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no. 5: perspektive afrika
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"Leben heisst Strumpfhosen stricken" |
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von Maria Benning |
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Rosemarie Trockel ist vor kurzem damit betraut worden, den deutschen Pavillon auf der Biennale 1999 in Venedig zu gestalten. Damit repräsentiert sie wie keine andere zeitgenössische Kunst aus Deutschland. Ihre Werke sind ironische Kurz-Dramen, ihre Themen: Verhaltensmuster -- Konstruktion und Dekonstruktion von Weiblichkeitsmythen am Ende des 20. Jahrhunderts. |
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Ein blonder Seehund hängt mit dem Kopf nach unten an einem Seil. Der Titel dieser Bronze-Plastik: "Es gibt kein unglücklicheres Wesen unter der Sonne als einen Fetischisten, der sich nach einem Frauenschuh sehnt und mit dem gesamten Weib Vorlieb nehmen muss". In diesem Aphorismus von Karl Kraus, den Rosemarie Trockel als Titel für eine Bronzeplastik wählte, ist das "Weib" kein "Ganzes", sondern eine Summe von Einzelteilen. Diese Teile zu untersuchen, das fasziniert Rosemarie Trockel. |
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Die Frage, aus welchen Mustern und Zuschreibungen das "gesamte Weib" besteht, beschäftigt die Künstlerin. Variantenreich setzt sie sich mit dem Mythos 'Weib' am Ende des 20. Jahrhunderts auseinander, indem sie immer wieder danach forscht, welche Formen von Weiblichkeit in unserer Gesellschaft kursieren und was von den Zuschreibungen weiblichen Verhaltens und weiblicher Identität noch wirkt in Europa am Ende des 20. Jahrhunderts. |
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Einer ihrer Kurzfilme heißt Out of the kitchen into the fire. "Aus der Küche" und anderen für typisch weiblich gehaltenen Sphären stammen Trockels Sujets. Wolle und Eier -- mit diesen Materialien ist sie bekannt geworden. Neben Schweinen kommen in ihren Objekten Hunde und Hühner vor. Eine große Rolle spielt das "Feuer", der häusliche Herd. Rosemarie Trockel hat Herdplatten zu Kunstwerken erklärt und Materialien ins Museum gebracht, die vorher allenfalls im Kunsthandwerk anzutreffen waren. Minderwertiges, ärmliche Zutaten, aus denen Frauen -- so legten es früher Ratschläge zur Haushaltsführung nahe -- mit Liebe etwas machen können. |
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Und doch ist Trockel keine plump-feministische Strickliese, sondern eine scharfe Beobachterin weiblicher Verhaltensmuster. Viele ihrer Werke machen deutlich, wie peinlich Frauenthemen sein können. Häufig arbeitet Trockel mit kleinen ironischen Kurzfilm-Dramen. Der Film egg trying to get warm (1994) zeigt ein Ei, das sich unaufhörlich auf einer Herdplatte dreht. Das Video Die Marquise von O (1993) handelt von einer Frau, die ein mit Eiern behängtes Kleid trägt. Bei allem, was sie tut, zerquetscht sie Eier, und überall, wo sie war, bleiben Eierschalen zurück. Mit dem Bild vom zerbrechlichen Hühner-Ei weist die Künstlerin darauf hin, daß weibliche Sozialisation ein narzistischer Eiertanz sein kann. |
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Rosemarie Trockel macht sich in ihren Installationen lustig über einen krampfhaften Selbstverwirklichungsanspruch von Frauen. Ihre Werke kritisieren jedoch auch auf einer ernsthaften Ebene, daß bei einer Frau -- anders als bei Männern -- immer auch ihre Rolle als Frau mitgedacht wird, wenn sie etwas zu Wege bringt. Besonders deutlich wird dies in dem Video Out of the kitchen into the fire. Der 1993 in Brüssel entstandene Kurzfim spielt in einem Hühnerstall. Unter hühneränlichen Gebär-Geräuschen legt eine Frau ein Ei -- es ist mit Tinte gefüllt und zerplatzt am Boden. |
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Die Foto-Ei-Collage mit dem Titel Leben heißt Strumpfhosen stricken zeigt eine junge Frau mit Strickstrumpfhose. Sie liegt auf einer Wolldecke am Boden und betrachtet Postkarten. Überall sind Eier: Auf den Postkarten, auf der Strumpfhose und auf der Wolldecke. Permanente weibliche Selbstbespiegelung -- Trockel nimmt sie mit Ironie ins Kreuzvisier. |
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Rosemarie Trockel ist 1952 im westfälischen Schwerte geboren und lebt heute in Köln. Für internationales Aufsehen sorgte ihr Beitrag zur Dokumenta 1997: Ein Haus für Schweine und Menschen. Sie entwarf es zusammen mit Carsten Höller. Rosemarie Trockel allein ist vor kurzem damit betraut worden, den deutschen Pavillon auf der Biennale 1999 in Venedig zu gestalten. Damit repräsentiert sie wie keine andere zeitgenössische Kunst aus Deutschland. |
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Einen Überblick über das Werk der Künstlerin präsentiert derzeit die Hamburger Kunsthalle mit der Ausstellung Werkgruppen 1986-1998. Trockel selbst hat die acht Räume der Ausstellung konzipiert. Sie präsentiert die Arbeiten der vergangenen zwölf Jahren nach ihren Entstehungsorten: Köln (Wollmuster), Brüssel (Ei-Mythos), Paris (Brigitte Bardot), Wien I, Wien II (Schönheitsidole), Opladen, Schwerte (Zeichnungen), Düren (Liebespaare) und Hamburg (Seaworld). Nach Hamburg wird die Ausstellung in London, Stuttgart und Marseille zu sehen sein. |
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Mit ihren Strickobjekten ist sie bekannt geworden. Leben heißt Strumpfhosen stricken, das ist zugleich das Credo dieser Künstlerin: Denn Stricken ist ihre Masche. Strickmuster sind für Trockel 'Maschen' im Sinne von Schönheitsidolen. Sie offenbaren, nach welchem Muster Menschen 'gestrickt' sind und was für Muster sie sich voneinander machen -- Woll-Muster als Verhaltens-Muster. In Trockels Bildern entsteht ein engmaschiges Bild der jüngsten bundesrepublikanischen Vergangenheit: Die 80er Jahre werden sichtbar als Schal- und Wollmützen-Zeit. Die legendären Strickliesen der Universitäten leben auf mit ihrem Anspruch, das wollwarm Häusliche als politische Kraft ins öffentliche Leben zu bringen. Trockels Wollmützen-Objekte spielen ironisch auf die autonome Bewegung an. Ihre seriell gefertigten Wollsiegel-Bilder (1986) thematisieren die Vermassung von Qualität: Das Wollsiegel, urspünglich ein herausragendes Qualitätsmerkmal, ist zur maschinell erstellten Massenware geworden, die das Gütesiegel inflationär verwendet. Die in Köln entstandenen Textil-Objekte thematisieren das Verschwinden von individueller Qualität. |
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Viele Werke dieser Künstlerin konstatieren ein menschliches Bedürfnis nach Idolen. Eines ihrer Videos zeigt einen Schwarm Zugvögel am Himmel. Unaufhörlich versuchen die Vögel, Muster und Formationen zu entwerfen. Muster selbst entwerfen oder sich in bereits formierte Muster einreihen, das sind für Trockel zentrale Alternativen. Welchen Strickmustern folgen Menschen, was für Idole haben sie? Die an der Decke hängende Installation Moving star zeigt zwei kleine Schausteller aus Wolle, die sich auf einem Laufsteg gegenseitig verfolgen. Weil sie aber auf zwei vollkommen verschiedenen Bahnen unterwegs sind, können sie sich nie wirklich berühren. Immer wieder stellt Trockel das 'Sein-Wollen-wie', die Entstehung von Verehrung, aber auch die persönliche Ablösung von Idolen dar. Besonders nachhaltig hat sie sich in Paris dem Mythos der Kindfrau Brigitte Bardot gewidmet. |
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Brigitte Bardot ist für Rosemarie Trockel der Inbegriff eines Weiblichkeitsmusters. In Paris hat sich Trockel mit Bardots Wirkung befaßt, Auf- und Abstieg dieses Idols verfolgt. Gescannte Foto-Collagen von 1993 zeigen die Künstlerin im Jungmädchenzimmer ihrer älteren Schwester. Die Wände sind gepflastert mit Schönheiten aus Illustrierten -- unter ihnen Brigitte Bardot. Ein Idol entsteht. Trockel konstatiert in Paris, dass Bardot-Fans geschockt waren, als die schöne Tierschützerin 1990 den "rechten" -- Le Pen-Intimus Bernard D'Ormale -- heiratete. Rosemarie Trockels schwarzer Bronze-Seehund, der mit blonder Perücke, den Kopf nach unten, an einem Seil hängt, thematisiert den Fall des Idols. "Es gibt kein unglücklicheres Wesen unter der Sonne als einen Fetischisten, der sich nach einem Frauenschuh sehnt und mit dem gesamten Weib Vorlieb nehmen muss", der erhängte blonde Seehund von 1991 trägt das Karl Kraus Zitat als Titel. |
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Fan fini -- Schluss mit Fan-Sein -- heißt das ebenfalls zu diesem Thema gedrehte Video. Es zeigt Interviews mit Bardot-Fans. Alle Frauen in diesem Film sind aufgemacht wie Brigitte Bardot -- auch diejenigen, die vorgeben, keine Bardot-Fans mehr zu sein. Selbst die Interviewerin hat blonde Haare und schwarz geschminkte Augen. BB prägt die gesamte Frauenwelt. Rosemarie Trockel konstatiert ein Bedürfnis nach Idolen: Jeder versucht mit seinen Mitteln, das Ideal darzustellen, so die Botschaft der Initialen BB, die aus selbstgezüchteten grünen und roten Tomaten gemacht sind. BB -- das ist Brigitte Bardot, aber auch Bertolt Brecht. In Trockels Zeichnungen gehen die Gesichter der beiden ineinander über. Das intellektuelle Gefolgschaftswesen wird damit auf eine Stufe gestellt mit der naiven Brigitte Bardot Verehrung. |
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Schönheit ist immer eine Masche. Trockel hat Schönheit sogar als Fluch bezeichnet. Denn nicht erst seit es Bildbearbeitungsprogramme gibt, wird Schönheit konstruiert: Schon der antike Autor Plinius schlägt vor, von dieser Dame das, von jener etwas anderes zu nehmen, um aus den Teilen eine perfekte Skulptur zu erschaffen. 1995 hat Rosemarie Trockel ausgehend von drei Grund-Gesichtern zwölf neue "beauties" am Computer gestrickt. Die künstlich generierten Schönheiten haben symmetrische Gesichter, ihre Augen und Mundpartien sind vergrößert, das Zahnweiß ist aufgehellt. Auf Plakatwänden wurden sie 3000 Mal in Wien ausgestellt. Die Reaktion der Wiener: Verflucht schön seien die Klone, irritierend anziehend in ihrer Makellosigkeit. |
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Nach welchem Muster schließlich sind Liebesbeziehungen gestrickt? Dieser Frage geht Trockel in düren nach: Sie fotografierte Liebespaare, die sich als sehr verliebt bezeichneten. Ohne ihre romantische Umgebung sind diese Aktfotos auf einer weißen Fläche ausgestellt -- Gefühl pur, zur Untersuchung freigegeben. Die Intimität der Liebenden erscheint aseptisch und kalt. Dieser Eindruck wird durch das Video Von guter Natur (1998) verstärkt: Der Ton des Films widerspricht der Optik. Zwei Liebespaare, die sich uneingeschränkt zugetan zu sein scheinen, reden ganz anders: "Ja, es ist hübsch hier", sagt etwa ein Mann zu seiner Geliebten, "aber es ist gerade groß genug für einen allein". Karl Kraus könnte dazu sagen: "Es gibt kein unglücklicheres Wesen unter der Sonne als..." |
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Eier, Strickmuster und Schönheitsidole -- Trockels Kunst wirft die Frage auf, wie Identität und Originalität zueinander stehen. Vieles aus der Bildwelt dieser Künstlerin ist von den 'Strickmustern' der konsumorientierten Nachkriegsgesellschaft gezeichnet, und doch sind die Anregungen aktuell. Aktuell ist auch, daß Trockel ganz bewußt die dezentrale Ausrichtung ihres Schaffens betont: Ihre Werkgruppen 1986-1998 entstanden in Metropolen und kleineren Zentren, Opladen spielt ebenso eine Rolle wie Hamburg. Wenn Rosemarie Trockel Deutschland in Venedig vertritt, dann ist damit -- zu einer Zeit, in der Berlin ein zentralistisches Element in die Kunstszene zu bringen droht -- auch ein Bekenntnis zum föderal organisierten Kunstbetrieb ausgedrückt. |
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