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no. 23: bewußtseinserweiterungen
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Die Zukunft hat noch nicht begonnenInterview mit Max More |
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von Gundolf S. Freyermuth |
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Von Denkverstärkung und Bewußtseinserweiterung zu supermenschlicher Augmentierung: Max More, Gründer der Exptropianerbewegung und Zukunftsphilosoph, spricht über unsere biologische Fesselung, die befreiende Macht smarter Drogen, die Notwendigkeit einer neuen Aufklärung und die Meme der heraufziehenden Singularität. |
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Intro | ||||
Ray Kurzweil nennt Max More den "großen Denker" unter den Futuristen unserer Zeit, Marvin Minsky schätzt ihn als einen der wenigen, die zugleich radikal denken und sich verständlich ausdrücken können und stellt ihn damit in eine Reihe mit Carl Sagan. Die Liste der Bewunderer des großen blonden Philosophen mit dem britischen Akzent ließe sich um mehrere Dutzend führende amerikanische Naturwissenschaftler und Digerati erweitern. |
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Als ich Max More 1995 zum ersten Mal traf, war er Anfang dreißig, Doktorand an der University of California und Cheftheoretiker der Extropianer, eines "vielfältigen Netzwerks innovativer Denker, die sich der Sache verschrieben haben, Lösungen für die fortdauernden Probleme der Menschheit zu finden" (www.maxmore.com). Dieses wenn auch nicht elitäre, so doch exklusive Digerati-Netzwerk -- ich beschrieb es in meinem Buch Cyberland (1996) als Mischung aus virtuellem Salon und Saloon -- hatte er ein paar Jahre zuvor mitbegründet, kurz nachdem er aus Oxford eingetroffen war, um in Lalaland über Identität und Tod zu promovieren. |
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Mich faszinierten damals Max und seine Ideen. Denn die utopisch-extropianischen Prinzipien, die er formuliert und ins Netz gestellt hatte, waren Ausdruck eines neuen, digitalen Avantgardismus. Die Extropianer diskutierten radikaler und fundamentaler und früher viele der Gedanken und Haltungen, die Wired dann popularisieren sollte und für die Richard Barbrook und Andy Cameron den pejorativen Begriff der 'kalifornischen Ideologie' prägten. Max More war in den neunziger Jahren ein Zeitgeist-Philosoph, einer der wenigen, die es wagten, die heraufziehende digitale Epoche philosophisch zu befragen und zu spekulieren, was die Trennung von Hard- und Software nicht nur für die Mehrheit der Maschinen, sondern wohl auch für die Menschheit, die sie baute und benutzte, bedeuten könnte. Lange vor dem naturbelassen-menschelnden linken Mainstream erkannte er, daß, wie Hartmut Böhme jüngst schrieb, die Optimierung des eigenen Körpers -- und natürlich auch des Gehirns als Teil dieses Körpers -- eine vorrangige Kulturleistung darstellt. |
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Seit 2002 lebt Max More als Zukunftsforscher und Mitglied der ManyWorld Consultancy in Texas. Gegenwärtig arbeitet er an einem Buch, in dem er die proaktionären Prinzipien entwickelt -- verkürzt gesagt, eine Gegendarstellung jener Stasis produzierenden Denkweisen vorwiegend europäischer Provenienz, die wie die Marquadtschen Beweislastregeln den Status Quo idolisieren und jedweden Fortschritt unter Generalverdacht stellen. |
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Das Interview zwischen Berlin und Texas führten wir via Skype. Die hier abgedruckte Fassung wurde von mir aus dem von Elke S. Freyermuth hergestellten Transkript montiert und danach von Max More korrigiert und autorisiert. |
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I Zehn Jahre danach: Was geschah mit unserer Zukunft? | ||||
parapluie: Max, du magst der klügste Mensch sein, den ich kenne. Du scheinst jedoch stets daran interessiert -- wenn nicht gar davon besessen --, noch klüger zu werden. Was also nimmst du zur Zeit, um deine Intelligenz und kognitiven Fähigkeiten aufzubessern oder zu augmentieren? |
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Max More: Im Grunde nehme ich heute viel weniger als früher. Ich bin nicht all zu sehr beeindruckt von der neuen Generation von Drogen und Nährstoffen. Ich habe eine ganze Reihe davon probiert. Nur wenige helfen -- zu einem geringen Grad .... |
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¶ Vor zehn Jahren allerdings, als wir zuletzt über die Augmentierung unserer kognitiven und intellektuellen Fähigkeiten sprachen, hast du noch schnelle Fortschritte bei der Erfindung und Einführung von bewußtseinsverstärkenden, -erweiternden oder gar augmentierenden Drogen erwartet. Sind irgendwelche dieser weitreichenden Hoffnungen aus der Mitte der neunziger Jahre erfüllt worden? |
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Nein, die Zukunft hat sich bislang ziemlich Zeit gelassen. Ich weiß heute, daß es einige Hindernisse zu überwinden gilt, bis diese Mittel auf den Markt gelangen. Die Forschung, der Prozeß der Zulassung -- das braucht in der pharmazeutischen Industrie alles viel Zeit. |
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¶ Was smarte Drogen angeht, stecken wir also mehr oder weniger in der primitiven Phase der Mittneunziger fest? |
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Soweit ich weiß, stehen zur Zeit einige recht viel versprechende Drogen kurz vor der endgültigen Zulassung. In den letzten Jahren wurde viel geforscht, wahrscheinlich weil die alternde Babyboom-Generation bald smarte Drogen brauchen wird. Das ist ein sehr großer Markt. Eine ganz neue Welle smarter Drogen rollt heran. Wie effektiv sie in Bezug auf die Erweiterung und Steigerung normaler kognitiver Fähigkeiten tatsächlich sein werden, kann ich noch nicht beurteilen, Ampakine und ähnliches scheinen allerdings viel versprechend. Ich hoffe nur wirklich, daß sie etwas interessanter ausfallen werden als das Zeug, das ich bislang probiert habe. |
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II Wie die Dinge waren: Vergangene Erfahrungen mit smarten Drogen | ||||
¶ "Die Sehnsucht nach Veränderung und Erweiterung unseres Bewußtseins scheint so alt zu sein wie die Menschheit" -- hast du einmal geschrieben. Jeder von uns muß jedoch im Prozeß des Erwachsenwerdens selbst zu dieser Einsicht kommen. Erinnerst du dich daran, was deine Suche nach Möglichkeiten der Selbstransformation anstieß, nach anderen, augmentierten Arten und Weisen zu sehen, zu hören, zu fühlen, zu denken? |
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Eigentlich kann ich mich an kein bestimmtes Ereignis erinnern, daß mich auf diesen Weg gebracht hätte. Ich wollte das halt schon immer, soweit ich zurückdenken kann. Zunächst äußerte sich das im Interesse an supermenschlichen Kräften. Als Kind fing ich an, meine eigenen schlecht gezeichneten Superhelden-Comics zu erfinden. Und dann später, in meinen Teens, als ich kritisches Denken entwickelte, verlagerte sich dieses Interesse auf die Augmentierung durch Wissenschaft und Technik. |
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¶ Erinnerst du dich, wann du das erste Mal etwas nahmst, um deine intellektuellen und emotionalen Fähigkeiten steigern? |
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Naja, mit 11 oder 12 fing ich an, Vitamine zu schlucken. Und als ich 17 war, rauchte ich Haschisch, aber das wirkte nicht wirklich. Und in der Schule versuchte ich ein paar Dinge zur Bewußtseinsveränderung, ohne Drogen. Da ist zum Beispiel diese seltsame Sache, wo du dich hinhockst mit den Händen zwischen deinen Knien auf dem Boden und du zwanzig Mal schnell und tief atmest, ein und aus, und dann hältst du den letzten Atemzug ein, stehst auf und jemand drückt dich von hinten. Alles verschwimmt und ein paar Sekunden lang verlierst du dein Bewußtsein und beginnst zu halluzinieren. Das hab ich ziemlich oft gemacht und dabei vielleicht ein paar Gehirnzellen zerstört. Das war so eine bewußtseinsverändernde Sache, die ich machte, bevor ich mit smarten Drogen anfing. |
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¶ In den 1990ern hast du mit vielversprechenden Nootropika wie Piracetam, Lucidril, Vasopression experimentiert. Die hatten durchaus positive Wirkungen, aber enttäuschten auch in vielerlei Hinsicht ... |
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Man muß immer das Verhältnis von Risiko und Belohnung bedenken. Viele Leute, die Piracetam nehmen, genießen es sehr. Sie berichten von allen möglichen auditiven Verbesserungen, gesteigerter Konzentration und Kreativität. Ich habe allerdings nie irgendwelche Wirkungen bemerkt, obwohl ich recht viele Versuche unternahm, außer bei dem einen Mal, als ich eine recht große Dosis schluckte, an die 60 Pillen. Es war am Tag meiner Doktorprüfung an der USC (University of Southern California, Los Angeles). Ich stand auf dem Flur -- das Institut für Philosophie ist ein Haus aus Stein --, und ich wurde mir plötzlich all der Geräusche und Echos um mich herum bewußt; genauso wie es immer erzählt wurde, besonders von Musikern. Ich war sehr konzentriert, es hat funktioniert. Insofern kam ich zu der Ansicht, daß das Risiko-Belohnungs-Verhältnis sich lohnte. |
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Es gibt noch andere Dinge, die ich versucht habe -- Modafinil, Provigil -- , die definitiv funktionieren, insofern sie die geistige Wachsamkeit erhöhen. Bei mir jedenfalls haben sie aber ziemlich unangenehme Nebenwirkungen. Ich kriege ein Jucken, das mich zum Wahnsinn treibt. Mir ist sowieso immer sehr schnell heiß, und wenn ich die nehme, wird mir noch heißer. Provigil funktionierte ziemlich gut, und interessant dabei war, daß es anders wirkt als Amphetamine. Man kann es nehmen und wach bleiben, wenn man will. Aber wenn man das nicht will und sich entschließt, schlafen zu gehen, kann man das auch tun. Das war für mich ein interessanter Effekt, diese freiwillige Wachheit. |
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¶ Von dem Nobelpreisträger (für Medizin) Otto Loewi weiß man, daß er -- in der langen letzten Phase seines Lebens -- am Morgen Speed und abends Morphium nahm. Und obwohl er auch einiges an Alkohol konsumierte, erlebte man ihn als außergewöhnlich lebendigen und ungewöhnlich aufgeweckten Achtzigjährigen. Inwiefern unterscheiden sich deiner Meinung nach die neuen smarten Drogen von diesen älteren, nicht so smarten, aber definitiv bewußtseinsverändernden Drogen? |
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Viele Fürsprecher smarter Drogen versuchen, eine scharfe klare Linie zwischen normalen und smarten Drogen zu ziehen. Der Grundgedanke dabei ist, daß smarte Drogen oder Nootropika keine Nebenwirkungen zeitigen, daß sie keinen Schaden anrichten, nur positive Wirkungen haben. Und das scheint einfach nicht zu stimmen. Bei Hydergine zum Beispiel liegen die angestrebte Wirkung und sehr unangenehme Nebenwirkungen wie Übelkeit und Handlungsunfähigkeit dicht beieinander. Alkohol auf der anderen Seite ist eine recht gefährliche Droge, vor allem wenn man die falschen Gene hat, doch das Trinken kann sehr der Geselligkeit dienen. Also, ich glaube nicht, daß sich eine scharfe Linie zwischen älteren Drogen und neueren smarten Drogen ziehen läßt. |
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III Wie wir denken werden: Die supermenschliche Seinsweise | ||||
¶ Der Grundgedanke der extropianischen Prinzipien, deren erste Fassung du in den frühen 1990er Jahren niedergeschrieben hast, ist die Sicht auf unsere Spezies und jeden Einzelnen als ein Projekt -- als etwas, das nicht vollendet ist, sondern weiter betrieben und verbessert werden muß. Als Individuen, hast du geschrieben, müssen wir uns selbst transformieren, als Spezies müssen wir den Prozeß der Evolution mit Hilfe von Technologie beschleunigen. Bei diesem weit reichenden Projekt -- das viele unserer Leser nicht unbedingt als so unaufhaltsam oder notwendig oder gar als etwas betrachten dürften, das überhaupt erreicht werden sollte --, welche Rolle sollen oder werden da smarte Drogen spielen? |
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Nun, ich sehe smarte Drogen mehr als eine Art Übergangstechnologie an; nicht so sehr als einen Weg, uns selbst zu verändern, sondern mehr als Möglichkeit herauszufinden, wie wir sein wollen. Irgendwann werden wir die Fähigkeit besitzen, dauerhaftere Veränderungen vorzunehmen. Bereits mit einigen der heutigen Technologien wie Gentherapie, Nervenwachstumsfaktoren und so weiter, mit denen das Wachstum verschiedener Synapsen stimuliert werden kann, verändern die Gehirnchemie dauerhafter, ohne daß man irgendwelche Supplemente nehmen muß. |
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¶ Im Augenblick allerdings ist das Zeitalter der smarten Drogen noch nicht vorüber. Genau genommen beginnt es gerade erst. Wie werden wir sie also anwenden? Wie Kosmetika? Wie Prozac? Treten wir gerade in eine Phase der kosmetischen Pharmakologie ein? |
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Ich denke, ein Vorteil smarter Drogen besteht darin, daß ihre Wirkungen nur vorübergehend sind. Du kannst verschiedene Wirkungen ausprobieren und dann aufhören, die jeweilige Droge zu nehmen, statt ihre Wirkungen für immer anzunehmen und sie zum Teil deiner Persönlichkeit zu machen. Smarte Drogen erlauben uns so das Experimentieren mit unterschiedlichen Arten und Weisen zu fühlen und zu denken. Doch sie haben einige Nebenwirkungen, und es ist schwierig, sie durch den Körper an die richtige Stelle zu transportieren. Ich betrachte sie also als eine sehr primitive Technologie. Dennoch spielen sie eine Rolle bei unserem Experimentieren mit uns selbst, bei dem Versuch 'Was für ein Mensch will ich heute sein'. Sie sind wie Stützräder, sie bringen uns auf den Weg, aber sie dienen nur dem Anfang und Übergang. |
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¶ Gesellschaftskritiker vergleichen den Gebrauch smarter Drogen mit der ansteigenden Popularität der Schönheitschirurgie. Beide scheinen im Prinzip Symptome der selben sozialen Entwicklung zu sein: Die Menschen sind nicht glücklich damit, wie sie sind. Vielen missfällt ihr Aussehen, ihnen missfallen ihre Gefühle, ihre kognitiven Fähigkeiten. Also versuchen sie, das zu ändern, mit allen möglichen primitiven Methoden, die uns heute zur Verfügung steht. Viele andere hingegen, besonders im akademischen Umfeld, sind der Ansicht, daß wir nicht versuchen sollten, uns zu verbessern und zu augmentieren, sondern daß wir stattdessen unsere Menschlichkeit akzeptieren sollten, als Individuen und als Spezies. Du bist ein unverblümter Befürworter technologisch ermächtigter Veränderung und Upgrades des menschlichen Seins, ein Anwalt individueller Selbstverbesserung und auch des Übergangs der Menschheit zu postmenschlichen und supermenschlichen Lebensformen. Was hältst du von dieser Einstellung? |
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Also, diese Verteidiger unserer menschlichen Seinsweise als einer vorgegebenen natürlichen Ordnung der Dinge lassen mich sofort an diejenigen denken, die einst die Sklaverei als etwas Natürliches verteidigten. |
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¶ Du würdest das Eingesperrtsein im eigenen Körper, in dem Körper und Verstand, die einem angeboren sind, mit Sklaverei vergleichen? |
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Ja, im Gegensatz zur Sklaverei ist das zwar wirklich "natürlich", doch es ist eine Art natürlicher Unterdrückung. Einige von uns mögen glücklich sein, wie sie sind. Ich habe jedoch bestimmte Wünsche und Ziele, Dinge, die ich im Leben erreichen will, und die natürlichen Fähigkeiten, die ich habe, begrenzen meine Möglichkeiten. Wie ich jetzt bin, das ist nur zufällig das Ergebnis des evolutionären Prozesses, der recht willkürlichen Kombination der Gene meiner Eltern. Dieser Prozeß hat keinerlei moralische Autorität zu bestimmen, wer ich zu sein habe, wie meine Verfassung ist. Ich bin der Ansicht, daß es vielmehr unsere Verantwortung ist, uns selbst zu betrachten und zu entscheiden, wer wir sein wollen, und jene technischen Mittel einzusetzen, die uns dabei helfen, so zu werden. |
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¶ Um uns als Spezies neu zu erfinden, um posthuman zu werden, braucht es allerdings mehr als smarte und immer smartere Drogen ... |
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Ja, wir werden unsere Hardware verändern müssen, unser Gehirn. Was uns am meisten blockiert, ist das Fehlen emotionaler Intelligenz. Das eigentliche Hindernis ist die Art von Einbahnstrassen-Verbindungen, die von unseren emotionalen Zentren zu den kognitiven Regionen führen. Wenn du ein gefährliches Tier siehst, reagierst du unverzüglich darauf, und der richtige Gedanke wird aktiviert, um dich in Sicherheit zu bringen. Doch uns fehlt die Verbindung in die andere Richtung, die unseren bewussten, rationalen Verstand auf die emotionalen Zentren zugreifen lässt. Studien zeigen, daß es ein paar Bahnen in diese Richtung gibt. Menschenaffen hingegen besitzen diese Bahnen gar nicht, es scheint also fast ein natürlicher Fortschritt zu sein, daß wir diese Verbindungen mithilfe entwickelter Technologien herstellen, mit Nanorobotern oder was auch immer, daß wir die vorhandenen Verbindungen erweitern, natürlich äusserst vorsichtig, und uns mehr Zugang dazu verschaffen, was auf dieser Ebene in uns vorgeht. Wir würden in der Tat weiser werden, wenn wir diese Emotionen integrierten statt uns von ihnen treiben zu lassen. |
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¶ Nehmen wir für einen Augenblick einmal an, daß wir in ein paar Jahrzehnten über solche verbesserte Hard- oder Wetware verfügen werden. Im digitalen Zeitalter jedoch ist jedes Stück Hardware nur so gut wie die Software, die darauf laufen kann ... |
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Richtig. Selbst wenn wir all die richtige Hardware und Wetware besitzen, garantiert das noch keine neue Aufklärung. Die Menschen könnten das sehr stark missbrauchen. Ich meine daher, notwendig ist die Veränderung auf allen Ebenen, gleichermaßen auf den Ebenen des Physischen, des Chemischen, des Sozialen. |
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IV Wie die Dinge sind: Die Erhaltung des Status Quo | ||||
¶ Heute, im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts, scheinen wir von solchen Veränderungen immer noch ziemlich weit entfernt zu sein. Was können wir jetzt schon tun, um unsere kognitiven Fähigkeiten zu verbessern oder zumindest ihren mit jedem Jahr fortschreitenden Verfall zu verhindern? |
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Der generelle Vorsatz ist im Augenblick, zumindest in meinem Alter, die Instandhaltung. Das wichtigste ist gute Ernährung -- viel Fisch essen, weil Fischöl sehr gut ist, ein Multivitaminpräparat einnehmen --, Sport treiben, viel schlafen und so weiter. Wir müssen unsere allgemeine Gesundheit erhalten, damit unser Gehirn funktionsfähig bleibt. |
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¶ Du und ich, wir sind etwas jünger als die alternden Kohorten der Babyboomer. Die meisten von ihnen können es sich nicht mehr leisten, auf weitere Fortschritte zu warten ... |
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Ich meine, jeder, der heute in seinen Sechzigern oder Siebzigern ist und glaubt, seine kognitive Fähigkeiten lassen nach, sollte zu allererst dem Diktum folgen: 'Erkenne dich selbst'. Man muß sich selbst biochemisch kennen, statt einfach verschiedene Pillen zu schlucken, ohne zu wissen, was sie bewirken. Die Kronos Stiftung zum Beispiel oder die Kronos Klinik in Arizona machen solche Tests. Man kann alle möglichen Blutnährstoffe testen lassen, Hormonpegel, um zu sehen, wo ein Mangel besteht, man kann eine Reihe kognitiver Tests machen lassen, um festzustellen, ob man wirklich das Gedächtnis verliert. Denn viele Leute glauben, sie verlören ihr Gedächtnis, obwohl es sich nur um normale Geistesabwesenheit handelt, wie ich sie schon immer hatte, schon, als ich noch ganz jung war ... Ich halte es also für wichtig, möglichst viele Tests machen zu lassen, um eine Grundlage für mögliches Handeln zu gewinnen. |
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¶ Gut, aber wenn nun bei jemandem eine durch Tests festgestellte Notwendigkeit besteht, die Folgen des Alterns zu kompensieren -- welche smarten Drogen oder welche Kombination von smarten Drogen und Geistesmaschinen würdest du heute empfehlen? |
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Einige Supplemente helfen ... Gingko-biloba-Extrakte, Phosphatidylserin, die Aminosäure Tyrosin, Vinpocetine, Ginseng, Acetyl-L-Carnitine, Pregnenolone, Donepezil (Aricept), Provigil und ähnliches können helfen, das Gehirn gesund zu halten und das Gedächtnis wieder zu stärken. Was ich empfehlen würde: Zuerst ein paar Tests machen lassen, dann die allgemeinen Grundlagen sichern, mentale Stimulation, verschiedene Sorten geistiger Übungen, Streßmanagement, und erst danach über spekulative Nahrungsergänzungen nachdenken. Und ein wachsames Auge auf die Forschung halten. Ich glaube, in den nächsten zwei, drei Jahren werden sich viele neue Möglichkeiten eröffnen. |
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V Wie die Dinge sein könnten: Die neue Aufklärung | ||||
¶ Die meisten Menschen, die heute bewußtseinserweiternde Drogen nehmen, verwenden sie hedonistisch, um ihre ästhetischen Erfahrungen zu seigern. Du hingegen betonst immer die Wichtigkeit einer neuen Aufklärung, der Verbesserung unserer intellektuellen und rationalen Fähigkeiten. Wie wichtig sind bewußtseinsverändernde ästhetische Erfahrungen in deiner, der extropischen Sicht sowohl für unseren individuellen Fortschritt und unser individuelles Wohlbefinden wie auch für den Fortschritt unserer Spezies? |
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Ich glaube, um eine neue Aufklärung wirklich zu erreichen und fundamentale Verbesserungen in der Art und Weise zu bewirken, wie wir denken und fühlen, sind ästhetische Erfahrungen extrem wichtig. Aber ich glaube auch, daß wirklicher Fortschritt sich nicht smarten Drogen verdanken wird. Sie können lediglich ein paar grundlegende Fähigkeiten ermöglichen. Darüber hinaus gibt es eine ganze Zahl verschiedener Wege, einer könnte in einer Form von Gentherapie liegen, um das Wachstum intern zu generieren, auf eine Weise, die das Gehirn für natürlich hält. Oder wir können vielleicht Neuronen im Labor züchten und sie transplantieren und dann integrieren. Oder wir können sogar synthetische Neuronen erzeugen, experimentelle Anwendungen scheinen ganz gut zu funktionieren. Es mag Gebiete im Gehirn geben, die repariert oder gar verstärkt werden könnten, indem man synthetische Neuronen einsetzt und integriert. Das könnte ein vielversprechender Weg sein. |
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¶ Ein vielversprechender Weg zur Singularität? |
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Ich neige ein wenig dazu, Singularitätsskeptiker zu sein ... |
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¶ Im Mai diesen Jahres warst du jedoch einer der Hauptsprecher auf dem Stanford Singularity Summit. Andere waren Douglas R. Hofstadter, K. Eric Drexler, Cory Doctorow und Ray Kurzweil. Könntest du unseren Lesern erklären, was der Begriff Singularität bedeutet und was dich daran skeptisch macht? |
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Man versteht in der Regel folgendes darunter: Durch die beschleunigte Entwicklung technologischer Verbesserungen und Augmentation werden wir uns so sehr und so plötzlich verändern, daß wir uns heute nicht wirklich vorstellen können, wie das Leben sein wird, wenn wir einmal die Ebene supermenschlicher Intelligenz erreicht haben werden. Wir können keine geradlinige Projektion vornehmen, da das Leben so radikal verschieden sein wird, daß wir uns das nicht über diesen Punkt, die Singularität, hinaussehen vorstellen können. Und um es noch einmal zu sagen, ich bin nicht wirklich komplett davon überzeugt. Wenn man sich die Sichtweise von vor ein paar hundert Jahren anschaut, dann ist da etwas Wahres dran. Das Leben hat sich auf radikale Weise verändert, wie es sich niemand vorstellen konnte. Aber es gibt auch wiederum viele Dinge, die wir sich heute wieder erkennen lassen. Ich sehe deshalb nicht wirklich diesen einen Punkt der Maximalbeschleunigung. Aber ich stimme dem generellen Bild zu, der Ansicht von einer eskalierenden Beschleunigung des technologischen Wandels und der Vorstellung, daß unser Leben dadurch radikal verändert werden wird, daß wir am Ende Superintelligenz erzielen werden. |
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¶ Welche Rolle, wenn überhaupt eine, werden smarte Drogen und andere bewußtseinserweiternde Technologien beim Aufstieg dieses superintelligenten Lebens spielen? |
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Gewiß wird jede Sorte Bewußtseins verstärkender Technologie eine große Rolle dabei spielen, schon einfach deshalb, weil man, um wirklich unwiederkennbar anders zu werden, recht verschiedene Gedanken denken und seinen Lebensstil radikal ändern muß. Doch es gibt eine ganze Reihe verschiedener Wege dahin: Emulation oder Nachbau menschlicher Gehirne, künstlich intelligente Maschinen, vielleicht eine Intelligenz, die, wie manche spekulieren, aus dem Internet evolvieren wird, eine Art sozialer Intelligenzverstärkung, die selbständig entsteht. Doch wie ich in den letzten Jahren eingesehen habe, besteht das große Problem nicht nur darin, unsere physische Kapazität zu verstärken oder zu augmentieren, die tatsächliche Gehirnstruktur und Gehirnchemie. Das ist sicherlich wichtig, doch ebenso wichtig ist, was wir damit tun. Der Schwerpunkt muß darauf liegen, wie man seine Ermächtigung gebraucht, die Gewohnheiten, die man hast, die kognitiven Gewohnheiten, die institutionellen Mechanismen, die sozialen Mechanismen. Unser Fortschritt hat vielerlei Hindernisse. Ich glaube, viele der technologisch orientierten Denker, die eine Singularität kommen sehen, erkennen diese Hindernisse nicht wirklich, vor allem die individuellen und institutionellen Barrieren, die einer Akzeptanz dieser Technologien entgegenstehen. |
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¶ Als Teil des texanischen ManyWorld Consulting Teams bist du dafür bekannt, smarte Szenarien zukünftiger Entwicklungen zu entwerfen. Wie sieht dein Szenario für den schlimmsten Gebrauch dieser sich entwickelnden Technologien aus, unser Bewußtsein zu erweitern und unseren Verstand zu augmentieren? |
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Nun, man muß versuchen, eine Möglichkeit sehr Ernst zu nehmen, die sich abzeichnet, wenn man in Rechnung stellt, was heute mit bestimmten Drogen anzurichten ist, insbesondere hochgradig destillierten. Außerdem muß man in Betracht ziehen, wie die Menschen mit geistigen Aktivitäten wie Videospielen oder Pornographie oder Glücksspiel umgehen ... Geschehen könnte, daß wir im Grunde Erfahrungen kreieren, die extrem verzaubern, wenn sie direkt ins Gehirn eingespeist werden und das Gehirn direkt stimulieren. Wir könnten in diese virtuellen Welten einziehen, vollständig von reiner Unterhaltung absorbiert werden und das Interesse verlieren, wirkliche Fortschritte zu erzielen. Ich meine, das wäre bedauerlich, sogar schrecklich, eine Sackgasse der Evolution. |
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¶ Und wie sieht -- da wir ja alle hoffnungslose Optimisten sind -- dein Szenario für den besten Fall aus? |
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Es macht keinen Sinn, den Intellekt und die Erkenntnisfähigkeit fortzuentwickeln, wenn man damit nichts Nützliches anfängt. Dieser Fortschritt muß daher in die sozialen Institutionen integriert werden, in unsere Lebensweise und die Politik, die wir betreiben, in unsere Arbeitsweisen und so weiter. Das muß alles zusammenspielen. Gewiß wird eine große Triebkraft dieser Entwicklung die Befähigung sein, neue Gedanken zu denken und sie schneller und effektiver zu denken und kreativer zu sein. Idealerweise sollten die Menschen diese kommenden technologischen Durchbrüche vor allem benutzen, um gesünder zu werden, um ihre Fähigkeiten zu augmentieren, um die verschiedenen Sorten natürlicher Probleme zu beseitigen, die wir haben. Allmählich sollte die Augmentierung allen zur Verfügung stehen und erschwinglich werden. Jeder sollte diese Möglichkeiten vernünftig einsetzen, so daß am Ende die ganze menschliche Rasse geistig gesunden würde. Wenn wir uns tatsächlich selbst umbauen könnten, Stück für Stück, nicht nach einem vorgegebenen Plan, und eine friedliche, produktive und freudige Gemeinschaft ausbilden könnten, engagiert und bemüht, grundsätzlich nicht mehr unglücklich, ohne unter Depressionen leiden zu müssen, unter Feindschaft oder Wut, einfach nur nach vorne gehend und produktiv und einander unterstützend -- das wäre mein Szenario für den besten Fall. |
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(Aus dem Englischen von Elke S. Freyermuth.) |
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autoreninfo
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Prof. Dr. Gundolf S. Freyermuth, geb. 1955, lehrt Ästhetik und Kommunikation an der Internationalen Filmschule Köln. Werdegang: Studium der Allgemeinen und Vergleichenden
Literaturwissenschaft, wissenschaftlicher Assistent an der FU Berlin, Promotion zur Digitalisierung von Kunst und Unterhaltung. Berufstätigkeit u.a.: Redakteur TransAtlantik, Reporter stern, Chefreporter Tempo. In den neunziger Jahren Fachautor für digitale Medien und Kultur in den USA. Autor von drei Romanen und neun Sachbüchern, darunter Cyberland (Rowohlt: Berlin 1996) und Kommunikette 2.0 (Heise: Hannover, 2002). Aktuelle Projekte: Vorbereitung der elektronisch-transmedialen Publikation einer Kulturgeschichte der Digitalisierung.
E-Mail: gundolf@freyermuth.com |
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