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no. 12: haut -> körperlichkeit
 

Zur Optik von Geschlechtlichkeit

von Sabine Gieske

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Daß Männer und Frauen ganz unterschiedliche Körpertechniken beherrschen und beispielsweise in bezug auf Kosmetik auch mit ihrer Haut ganz verschieden umgehen, ist allgemein bekannt. Weshalb es aber diese diversen Körperpraktiken gibt und warum wir gerade im 18. Jahrhundert den Schlüssel für polare ästhetische Codes zu suchen haben, die zumindest bis in die 80er Jahre des 20. Jahrhunderts die Körpererfahrungen von Männern und Frauen prägten, darüber wissen wir noch viel zu wenig.

 

Ein Zitat, das Bert Büllmann, ein Redakteur mit kulturwissenschaftlichem Spürsinn 1993 publiziert, soll auf leicht ironische Weise zum Nachdenken über unsere geschlechtspezifischen und in diesem Fall männlich-ästhetischen Geschmacksregeln einladen. Er schreibt:

"Paul Newman, ein Mann mit dem Profil und Körper eines griechischen Gottes, wünschte sich schon zu Beginn seiner Karriere nichts sehnlicher als 'durchschnittlicher auszusehen'. Die eigene Schönheit ist ihm noch immer peinlich. Privat trägt er Bart und versteckt seine strahlend blauen Augen, die bei Theaterauftritten schon zu lautstarken Begeisterungskundgebungen aus den ersten Reihen führten, hinter einer dunklen Sonnenbrille. Paul Newman will nicht schön sein. Bei einem 'echten Kerl' ist es immer verdächtig, wenn er zu gut aussieht. Denn die Schönheit ist das Vorrecht der Frauen, und Männer, die dieses Recht beanspruchen, gelten als weibisch. 'Schönling' ist ein Schimpfwort. 'Echte Männer' sind allenfalls 'interessant' oder 'kantig': John Wayne, Jack Nicholson, Walter Matthau oder Edward G. Robinson -- schön sind sie beileibe nicht. Humphrey Bogart -- der ultimative Filmstar, Rollenmodell für Generationen von Männern -- ist häßlich: klein, schlechte Figur, zu kurze Oberlippe, Dackelstirn, zu wenig Haare. Aber das scheint die Fans genausowenig zu stören wie James Stewarts Pferdegesicht, Clark Gables abstehende Ohren, James Cagneys Knollennase, Dustin Hoffmans Pausbacken oder Al Pacinos Augenringe. Was beim Mann zählt, sind in erster Linie Ausstrahlung, Charakter und Charisma -- Schönheit ist zweitrangig."

Wie deutlich wird, haben wir in der Schönheit von Männern und Frauen jeweils etwas kulturell Unterschiedliches zu sehen gelernt. Die folgenden Ausführungen richten den Blick auf die Beziehungsstruktur des Paares, die sich eben auch optisch, ästhetisch in den Gesichtern und vor allem auf der Haut als symbolischer Fläche niederschlägt. Unsere ästhetischen Regeln folgen einem Geschmacksurteil, das im 18. Jahrhundert seine Wirkungskraft erhält und damit tendenziell bürgerlichen Idealen verpflichtet ist. Die Vorstellungen, die wir über einen schönen Mann und eine schöne Frau sowie über eine ganz bestimmte geschlechtsspezifische Körpererscheinung und Körperpflege der Haut entwickelt haben, sind kulturell vermittelt und Ausdruck einer bestimmten Ordnung. Diese Ordnung entspringt einem auf Dualismus angelegten Geschlechtermodell, das bis über die Mitte des 20. Jahrhunderts vor allem unbewußt reproduziert wird und für die adäquate Präsentation als Paar von großer Bedeutung ist.

 

Ästhetikregeln und Geschlechtscharaktere

Daß Bilder von Männern und Frauen polar und auf gegenseitige Abgrenzung hin entworfen wurden, dazu hat die Frauen- und Geschlechterforschung in den letzten Jahren zahlreiche Studien geliefert. Karin Hausen hat wohl als eine der ersten bereits 1987 darauf aufmerksam gemacht. Den Beginn der "Polarisierung der Geschlechtscharaktere", wie sie es nennt, datiert sie in das 18. Jahrhundert. Zwar betont sie, daß Männer und Frauen auch schon vorher kontrastiert wurden, daß aber die Betonung des Geschlechtscharakters und seine Ableitung aus der Natur eine neue Qualität ausmache. Nun nämlich -- und das haben mittlerweile viele andere Studien bestätigt -- wird die 'Natur' zum Maßstab erklärt; die 'Natur des Menschen' wird in philosophischen, literarischen, pädagogischen und medizinischen Abhandlungen als bestimmend für den Unterschied der Geschlechter angeführt.

Hausen kann durch die Auswertung verschiedener Lexika und anderer Schriften des 18. und 19. Jahrhunderts nachweisen, daß Männern und Frauen ganz unterschiedliche Merkmale zugeschrieben wurden. Charakterisierte Männer aktives Tun wie Energie, Kraft, Willenskraft, Tapferkeit oder Kühnheit, so kennzeichnete Frauen Passivität, Schwäche, Ergebung, Hingabe, Bescheidenheit. War er selbständig, dann war sie abhängig, war er rational, so war sie emotional. Galt für ihn Kraft und Würde, galt für sie Anmut und Schönheit. Die "polaristische Geschlechterphilosophie" leistet ihrer Meinung nach die theoretische Grundlage für die Aufspaltung und gleichzeitige Harmonisierung der von der Aufklärung als Ideal entworfenen vernünftigen Persönlichkeit. Erst die Ergänzung der in der Frau zur Vollkommenheit entwickelten Weiblichkeit mit der im Mann zur Vollkommenheit entwickelten Männlichkeit sollte die Annäherung an das Ideal der Menschheit ermöglichen. Dieses duale Modell aber war nicht als antagonistisches, sondern zunächst als komplementäres, dialektisches Modell gedacht. Es versprach harmonische Einheit der Geschlechter in einer göttlichen und natürlichen Weltordnung. Die gegenseitige Ergänzung wurde als Chance auf eine höhere Humanität angesehen.

Auffällig ist, daß etwa seit Mitte des 18. Jahrhunderts auch eine Debatte über die unterschiedliche Haut der Geschlechter einsetzt, die in ihrer kulturhistorischen Bedeutung bislang kaum zur Kenntnis genommen worden ist. In einer Zeit, in der sich tendenziell traditionell-feudale Verhältnisse auflösen und sich die 'bürgerliche Gesellschaft' entwickelt, gerät der 'eitle Putz' gerade bei Männern ins Kreuzfeuer der Kritik. Als Schönheitsexperten melden sich vor allem aufgeklärte Mediziner zu Worte und erklären, daß das Ideal der weiblichen Haut weiterhin eine weiße Farbe ist, während für den Mann ein brauner Hautton adäquat scheint. Darf die privilegierte Frau sich weiterhin schminken, sofern es nun 'natürlich' wirkt, wird es für ihn zum Tabu. Während sie die Schönheit und die weiche Haut adelt, wird der Begriff 'Schönling' oder zeitgenössisch ausgedrückt 'petit maître' für ihn zum Schimpfwort. Körperbau und Körperpraktiken, Gesichtszüge und Haut unterscheiden sich bald, genau wie die öffentlichen und privaten Sphären in denen sich die Geschlechter zu bewegen haben.

Die Genderforschung hat das Komplementaritätsdenken in seiner ungeheuren Wirkungskraft aufgedeckt und gezeigt, welche Machtverschiebungen vor allem zu Ungunsten von Frauen damit verknüpft waren. Allerdings steckt eine Analyse, die sich darauf aufbauend, auch auf die polarisierenden Körpertechniken von Männern und Frauen beziehen würde, noch in den Anfängen. Noch zu wenig haben wir in den Gesichtern von Männern und Frauen selbst gelesen: Wir kennen die Gesichter von Männern und Frauen und kennen sie doch nicht, weil wir die geschlechtsspezifischen Unterschiede nicht bewußt wahrnehmen. Um aber zu begreifen, welche Regeln Geschlechtlichkeit konstituieren, müßte die Ästhetik von Paaren (z.B. jenseits der Kleidung) genauer betrachtet und die Körperoberfläche als symbolische Fläche befragt werden. Die Wirkungsästhetik des Kopfes stünde dabei im Mittelpunkt des Fragens; gerade das Gesicht, das in besonderem Maße der Wahrnehmung zugänglich ist und die individuelle Körperlichkeit eines Menschen repräsentiert, müßte auf Topoi und Kategorisierungen hinterfragt werden. Ein Blick auf den Gebrauch von Kosmetik, auf die Form der Augenbrauen oder überhaupt auf Falten, Pickel, Teint würde damit unmittelbar in die Geschichte von Körperdiskursen hineinführen.

 

Die Haut im Spiegel des 18. Jahrhunderts

Der Blick in die Quellen, die uns Auskunft geben über Schönheits- und Kosmetikregeln, über Hautstruktur und --beschaffenheit, ist erhellend. Im Jahre 1747 veröffentlicht ein Arzt, der es vorzieht, anonym zu bleiben, eine Schrift, die er Leibdiener der Schönheit nennt. Zwar beschäftigt er sich darin, wie es für diese Arbeiten üblich ist, vorzugsweise mit der Schönheit von Frauen, aber er äußert sich auch über die Schönheit von Männern. Schön zu sein, so schreibt er, sei für Männer nicht entscheidend, sie laufe sogar der Natur des Mannes zuwider, denn eine gar zu schöne männliche Gestalt verweise auf sein Gegenteil, nämlich auf ein weibliches Gemüt. Ein solcher Mann sei schwach, faul und 'tölpisch'. Männer, so argumentiert er, hätten sich keines 'Ausputzes' zu bedienen; "Weg mit solchen geputzten Kerlen", fordert er daher. Auch der berühmte Arzt Johann Peter Frank kritisiert das Schminken der Männer. 1783 zieht er etwa bei Soldaten gegen die "Verunreinigung des Angesichts durch ranziges Fett und verstopfende Farbe" zu Felde. Ebenso ihre Haare werden zum Anlaß seiner Beanstandung. Nur durch eine kurzgeschnittene Frisur "würde den Soldaten der Aufwand für Puder und Bänder, und die Zeit ersparet, welche er vor dem Nachttische zubringen muß."

Auffällig ist: Je massiver die Rede vom 'schönen Geschlecht' geführt wird, desto peinlicher wird die vom schönen Mann. Seine Haut zu pflegen, sie zu berühren, sie weiß, geschmeidig und glatt zu erhalten, ist keine männliche Tugend. Während die Autoren der Schönheits- und Kosmetikschriften in der Mitte des 18. Jahrhunderts in ihren Bezügen auf die Antike noch den Gebrauch von Schminken auch für Männer -- etwa im Zuge religiöser Praktiken -- beschreiben, fehlen spätestens im 19. Jahrhundert Hinweise dieser Art ganz. Sukzessive bildet sich der geschichtsklitternde Mythos heraus, daß nur Frauen sich geschminkt hätten. Als Beweis dafür werden antike Frauenfiguren erwähnt, aber einen Verweis auf geschminkte antike Männerfiguren sucht man bald vergebens.

Der geschminkte Mann erscheint den Ärzten zunehmend als verzärtelt und im Kontext der Adelskritik nicht als richtiger Mann. Eine körperliche Selbstinszenierung, die mit bunten Stoffen oder Spitzentaschentüchern leuchtend und verführerisch wirkt, verliert für bürgerliche Männer an Bedeutung; mehr noch, sie macht ihn unmännlich, zu weich und bringt ihn in den Verdacht der Homosexualität. Weil das Schminken und generell das Schöne mehr und mehr mit Gefühl und mit Empfindungen gleichgesetzt, also weiblich konnotiert wird, kann es nicht mehr mit einem modernen, rational agierenden Mann-Sein in Übereinstimmung gebracht werden; an ihm wirkt es nun anstößig und peinlich. Das Komplementaritätsdenken der naturphilosophischen Debatten schreibt den Geschlechtern unterschiedliche Sphären zu. 'Weiblichkeit', zumindest die der privilegierten Kreise, präsentiert sich weiterhin über Mode, Luxus und über eine weiße, glatte Haut, die noch immer durch Schminken und Pasten (sofern sie etwa durch Feuer- und Riechproben auf gesundheitliche Risiken überprüft worden sind) hergestellt wird. 'Männlichkeit' dagegen hat sich nun anders zu präsentieren. Ein schöner Männerkopf hat Stärke, Mut und Gegenwart des Geistes zu symbolisieren. Intellekt des Mannes versus Emotion der Frau -- diese Dualität muß sich auch optisch, ästhetisch in den Gesichtern selbst widerspiegeln.

Die Stellung der Geschlechter in Staat und Gesellschaft wird seit der Mitte des 18. Jahrhunderts nicht nur über die Frage des Naturrechts bestimmt, sondern ebenso über die vermeintlich natürliche Körperbeschaffenheit des Menschen. Auch der Zürcher Pfarrer und Naturwissenschaftler Johann Caspar Lavater beteiligt sich mit seinen Physiognomischen Fragmenten 1775 an diesen Debatten. Er stellt unter dem Kapitel "Frauenspersonen. Allgemeine Betrachtungen" über das Verhältnis der Geschlechter fest:

"Der Mann fester -- das Weib weicher. Der Mann gerader -- das Weib schlanker. Der Mann steht -- das Weib tritt leis auf. Der Mann schaut und beobachtet -- das Weib blickt und empfindet. Der Mann ist höher und breiter -- das Weib kleiner und schmächtiger. Der Mann zäher und roher -- das Weib glätter und sanfter. Der Mann brauner -- weißer das Weib. Faltiger der Mann -- Einfaltiger die Frau. Stärker und kürzer behaart der Mann; zärter und länger das Weib. Der Mann hat gedrängtere Augenbraunen; lichtere das Weib."

Auch wenn nicht direkt erwähnt, so sind diese Gegenüberstellungen doch vor allem in bezug auf die Haut zu lesen. Ist seine fest, zäh, roh, braun, faltig, behaart, so ist ihre weicher, glatter, sanfter, weißer und zarter behaart. Die Haut selbst wird zum Zeichen einer neuen Gesellschafts- und Geschlechterordnung; sie wird zu einer bedeutungstragenden Fläche, die Aufschlüsse vermittelt. Nicht zufällig werden Physiognomik und Pathognomik gerade in jener Zeit zu einer beherrschenden Disziplin, als die Haut ungeschminkt und natürlich zu sein hat. Müssen wir damit also die unverbergende Haut als Zeichen der Zeit lesen und als symbolische Fläche deuten, auf der sich Individuelles abbildet?

Claudia Benthien hat unlängst in ihrer sehr anregenden Monographie Haut. Literaturgeschichte -- Körperbilder -- Grenzdiskurse herausgearbeitet, daß die Codierung von Weiblichkeit auf der Haut stattfindet, die von Männlichkeit darunter. Weiblich ist nur die Haut, die zart und glatt wirkt, nicht jedoch die, die sich durch eine kräftige Schicht aus Muskeln darunter auszeichnet. Auffällig ist, daß das Körperbild von Männern in literarischen, philosophischen und medizinischen Texten als verpanzerte, dicke, starke, feste Haut erscheint (wie das Beispiel Siegfried verdeutlicht), die Hautoberfläche von Frauen dagegen als glatt, durchscheinend, empfindsam beschrieben wird. Auch die Hautfarbe ist wichtig: Helle Haut steht für Empfindung und damit 'Weiblichkeit'; dunkle Haut für Dynamik, 'Männlichkeit'.

 

Das Altern als Problem der Frauen

Geschlechtsspezifische Unterschiede spielen jedoch nicht nur bei den grundlegenden Vorstellungen über ein angemessenes Antlitz eine Rolle, sondern auch im Hinblick auf die Zeichen des Alters. Auffällig ist, daß verschiedene Autoren seit Ende des 18. Jahrhunderts die Idee verbreiten, Frauen würden von 'Natur' aus schneller altern als Männer. In seiner Anthropologie in pragmatischer Hinsicht erwähnt auch Immanuel Kant diesen Unterschied der Geschlechter. Im Kapitel "Vom Charakter des Geschlechts" heißt es:

"Daher wird jede erfahrene Ehefrau die Heirat mit einem jungen Manne auch nur von gleichem Alter widerraten; denn im Fortgange der Jahre ältert doch der weibliche Teil früher als der männliche."

Nicht nur die Philosophie, sondern auch die Medizin beschreibt das Altern der Frau als problematischen Prozeß. Die aus dem französischen 1810 übersetzte Naturgeschichte des Weibes. Ein Handbuch für Aerzte und gebildete Leser und Leserinnen aus allen Klassen, im Original verfaßt von dem Franzosen J. L. Moreau, stellt verschiedene funktionsgebundene Lebensphasen von Frauen vor. Nach dem ersten, dem kindlichen Stadium wächst die Frau in die zweite, die als wichtig beschriebene Phase der Mannbarkeit, in der auch die monatliche Reinigung eintritt. In dieser Lebensphase werden die Frauen schön und wollen gefallen. Die dritte Phase wird als der eigentlicher Höhepunkt der Entwicklung angesehen. Sie ist charakterisiert durch eheliche Liebe und Zärtlichkeit. Jetzt erst ist die Frau vollkommen und richtet ihre ganze Energie auf Ökonomie und Kinder. Doch -- und das ist eine Gefahr -- die Schönheit verblüht mit dem Gebären und Erziehen. Die letzte Phase dann ist gekennzeichnet durch verblichene Schönheit und den Zerfall des Naturkörpers.

Konnte die Frau ihren weichen Körper und den schwachen Geist während ihrer Fruchtbarkeit noch durch die Gaben der Natur, nämlich durch Schönheit, Anmut, Grazie, Leichtigkeit, Empfindung und Gefühl ausgleichen, so hat sie als alte Frau dieses Gegengewicht nicht mehr und kann daher auch nicht mehr mit Anerkennung rechnen. Mehr noch, Falten und andere Zeichen des Alters verweisen geradezu auf das Ende ihrer wahren, von der Natur so festgeschriebenen Bestimmung. Folgerichtig gelten beispielsweise Falten bei ihr als häßlich und werden verachtet. Beim Mann dagegen werden sie als Zeichen für Erfahrung und Weisheit interpretiert, der man mit Hochachtung zu begegnen hat. Und so argumentiert der Anatom und Chirurg Peter Camper in seinen Vorlesungen über den Ausdruck der verschiedenen Leidenschaften durch die Gesichtszüge, die 1793 veröffentlicht wurde:

"Wir erkennen an jedem Alter eine besondere und eigene Schönheit. Wir haben auch alle eine gewisse Hochachtung und Ehrerbietung für die Miene eines alten Mannes, wahrscheinlich aus einem moralischen Grunde. [...] Und gleichwohl wird dieselbe Veränderung der Form, die von dem zunehmendem Alter unzertrennlich ist, an einer alten Frau für häßlich und verächtlich gehalten. Gewiß bloß deshalb, weil sie keine Liebe mehr einflößt, und ihre Fruchtbarkeit, diesen hohen und glänzenden Vorzug in den Augen der Männer, das ist, den wahren Zweck der Bestimmung, die Fähigkeit zur Fortpflanzung, durch das Alter verloren hat. Wir schreiben dem Greise tiefere Einsicht, mehr Erfahrung und größere Weisheit zu; wir verbinden alle schätzbaren Eigenschaften mit seinen silbernen Haaren, seiner runzeligen Haut und seinem zahnlosen Munde, welche deshalb, und nicht der Form wegen, unsere Bewunderung, unsere Ehrerbietung und den Ehrennahmen schön erhalten."

 

Schlußbetrachtung

Auch wenn wir meinen, wir hätten uns im 21. Jahrhundert seit langem emanzipiert von Debatten und Ideen des 18. Jahrhunderts, so muß wohl doch festgehalten werden, daß sie noch immer unbewußt in uns wirken und unsere Wahrnehmungen und Handlungen im Kontext von Schönheit beeinflussen. Auch wenn wir heute das unterschiedliche Altern der Geschlechter als Konstruktion entlarven und lachen wollen über Äußerungen wie die des Anatomen Camper, so leben wir als Frauen mit Körpererfahrungen und Körperängsten, die dennoch darauf aufbauen. Auch Männer sind tangiert von diesen ästhetischen Regeln, die ihnen Attraktivität als Tugend lange Zeit abgesprochen haben. Strafende Blicke oder spitze Bemerkungen trafen den, der als Mann ein Zuviel an Körperpflege betrieb und mehr machte, als von einem richtigen, d.h. heterosexuellen Mann erwartet wurde.

Zwar liegen mittlerweile diverse Studien vor, die sich kritisch mit körperlicher Schönheit von Frauen auseinandergesetzt haben, doch zum Thema Männerschönheit suchen wir bislang vergebens. Zu fragen bliebe daher, woran diese eigenartige Differenz in der Bewertung und wissenschaftlichen Bearbeitung des Themas Männer- und Frauenschönheit liegt. Es scheint kein Zufall zu sein, daß wir zwar über den 'Schönling' wenig wissen, das Thema Bodybuilding, bei dem es um Aspekte wie Kraft, Muskeln, Willenskraft geht, aber durchaus diskutiert wird. Wissenschaftliche Fragestellungen und Neugierde orientieren sich damit offensichtlich noch immer nach Regeln, die in bezug auf Schönheit und Körperlichkeit nach alten Dualismen und Polarisierungen verlaufen.

 

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