. Neidvoll hatte er die Kutschen und Sänften beobachtet, die zur Hochzeit durch die Straßen zogen und deren Benutzer kandierte Früchte unters Volk warfen, auch hie und da einmal einen kleinen Edelstein oder eine Münze. Die Reichen hatten es leicht, sie wurden einander zugeführt, und sie durften den Palast betreten, um den Segen der Gebieterin zu empfangen. Für Ra’zad, auch wenn sein Vater zu bescheidenem Wohlstand gekommen war, waren all diese Wege verschlossen, und er konnte nur von der sagenhaften Schönheit der Königin träumen. Vielleicht war ein schrecklicher Unfall geschehen, und Ra’zad träumte in Wirklichkeit. Ja, das musste es sein, denn nur in Träumen konnte einem bedeutungslosen jungen Mann widerfahren, was Ra’zad gerade geschah. Die Kutsche schaukelte und schlingerte, und dem jungen Schmied wurde übel. Normalerweise bewegte er sich auf seinen eigenen zwei Beinen und war nicht eingesperrt in einen engen Kasten. Angestrengt lauschte er auf das Klappern der beschlagenen Hufe und hörte heraus, dass zwei Eisen locker waren, bei jedem Pferd eines. Das war eine unerhörte Schlamperei, und das würde er dem Großwesir mitteilen. Das ziemte sich keinesfalls am Hofe einer weithin berühmten, geachteten und märchenhaft reichen Herrscherin! Doch bis sie ankamen, war Ra’zad so flau im Magen, dass er überhaupt keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte und er nur froh war, endlich diesem stickigen fensterlosen, schaukelnden Kasten zu entkommen. Kaum hatte er den Kopf aus der geöffneten Tür gestreckt, da wurde ihm ein Sack übergestülpt. Erschrocken, aber schwach, protestierte er und versuchte sich mit fahrigen Bewegungen zu wehren, doch da wurde er an Armen und Beinen ergriffen, hochgehoben und fortgetragen. Was geschieht mit mir?, dachte er voller Angst. Was ist das für ein Traum, der vom Gipfel in den Abgrund führt? ![]() So schnell fiel er jedoch nicht in den Abgrund. Zunächst einmal erwachte Ra’zad auf einer weichen Bettstatt, geradezu begraben unter riesigen samtenen Kissen. Diffus streuendes Sonnenlicht fiel durch Fenster, die mit zierlichen Holzornamenten geschmückt waren und den Blick von draußen herein unmöglich machten. Nah beim Fenster war ein kunstvoller Vogelkäfig aufgehängt, in dem eine Nachtigall sehnsuchtsvoll sang. Der Raum, in dem das große Himmelbett stand, bot Ra’zad mehr Platz als das gesamte Haus seiner Eltern, und er war mit Teppichen ausgelegt und mit Seidentapeten verziert. Einen Raum von solcher Pracht hatte Ra’zad noch nie erblickt. »Wo bin ich?«, fragte er erstaunt. »Willkommen im Ragulbayt«, erklang eine fremde Stimme, die dem jungen Mann seltsam erschien, denn sie klang männlich, und doch wiederum nicht. Da schwang etwas Weiches mit, das ihn an die Arme seiner Mutter erinnerte, wenn sie ihn als Kind mit sich herumtrug. Blinzelnd sah er sich um und erblickte einen Mann am Eingang zu seinem Gemach, der prächtige Seidengewänder trug, Schnabelschuhe und einen schönen Turban aus feinstem Tuch. Er war groß, und die offene Jacke zeigte schwellende Brustmuskeln bei jeder Bewegung. »Ich bin Ramsalamahabdall’arasafiliah«, stellte sich der Mann mit der seltsamen Stimme vor; doch wenn Ra’zad genau überlegte, musste er zugeben, dass sie zu seinem Äußeren passte. Trotz der stattlichen Größe und der Muskeln war etwas merkwürdig weichlich an dem Mann. »Ich bin der Oberste Eunuch der himmlischen Gebieterin, mögen ihre Sternaugen stets wohlwollend auf mir ruhen.« »Ich nenne dich Ram«, entschied Ra’zad, dem der Kopf schwirrte, und der bei sich dachte, was für ein armes Schwein ein Mann doch sein musste, der in der Nähe der schönsten aller Frauen leben durfte und gar kein Mann mehr war. Die dunklen Augen des Mannes blitzten wütend auf, und er kam mit wuchtigen, dennoch irgendwie trippelnd wirkenden Schritten näher. »Pass auf, du kleiner dr...«, setzte er an, doch Ra’zad hob streng einen Finger. »Wollen wir das gleich mal klarstellen?«, begann er. »Erstens, du stehst hier am Eingang, während ich in diesem famosen Bett liege. Zweitens, du bist ein Eunuch und ich bin im Vollbesitz meiner Kräfte. Drittens, ich wurde als tausendster Ehemann erwählt, und du bist mein Diener. Stimmt’s?« Der Eunuch schnaubte vor Wut, aber er bezähmte sich. »Beinahe«, antwortete er zähneknirschend. »Ich bin dein Ausbilder. Und ob du stolz auf deine Männlichkeit sein kannst, wird sich erweisen. Ebenso, ob dieses Bett tatsächlich bequem ist und dir nicht zur Folterbank gereichen wird.« Dieser Bimbam, oder wie auch immer er heißen mochte, war ein eingebildeter Fatzke; solche kannte der junge Schmied zur Genüge. Er konnte jede Menge Geschichten erzählen über die Kundschaft, die wiederum ihm jede Menge Geschichten über dies und das und die Welt während der Wartezeit zum Besten gegeben hatte. Das war eine interessante Ergänzung zu seiner schweren Arbeit: seinen Auftraggebern zu lauschen, deren ausgestoßene Luft dem Blasebalg zur Ehre gereichte. Ra’zad mochte nicht von hoher Geburt sein, aber als Schmied war er kräftig und selbstbewusst, so leicht ließ er sich nichts vormachen, und erst recht nicht von so einem weibischen Weichling, der nicht mal den Hammer zum Stimmen der Glocke heben konnte. »Pah!«, machte er und sprang energiegeladen aus dem Bett. »Wir werden sehen. Wann wird mich die Shabune empfangen?« »Langsam, junger Anwärter.« Ram streckte eine Hand vor. »Zunächst einmal musst du dich würdig erweisen. Dass du hierherkommen durftest bedeutet noch gar nichts. Du hast lediglich die erste Hürde genommen, aber das Schwerste steht dir erst noch bevor. Noch dazu, da du nicht einmal von Adel bist, ein großer Makel.« »Sie hat ein Auge auf mich geworfen und will mich haben«, erwiderte Ra’zad. »Es würde ihr daher kaum gefallen, wenn ich nie vor sie trete, oder?« Der Eunuch bleckte grinsend die großen Zähne. »Sie wird sich nicht lange an dich erinnern, Tölpel, denn sie hat viel Ablenkung und noch mehr zu tun. Und vor allem hat sie die Regeln selbst aufgestellt, die ein Anwärter durchstehen muss, bevor er in den Genuss ihres liebreizenden Anblickes kommen darf.« »Na, meinetwegen.« Ra’zad hob die Brauen und trat näher an den Eunuch heran, sah sich dabei misstrauisch um. »Sag«, flüsterte er. »Hast du sie gesehen?« »Ich diene ihr seit achtzehn Jahren«, gab Ram bereitwillig mit vor Hohn triefender Stimme Auskunft. »Sie selbst hat mich einst entmannt, denn sie wollte mich immer um sich haben. Mehr noch als der Großwesir, der damals seinem Vater folgte, bin ich ihr Vertrauter.« Die Vorstellung, dass die Königin selbst den Mann zum Eunuchen machte, verursachte ein heftiges, unangenehmes Ziehen in Ra’zads Lenden. Innerlich schüttelte es ihn. Das würde mit ihm nicht passieren, niemals! »Dann sollten wir zu meiner Ausbildung schreiten«, lenkte er betont munter ab. »Wo fangen wir an?« * Weitere Leseproben
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