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no. 14: theater und politik -> editorial
 

editorial

Natürlich war in diesem Wahlkampf alles Theater, das hat auch noch der letzte Leitartikler bemerkt. Aber es war schlechtes Theater: Schröder war nicht wirklich gut, Stoiber lief nicht auf zu irgendeiner Form, Westerwelle gar schaffte es nicht auf die Bühne der Elefantenrunden und auch solche Leute wie Möllemann provozierten schon nicht einmal mehr. Und von Politik war nicht wirklich die Rede, sonst hätte man mehr vom politischen Programm gehört, aber da war nichts, fast nichts. Nun ist jeder froh, daß dieser langweilige Wahlkampf vorbei ist -- und voller Erwartung auf die Politik: daß es wenigstens zur 'daily soap' von Regierung und Opposition kommen möge.

Politik und Theater stehen in einer Wechselbeziehung, die ganz unterschiedlich gewichtet werden kann: Theaterleute geben sich gerne politisch und sind deshalb im weiteren Sinne von Politik auch gesellschaftskritisch. Politiker dagegen sind meist in der einen oder anderen Weise theatralisch, möchten sich aber gerne als authentisch verkaufen. (Siehe die perspektive von Markus Heilmann in dieser Ausgabe). Richtig: diese Authentizität mag gespielt sein, aber wir haben es nun mal gerne so. "War ich gut?" fragt der eitle Politiker. "Doch, es erschien glaubwürdig", sagt der Polit-Kritiker. Mehr wollen wir ja gar nicht, denn wir wissen es zwar immer besser, können es im Moment aber auch nicht besser machen und deshalb sind wir meistens zufrieden mit den Verhältnissen, auch wenn sie schlecht sind bzw. unzufrieden, auch wenn sie gut sind. Politiker inszenieren sich, und wir schauen uns das gerne an, wohlwissend, daß dieses Theater für uns nichts ist, wir haben anderes zu tun.

Politik wird selbstverständlich als Theater inszeniert. Es geschah im Königreich Neapel am 26. Dezember 1194 als Kaiserin Constanze, die Gemahlin Heinrichs VI., auf dem Marktplatz von Jesi ein Zelt aufschlagen ließ, um dort öffentlich zu gebären. Sie war schon etwas älter, mußte aber die Erbfolge im normannischen Königreich Sizilien sichern und die Gerüchte wollten es, daß sie dazu nicht mehr in der Lage sei und ihr ein Kind untergeschoben werden sollte. Das wurde dann Friedrich II., den sie stupor mundi nannten, aber auch der mußte erst einmal legitimiert werden. Die dafür notwendige Politisierung des Intimen war sicher dramatisch, aber schon viel früher galt ja panem et circenses. Heute steigen die Politiker in Container oder hüpfen mit dem Fallschirm vom Himmel, kurz: sie machen sich selbst zum Deppen.

Immerhin, so theatralisch wie in Diktaturen geht es in den Demokratien dann doch wieder nicht zu, das verhindert die Rechtsordung demokratisch legitimierter Staaten. Aber auch die will inszeniert sein, dafür gibt es die Prozessordnungen, Satzungen etc. Der Wahlkampf hat zwar keine solche Ordnung, aber offensichtlich reicht die Phantasie der Wahlkämpfer nicht besonders weit, sonst hätte wenigstens der Unterhaltungswert höher angesetzt werden müssen. Politik braucht die Inszenierung, das Ereignis, den event, um Aufmerksamkeit zu wecken, denn die ist Mangelware. Das war schon immer so, siegt man doch mit Programmen nur ausnahmsweise im Wahlkampf, wie Brandt vielleicht mit seiner Außenpolitik. Uns bleibt, das Personal zu wählen; und wenn es sich nicht einmal recht ins Szene setzt, was bleibt uns dann? Abwarten bis der Spuk vorbei ist und wieder gearbeitet wird -- und dann und wann ist uns der Spuk einer Bundestagsdebatte auch wieder eine Aufregung wert. Aber sie muß schon recht 'authentisch' sein und so avancieren auch hier wieder die Theaterkritiker zu den besseren politischen Kommentatoren.

Politik und Theater haben eigentlich gar nichts miteinander gemeinsam. In der Politik versucht man zu referieren, zu ermitteln, was die Mehrheit will, zu vermitteln, was geleistet werden kann und was nicht, mit Visionen die Realitäten zu verschleiern und mit Realitäten die Illusionen zu zerstören. Das Theater dagegen ist Kunst, es referiert gar nicht. Das Geschehen auf der Bühne bezieht sich nur auf Dinge, die sich auf der Bühne ereignen, es bezieht sich nur auf sich selbst -- und gerade deshalb kann es provozieren. Kein Zuschauer erschlägt den Tyrannen auf der Bühne -- aber vielleicht tut er's draußen vorm Theater. Wenn wir beides, Politik und Theater, in einen Topf werfen, sind wir einfach nur entweder schlechte Theaterkritiker oder schlechte Bürger. Lassen wir der Politik ihr Theater und dem Theater seine Politik, aber lassen wir uns nichts vormachen, Authentizität ist ein Witz.

Und doch ist Politik kein Witz, denn sie funktioniert genauso wie Theater, sie ist auch selbst-referentiell. Sie referiert nicht wirklich auf Wirklichkeit -- oder ist hier ein Politiker wirklich mal betroffen, bekommt er wirklich mal Konsequenzen zu spüren, packt er wirklich mal selber was an? -- , sondern sie bezieht sich immer nur auf das politische System selbst. Und natürlich schielt deshalb der Politiker ständig auf die Akzeptanz seines systeminternen Handelns: "Komme ich an?", "Bringt das Stimmen?" etc. Diese theatralische Inszenierung leistet die 'strukturelle Kopplung' des politischen an die anderen gesellschaftlichen Systeme. Da muß ein Politiker schon ein richtig guter Schauspieler sein, wenn er sich im Bierzelt ebenso gut wie im parlamentarischen Ausschuß verkaufen will -- oder ein großartiker Gymnast, wenn er den Spagat zwischen Krieg und Frieden machen muß. Innerhalb des politischen Systems wird solche Nichtauthentizität selbstverständlich respektiert, denn man weiß ja, was die Regierung bzw. die Opposition zu tun hat. Man muß nach Außen hin authentisch tun, das heißt so handeln, als ob es keine Differenzen zwischen dem politischen System und anderen Systemen gäbe und tatsächlich referiert werden könnte, aber die Kommunikationen, die systemintern stattfinden sind offensichtlich ganz andere, als die von System zu System. Und dennoch hat das prätendierte Handeln nach Innen eine Wirkung nach Außen, ist man indirekt immer davon betroffen, ganz egal wo man in der Gesellschaft steht. Umgekehrt heißt das auch, daß die Politik selbst nichts bewegt, aber durch alles andere bewegt wird. Das etwas paradoxe Plädoyer für Demokratie muß also lauten: die Entlarvung der Politik als präpotente Ohnmachtsverwaltung sollte keinen überraschen. So waren denn auch die Akte der gegenwärtigen Steuerkomödie vorhersagbar: vor der Wahl das Versprechen keine Steuern zu erheben, nach der Wahl der Vorstoß Steuern zu erheben, dann wieder das inszenierte Machtwort: auf keine Fall Steuern erheben, sondern Sparen. Unterm Strich bleibt sich alles gleich: das politische System, durch das wir uns verwalten lassen müssen, muß sich bei uns das Geld holen, und zumindest in einem Land, in dem jeder etwas vom Staat will, hat eine Partei, die für weniger Staat plädierte, eben keine Chance. Das wäre ja auch paradox, sind es doch gerade die Politik und die Parteien, die sie machen, die vom Staat getragen werden. Da nutzt das Bewußtsein davon, daß 'wir' der Staat sind, wenig, denn wir wollen ja alle wählen dürfen. Deshalb gibt es soviel Lärm um das Theater der Politik, wollen wir uns doch nicht etwa sagen lassen, daß die Politiker nur so gut sind, wie die Leute, die sie wählen.

Thomas Wägenbaur

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