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no. 5: perspektive afrika
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Kolonialisiertes Land und die Rhetorik der Einkreisung von Aliens bis ins Herz der Finsternis |
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von Adrian V. Fielder |
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Die Einkreisung ist eine der zentralen rhetorischen Figuren der kolonialistischen Erzählstruktur. In der ständigen Angst vor Umzingelung durch ein lebensbedrohendes Anderes, das zu assimilieren man doch eigentlich ausgezogen war, spiegelt sich die paradoxe Dynamik zwischen Kolonisierern und zu Kolonisierenden, die nur ein entweder/oder kennt. Auch in postkolonialen Zeiten bricht diese Tradition nicht ab, wenn lediglich der Handlungsort vom afrikanischen Dschungel in die unendlichen Weiten des Weltraums verlegt werden muß. |
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Schauplatz: ein verlassener Stützpunkt an der Grenze eines Imperiums. Handlung: eine Gesandtschaft, mit dem Auftrag, Kontakt zwischen dem Machtzentrum und dem Außenstützpunkt herzustellen, kommt per Schiff an und findet ein menschenleeres Territorium vor, welches den kolonisierenden Machtapparat offenbar verschlungen hat. Der Protagonist hat zwei Möglichkeiten: er kann die Mission entweder abbrechen, oder aber auf die Suche nach den vermißten Kameraden gehen. Der weitere Verlauf des imperialistischen Vorhabens steht so jedenfalls unter dem Zeichen der Zweifelhaftigkeit. Zum einen ist nicht klar, ob das Gebiet und seine Bewohner sich "erfolgreich" in die Domäne der kolonialen Macht werden integrieren lassen. Zum anderen ist nicht abzusehen, ob die Zeichen der Zivilisation, die ins Herz dieser Dunkelheit hineinprojiziert worden sind, nicht selbst Gefahr laufen, völlig von der unbekannten Landschaft absorbiert zu werden. |
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Solche Erzählungen sind wohlbekannt -- vielleicht taugen sie nicht als Gute-Nacht-Geschichten, aber sie sind doch gespickt mit der geballten assoziativen Kraft des Kanons abendländischer Literatur. Wie die Reise, von der Marlow seinen Mitreisenden an Bord der Nellie in Conrads Roman erzählt, so hat auch die Erzählung, auf die ich mich außerdem beziehen werde, weite Verbreitung gefunden -- allerdings zirkuliert sie im rituellen Raum postmodernen Erzählens: dem Kino. Das gesandte Schiff bewegt sich in diesem Fall mit Lichtgeschwindigkeit, und obwohl es sich von der Erde wegbewegt, ist sein Ziel doch eine menschliche Siedlung auf einem entfernten Planeten. James Camerons Film Aliens, mit Sigourney Weaver in der Hauptrolle, tummelt sich im Vorstellungsraum von Science Fiction am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts, während er gleichzeitig eine rhetorische Kraft bemüht, die alles andere als radikal futuristisch anmutet. |
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Conrads Herz der Finsternis konfrontiert uns ohne große Umschweife mit den Reibungen jener irremachenden Zweideutigkeiten, die den kolonialistischen Diskurs antreiben. Marlows eigene Beschreibungen seiner Reiseroute deuten taktisch an, daß es sich bei dem 'dunklen Kontinent' um einen übertragenen Frauenkörper handelt -- den widerspenstigen Raum eines Anderen, in den es einzudringen gilt: "Hier liegt er vor einem -- lächelnd, mißbilligend, einladend, großartig, gemein, geistlos oder wild, und stets stumm mit dem Hauch eines Flüsterns. Komm und finde heraus, was dahinter ist"[Anm. 1] Was man von der Küste aus sieht, ist nichts als ein "gemeines Gesicht, aufgesetzt vor einem düsteren Hintergrund,"[Anm. 2] hinter welchem sich die 'Wahrheit' Afrikas verbirgt: die 'unberührte Weite' eines jungfräulichen Landesinneren, das der Sicht vollkommen unzugänglich bleibt. Die Problematik der Sichtbarkeit, und so auch jene der Lesbarkeit, ziehen sich als roter Faden durch das Erzählgewebe. Selbst als das winzige Boot in den Uterus des Kontinents schaukelt, bleibt Afrika ("dem Blick verborgen hinter einer undurchdringlichen Mauer von Bäumen, die den Fluß beidseitig säumten") unenthüllt und kann so kein Gegenstand des Wissens werden, weder jenem des Erzählers noch des unsrigen: "Ich hatte den Dschungel zu beiden Seiten des Ufers ebenfalls als recht undurchdringlich beurteilt -- und trotzdem waren Augen darin, Augen, die uns gesehen hatten."[Anm. 3] |
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Mit seinem größtenteils unerforschten Binnenland fasziniert Afrika Marlow genau deshalb, weil es ein 'Rätsel' ist, ein Türhüter jener Geheimnisse, die der forschende Blick des wissenschaftlichen Rationalismus bislang noch nicht hat aufklären können. Marlow begutachtet eine kartographische Repräsentation Afrikas und träumt davon, auf dem kontinentalen Körper zu schreiben und die weißen Flecken mit den Signifikanten seiner eigenen Sprache zu füllen. Das Vorhaben, den Text des Empires auf afrikanischer Erde einzuschreiben, wird jedoch auf Schritt und Tritt vom Verschwinden Kurtz' überschattet. Als Vollzieher der mission civilatrice hatte Kurtz sich einst selbst im Gewande philantropischer Rhetorik präsentiert, die vorgab, den 'unbedarften' afrikanischen Völkern mit dem 'Licht' westlichen Wissens den Weg zu leuchten. Wie sich allerdings letztlich herausstellt, sind es Kurtz und sein Diskurs selbst, die von der wilden Seele des dunklen Kontinents verschluckt worden zu sein scheinen -- nicht umkehrt. |
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Mit Hilfe des Astrolabiums, welches die Mythologie der neuren Literaturkritik zu bieten hat, ist der interne Aufbau von Herz der Finsternis ausgiebig vermessen und sein eigenes 'Rätsel' entlang eines ganzen Spektrums von Interpretationsmöglichkeiten dekodiert worden -- von Chinua Achebes Kritik an Conrads rassisstischer Metaphorik bis zu der von Edward Said leidenschaftlich verteidigten Position, daß der Roman eine subtile Unterwanderung jener Annahmen darstellt, die der kolonialistischen Bildersymbolik zugrundeliegen. Es kann daher durchaus einschüchternd sein, sich diesem Text ein erstes Mal zu nähern. Überzogen von langen Einleitungen, Bibliographie, zahllosen Fußnoten etc. ist er ein Paradebeispiel dessen, was Michael Taussig "die Magie akademischer Erklärungsrituale [...] mit ihrem alchemistischen Versprechen, das Chaos in ein System zu verwandeln"[Anm. 4] bezeichnet hat. |
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Ein seinesfalls noch hinreichend 'jungfräuliches' Gebiet für weitere Nachforschungen befindet sich, pace poststrukturalistischer Warnungen vor dem entgrenzten Kontext, außerhalb des Textes. Eine historische Aufdeckung jener textuellen Genealogien aus denen Conrads Roman hervorgeht, könnte uns bis in die dunkelsten Winkel des europäischen Gedächtnisses treiben. Unsere Reise könnte so im Herzen vorzeitlichen semantischen Buschwerks beginnen, wo sich Signifikanten wie das lateinische salvaticus finden (ein Phantom, das sowohl Conrads Vokabular wie auch das unsrige heimsucht): jene Bereiche, welche die Abseite der althergebrachten Unterscheidung zwischen Natur und Kultur ausmachen -- einer Differenz, die die Umwandlung von 'Wildnis' sowohl möglich gemacht hat als auch zu ihrer Rechtfertigung dienen sollte -- und die Vertreibung, Unterwerfung oder Ausrottung ihrer Bewohner durch die 'zivilisierten' Methoden der Kultivierung von Ackerland. |
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Im Rahmen unserer Nachforschungen könnten wir auch den Atlantik überqueren -- auf jenen Seiten in Columbus' Tagebuch, wo wir den ambivalenten Verdacht verzeichnet finden, daß die außereuropäische Welt letztlich keine tabula rasa ist, die den textuellen Abdruck westlicher Sozial- und Religionsformen einfach aufnimmt. Ein Zeichen jener widersprüchlichen Angst also, geäußert am Vorabend europäischer Expansion, daß die geplante Vereinnahmung von Ressourcen in fremden Ländern selbst von solch diabolischen Geschöpfen wie Kannibalen und wilden Tieren "vereinnahmt" werden könnte.[Anm. 5] Ein Weiterschreiten von hier aus, via einer kleinen Umleitung durch das Labyrinth europäischer Repräsentationen von Eingeborenen anderer Kulturen, wie sie während der schwindelnden Höhen des Imperialismus im 19. Jahrhundert Verbreitung fanden, würde uns schließlich zu jenen diskursiven Verwerfungen bringen, die der Entstehung von Herz der Finsternis vorausgehen. |
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Kein Grund, hier stehenzubleiben: die neue Mythologie des Kinos, welche genau zu der Zeit entsteht, als Conrad seinen Roman schreibt, wird den langen Marsch des vordringenden Kolonialismus als eines ihrer bevorzugten Motive übernehmen. Den Erzählrahmen mag dabei ein dunkler Kontinenten oder der Wilden Westen abgeben, doch die teleologische "Schlüssigkeit" (closure) der Erzählung bleibt in Gefahr, stets bedroht von einer verbreiteten Tropik, die wir als "Rhetorik des Einkreisens" bezeichnen könnten: unberechenbare Andere, die alle Merkmale der Zivilisation vermissen lassen, verkörpern den wilden Geist des Landes -- eine schwer faßbare und doch stets präsente Macht, die den weißen Drang nach Erforschung und Besiedlung umgibt und bedroht. John Ford ist der erste, der dieses Bild adäquat in die Sprache des Kinos übersetzt. Während die Postkutsche mit 'unseren' kollektiven Hoffnungen und Träumen an Bord durch die unwirtliche Landschaft des Monument Valley rumpelt, ist die Ausdehnung nach Westen gemäß der Ideologie des "Manifest Destiny" allein von dem bedroht, was nicht zu sehen ist: Apachen in den Büschen, die das Fort umkreist haben, stets außerhalb des Lagers, gerade jenseits der Grenze der sichtbaren Welt. Hitchcock wird die Rhetorik der Einkreisung beherrschen wie kein Zweiter, indem er sie auf soziale Räume anwendet, um Spannung zu erzeugen, während Spielberg später im Weißen Hai den Ort der Einkreisung unter die Wasseroberfläche ausdehnt. Die Tropik, die in Herz der Finsternis verwendet wird, ist so gebräuchlich geworden, daß sie nurmehr als banales Klischee erscheint, und doch bleiben jene Ängste jenseits der Bewegungen an der Oberfläche ein allgegenwärtiges Strukturprinzip westlicher Erzähltechniken. |
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Zu Beginn von Aliens dringen Ripley (Sigourney Weaver) und ihre Crew in einen höhlenhaften Raum ein -- eine Stadt, die von menschlichen Kolonisierern auf einem entfernten Planeten gebaut worden ist. Von Menschen fehlt jede Spur. Nach der Ankunft im Zentrum dieser eigentümlichen Metropolis wird der Mannschaft klar, daß die Siedler noch immer in gewissem Sinne anwesend sind. Obgleich der Reifungsprozeß, der in diesem uterusgleichen Raum stattfindet, einerseits organischer Natur ist, so ist er andererseits eindeutig un-menschlich. Das Innere der vormals menschlichen Stadt hat eine grauenerregende Wandlung durchgemacht, in deren Verlauf ihre Architektur einer bislang nicht identifizierten übergreifenden Struktur einverleibt worden ist. Die Leiber der menschlichen Siedler, in eine Art Körperflüssigkeit eingelegt, sind in den Hohlräumen dieser Struktur eingeschlossen. Die meisten von ihnen sind so als verhüllte Opfer des stummen und grauenhaften Stoffwechsels zu ewigem Schweigen verurteilt. Nur einer der ehemaligen Menschen ist in der Lage, "den Horror, den Horror" des langsamen Verdautwerdens zu überwinden und Ripleys Mannschaft zu warnen: "Haut ab! Rettet euch!" |
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Obgleich Ripleys Mannschaft über tragbare Apparate verfügt, mit denen sich Bewegung selbst durch Wände hindurch feststellen läßt, ahnen sie nicht, daß sie von einer Gruppe monströser Körper umzingelt sind, die offenbar von der menschlichen Technologie nicht erfaßt werden können. Als die Monster schließlich angreifen, sind die Raumfahrer nicht in der Lage, sich zu verteidigen. Einem der unglückseligen Mannschaftmitglieder bleibt nur der Ausruf: "die kommen aus den gottverdammten Wänden!", bevor es ihn wegreißt. James Cameron beschwört unsere tiefsitzendsten Ängste, indem er mit Hilfe einer vertrauten narrativen Struktur das gespenstische Szenario der Einkreisung inszeniert: das Unsichtbare und Ungesehene, also das, was sich dem ordnenden Zugriff unserer Linnaeischen Taxonomie entzieht, wird ein weiteres Mal als das sprichwörtliche Übel präsentiert. Wie jeder Feind, der menschliches Wohlergehen bedroht, so muß auch dieses Andersartige ausradiert werden. Die gerechtfertigte Vernichtung geschieht, so ist anzunehmen, mit völliger Zustimmung der Zuschauer -- bis zu dem Zeitpunkt, an dem die eine Kreatur, die der gründlichen Ausrottung entgangen ist, sich abermals fortpflanzen und so den Boden bereiten wird für die nächste menschliche Intervention, die nächste Fortsetzungsfolge, den nächsten Krieg. |
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Die unheimliche anmutende Haltbarkeitsdauer der beschriebenen Einkreisungs-Tropik kann man der Gewalt zurechnen, welche als inhärentes Merkmal von Schreibmechanismen die Verbreitung solcher Erzählungen überhaupt erst ermöglicht. Wie von vielen Literatur- und Kulturtheoretikern herausgearbeitet, ist Schrift (im weitesten Sinne) ein grundsätzlich repressives Regime: so zum Beispiel in traditioneller Geschichtsschreibung, mit ihrer Fetischisierung linearer Kausalität und ihren Erklärungsmustern, innerhalb derer die Artikulation historischer Erzählung (gleich ob monolithisch oder revisionär-pluralistisch) erst durch den Ausschluß anderer Perspektiven Form gewinnt. Gleiches gilt für das populäre Erzählkino, wo Spannung aufgelöst und Schlüssigkeit (closure) allein durch die phantastische Vorstellung erreicht wird, daß die Filmhelden einen ethischen Imperativ verkörpern, den sie mit den Zuschauern teilen. Schließlich zeigt sich die Trope auch im akademischen Diskurs selbst, dem es zwar scheinbar um die Erforschung von Erzählungen zu tun ist, die auf Grund 'gesunken' sind, der aber andererseits doch so oft an der Oberfläche und an Bord bestimmter interpretativer Vehikel verbleibt, um von dort aus den Ozean durch die Bullaugen seiner Begriffsschemata zu beäugen. Daher rührt also die rhetorische Kraft der kolonialistischen Narrativik, die ihre Repräsentation fremder Gebiete gerade durch die Unvollständigkeit dieser Repräsentation rechtfertigt und vorantreibt: die beängstigende Bedrohung durch das, was außerhalb der 'bekannten Welt' lauert, die angebliche Gefahr dessen, was sich momentan der Sichtbarkeit und Benennbarkeit entzieht, sorgt wiederholt für jene Instabilität, die es für eine fortgesetzte Ausdehnung der Grenzen der Repräsentation braucht -- welche letztlich immer auch die Grenzen unterworfener Gebiete sind. |
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Falls unsere Untersuchung uns nun geographisch und analytisch in eine Grenzenlosigkeit hineingetrieben zu haben scheint -- wäre es vielleicht doch ratsam, dem poststrukturalistischen Argument von der Unbegrenztheit des Kontextes nachzugeben? Wenn es schon unmöglich erscheint, die Parameter der Einkreisung zu begrenzen, warum dann nicht gleich zu den Sternen greifen? Der Weltraum ruft. Wenn die expansionistische Metaphorik es fertigbringt, vergleichbare Szenarien auf kolonisierte Gebiete in aller Welt zu projizieren, vom eigenen Haus und Hof bis in entfernte Länder, warum sollte das Herz der Finsternis nicht auch über Lichtjahre hinweg transplantierbar sein? |
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(Aus dem Amerikanischen von Martin Klebes.) |
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