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no. 6: x. generation -> hybridität
 

Globale Kultur in Deutschland

oder: Wie unterdrückte Frauen und Kriminelle die Hybridität retten

von Mark Terkessidis

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* anmerkungen
* druckbares
* diskussion

Hybridität und Vermischung sind die aktuellen Schlagworte in der Diskussion um die interkulturelle Gesellschaft. Doch wird nur allzuoft übersehen, daß sich hinter der Fassade vom 'freien Spiel der Kulturen' meist weiterhin die altbekannten ökonomischen und politischen Machtstrukturen verbergen. Es gilt also, die postmoderne Insistenz auf Differenzen ernst zu nehmen und zwischen gelebter Hybridität und ihrem Zerrbild in den Diskursen der Konsumgesellschaft zu unterscheiden.

 

1. Globalisierte Kultur

Die globalisierte Welt kurz vor der Jahrtausendwende scheint unter dem Stern der Vermischung zu stehen. Ein Spaziergang durch die Stadt, ein Blick in die Auslagen der Geschäfte oder auf Werbeplakate, Zeitunglesen, Radiohören oder Fernsehen zeigen im Vergleich zu den zurückliegenden Jahrzehnten unabweisbar eine ganz erstaunliche Vielzahl kultureller Bezüge. Zu dieser Pluralisierung und Entgrenzung von kulturellen Zusammenhängen und individuellen Lebensentwürfen haben vor allem vier Prozesse beigetragen: 1. Die Jugendrevolten der fünfziger und sechziger Jahre trugen die angloamerikanische Popkultur als Medium des jugendlichen Ausdrucks über die ganze Welt; 2. das Fernsehen übersprang räumliche Distanzen und machte die verschiedensten kulturellen Lebenswelten gleichzeitig verfügbar; 3. die Migration 'transnationalisierte' das Territorium sowohl der Einwanderungs- als auch der Herkunftsländer auf bisher unbekannte Weise und 4. sorgte das routinisierte Reisen der Metropolenbewohner ebenfalls für eine Reihe neuer Verbindungen und Verschiebungen -- gewissermaßen in umgekehrter Richtung zur Migrationsbewegung. Schließlich haben darüber hinaus auf verschiedene Weise Informationstechnologie, Internet und Genforschung weitere Grenzüberschreitungen ermöglicht: Selbst der Körper wird nun offenbar in einen Strudel von Auflösung und Neukombination hineingezogen.

In den letzten zehn Jahren hat es verschiedene Bemühungen gegeben, die beobachtete 'Vermischung' theoretisch zu erfassen. Man sprach von "Melange" (Rushdie 1992, S. 458), "Kreolisierung" (Hannerz 1996, S. 65ff.), "kulturellem Synkretismus" (Canevacci 1992), "globaler Crossover-Kultur" (Nederveen Pieterse 1998, S. 103) oder auch "Hybridität" [Anm. 1]. Vor dem Hintergrund von Interpretationen, die angesichts dieser Entwicklung lediglich Homogenisierung und unoriginelle Verflachung diagnostizierten, betonten die meisten Autoren, die sich mit dem Phänomen befaßten, daß dieser Prozeß sowohl neue Formen kultureller Vielfalt hervorbringe als auch eine beachtliche Kreativität entfalte. Während also Chancen keineswegs verleugnet wurden, sah freilich keiner der Forscher angesichts der 'Vermischung' einen Grund zum Feiern. Denn in bezug auf das Eigene und das Fremde äußert sich im allgemeinen 'Crossover' trotz der grenzüberschreitenden Qualität keineswegs die Überwindung von ungleichen globalen Machtverteilungen, sondern lediglich ihre veränderte Artikulation. Der grundsätzliche Rahmen von Zentrum und Peripherie hat sich daher nicht aufgelöst, wenn er auch weitaus komplizierter geworden ist und zudem schwieriger zu erkennen.

Auch im deutschsprachigen Raum werden diese Diskussionen nun mit einiger Zeitverzögerung aufgenommen. [Anm. 2] Allerdings deutet sich an, daß hiesige Intellektuelle die Bedingungen von 'Vermischung' zwischen Eigenem und Anderem weitgehend ignorieren und sich statt dessen eine erstaunlich harmonistische Beschreibung der neuen kulturellen Erscheinungen durchzusetzen droht. Ich möchte diese Version zunächst an einigen neueren theoretischen Arbeiten aufzeigen. Um diese Vorstellungen zu untergraben, werde ich im Anschluß einige Repräsentationen aus der medialen Alltagskultur in Deutschland analysieren, in denen sich die ungleichen Konditionen der 'Vermischung' deutlich zeigen. Tatsächlich erweisen sich dabei die "Grenzen der Entgrenzung" (Gerhard 1998, S. 201) sowie ihre gleichzeitig auftretenden "Gegenbilder"[Anm. 3] ziemlich schnell. Schließlich möchte ich auf den bedeutend verzwickter und konfliktuöser angelegten Begriff der 'Hybridität' vor allem bei Homi Bhabha eingehen, um wiederum an einigen Beispielen aus der hiesigen Alltagskultur darzulegen, daß sich oft gerade in solchen Phänomenen 'Hybridität' äußert, die in der harmonistischen Darstellung eben nur als Gegenbilder auftauchen.

 

2. Die Ureinwohner des Weltendorfes: Deutschland hybrid

In dem Vorwort zu dem Band Hybride Kulturen, in dem 1997 Texte von Edward Said, Homi Bhabha, Iain Chambers und anderen veröffentlicht wurden, versuchen die Herausgeber Elisabeth Bronfen und Benjamin Marius die Erkenntnisse der angloamerikanischen Postkolonialismus- und Multikulturalismus-Debatten auf den Kontext der deutschsprachigen Welt anzuwenden. Nach ihrer Auffassung ist diese Übertragung möglich, weil mit der Bezeichnung 'Postkolonialismus' keineswegs nur buchstäblich die Auswirkungen der Kolonialherrschaft gemeint seien, also nicht etwa nur ein schieres 'danach', sondern vielmehr die "Rekonfiguration des gesamten Feldes". Und diese Neuordnung sei schließlich auch im deutschsprachigen Raum festzustellen -- angesichts "der Effekte von Massenmigration von Menschen und der globalen Zirkulation von Zeichen, Waren und Informationen" (Bronfen & Marius 1997, S. 8).

In den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen über die kulturelle Rekonfiguration rücken Bronfen und Marius den Begriff der Hybridität. "Hybrid", so schreiben sie, "ist alles, was sich einer Vermischung von Signifikantenketten verdankt, was unterschiedliche Diskurse und Technologien verknüpft, was durch Techniken der collage, des samplings, des Bastelns zustande gekommen ist." (Ebd., S. 14) Diese 'Hybriditäts'-Definition bezieht ihren Inhalt aus ganz verschiedenen Kontexten (offenbar ist sie bereits 'hybrid' gemäß ihrer eigenen Bestimmung): Es finden sich undeutliche Spuren von Michail Bachtins Definition von "Hybridisierung" als "Vermischung zweier sozialer Sprachen innerhalb einer einzigen Äußerung" (Bachtin 1979, S. 244), von Avantgardepoetik sowie von Ulf Poschardts jüngeren Gedanken über "DJ-Culture" (Poschardt 1997). Zudem bleibt es wohl das Geheimnis der Autoren, wie sich Diskurse und Technologien, die sich auf völlig unterschiedlichen logischen Ebenen befinden, verknüpfen lassen. Offenbar stellen sich Bronfen und Marius unter 'Hybridität' nichts Genaueres vor als eine Art diffuses Recycling-Durcheinander zwischen CNN, Fusion-Cooking und Clubkultur.

In diesem Sinne empfehlen sie dann eine völlig undifferenzierte Idee von 'DJ-Kultur' als Vorbild für eine 'postkolonialistische' Neubestimmung der Nation. In einer recht eigenwilligen Interpretation von Bhabha wird behauptet, heute gehe es nicht länger "um dem Ausschluß des nicht Dazugehörigen", sondern um die "Produktivität interner Differenzen" (Bronfen & Marius 1997, S. 3). Die Utopie der nationalen Gemeinschaft ist für die Autoren nun nicht mehr das "Multi-Kulti-Gartenfest", "auf dem Folklore dargeboten wird und in der das politische Subjekt durch den Anderen seine Korrektheit genießen kann", sondern die "Club-Nacht, in der nationale und (sub-)kulturelle Differenzen als einige unter vielen anderen möglichen produktiv eingesetzt werden können." (Ebd., S. 12)

In diesem Dorado der 'Vermischung' avanciert der Migrant, der 'Fremde', zum Modell des neuen Kulturtyps der Postmoderne. "Das Nomadentum des Arbeitsmigranten", betont der deutsche 'Postkolonialismus'-Adept Paul Michael Lützeler, "ist ein Merkmal postmoderner Verfassung und Identität überhaupt geworden." (1998, S. 913)[Anm. 4] Da die Gesellschaft den Individuen offenkundig immer weniger eindeutige Identitäten oktroyiert oder auch nur anbietet, kann und muß der heutige Mensch, um sich selbst zu definieren und zu differenzieren, aus den herumliegenden kulturellen Versatzstücken auswählen, was er benötigt und was er möchte. Mithin erscheint die Gesellschaft nicht mehr wie früher als Normierungsanstalt, sondern als monumentale Maschine zur Produktion von Unterschieden.

Aber selbstverständlich eignet sich ein Illegaler, der in einem Sweatshop arbeitet, eher nicht zur Identifikation. Überhaupt scheinen die überaus 'fremd' und weitgehend sprachlos wirkenden Migranten hierzulande der Imago der Hybridsubjekte nicht so recht zu entsprechen. Daher begehren die deutschen Hybriditäts-Apologeten lieber den 'postkolonialen' Schriftsteller oder Intellektuellen, den sie sich als glitzernden Wanderer und bereichernden Kulturvermittler zwischen Peripherie und Zentrum vorstellen.[Anm. 5] In diesem Sinne haben mittlerweile auch die Vertreter von Ulrich Becks Vorstellungen von einer 'zweiten Moderne' den 'Postkolonialismus' entdeckt. Da heute "biographische Unsicherheit ein charakteristisches Merkmal der Moderne, ja eine gesellschaftliche Basiserfahrung" sei, wie die Soziologin Elisabeth Beck-Gernsheim in ihrem Beitrag zu dem Band Perspektiven der Weltgesellschaft meint, schwärmt sie entsprechend von den 'postkolonialen' Schriftstellern als "neuen Ureinwohnern des Weltdorfes" oder bezeichnet sie gar unverhohlen als "neue Rasse der postkolonialen Seelen" (Beck-Gernsheim 1998, S. 163 ff.).

In einem Interview berichtete der schwarze britische Kulturkritiker Stuart Hall vor einiger Zeit von einer Podiumsdiskussion mit Salman Rushdie und Homi Bhabha, bei der das vornehmlich englische Publikum so vehement sein Englischsein abstritt und auf seine "Unreinheit" und "Hybridität" hinwies, daß er sich plötzlich ganz "zentriert" vorgekommen wäre.[Anm. 6] Offenkundig dient die harmonistische Verwendung des Hybriditätsbegriffs in erster Linie dazu, die neuen Identitätskonstruktion der Mehrheit zu erfassen -- in individueller als auch in kollektiver Hinsicht. Robert Young, der ausführlich den Ursprung des Begriffes Hybridität in der Diskussion um 'Rassenmischung' im 19. Jahrhundert untersuchte, warnte anschließend vor der Gefahr, durch die Verwendung des Begriffs rassentheoretische Subtexte zu wiederholen.[Anm. 7] Tatsächlich scheint es, als identifizierten sich die westlichen Subjekte heute mit den von ihnen im 19. Jahrhundert so vehement abgelehnten Mischungen. [Anm. 8] Und so schreiben Agentur Bilwet durchaus zurecht: "Der moderne Bastard strahlt selbstbewußt die Harmonie eines neuen genetisch-kulturellen Einverständnisses aus." (1997, S. 19)

 

3. Der Melitta-Mann und Peter Maffay im Weltdorf: Unter Ureinwohnern

Daß heute eine kulturelle Rekonfiguration stattfindet, darüber kann kein Zweifel bestehen. Um diese Rekonfiguration zu verstehen, muß man jedoch im Blick behalten, daß Kultur in der Moderne grundsätzlich, wie Stuart Hall im gleichen Interview betonte, eine "Konfiguration von Einschränkungen" darstellt.[Anm. 9] Die erwähnten Wissenschaftler hinterlassen den Eindruck, als seien sich alle Menschen in ihrer fundamentalen Unsicherheit gleich. Ein jeder scheint in derselben Weise dazu gezwungen zu sein, in beachtlicher individueller Freiheit an seiner Biographie und Identität zu basteln, und für dieses Spiel stehen ihm die Kulturen wie offene Bauchläden zur Verfügung. Und dabei bewertet die Gesellschaft der Unterschiedlichkeit vorgeblich auch alle Differenzen gleich.

Dieses Modell besitzt eine Prämisse, die mittlerweile offenbar so selbstverständlich wirkt, daß sie zumeist überhaupt nicht mehr erwähnt werden muß: Das ausgezeichnete Feld der Identitätsbildung ist die Sphäre des Konsums. Damit deutet sich freilich schon an, daß in der gegenwärtigen Differenzkonsummaschine die (rein pekuniären) Mittel der Identitätsbildung ungleich verteilt sind. In bezug auf das Eigene und das Fremde stellt sich angesichts der Maxime "Ich konsumiere, also bin ich" die entscheidende Frage: "Wer konsumiert?" bzw. "Wer wird konsumiert?" Daß sich die "Produktivität interner Differenzen" konkret eher auf den Gout des hegemonialen Metropolenbewohners bezieht als auf einen allgemeinen Prozeß kultureller Demokratisierung, das läßt sich mit beklagenswerter Deutlichkeit an der 'Hybridisierung' von zwei äußerst populären Figuren der alltäglichen deutschen Konsumkultur zeigen: dem Melitta-Mann und Peter Maffay.

Seit einigen Jahren erzählt die Werbung für den Kaffee der Firma Melitta kleine Geschichten rund um den mittlerweile äußerst populären Melitta-Mann, einen ausgemachten 'Softie'. In den ausgehenden Neunzigern wird nun ein Teil der Kampagne unter einem sehr aktuellen Motto gefahren: "Die Mischung macht's!" Man sieht den Melitta-Mann -- mal bei einem Kaffekränzchen, mal bei einer Jam-Session -- immer im Kreise von zumeist dunkel pigmentierten Personen, welche die Herkunft der verschiedenen, in die Mischung eingeflossenen Kaffeesorten symbolisieren. Dabei geschieht nun etwas Seltsames: Damit die vorgeblich grenzenlose neue Mischung funktioniert, müssen letztlich ganz alte Klischees wieder aufgerufen werden. Denn ihrer symbolischen Aufgabe können die Personen rund um den Melitta-Mann offenkundig nur nachkommen, wenn ihr Auftritt durch Hautfarbe und andere kulturelle Accessoires signalisiert: Wir bringen euch Natürlichkeit, Kraft, Sinnlichkeit, Rhythmus, Feuer...

Ganz ähnlich verhält es sich mit der letzten, 1998 erschienenen Platte von Peter Maffay: Begegnungen. Mit diesem 'Projekt' versuchte Maffay relativ spät auf die Tatsache zu reagieren, daß mittlerweile eine große Anzahl der die Charts beherrschenden neuen deutschen Produktionen -- von Bellini über Dario G bis zu Nana -- eine wie auch immer beschaffene 'Fremdheit' verarbeiten und ausstellen. Daher schreit die aufwendig gemachte CD schon rein äußerlich mit aller Kraft 'Vermischung': Auf dem Cover finden sich mythisch anmutende Symbole, auf dem Innersleeve einige Worte des Dalai Lama und auf dem Booklet das 'ethnifizierte' Gesicht von Maffay selbst -- bemalt mit (wahrscheinlich) Aboriginee-Emblemen. Die einzelnen Stücke der Platte bestehen aus Kooperation mit Musikern, die jeweils die musikalische Tradition ihres Herkunftslandes bzw. der unterschiedlichen Kontinente verkörpern sollen: Yothu Yindi für Australien, Noa für Israel, Cartel für die Türkei, Lokua Kanza für den Kongo, Natacha Atlas für Ägypten etc.

Auch bei Maffays Begegnungen muß, damit die Mischung schmeckt, unbedingt die -- allerdings real oft überhaupt nicht existente -- 'Fremdheit' der beteiligten anderen betont werden. Zunächst betrifft das die Musik: Während beispielsweise im CD-Booklet so getan wird, als verbreiteten die Aboriginees von Yothu Yindi den musikalischen Charme der australischen Ureinwohner, unterscheiden sie sich de facto überhaupt nicht von einer gewöhnlichen metropolitanen Breitwand-Rockband. Zum anderen zeigt es sich an den Ortszuschreibungen: Denn während auf der Platte Cartel, Atlas und Kanza als Repräsentanten ihrer 'Heimatländer' verkauft werden, leben sie eigentlich in Berlin, London und Paris (die Jüdin Noa wiederum ist in den USA aufgewachsen und erst später nach Israel emigriert).[Anm. 10]

Die begehrte 'Fremdheit' hat sich also längst in Wohlgefallen aufgelöst; der kulturelle Unterschied bleibt unauffindbar (oder unwahrnehmbar) -- insofern wird 'etwas' erfunden, was den gängigen Klischees entspricht. Der perfekte 'Fremde' ist dabei eigentlich genauso wie 'wir' ('integriert', könnte man sagen), aber gleichzeitig muß er für 'uns' den Anderen verkörpern. Offenbar verlangt die Einspeisung in den großen Mix der Differenzkonsummaschine von den Anderen ein gehöriges Maß an Selbstexotisierung. Das Ensemble erinnert an eine Szene in dem schönen Kurzfilm I Bring You Frankincense von Ngozi Onwurah (Großbritannien 1996), in dem ein kleiner schwarzer britischer Junge, der bei seiner weißen Mutter lebt, während der jährlichen Schulinszenierung der Weihnachtsgeschichte immer auf die Rolle des schwarzen Balthazar festgelegt wird und daher alle Jahre wieder nur sagen darf: "Ich bringe euch Weihrauch".

Aber was bringen eigentlich der freundliche Melitta-Mann und Peter Maffay selbst 'substantiell' in die Mischung ein? Beide sieht man immer in überlegener Position: den Melitta-Mann als Gastgeber oder Bandleader, Maffay umgekehrt-entsprechend als Reisenden ("Begegnung bedeutet für mich Bewegung", steht über einem verträumten Landschaftsbild im Booklet) und ebenfalls als musikalischen Leiter. Im Grunde lautet die Antwort daher "Nichts!", denn sie sind die Kompositeure der Mischung aus den schmackhaften Differenzzutaten. Chamäleonhaft verschwinden beide hinter ihrem Produkt: Sie repräsentieren die Mischung, wobei sie in ihr aufgehen und dennoch den scheinbar leeren, quasiuniversalen Ort der Kontrolle besetzt halten. Genau dieses Verhältnis von allgemeingültigem kombinatorischen Gleiten und bereitliegender partikularer Fülle spricht Slavoj Zizek an, wenn er den Multikulturalismus als Rassismus bezeichnet, "der seine eigene Position von jeglichem positiven Inhalt freigemacht hat und dessen Respekt vor der Besonderheit des Anderen (...) eigentlich die Behauptung der eigenen Überlegenheit" ist (Zizek 1998, S. 73).

Allein der Mellita-Mann und Maffay sind daher 'hybrid' in Bronfen und Marius' Sinne. Nur sie, die Mitglieder einer konsumstarken 'Mitte', können in der Mischung Identität frei wählen, die Anderen werden (man könnte sagen: wie gehabt) im Prozeß von deren Identitätsbildung und zu deren Vergnügen auf bestimmte Eigenschaften festgelegt. Schließlich erscheint die Identität der Mehrheitsangehörigen sogar so plastisch, daß sie potentiell selbst 'biologische' Gegebenheiten wie die Hautfarbe ändern können. Dies wurde kürzlich ziemlich eindeutig durch eine Plakatreklame für ein Sonnenstudio illustriert, auf dem weibliche Pos in verschiedenen Farbabstufungen zwischen fast weiß und fast schwarz abgebildet waren. Darunter stand zu lesen: "Den Ton bestimmen sie". Hier wirkt selbst die Pigmentierung einfach wie ein Konsumartikel: Sogar Hautfarben, lautet die implizite Botschaft, kann man sich aussuchen wie Frisuren. In der gefeierten 'hybriden' Mischung werden also nur auf den ersten Blick Grenzen überwunden -- tatsächlich wird es vor allen Dingen schwieriger, sie zu erkennen. Denn zweifellos bleibt zum einen der rassistische Untertext erhalten -- er wird sogar zur Symbolisierung von konsumistischen Unterschieden dringend benötigt. Zum anderen wird gleichzeitig suggeriert, es gäbe diese Zuschreibungen und Festlegungen überhaupt nicht mehr: Schließlich wirkt selbst die Haufarbe nur noch wie eine Differenz unter vielen, die man an- und ablegen kann wie man will.

Die Differenzkonsummaschine, das individualisierte, multikulturell-vermischte, plastische Terrain der hegemonialen Identitätsbildung, ist also zerfurcht durch eine ganze Reihe interner Grenzen. Darüber hinaus formiert die Maschine aber auch ein ganz neuartiges 'virtuelles' Territorium, denn sie besitzt auch Grenzen nach außen. Kürzlich hat Nora Räthzel zu Bedenken gegeben, daß unter Umständen "Bilder der Anderen für die Herstellung des gesellschaftlichen Zusammenhalts um so wichtiger werden, je mehr die Gesellschaft in 'Stämme' zerfällt. Differenzen und Gegensätze können als Differenzen innerhalb einer Einheit erfahren werden, wenn sie den Differenzen entgegengesetzt werden, die aus dieser Einheit ausgegrenzt werden." (1997, S. 257)

Tatsächlich zeigt ein Blick auf das öffentliche Gespräch in Deutschland relativ schnell, daß vor allem zwei in den Massenmedien ununterbrochen inszenierte 'Gegenbilder' zur 'hybriden' Gemeinschaft der 'Mitte' kursieren: Es handelt sich dabei zum einen um das 'Kopftuch', welches die unkonsumierbare, ungenießbare Differenz markiert, und zum anderen, wie sich jüngst gezeigt hat, um 'Mehmet', den unkontrollierbaren und undifferenziert-kulturlosen Kriminellen. Der Spiegel hat diese angstbesetzten Verdichtungen 1997 auf einem Cover mit der Titelline "Gefährlich fremd: Das Scheitern der multikulturellen Gesellschaft" zugespitzt: Neben einer 'ausländisch' aussehenden, offenkundig wütenden jungen Frau mit einer türkischen Fahne, die als Illustration für Fanatismus diente, sah man links junge Koranschülerinnen, deren 'endlose' Bankreihen sich im Hintergrund milchigen Weiß verloren, und rechts eine Gang jugendlicher Kleinkrimineller mit Tschakos und Messern.[Anm. 11]

Die Symbolkraft des Kopftuchs erwies sich zuletzt in einer spektakulären Auseinandersetzung im Sommer 1998, als das baden-württembergische Oberschulamt Fereshta Ludins Bewerbung als Hauptschullehrerin zurückwies, weil sie im Unterricht ein Kopftuch trug. Die Kultusministerin des Landes, Annette Schavan, verteidigte die Entscheidung, indem sie erklärte, das Kopftuch sei ein "Symbol für kulturelle Abgrenzung" und konterkariere daher die Toleranzvorstellungen der Bundesrepublik, welche die Lehrerin jedoch als Beamtin repräsentieren müsse. Wenn man diese offensichtliche Symbolfunktion des Koptuches nun auf die Identitätsbildungsprozese im Terrain des Konsums bezieht, so wird deutlich, daß das Tuch gewissermaßen einen 'Schleier' vor die exotisierte Konsumierbarkeit der Anderen legt. Es versperrt sich der Einpassung in die Kombinatorik des Eigenen und es blockiert ganz eindeutig den -- in diesem Fall zudem deutlich geschlechtlich konnotierten -- Genuß.

Dies bringt eine erotische Fotostrecke der Männerillustrierten GQ mit Yasmeen Ghauri auf den Punkt, einem in Montreal mit einer deutschen Mutter und einem pakistanischen Vater aufgewachsenen Model. "Das ist die Frau", lautet der Lassotext, "die einem religiösen Symbol schärfste Konkurrenz geboten hat. Jammerschade, wenn Yasmeen Ghauri heute verschleiert rumlaufen müßte."[Anm. 12] Hier werden also säkularisierte Offenheit und religiöse Verschlossenheit miteinander in ein Verhältnis der 'Konkurrenz' gebracht, wobei Freiheit und Offenheit allerdings letztlich wenig mehr bedeuten als erotische Entblößung. Die Entkleidung gewährleistet die Einspeisung des deutlich exotisierten Frauenkörpers in die 'Differenzgenußmaschine', während das Kopftuch dieser entgegenstünde. Fast selbstverständlich findet sich im übrigen in einem kleinen Text noch der Hinweis, daß es die europäische Frau war, eben die deutsche Mutter, welche die 'Verschleierung' gerade noch verhindert habe.

'Mehmet' dagegen repräsentiert eine ganz andere Version des Außen. Das Problem mit 'Mehmet' scheint vor allem zu sein, daß er einfach nicht zu differenzieren ist: 'Wir' unterscheiden uns nämlich im Grunde nicht von 'Mehmet'. Auch 'Mehmet' läßt sich nicht konsumieren, allerdings nicht, weil er seiner Konsumierbarkeit einen Riegel vorschiebt, sondern weil er selbst konsumieren will, weil er als männliches Subjekt seine Identitätsbildung mit exakt den gleichen konsumistischen Mitteln vorantreiben will wie die Mitglieder der Mehrheit auch. Der Unterschied zur Majorität artikuliert sich lediglich im Weg, der zu den begehrten Gütern führt: 'Mehmet' nimmt gewissermaßen eine Abkürzung über die Kriminalität.

In den (hegemonialen) Erklärungen der Polizei und einer Reihe von Wissenschaftlern für die Kriminalität von jugendlichen Migranten taucht neben der sozialen Chancenlosigkeit auch immer wieder die Kultur auf. Diesmal jedoch als Mangel: Die "auffälligen" Jugendlichen gelten als "verloren zwischen zwei Kulturen", was letztlich soviel wie Kulturlosigkeit bedeutet.[Anm. 13] Hätten nämlich 'Mehmet' und seinesgleichen Kultur, denn wären sie in der Differenzkonsummaschine willkommen -- freilich als imaginäre Objekte. Auf dem falschen, abweichenden Weg zur Subjektivität[Anm. 14] jedoch sind sie angesichts ihrer potentiellen Gewalttätigkeit ebenso wie jene, die wie die (männlichen) 'Fundamentalisten' an einem Zuviel an Kultur leiden, nur noch ein Problem für die 'Innere Sicherheit.'

Bronfen und Marius haben durchaus nicht unrecht, wenn sie behaupten, daß die Identitätsbildung (der Mehrheit) heute nicht mehr ausschließlich auf dem Ausschluß des Nicht-Dazugehörigen beruht, also auf der hierarchisierten Gegenüberstellung der westlichen Subjekte und der unterworfenen Anderen wie noch während der Periode des Kolonialismus. Daß aber die Differenzen in den Metropolen auf vielfältige Weise Einzug gehalten haben, sagt noch lange nichts über die Beschaffenheit dieser 'internen Differenzen' aus. Ebensowenig ist damit bewiesen, daß nichts mehr ausgeschlossen werden muß. Tatsächlich wird die Differenz zwar nicht mehr diszipliniert und geschliffen, aber ihre Grenzwerte werden mit einigen Verschiebungen immer aufs neue kontrolliert: ein Zuviel und Zuwenig an Differenz kann zu Sanktionen führen.

Gerade diese flexiblen, aber dennoch durchaus eindeutigen Grenzkontrollen verhelfen den Individuen im Zentrum, welche ihre Selbstbildung durch die Nutzung 'interner Differenzen' betreiben, zum Abstecken eines gemeinsamen 'virtuellen' Territoriums: Im Gegensatz zum 19. Jahrhundert basiert die Identität der nationalen/westlichen Gemeinschaft nicht mehr auf der durchaus materiellen "Erfindung von Traditionen", sondern sie wird angesichts der "internen" Pluralität vor allem durch symbolische "Gegenbilder" markiert.[Anm. 15] An der hierarchisierenden Opposition zwischen dem Eigenen und dem Anderen hat sich daher eigentlich nichts geändert -- sie wird lediglich in ein verändertes gesellschaftliches Szenario eingeschrieben und so neu artikuliert. Neu allerdings ist sicher die flexible Multiplikation von internen und äußeren Grenzen durch die Hereinnahme des Anderen in die Repräsentation des Eigenen als 'vermischt'.

 

4. Weniger als eins und doppelt: Hybridität in der Postkolonialismus-Diskussion

Im Gegensatz zum beschriebenen Verständnis von Hybridität, das am grünen Tisch der Mehrheitsangehörigen entworfen und diesen auf den Leib geschnitten wurde, entwickelte sich die Diskussion in Großbritannien unter minorisierten Intellektuellen und im direkten Gefolge antikolonialer und antirassistischer Kämpfe. Die Schwierigkeit und zum Teil auch das Scheitern solcher Kämpfe offenbarte das Problem mit -- je nachdem politischen oder auch essentialistisch verstandenen -- Identitätskonstruktionen wie 'Dritte Welt', 'Afrika', 'schwarz' oder Nation. Denn übersehen wurde bei dieser Art der binären Positionierung, die Stuart Hall "Identitätspolitik ersten Grades" (Hall 1994, S. 78ff.) nennt, zum einen der Streit um Differenzen innerhalb der jeweiligen 'erfundenen' Gemeinschaft und zum anderen die Verwicklung der vorgestellten Identität in die Kultur des politischen Gegners, also des Kolonisatoren oder der Majorität. Besonders der zweite Punkt führt schließlich zum Begriff der Hybridität. Denn, wie Hall schreibt, führt kein Weg an der Erkenntnis vorbei, daß jede Identität bei ihrer Konstitution durch das "Nadelöhr des Anderen" (Ebd., S. 44) hindurch ging und daß Identität "aus mehr als einem Diskurs zusammengesetzt ist, immer aus dem Schweigen über den Anderen gebildet wird" und "mit und durch Ambivalenz und Begehren geschrieben ist." (Ebd., S. 74)

Am anspruchsvollsten hat diese Vorstellung vom Dislozieren der Identität in sich selbst wohl Homi Bhabha beschrieben. In verschiedenen Aufsätzen, die später zu dem Buch The Location of Culture zusammengefaßt wurden, befaßte sich Bhabha ausführlich mit der 'anderen Szene' der kolonialen Machtenfaltung -- mit jener unausweichlichen Ambivalenz, in die sowohl die eine als auch die andere Seite durch die Mimikry der Kolonisierten an die Kultur ihrer Unterdrücker verwickelt werden.[Anm. 16] Denn die Nachahmung erzeugt, wie Bhabha immer wieder betont, "a subject of difference that is almost the same, but not quite." (Bhabha 1994, S. 86) Diese 'Szene' wiederholt sich dann unter anderen, nämlich 'postkolonialen' Vorzeichen in der Metropole, deren Regierung die Ex-Kolonisierten nach ihrer Befreiung ja zur Einwanderung aufforderte.

Um den Prozeß der minoritären Identitätsbildung zu erläutern, zitiert Bhabha ein Gedicht von Meiling Jin, indem sie davon spricht, sie habe eine "geheime Kunst" gelernt, die "Unsichtbarkeit". Diese bewahre sie davor, vom hegemonialen 'Du' gesehen zu werden, während sie selbst jedoch weiterhin sehen kann: "Nur meine Augen bleiben als Spuk und werden aus Deinen Träumen ein Chaos machen." (zitiert nach Bhabha 1997a, S. 98) Diese exemplarische Identitätskonstruktion stellt die gewöhnliche Vorstellung von Identität zutiefst in Frage. Während allgemein davon ausgegangen wird, daß dem, was man von einem Ich sieht oder dem, was eine Person sagt, auf einer tieferen Ebene eine sich selbst gleiche Essenz zugrunde liegt, befindet sich hier die Migrantin (das Subjekt) offenkundig nicht an dem Ort, von dem aus es spricht und an dem es gesehen wird.

Allerdings indiziert diese Spaltung nicht, daß die Migrantin ein befreites, nicht-unterdrücktes Ich hinter einem falschen Bild in Sicherheit gebracht hat. Was hier stattgefunden hat, ist vielmehr eine "Verdoppelung", "die unheimliche Differenz desselben oder die Alterität der Identität." (Bhabha 1997a, S. 110) In einer zweifachen Bewegung schmiegt sich die Migrantin durch Mimikry der hegemonialen Vorstellung von sich selbst an und ersetzt gleichzeitig metonymisch das vorgebliche Ganze (das Ich) durch einen Teil (das Auge).[Anm. 17] Sie wird also nicht, auch nicht auf verborgene Weise, identisch im traditionellen Sinne: Sie bewohnt einen "dritten Raum der Absenz" (Ebd., S. 106.), der genau zwischen der Behauptung von Identität und ihrem Hinterfragen liegt.

Durch diesen Akt der Verdoppelung stört die Migrantin gleichzeitig aber auch die Identität des hegemonialen 'Du', welches sich nicht zuletzt durch die Abgrenzung vom Anderen definiert. "Diese Störung deines voyeuristischen Blicks", schreibt Bhabha, "beruht auf der Komplexität und Widersprüchlichkeit deines Verlangens, kulturelle 'Differenz' in einem eingrenzbaren, sichtbaren Objekt oder als natürlichen Tatbestand zu sehen, zu fixieren ..." (Ebd., S. 108) Dabei kann mit kultureller Differenz im übrigen nicht nur ethnische, sondern auch sexuelle Differenz gemeint sein. Durch ihre Hybridität führt die Minorisierte, da sie weniger als eins und doppelt ist, eine unerwartete "Spaltung der Differenz zwischen Selbst und Anderem" (Ebd., S. 106) ein.

Kulturelle Unterschiede sind also keineswegs einfach da, um gesehen und analysiert zu werden, sie sind weder die Quelle von Konflikt noch bieten sie eine Basis für Anerkennung, sondern kulturelle Differenzierung wird produziert als Effekt einer diskriminatorischen Praxis.[Anm. 18] Insofern geht es "für das Subjekt der Minorisierung (...) nicht um die Frage der 'Reziprozität' -- das 'Verhältnis der beiden' --, sondern um die Problematik der Nähe." (Bhabha 1997b, S. 38) Allerdings bleibt bei Bhabha der Status von Hybridität systematisch unklar: Handelt es sich um die Bedingung der Identitätsbildung unter ungleichen Machtverhältnissen oder, wie Bhabha immer wieder anmerkt, um eine (dann notwendig intentionale) Strategie der Subversion gegen die Macht?[Anm. 19] Tatsächlich ist minoritäre Identität wohl auch in dieser Hinsicht ambivalent: Wenn wohl auch von Intentionalität im engeren Sinne sicher nicht die Rede sein kann, enthält die hybride Identitätsbildung der Minderheiten immer auch einen Akt des Widerstandes. Allerdings sollte man die Wirkung dieses Widerstandes, wie Bhabha es gelegentlich tut, weder überschätzen noch gegen eine oppositionelle Politik ausspielen.

Die Theorie von Bhabha stellt nun einen theoretischen Rahmen zur Verfügung, mit dem sich verfügbare Repräsentationen von Identität analytisch durchqueren lassen. Wendet man diesen Analyserahmen auf den deutschen Kontext an, so zeigt sich, daß man die komplizierte 'Problematik der Nähe' eben nicht in den handelsüblichen 'Vermischungen' findet, sondern vielmehr in den hegemonialen 'Gegenbildern' -- in den Identitätskonstruktionen der Kopftuchträgerinnen und der 'Mehmets'.

 

5. Auf der Suche nach Hybridität: Verschleierte Akademikerinnen und jugendliche Kriminelle

"Die Dethematisierung der nationalen Dimension im kollektiven Bewußtsein der Bundesrepublik und seine programmatische Öffnung im Hinblick auf Europa", schreibt Franz-Xaver Kaufmann im neuen Bericht des Club of Rome über die "Grenzen der Gemeinschaft", "sollten zum anderen nicht darüber hinwegtäuschen, daß in der Frage des Bürgerrechts und der Behandlung der [...] Zugewanderten nach wie vor eine erhebliche politische Ausgrenzungstendenz besteht." (Kaufmann 1997, S. 189) Ohne die hier erwähnte Dimension der Ausgrenzung einzubeziehen, läßt sich bezogen auf den deutschen Kontext wohl kaum sinnvoll über Hybridität sprechen. Denn die politische Situation erzeugt eine -- immer noch in erster Linie von der restriktiven deutschen Staatsbürgerschaftsregelung ausgehende -- Dialektik von Unsichtbarkeit und Sichtbarkeit, die als Voraussetzung in jede Form der Differenz eingeht.

Zum einen sind Migranten in der Bundesrepublik in hohem Maße unsichtbar: Da sie bislang keine Bürger werden konnten, hatten sie keine Möglichkeit, ihr eigenes Bild, ihre eigene Repräsentation in der öffentlichen Sphäre mitzubestimmen. Gleichzeitig werden sie, weil sie nicht zum 'Volk' gehören, von den Organen der Bundesrepublik auch politisch nicht repräsentiert, sondern lediglich verwaltet. Dies führt nun paradoxerweise auf der anderen Seite zu einer immens erhöhten Sichtbarkeit: Staatliche Stellen registrieren im Sinne einer reibungslosen Verwaltungstätigkeit vornehmlich Auffälligkeiten; in den Medien kommen Migranten fast nie als Subjekte vor, sondern ebenfalls hauptsächlich als Abweichungen; und auch im Alltag werden sie ununterbrochen als 'Ausländer' oder 'Fremde' identifiziert. Besonders in den neunziger Jahren hat sich gewissermaßen zusätzlich die beschriebene Differenzkonsummaschine etabliert, welche, indem sie für die Mehrheit Unterschiede in mundgerechte Häppchen zerhackt, an der prinzipiellen Objektivierung der Migranten jedoch nichts ändert.

In dieser Lage muß jene von Bhabha beschriebene Mimikry ganz anders verlaufen als in Staaten mit kolonialer Vergangenheit, in denen die staatsbürgerliche Assimilation gewöhnlich mit dem Anspruch auf kulturelle Assimilation gekoppelt ist.[Anm. 20] Wenn man es idealtypisch vereinfachen möchte, dann entsteht die 'hybride' Unsichtbarkeit, von der Bhabha spricht, nicht durch einen Prozeß des "almost the same, but not quite", sondern durch einen des "almost the other, but not quite". Der deutsche hegemoniale Blick sieht gewissermaßen dann 'nichts', er wird dann nicht gestört, wenn sich ihm 'Fremdheit' zeigt. Daß -- um auf die oben beschriebenen 'Gegenbilder' zurückzukommen -- Musliminnen unter der Knute der 'fremden' islamischen Religion Kopftücher tragen, wird ja durchaus erwartet: Ambivalenz und Diskussionen entstehen, wenn solche Kopftuchträgerinnnen plötzlich selbstbewußt politischen Anspruch auf 'Integration' erheben -- etwa eine Anstellung im Staatsdienst wünschen. Daß der Migrantenjugendliche 'Mehmet', der eigentlich nicht hierher gehört, straffällig wird, scheint durchaus nicht ungewöhnlich: Verwirrung und Klärungsbedarf erwachsen aus der Tatsache, daß sich an ihm, der in Deutschland geboren ist, so gar nichts 'Fremdes' zeigen will.

Tatsächlich handelt es sich beim Kopftuch der jungen Migrantinnen nicht um etwas im Sinne der Tradition Weitergegebenes, sondern um etwas Angeeignetes. Die häufig gebildeten jungen Musliminnen nehmen quasi das mediale Symbol für geschlechtsspezifische 'Fremdheit' in Besitz und verwenden es wiederum -- im übrigen ganz in der Weise jugendlicher Subkulturen -- als Kommunikationsmedium in einem symbolischen Kampf um direkte Machtwirkungen auf der Ebene des Alltagslebens. Diese Rolle des Kopftuches in antirassistischen Kämpfen hat seit der Entkolonisierung eine gewisse Tradition. So schreibt Frantz Fanon in seinen Schriften zum algerischen Befreiungskampf über die Funktion des Schleiers: "Eine Frau, die sieht, ohne gesehen zu werden, erzeugt (...) ein Gefühl der Ohnmacht. Es gibt keine Wechselbeziehungen. Sie gibt sich nicht hin, verschenkt sich nicht, bietet sich nicht an." (Fanon 1969, S. 28) Augenblicklich fühlt man sich erinnert an die von Bhabha beschriebene 'hybride' Kunst der Unsichtbarkeit.

Wie bereits beschrieben blockieren die jungen Frauen mit dem Kopftuch erst einmal die Form der 'Integration', die ihnen von der Differenzkonsummaschine offeriert wird, also jene Enttraditionalisierung als Sexualisierung des exotisierten Körpers. Scheinbar bestehen sie dagegen auf einer traditionellen, quasi vormodernen Form der geschlechtsspezifischen 'Fremdheit'. Allerdings befinden sich die jungen Kopftuchträgerinnen (die Subjekte) nicht an dem Ort, an dem sie gesehen werden. Wie Yasemin Karakasoglu-Aydin in Interviews mit 'Kopftuch-Studentinnen' türkischer Herkunft herausfand, verkörpern diese jungen Frauen eben nicht 'kulturelle Abgrenzung' im Sinne von religiöser Traditionalität und weiblicher Unterordnung.[Anm. 21]

Das zeigt sich schon am Kopftuch selbst: Es handelt sich nicht um die hergebrachte Kopfbedeckung der Mütter, die den Haaransatz freiläßt und unter dem Kinn geknotet wird, sondern um den sogenannten 'türban', welcher das gesamte Haar und auch die Schultern verhüllt. Dieses Kopftuch hat in der Türkei keine spezielle Bedeutung, sondern es wird heute weltweit von Musliminnen der jüngeren Generation getragen. Auch stammt der vorwiegende Teil der Studentinnen aus Arbeiterfamilien, in denen die Religion kaum praktiziert wurde. Zudem sind auch die Islamvorstellungen nicht traditionell. Im Tragen des Kopftuchs kommt daher oft eine Art "sanfte Revolution" gegen die Eltern zum Ausdruck (Karakasoglu-Aydin 1998, S.466).

In den Interviews stellen die jungen Frauen ihre Entscheidung für das Kopftuch als strikt individuell und auch emanzipativ dar. Der 'türban' wirkt einerseits nach außen im Sinne einer Neutralisierung des Geschlechts. Das Tuch sorgt dafür, daß nicht das weibliche Äußere, sondern die Persönlichkeit Beachtung findet. Darüber hinaus garantiert er den jungen Frauen Respekt. Dennoch wird andererseits die sexuelle Differenz nicht verleugnet, sondern sie entfaltet sich nach innen -- 'darunter'. Alle Bedeutungen, die von den jungen Frauen selbst mit dem Tragen des 'türban' verbunden werden, sind im höchsten Maße 'integriert' und 'modern': Die jungen Frauen bilden offenbar eine internationalistische, im Hinblick auf sexuelle und ethnische Differenz handelnde Subkultur, die über den Bezug auf ein hegemoniales Mediensymbol wiederum medial-symbolisch -- via Stil -- Einwände formuliert. Sie wollen, daß sie gerade in ihrer Sichtbarkeit als 'Fremde' integriert werden.

Allerdings sind Modernität und Individualität nicht etwa die befreite Identität 'hinter' dem Schleier, die nur freizulegen wäre und die jungen Frauen verwandelten sich einfach in Mitglieder der Mehrheitsgesellschaft, sondern bloß ein Teil für ein Ganzes. Hier liegt auch der Unterschied zu den Jugendsubkulturen der Majoritätsangehörigen. Die Verschiebung kann nur inmitten der Unsichtbarkeit stattfinden, die der 'türban' auf der Ebene der Repräsentation garantiert. So bewohnen sie eben jenen "dritten Raum", von dem Homi Bhabha spricht, der eben nicht "zwischen zwei Kulturen" liegt, sondern in dem jede kulturelle Äußerung immer das Eine-im-Anderen verkörpert. In ihrer sexuellen und ethnischen Identitätskonstruktion wird etwas Zusätzliches hervorgebracht, sie ist 'hybrid' in Bhabhas Sinne: Die jungen Frauen besitzen keine 'tiefe', stimmige Identität; sie sind weniger als eins und doppelt, sie spalten die scheinbar einfach gegebene Differenz auf. Und insofern -- das zeigen auch die empört-aggressiven Reaktionen -- lösen sie eine Krise der hegemonialen Repräsentation aus, wie sie gerade über die Massenmedien vermittelt wird. Die Augen der 'Kopftuch-Akademikerinnen' spuken, um noch einmal Meiling Jins Gesicht aufzunehmen, durch die Träume des hegemonialen 'Du'.

Wie das Verhältnis von Gesehen-Werden und Sehen im Fall von 'Mehmet' funktioniert, der symbolisch für den Typus des ständig in kleinkriminelle Handlungen verwickelten Migrantenjugendlichen steht, zeigt sich besonders deutlich in einigen neueren Produktionen von jungen Regisseuren türkischer Herkunft -- und dabei besonders in Fatih Akins Film kurz und schmerzlos (Deutschland 1998). In diesem Film drängt Akin dem Zuschauer gleich zu Beginn die Ethnizität der Protagonisten geradezu mit dem Holzhammer auf. Während die Akteure nämlich Handlungen nachgehen, die in einem Kriminalitäts-Kontext stehen, werden sie in einem Still mit ihrer ethnischen Kennzeichnung im Untertitel -- "Bobby, Serbe", "Costa, Grieche", "Gabriel, Türke" -- förmlich festgefroren.

Nachdem die Personen auf diese Weise in einem hegemonialen Bild stillgelegt wurden, beginnt in dieser Unsichtbarkeit zugleich der metonymische Prozeß. Denn der Film bietet mitnichten das erwartete Bild von sozialer Aussichtslosigkeit und einer defizitären Situation "zwischen zwei Kulturen". Er zeigt keine Opfer, sondern im Gegenteil eine Reihe von äußerst modern wirkenden Individuen, deren unternehmerische Aktivitäten -- wären sie nicht oft illegal -- sicherlich Lob von Bizz oder Econy einheimsen würden. Immer flexibel und frei von ewig klagender 'Vollkaskomentalität' befinden sich die jungen Männer ständig auf der Suche nach neuen Möglichkeiten. Und träumen dabei -- wie so viele heutzutage -- vom 'Aussteigen'. Aber auch die kulturelle Einbettung wirkt alles andere als mangelhaft. Die sozialen Netzwerke sind mitnichten ruinös. Und im Laufe des Filmes entsteht eher der Eindruck einer beneidenswerten kulturellen Überfülle. Dabei handhaben die jungen Männer die prallvolle Welt von ethnischen und konsumistischen Unterschieden mit jener Gewandtheit, die auch der moderne Metropolenbewohner anstrebt. Die Frage nach den Ursachen der Kriminalität stellt kurz und schmerzlos nicht; der Film will lediglich eine -- gewissermaßen universelle -- Geschichte erzählen.

Selbstverständlich eignen sich die Protagonisten aus Akins Film in Deutschland nicht zur Einspeisung in die Differenzkonsummaschine -- sie sind ja schließlich selbst Konsumenten. Auch diesmal zeigt sich in der modernen, männlich codierten Subjektivität der Akteure nicht eine verborgene eigentliche Identität, sondern wiederum eine Verschiebung inmitten der Unsichtbarkeit. Ebenso wie die beschriebenen jungen Akademikerinnen befinden sich die 'Mehmets' in jenem 'dritten Raum' zwischen der Behauptung von Identität und ihrem Hinterfragen. Sie befinden sich in einem 'Werden' im Sinne von Deleuze und Guattari: "Es ist eine falsche Alternative, wenn wir sagen: entweder man ahmt etwas nach oder man ist. Was real ist, ist das Werden selber [...] und nicht etwa angeblich feststehende Endzustände ..." (Deleuze & Guattari 1992, S. 324f.) Auch sie lösen durch ihre Ambivalenz eine Krise der Repräsentation aus. Das zeigt sich exemplarisch an der außerordentlich heftigen Aggression gegenüber 'Mehmet', die eben keineswegs nur durch die Eindeutigkeit seiner Klassifikation als 'krimineller Ausländer' ausgelöst wurde. Offenbar war 'Mehmets' Ambivalenz für die Gesellschaft nicht zu ertragen, denn am Ende stand schließlich seine symbolischen Eliminierung -- die Abschiebung.

 

6. Ärger im globalen Dorf

Es existiert keine Identität, so noch einmal Stuart Hall, die nicht durch das 'Nadelöhr des Anderen' hindurch gegangen ist. Insofern ist Identität eben kein Ding, sondern eine Beziehung. Das Eigene und das Andere entstehen nicht unabhängig voneinander, sondern falten sich in einem gemeinsamen Prozeß auseinander. Die Differenz befindet sich nicht 'zwischen den Kulturen', sondern an jenen "Orten chaotischer Verhandlungen" (Bhabha), in den seltsamen Zeit-Räumen, wo die scheinbar gegebenen Unterschiede in sich selbst dislozieren. Oft ist sie eben genau da, wo sie für die Mehrheit unsichtbar bleibt. Schließlich haben diese 'Verhandlungen' mit Freiheit der Wahl oder gleichem Tausch nicht viel zu tun: Denn Minderheiten schaffen sich ihre Identitäten immer unter den Bedingungen von Ausbeutung, Unterdrückung, Sprachlosigkeit und zahlreichen inneren Widersprüchen. Hybridität ist nicht des Modernisierungsgewinnlers kulturelles Pendant zur Globalisierung. Im Weltdorf herrscht bis auf weiteres Disharmonie.

(Dieser Text erscheint demnächst in dem Band: Andreas Hepp & Rainer Winter (Hrsg.): Kultur -- Medien -- Macht. Cultural Studies und Medienanalyse. Opladen/Wiesbaden 1999. Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Herausgeber.)

 

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