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no. 19: worte, worte, worte
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"Es ist schon alles gesagt! Nur noch nicht von allen!"Die Wortakrobatik des Karl Valentin |
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von Barbara Damm |
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Der Herr Valentin ist nicht der Herr Walentin, sondern der Herr Falentin, denn es heißt ja auch nicht, man hat einen Wogel, sondern einen Vogel. Nicht nur darauf hat der Wortzerklauber Karl Valentin bestanden. Er beharrte auf seinen sprachspielerischen Blödeleien, egal, in welche Absurditäten sie auch ausufern mochten. Seine Monologe, Dialoge und Szenen scheinen von allen Fesseln der Konventionen befreit. Sie leben von sorgsam entworfener Handlung einerseits und einer beinahe referenzlosen Sprache andererseits. Doch Valentins Wahnsinn hat Methode! Er verwendet seine Komik als eine Art 'Dekonstruktion', um der Sprache auf den Zahn zu fühlen, und legt die elementaren Situationen der Kommunikation, der Wahrnehmung und Erkenntnis frei. Seine Wortspielkunst ist heute so aktuell wie damals. Und nicht vergessen: Der Herr Valentin ist nicht der Herr Walentin, sondern der Herr Falentin! |
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"Z'sammag'schneckelter Hausmoastertrampel!" |
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... krächzt es in schrillen Tönen, die von "dappiger Mo" und "zahnluckate Salonrufa!" postwendend übertönt werden -- wem diese Schimpfworte etwas sagen, der ist ein ausgemachter Valentin-Fan. Wem das alles Spanisch vorkommt, muß nicht verzagen, denn um bayerische Schimpfereien soll es hier mitnichten gehen. |
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Karl Valentins Kabinett der Sprachkuriositäten ist umfangreich genug. Und Valentin boomt! 2002 erschien die Gesamtausgabe seiner Werke auf CD; die 1960 entstandene Biographie von Michael Schulte wurde 2003 als Hörbuch herausgegeben; so mancher Geisteswissenschaftler hat sich mit Valentin den Doktorhut erworben, und in Museen kann man Postkarten mit Valentiniaden kaufen. |
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Von 1911 bis 1948 gab der 'Blödsinnskönig' zusammen mit Bühnenpartnerin Liesl Karlstadt seine hochberühmten 'Viechereien' zum Besten: Mal gewährt er einem aus dem Aquarium gefallenen Goldfisch den Gnadentod, indem er ihn in der Isar 'ertränkt'. Ein anderes Mal schwärmt er von dem wunderbaren Traum, eine Ente zu sein, die gerade einen Wurm fressen will -- "zwanzig Zentimeter gelb". In Karl Valentins Welt gibt es "Kleidererziehungsanstalten" und "Strohhutkappzipfelhaubenhutmützenfilzpelzhüte". |
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Es scheint, als müsse man Valentin nur aufziehen, und er fängt an, ununterbrochen zu reden, solange die Batterien halten. Dabei verfängt er sich hoffnungslos im Sprachsalat, weil er in scheinbar kindlicher Naivität das Wort beim Wort nimmt. Er schlägt mit Sprache keine Brücken, sondern fällt immer tiefer in die Kluft. Sein Werk besteht aus einem ständigen Mißverstehen der Sprache, des Gesprächspartners und überhaupt der ganzen Welt. |
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Valentin Ludwig Fey hat unter dem Pseudonym Karl Valentin ein turbulentes Künstlerleben geführt oder besser gesagt, führen müssen -- man hat ihm Lorbeerkränze gewunden, ihn zum Charlie Chaplin des Wortes und zum Vorläufer des absurden Theaters erklärt; ihn zerpflückt, verschmäht und vergessen, bevor man ihn als einen der größten deutschsprachigen Komiker des 20. Jahrhunderts wiederentdeckte. Durch unzählige Enttäuschungen ist Valentin selbst nicht nur zum Misanthropen, sondern zum Philosophen geworden. Seine Sprachclownerien sind absurd und zuweilen bitterbös. |
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"Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit" | ||||
Wie Valentin in seiner 'Selbstbiographie' zum Besten gibt, wird er 1885 als "Sohn eines Ehepaares" in der Münchner Vorstadt Au geboren. Schon während der Schreinerlehre versucht er sich als Coupletdichter und erhält im Jahre 1902 sein erstes Varieté-Gastspiel in Nürnberg. Wild entschlossen, Volkssänger zu werden, bastelt er in den Jahren 1903 bis 1906 aus zwanzig Instrumenten einen Musikapparat und geht damit als "Das Lebende Orchestrion" auf eine erfolglose Tournee. Wieder zurück in München, zerhackt er in einem Wutanfall sein musikalisches Monstrum. |
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Nach entbehrungsreicher Zeit gelingt Karl Valentin 1908 der Durchbruch mit Solovorträgen, allen voran der Monolog "Das Aquarium". Als er dann noch das komische Talent der unscheinbaren Soubrette Elisabeth Wellano entdeckt und sie überredet, als 'Liesl Karlstadt' mit ihm auf der Bühne zu stehen, geht's bergauf. Liesl fungiert zumeist als vernünftiger, bürgerlich-pragmatischer Widerpart, an dem sich Valentin mit seinen Sprachverwirrspielen reiben kann. Ab 1915 treten die beiden in allen wichtigen Münchner Kabaretts auf. Gastspielreisen führen sie nach Wien, Zürich und Berlin. |
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In seiner Arbeit ist Karl Valentin stets Pedant und -- buchstäblich andererseits -- ein Chaot sondergleichen. So präzise er sein Spiel einstudiert, so wenig hält er sich an seine Texte. Scheinbar nie zufrieden, überarbeitet er einmal zu Papier Gebrachtes immer wieder und erfindet während der Aufführungen seine Repertoirestücke Abend für Abend neu. Kein leichter Bühnenpartner also, trotz herausragenden schauspielerischen Könnens. |
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Obgleich Valentin darstellerisch ebenbürtig und enorm wandlungsfähig, ist Liesl Karlstadt oft genug zur Stichwortlieferantin degradiert, die das wechselnde Umfeld für Valentins Selbstinszenierungen schafft. Während er sich in den Pointen seiner Dialoge austobt, übernimmt sie hauptsächlich die Funktion eines Korrektivs. Es ist schon abenteuerlich, wie geduldig und ausdauernd ihre Figuren, seien es Hausmeisterinnen, Richter, Verkäuferinnen oder Kapellmeister die Verbohrtheit ihres Gesprächspartners ertragen, wenn dieser etwa eine Selbstverständlichkeit wie eine wissenswerte Neuigkeit oder umgekehrt behandelt. |
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Der erfolgreichen Karriere als Schriftsteller, Vortragskünstler, Musical-Clown, Filmemacher, Schauspieler und Regisseur standen Valentins Neurosen gegenüber. Seine Furcht vor Einbrechern und längeren Zugfahrten war schier grenzenlos, die Liste seiner Ärzte stattlich: 88 Mediziner konsultierte er im Laufe seines Lebens, und die jahrzehntelange Korrespondenz mit Pharmaunternehmen zeugt von ausgeprägter Hypochondrie. Solche Ängstlichkeiten kultivierte er auch in seinem Künstlerdasein. Wenn er im Bewußtsein seiner Wichtigkeit für die Nachwelt große Alben mit ihn betreffenden Zeitungsartikeln, Programmzetteln und Fotos füllte, reichte sein Selbstvertrauen nicht aus, um sich längerfristig auf die Bretter des großen Theaters zu wagen. Gelegenheit dazu hätte er genug gehabt. "Je höher man hinaufkommt, umso tiefer fällt man -- und das will ich vermeiden" strickte er sich als Lebensmotto zurecht, und da war es nur konsequent, daß er mehrere Angebote von Theatercäsaren wie Otto Falckenberg und Max Reinhardt ausschlug. Nur auf den Podien der Singspielhallen fühlte er sich zu Hause, und es gab wenige, die ihn überzeugten, daß ihn das anspruchsvolle Publikum eines Theaters keineswegs geringschätzte. Rudolf Frank, Regisseur an den Münchner Kammerspielen, war einer der Glücklichen, die Valentin umstimmen konnten, indem er ihm versprach, ihm alles Gewünschte zur Verfügung zu stellen. Valentin zweifelte daran und verlangte mit einem Spitzbubengrinsen einen Zentner Zement -- der noch Monate nach Vertragsabschluß im Wege stand, um niemals benutzt zu werden. |
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Die 20er Jahre sind auch für Karl Valentin golden, man reißt sich um ihn -- die 'einfachen Leut' ebenso wie die Intellektuellen. Seine Filme und Vorstellungen sind ausverkauft, der Zweiakter Die Raubritter vor München in großen Theatern bejubelt. Doch es folgen finanzielle Tiefschläge, um nicht zu sagen Debakel. Sein 1934 im Keller des Münchner Hotel Wagner eröffnetes Absurditätenmuseum "Panoptikum" und die 1939 mit selbstgezimmerten Kuriostäten eingerichtete Kabarettkneipe "Ritterspelunke" werden jeweils ein Jahr später wegen Unrentabilität geschlossen. Valentin und Karlstadt verlieren ihr gesamtes investiertes Privatvermögen. Die politischen Umstände ab 1933 tun ihr Übriges: Wegen 'Elendstendenzen' verbietet die Zensur Valentins Film Die Erbschaft und setzt einige seiner Publikationen als 'Unerwünschte Literatur' auf die Schwarze Liste. Zu allem Übel kommt es Mitte der 30er Jahre zum Bruch zwischen Valentin und Liesl Karlstadt, die den unzähligen Nervenzerreißproben gesundheitlich nicht mehr gewachsen ist. |
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In den Nachkriegsjahren ist Valentins persönliche Situation desolat. Der Mangel an Lebensmitteln trifft ihn empfindlich. Kaum in der Lage, sich und seine Frau Gisela Royes durchzubringen, reflektiert er seine Resignation in Monologen wie "Schlechter kann's uns nimmer geh'n". Er ist sich bewußt, daß man ihn vergessen hat -- alle anderen außer den Eskimos und den Indianern hätten mehr Interesse an ihm als seine lieben Münchner, konstatiert er. Die Dialogthemen werden düsterer, kreisen um Lebensmittelnot, Diktatur, Trümmer, Angst -- eine bittere Komik, mit der Valentin sein Werk abschließt. Ab 1947 tritt er wieder mit seiner einstigen Partnerin Liesl Karlstadt auf, doch die Münchner wollen sich nach den traumatischen Kriegsjahren lieber im Schenkelklopfen üben. Man verlangt nach leichter Kost, nach krachlederner Hofbräugaudi, die der "spinnerte Teifi" Valentin nicht bieten kann und auch nicht bieten will. In Kinos, Radiostationen und Singspielhallen scheint für einen nachdenklichen Hofnarren, der dem Publikum den Zerrspiegel vorhält, kein Platz. Die Renaissance seiner Kunst erlebt Karl Valentin nicht mehr. Er stirbt am Rosenmontag 1948 in seinem Haus in Planegg bei München. |
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Im Sprachlabyrinth | ||||
Karl Valentins Feder entflossen unzählige Couplets, Monologe, Dialoge, Szenen und Stücke. Kaum zu glauben, denn der Kleinbürger Valentin, zeitlebens stolzer Besitzer von 12 Büchern (die meisten davon Bildbände), beschreibt sich selbst wenig zimperlich: "Ich bin als Vorstadtpflanze aufgewachsen und als Gentleman den Frauen gegenüber in hinterster Reihe gestanden. Ich habe auch nie Bildung mit dem Löffel gegessen, nur mit der Messerspitze." |
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Seit den 20ern nannte er sich "Wortsteller", und tatsächlich ist der Hauptarbeitsbereich seiner Komik die Sprach-, bzw. Gesprächssabotage. Valentins Technik hat 1928 ein Kritiker der Vossischen Zeitung mit dem Begriff des 'schöpferischen Infantilismus' zu fassen versucht: "Er tut sicher heut nichts anderes, als er mit zehn oder zwölf Jahren tat, wenn er mit einem Gespielen Dialoge Erwachsener kopierte, mit der gleichen verbissenen Klanglogik, dem gleichen Respekt vor tönenden Worten und der gleichen Verachtung für sie." Doch ganz so einfach ist die Sache nicht. |
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Der Sprachvirtuose Valentin ringt um Orientierung in Raum und Zeit, stellt prinzipielle Fragen. Welche Bedeutung haben Wörter? Was kann man sagen, was nicht? Wie denken und verstehen wir die Welt? In letzter Konsequenz führt er die Grenzen der Sprache vor und scheut sich nicht, auch jenseits dieser Schwellen herumzustochern. Was hinter der Wortverdreherei steckt, ist alles andere als 'saudumm's Zeug', sondern des Autors souveräne Beherrschung sprachlicher Finessen. Und seine abwegigen Überlegungen sind erstaunlich sprachanalytisch: Er wringt das menschliche Kommunikationswerkzeug, bis sämtliche Ungereimtheiten herauströpfeln. Denkmöglichkeiten werden ausgeschöpft, Abstraktionen zerbröckelt und das Wörtlichnehmen von Gesprochenem führt ins Bodenlose. Hanna Schygulla hat dies in ihrer Valentin-Hommage schön auf den Punkt gebracht: "Nichts ist dir selbstverständlich. Alles bringst du in Bewegung, bis es aufbricht und entgleist [...], und wie jemand, der etwas verloren hat, das er unbedingt wiederfinden muß, reißt du die Schubladen der Ratio auf und leerst sie auf den Boden, und man kann nur staunen, was sich da alles angesammelt hat." |
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Keineswegs versucht Karl Valentin, die Erfahrungswelt durch Sprache zu strukturieren -- im Gegenteil. Längere Valentin-Texte erzählen nie eine Geschichte im herkömmlichen Sinn. Trotz charakteristischer Einfachheit der Wortwahl muß man als Hörer mit dem verwickelten Satzbau und der Bilderfülle erst einmal fertig werden. Die generelle Unfähigkeit der Valentin-Figuren, komplexe Zusammenhänge wiederzugeben, verursacht Sprachchaos. In "Ein Posaunensolo mit Posaunenbegleitung" aus dem Jahre 1915 verschwimmt durch narratives Auf-der-Stelle-treten die Nachvollziehbarkeit des erzählten Zusammenhangs, daß einem schwindlig wird: |
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"[...] der mit der kleinen Geige könnte ja schon unterm Geigen marschieren, aber der mit der Baßgeige könnte nicht zu gleicher Zeit marschieren, weil die Baßgeige steht ja am Boden, jetzt wenn der net, -- und da reibt er a so und unterm Gehen könnte er nicht stehen bleiben, drum kann er auch nicht geigen, daß heißt, er könnte schon geigen, aber unterm Marschieren kann er net stehen bleiben; drum ist eben des von der Natur so schön eingerichtet, daß eben die Wachtparade unterm Marschieren Trompet'n blas'n und nicht Geigen spielen." |
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Wie oft hat Valentin Extremfälle strategielosen Erzählens konstruiert, komplizierte Netze aus scheinbar logischen Sätzen. Ein Höhepunkt unstrukturierten Sprechens sind Monologe wie "Weibergeschwätz", "Die Hausmoasterin", "Treppenhausmonologe", "Eine Frau aus dem Volke" oder, wie der vielsagende Titel ahnen läßt: "Kurz und bündig". Diese virtuos vorgetragenen erzählstrategischen Mißgriffe als 'detailreiche Reden' bezeichnen zu wollen, wäre eine schamlose Untertreibung. In wilder Assoziation strömen die Gedanken als formlose Masse hervor und sprengen die gewohnten sprachlichen Formen. Die Monologisierenden kommen niemals zur Sache, der eigentliche Punkt wird nicht diskutiert. Das Gegenüber hat keine Chance, den unkontrollierten Bewußtseinsstrom zu stoppen. Lassen wir also die dialektgewaltige Frau Huber zu Wort kommen, das Idealbild der bayerischen 'Ratschn': |
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"Ja, Herr Anspann, also wenn Sie den kleinen eisern Ofen kaufen wollen -- ungeheizt natürlich können'S den Ofen schon haben, aber nur im Sommer, im Winter brauch' mer'n ja wieder selber. Den Ofen ham mir ober der Ha... -- unter der Hand, vielmehr, kauft, weil mein Mann dem sein Bruder, der hat in der Brudermühlstraß bei der Frau Moser g'wohnt, die den Kramerladen verkauft hat da in der Zenettistraß fünf. Sie hat'n selber verkaufn müssn, in der letzten Zeit is Gschäft nimmer so guat gangen, wissens; sie war immer kränklich und ihr Sohn, der Martin, is doch erst vom Mottorad g'stürzt, net, und hat sich a Rippen geprellt. [...] Vorige Woch war'n wir in Grünwald -- i sag's ja, wia ma nur so zerstreut sein kann -- wir sitzen im Schloßkaffee und grad wia uns d'Kellnerin an Kaffee hinstellt, denk i mir: hab jetzt i dahoam's Gas abdraht? Freilich, sagt mein Mann, hast du's abdraht [...]" |
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Und so weiter und so weiter. Aus dem Leben gegriffene Sprechhandlungen mit schlichtweg undurchschaubarer Motivation ... |
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Eines der liebsten Spiele, die Karl Valentin mit Sprache treibt, sind Wortpanschereien, mit denen er, wie im Firmling, bewußt Mißverständnisse provoziert. Auf den Hinweis des Kellners, das Lokal habe kein Bier, sondern Weinzwang, kommt die prompte Antwort: "Na bringen'S zwei Gläser Weinzwang!" Was schert es ihn, ob 'Weinzwang' ein Objekt oder eine Gegebenheit bezeichnet? In der "pilisophischen Betrachtung" aus dem Jahre 1946 hebt er die Bedeutungsgrenzen von Worten auf und konfrontiert sein Publikum mit der These: "Fast die ganze Menschheit strotzt vor Falschheit." Einmal ins Philosophieren geraten, pfropft er, was das Zeug hält, in seinen Begriff, den er sich ausführlichst zu erläutern anschickt: Die 'Falschheit' des Menschen fange schon bei der Geburt an: Mit der falschen Lage des Kindes im Mutterleib. Falschheit entstehe aber auch durch eine falsche Telefonverbindung. Schließlich landet er bei der "Falschmünzerbande" und dem "Falsch...irm Abspringer" -- Paradebeispielen menschlicher Falschheit eben. Doch gibt es, wie wir uns gerne belehren lassen, auch "Notfalschheiten", wie die üblichen Anstandsfloskeln der Verwandten über ein Neugeborenes, denn "Was würden die stolzen Eltern zu den Verwandten sagen, wenn die Verwandten zu den Eltern sagen würden, 'Eurer Kind schaut aus wie ein Aff'?'" |
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Der Umfang dessen, was 'Falschheit' charakterisieren soll, ist nicht exakt festgelegt. Durch Spielereien mit etymologischer Verwandtschaft oder bloßem Gleichklang der Worte täuscht Valentin einen Zusammenhang der Begriffe vor, der so natürlich unsinnig ist. Er macht 'Falschheit' zur Konzeption mit unscharfen Rändern und tut gerade so, als gäbe es keinen essentiellen Bedeutungskern. Warum aber, bitteschön, mag er sich gedacht haben, ist nicht auch ein Falsch...irmspringer unter 'Falschheit' zu fassen, wo die Klangähnlichkeit es zumindest teilweise nahelegt? |
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Gerne operiert er mit Neologismen und montiert noch lieber aus bereits existierenden Worten Nonsenseausdrücke zusammen. In seinen 'wissenschaftlichen Plaudereien' belächelt er mit 'fachspezifischem' Jargon den Phrasensumpf der Wissenschaftssprache. Demnach ist der Regen, wenn man Professor Karl Valentin, "Ordinarius der Viecherei in München", Glauben schenken soll, eine "primöse Zersetzung luftähnlicher Mibrollen und Vibromen, deren Ursache bis heute noch nicht stixiert wurde". "Man weiß nicht warum ...", möchte man hinzufügen -- Samuel Becketts Luckymonolog läßt grüßen! Nutzlosigkeit des Gesprochenen begegnet dem erlauchten Publikum in so mancher valentinscher Unsinnsrede. Bei solchen Gelegenheiten nimmt der aufmerksame Hörer bestenfalls die Sätze wahr, doch selbst bei gutmütigstem Interpretationsversuch bleibt deren Gehalt schleierhaft. Die einzelnen Elemente der Aufzählung "Da warn viel Menschen dort; Menschen und Publikum, Leut', Personen, Passanten, Volk -- alles durcheinand'!" sind Pleonasmen von Beruf und enthalten als solche keine neuen Informationen. |
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Ein weiteres, für Valentin besonders dankbares Thema ist die Zeit. Mit Raum-Zeit-Mischungen wie "Ich weiß nicht mehr genau, war das gestern, oder war's im vierten Stock oben" irritiert er den gesunden Menschenverstand ebenso wie mit verquerer Logik: "[...] jeden Morgen, wenn ich ins Geschäft gehe, da schau ich auf die Rathausuhr hinauf, wieviel Uhr es ist, und da merke ich's mir gleich für den ganzen Tag und nütze meine Uhr nicht so ab!" Die Grenzen der üblichen temporalen Strukturierungen verschwimmen und werden zu fetzenhaft vorüberflatternden Illusionen. Im Valentin-Universum ist eine Trennung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ja auch komplett unnütz. Schließlich lebt seine Komik davon, daß er Widersprüchliches im gleichen Satz aneinanderpappt: "Von gestern bis heut hab ich drei Wochen nicht geschlafen". Nieder mit dem Verstand -- es lebe der Blödsinn! |
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Valentins Komik ist weit entfernt vom Bier-Humor der Volkssänger -- da genügt schon ein kurzer Blick. In seinen Denkverwirrspielen präsentiert er das Ungewohnte als Normalität und zieht dem Publikum damit den Boden unter den Füßen weg. Letzten Endes bleibt nichts anderes übrig, als sich aus dieser Haltlosigkeit mit einem Lachen zu befreien. Bertolt Brecht entdeckte gar ein seltsames Grausen in der Arbeit seines Weggefährten: |
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"Dieser Mensch ist ein durchaus komplizierter, blutiger Witz. Er ist von einer ganz trockenen, innerlichen Komik, bei der man rauchen und trinken kann und unaufhörlich von einem innerlichen Gelächter geschüttelt wird, das nichts besonders Gutartiges hat. Denn es handelt sich um die Trägheit der Materie und um die feinsten Genüsse, die durchaus zu holen sind. Hier wird gezeigt die Unzulänglichkeit aller Dinge, einschließlich uns selber. Wenn dieser Mensch, eine der eindringlichsten geistigen Figuren der Zeit, den Einfältigen die Zusammenhänge zwischen Gelassenheit, Dummheit und Lebensgenuß leibhaftig vor Augen führt, lachen die Gäule und merken es tief innen." |
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"Des müassen'S Eahna merka!" | ||||
Valentinsche Figuren sind übereifrige Redner, die sich immer wieder gegenseitig ins Wort fallen. Mal versuchen sie, durch wohlmeinendes Erraten des vom Dialogpartner Gemeinten weiter voran zu kommen, mal geben sie in purer Rechthaberei immer wieder stur die gleiche Antwort. Sie reden aus reinem Unvermögen aneinander vorbei oder monologisieren zweistimmig, da sie ihr Gegenüber sowieso nicht interessiert. |
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Eine Sprache beherrschen bedeutet, daß der Sprechende in der Lage ist, subjektiven Sinn zu objektivieren und objektiven Sinn zu subjektivieren. Sprechen und Verstehen, Performanz und Kompetenz bedingen einander wechselseitig. Bei Valentin dagegen ist Sprache kein Verständigungsmittel, sondern Stolperstein. Die Absurdität liegt darin, daß ihm, oder besser, seinen Figuren, nichts anderes übrig bleibt, gegen diesen Stolperstein mit dem Mittel anzugehen, das sie am wenigsten im Griff haben -- der Sprache. Wem aber die Worte fehlen, der kann weder verstehen noch sprechen, mag man einwenden. Doch da hat man nicht mit Valentin-Charakteren gerechnet: Sie sind Meister der Beharrlichkeit -- Hindernisse sind schließlich da, um überwunden zu werden! Wo es hakt, machen sich die Wortakrobaten das tückische Objekt einfach auf ihre Weise nutzbar. Das gesamte Valentin-Werk spottet dem Ausspruch Voltaires: "Alles, was einer Erklärung bedarf, ist die Erklärung nicht wert" -- Valentin-Figuren erklären sich um Kopf und Kragen: |
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"V.: ...deln! |
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Wer Valentin kennt, weiß, daß diese Diskussion sich endlos im Kreise dreht -- ein dramaturgisches Konstruktionsprinzip, das dem Menschen die Fähigkeit nimmt, Situationen zu kontrollieren. In diesem Fall rutschen die Figuren in einen Argumentationskreislauf, aus dem es kein Entrinnen gibt. Da sie sich nunmal ihrer schiefen Logik ausgeliefert haben, müssen sie sich vom normalen Denken verabschieden. So beharren sie denn auch stur auf dem Absurden, bis ein Befreiungsschlag sie erlöst: |
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"V.: [...] solang die Semmelnknödeln aus mehreren Semmeln gemacht werden, sagt man unerbitterlich Semmelnknödeln. |
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Der Redner V. setzt sich tapfer über den Sprachgebrauch hinweg und versucht mit einer Art Pseudoetymologie logisch-argumentativ einen Sinn in Sprachkonventionen hineinzuschrauben. Das Ziel des Gespräches ist müßig und geht völlig am Gegenstand vorbei, da der Sprache ein Sinn unterstellt wird, den sie nicht hat. Nicht zuletzt entsteht die Komik der Szene aus der dringenden Notwendigkeit, mit der Knödelform und Knödelsorten durchdekliniert werden. Was oberflächlich betrachtet so naiv klingt, ist ein massiver Streit um den korrekten, objektiv verbindlichen Sprachgebrauch des Wortes 'Semmelknödel', als handele es sich um die fundamentale Auslegung eines Gesetzestextes. Die Verbindung von heroischer Form und banalem Inhalt kannte schon die menippäische Satire. Auch bei Valentins Zwang, völlig unproblematische Alltagsbegriffe zu definieren, kippt das Pathos ins Bathos. |
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Noch p(b)athetischer wird es, wenn sich die Figuren auf ein ganz besonderes Glatteis begeben -- das für sie fremde Territorium der Schriftlichkeit. Ein Brief verlangt nach Präzisierung, nach objektivem Sinn der Zeichen und ist zudem anonym. Ohne greifbares Gegenüber müssen alle nur denkbaren Reaktionen und Einwände im eigenen Text antizipiert werden. Kein Wunder, daß Schriftsprache die ungeübten Schreiber bedrängt und verunsichert, sind diese doch gewohnt, ihr Gegenüber einfach in Grund und Boden zu reden. Zu Beginn seiner Karriere hatte Valentin ein ganz ähnliches Problem: Die Monologe, die er vortrug, boten wenig Spielraum für Rede und Gegenrede -- Widersprüche konnten nicht von außen kommen und mußten dramaturgisch mit in den eigenen Vortrag eingebaut werden. Erst die Arbeit an Dialogen und Szenen sprengte diese Begrenzung. Doch zurück zu den armen Valentin-Charakteren, für die es eine überdimensionale Anstrengung bedeutet, einen Stift in die Hand zu nehmen und auch nur eine kurze Notiz, geschweige denn ein längeres Schreiben zu Papier zu bringen. In Des Freundes Brief steht der gigantische sprachliche Aufwand in keinem Verhältnis zum dürftigen Gehalt. Der Verfasser hat sich mit einem ehemaligen Freund zerstritten und ringt nun nach möglichst eindeutiger Wortwahl, auch wenn es gilt, verbale Unverschämtheiten zu formulieren. Er diktiert in großer Geste seiner Frau: |
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"V.: 'Es ist schon kaum unglaublich, daß Sie sich erdreisteten, einen Freund, wie wir zu Ihnen sind, vielmehr waren, in so einer unverschämten ...' -- na, halt, so können wir ihm net schreib'n. Nimm an neuen Briefbogen!" |
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"V.: 'Hinsichtlich Ihres gegen uns erzeugten Benehmens Ihrerseits, wo es sich um Familieneinmischungsdifferenzen handelte, werden Sie zukünftigerseits gegenseitiges Erachtens -- uns ignorieren, doch keinenfalls' -- na, na, na, da kennt er sich net aus! -- Nimm an neuen Briefbogen! [...] schreib: 'Glauben denn Sie, Sie hundsgemeiner Sauhund' [...] -- des is etwas zu derb! -- Nimm an neuen Briefbogen." |
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Nach langem Hin und Her hat man den Brief aufs äußerste Minimum gekürzt, das da lautet: "Geehrter Herr! Ich beschließe nun mein Schreiben und erachte die ganze Angelegenheit für entwichen. Hochachtungsvoll!" |
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Was für ein hilfloser Versuch, in der anonymisierten Kommunikation den richtigen Stil zu finden! Welche Anrede ziemt sich denn für den verschmähten Freund? Ist es der 'hundsgemeine Sauhund', der 'liebe, gute, alte Freund' oder der 'geehrte Herr'? Mit existierenden und neu kreierten Versatzstücken aus Geschäftsschreiben versucht der Schreiber sich am offiziellen Sprachduktus und persifliert damit unbewußt das, was er als guten Schreibstil betrachtet. Seine Verwendung komplizierter Patchworkworte sollen den Anschein von Gelehrtheit erwecken. Doch die Sprache gerät aus den Fugen -- der Schuh ist ein paar Nummern zu groß. |
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Als Valentin-Figur ist man nicht selten damit beschäftigt, Lücken zu füllen, um mühsam den erzählerischen Kontext zu rekonstruieren, denn durch Zerstreutheit verschlägt es die sowieso schon holpernde Sprache. Der Protagonist wird hier zum Opfer seines Autors, der ihn durch einen Lapsus in ein gänzlich unfreiwilliges Wortspiel stolpern läßt. Die Gesprächsbereitschaft ist grundsätzlich kooperativ, nur schade, daß sich auf der Suche nach dem rechten Wort jeweils nur das unpassendste findet: "Ja, meine Frau hat mir zum vergossenen -- verschlossenen, äh, verflossenen Weihnachten einen Dings kauft, so an, einen, no, wie sagt mer denn gleich, einen, mein Gott, bin ich jetzt vergeßlich die letzte Zeit! Wos hab' i jetzt grad g'sagt?" Und sein einfühlsames Gegenüber versucht zu erraten, was für ein "Präsident", also Präsent, die Frau denn nun gemacht hat: "A Packl Kunsthonig?" -- "Geh, reden'S doch keinen Mist! Hat denn a Kunsthonig 3 Füß?" -- "Was, 3 Füß hat er? Zwei wird er halt hab'n!" -- "Mit zwei fällt er doch um!" Ein gutmeinendes Rumstochern im Nebel. |
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Es bleibt aber nicht bei solch versöhnlichen Gesprächen, sondern steigert sich gern in die mutwillig-destruktive Widerrede eines Partners. Das Stück "Die Orchesterprobe" ist Dialogsabotage in reinster Form. Valentin macht sich dabei den kindlichen Sprachduktus -- trotziges Beharren und bohrendes Nachfragen -- zunutze. Das Gespräch zwischen Kapellmeister und einem Orchestermusiker ist auf beinahe philosophische Sprachspiele voll doppelbödiger Dialektik ausgeweitet: |
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"K.: Da brauch' ich Sie nicht dazu. Das seh' ich selbst, daß der (Paukist) nicht da ist. |
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Zu den Grundbedingungen für einen für beide Seiten erfolgreichen Dialog gehört ein gemeinsames Dialogziel. Doch gerade das verlieren die Figuren am schnellsten aus den Augen. Die erfolgreiche Kommunikation ist behindert und zwar durch das, was der Sprachwissenschaftler etwas geschraubt als 'Urteilsdifferenzen' bezeichnet. Beide Personen klassifizieren die Sätze des jeweils anderen falsch -- verstehen eine Hypothese als eine Behauptung oder umgekehrt. Das gegenseitige Mißverstehen trennt die beiden, da sie mit gleichen Worten oder Redewendungen unterschiedliche Bedeutungen verknüpfen. In solch valentinschem Ping-Pong-Spiel sind die Versuche des vernünftigen Gesprächsteilnehmers, auf gesundem Menschenverstand zu beharren, oft genug zum Scheitern verurteilt. Valentin für seinen Part ist stets der verdrehte Wortzerklauber, der jeder Logik die innewohnende Unlogik abringt. Dabei geht er mit solch prägnanter Dummpfiffigkeit ans Werk, daß Schwach- und Tiefsinn einander geradezu bedingen. Der Orchestermusiker ist der festen Überzeugung, wenn jemand etwas sieht, dann muß etwas da sein, was man sehen kann; wenn etwas nicht da ist, kann es nicht sichtbar sein. Indem er sich, blind für alle weiteren Implikationen, ausschließlich an dieser Tatsache festbeißt, gibt er sich den Anschein, als habe er die Behauptung seines Gegenübers widerlegt. Im Dialog "Der Vogelhändler" diskutiert der störrische und allzu papiergläubige Lieferant der verwunderten Kundin sogar einen Vogel in den leeren Käfig hinein. Sie untersucht den Käfig, er sucht auf dem Lieferschein. Egal, was sie vorbringen mag, er wird der Gegenargumente nicht müde, anstatt zu handeln: "Drin muß er sein, da gibt's gar koan Zweifel. Schaun'S amal auf d'Rechnung nauf, ob er auf der Rechnung steht, no ham wir's gleich." -- "Da steht freilich 'Ein Käfig mit Vogel 13 Mark' " -- "Na also, na also [...]". Bei einem Zer-Denker, der alles andersherum verkehrt sieht, richtet sich die Sprache natürlich nicht nach der Realität -- die Realität hat sich gefälligst nach der Sprache zu richten. |
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Den Kunstgriff der Erschütterung gegnerischer Argumente beherrschen Valentin-Figuren mit traumwandlerischer Sicherheit. Wenn ein Redner jedoch nicht weiter kommt und ahnt, daß er unterliegt, hilft nur eins: Kratzbürstigkeit! Man könnte meinen, Karl Valentin habe sich in solchen Szenen einem von Arthur Schopenhauers Tips der natürlichen Rechthaberei angeschlossen: "Wenn man merkt, daß der Gegner überlegen ist und man Unrecht behalten wird, so werde man persönlich, beleidigend, grob." So manches Mal hat er tief in die Mottenkiste bajuwarischer Schimpfereien gegriffen (Valentin, nicht Schopenhauer). Und die, die er herausgezogen hat, sind schon beinahe Hörbelästigungen. Als Nicht-Bayer kann man nur rätseln, was etwa ein "Jubiläumstrankhafa", ein(e) "Watschenrennats" oder eine "Flugga" ist. Wer glaubt, sprachliches Handeln sei rationales Handeln, sieht neben Karl Valentins Sprechern blaß aus, besonders, wenn sie wütend sind: "Mischen'S sich nicht immer in andere hinein. Mischen'S Ihnen lieber in sich selber hinein. Sie sind der Allerjüngste! Schämen'S sich, daß'S noch so jung sind!" Doch egal, mit welchem Druck die Beschimpfungen hervorsprudeln -- im nächsten Moment ziseliert Valentin wieder wie ein Goldschmied und mag einräumen: "Ich hab mich leider nicht unrichtig verredet!" |
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Am Ufer der Vernunft | ||||
Die Welt der Valentin-Figuren ist der Alltag und der Alltag ist permanente Bedrohung. In Anlehnung an das Volkssänger-Millieu spielen Szenen im ehelichen Haushalt, auf dem Volksfest oder im Wirtshaus; vertraute Umgebungen, könnte man meinen. Aber Valentins Individuen agieren, als befänden sie sich in einer neuartigen, erst noch zu klärenden Situation. Ihre latente Erwartungsneurose, daß immer die schlimmste Katastrophe eintreten wird, fordert ihre Rechte -- alles steuert aufs Mißlingen zu. Im Alltagsbewußtsein und der Hoffnung auf zwischenmenschliche Verständigung enttäuscht, bleiben die Figuren allein in ihrer Sprachnot. |
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Eine gescherte Mischpoke läßt Valentin da aufmarschieren: Neidhammel, Angsthasen, Quälgeister, Gequälte -- und allesamt derb, polternd und streitsüchtig. Verarmte Existenzen, die nicht nur um Sprache, sondern ums eigene Überleben kämpfen. Gräßlich sind sie, und komisch. Die Wurzeln dieser Leute liegen im Kleinbürgertum der Au, jener Münchner Vorstadt, in der Karl Valentin aufgewachsen ist. Da gab es den 'narrischen Maxl' mit der Ziehharmonika oder den 'Flinzerl-Schneider', den man morgens wie abends in der Kneipe antraf. Valentin seziert und parodiert diese Proletarier nicht ohne Mitgefühl, ob mit seinem Maschinisten an der "Semmelbröselreibmaschine" oder dem unglücklichen "Spritzbrunnenaufdreher" mit einem Jahreseinkommen von 2 Mark -- jeweils eine für das Aufdrehen des Spritzbrunnens im Sommer und das Abdrehen Ende Oktober. |
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Valentins originäres Talent liegt in der präzisen Wahrnehmung von Tragik und Komik jener Auer Bevölkerung. Die einerseits bigotte, andererseits aufmüpfige Figurenmischung, die ländlichen Charaktere, die Wohnungssuchenden, Handwerker oder Musiker boten dem Publikum der Volksbühnen eine breite Identifikationsfläche. In seinen Alltagsstudien macht er die Kleinbürger weniger zum Gegenstand als vielmehr zum Vehikel seiner Kritik an der Welt. Anarchisch-antibürgerliche Tendenzen sind bei alledem nicht zu leugnen. Wir begegnen z.B. der Frau Kreszenz Hiagelgwimpft, ihres Zeichens Gattin eines Großkaufmanns aus der goldenen Inflationszeit 1919. Zwischen sich und der "Burgassi" (Bourgeoisie) sieht sie keinen Unterschied, räumt allerdings ein "Bloß's Mai (Maul) wenn ma aufmacha, dann san ma verlorn, dann haut's uns naus aus der Rolln, zwega der Haidhauser Grammatik." Ob beim Friseur oder beim Einkauf im piekfeinen Schuhladen, wenn's eilt, gehen die zarten Nerven der "emporgschwunganen" Millionärsgattin dann doch das eine oder andere Mal durch: "Wiast mi net augenblickli prompt bedienst, dann fahr i dir strumpfsockert in d'Nasenlöcher nei, daß'd dastickst." |
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Das Gegeneinander der Lebensformen erscheint durch die Verwendung des Dialekts besonders kontrastreich. Der Dialekt entspringt der überschaubaren, dörflich-engen Gemeinschaft und ist mit der 'großen' Welt jenseits der Dorfgrenzen nicht kompatibel. Treffen Angehörige solch verschiedener (Sprach-)Welten aufeinander, dann scheppert's, denn sie können gar nicht anders, als im versuchten Gespräch die Position des anderen in Frage zu stellen: Dialektübersetzungen und Umschreibungen führen unweigerlich in die Pseudokommunikation, die nicht immer so glimpflich abläuft, wie im folgenden Dialog mit dem Angler, in dem Bayerischer Plural und Flußname nicht mehr auseinanderdividiert werden können: |
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"V.: [...] Ham Sie die Würm noch nicht gesehen? |
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Sprachliche Mehrdeutigkeiten lösen sich im Alltag normalerweise durch den Situationszusammenhang auf. Valentinsche Dialektsprecher dagegen sind unfähig, die Symbole, den Sinn, das Denken des Gegenübers für sich zu übersetzen. Gemeinsamkeiten wollen sich nicht finden lassen, ein tatsächlicher Austausch ist in solchen Zwiegesprächen nicht möglich. "In keiner Sprache kann man sich so schwer verständigen, wie in der Sprache." Es scheint, als habe Karl Kraus seinen Ausspruch nur für Karl Valentin getan. |
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Im berühmten "Buchbinder Wanninger" ringen unvereinbare Lebenswelten um Geltung und machen die sozialen Unterschiede spürbar. Gewiß, Kafka-Vergleiche sollte man nicht überstrapazieren -- aber ein undurchschaubares Instanzenlabyrinth ist es doch, in das der arme Buchbinder Wanninger im Telefonat mit der Baufirma Meisel gerät -- zehn Mal wird er verbunden, immer verworrener sagt er sein Sprüchlein auf, seine Rede entzieht sich Stück für Stück seinem Zugriff. Je höher die soziale Stellung seines Gesprächspartners, desto schwieriger wird es ihm, sein Anliegen in Worte zu fassen. Traurig und trostlos hört es sich an, wie er sich in die Behördensprache verwickelt: "Ja, der Ding is hier, der Buchbinder Wanninger, ich hab's jetzt dene andern scho so oft g'sagt, ich möcht nur an Herrn Direktor fragn, daß ich die Bücher -- fragen, daß ich die Bücher jetzt fertig hab und ob ich s' nausschicka soll zu Ihna, und d'Rechnung hätt ich auch gschriebn, ob ich die auch gleich mit die Bücher, zamt die Bücher mit zum Herrn -- Ihnen hinschicken soll, dann." Keiner fragt nach, keiner korrigiert den anderen. Immer hoffnungsloser wird das Hin und Her der Mißverständnisse, denn die Alternative, die der Buchbinder anbietet, ist keine: Er möchte unbedingt wissen, ob er die Rechnung der Lieferung beilegen oder gleich mitschicken soll. Wie so oft endet auch diese Valentin-Szene -- dem deutschen Witzhumor zum Trotz -- ohne Pointe, einfach so. Wanninger verliert seinen sinnlosen Kampf -- es wird aufgelegt. |
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Zwischenmenschliche Kommunikation ist in einen komplexen Rahmen von Tätigkeiten und Verwendungssituationen eingebettet, der dazu beiträgt, den sprachlichen Ausdrücken Bedeutung zu verleihen. Innerhalb einer Sprachgemeinschaft ist jedes Wortspiel aus der Sicht der Norm ein Fehler. Allerdings ein Fehler mit Sinn, mit sprachkritischer oder sprachartistischer Intention. Schlimm wird es nur dann, wenn der Sprecher völlig aussteigt. Wenn er noch nicht einmal in der Lage ist, einen abstrakten Allgemeinbegriff von einem individualisierten Eigennamen zu unterscheiden -- da ist dann tatsächlich Hopfen und Malz verloren: |
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"Musiker: Wie heißt der? Rhythmus? |
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Valentins erste Dialogreplik stößt stets vor den Kopf. Der Bezug auf die Wirklichkeit scheitert, denn seine sprachlichen Entwürfe sind auf nichts gerichtet. Je länger man jedoch zuhört, desto mehr findet man sich in das Spiel ein, das er spielt. Seine eigenwillige Verwendung von Sprache gewinnt innerhalb der Szene immer mehr an Kontur und sogar verquerem Sinn. Man könnte den Prozeß, den der Zuschauer bei Valentin durchmacht, mit dem Spracherwerb eines Kindes vergleichen, dessen Sprechen sich durch fortwährende Korrekturen langsam an den 'richtigen' Sprachgebrauch der jeweiligen Situation anpaßt. |
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Die common sense-Auffassung, daß die Sprache sich an der Wirklichkeit zu orientieren habe, ist Karl Valentin ganz offensichtlich gleichgültig. Indem er die Sätze gegen den Strich bürstet, bilden sie nicht -- wie eigentlich vorgesehen -- die gegenständliche und gedankliche Welt ab. Er entschiedet sich für die entgegengesetzte Variante und verwendet Sprache als Ausdruck einer originären Lebensform, mit der er sich die Realität zurechtrückt. Das Schöne daran ist, daß er mit diesen Sprachspielen eine ganz eigene, in sich stimmige Welt projiziert, die mit unserer Logik nichts zu tun hat. |
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"Die Zukunft war früher auch besser" | ||||
"Gewöhnlich glaubt der Mensch, wenn er nur Worte hört, es müsse sich dabei doch auch was denken lassen", bemerkte Goethe einst ironisch und ahnte nicht, daß einmal ein Mann namens Valentin Ludwig Fey die Bühne der Welt betreten würde. Doch lassen wir in diesem Zusammenhang Herrn Wittgenstein kontern: "Die Ergebnisse der Philosophie sind die Entdeckung irgendeines schlichten Unsinns und Beulen, die sich der Verstand beim Anrennen an die Grenzen der Sprache geholt hat." Wenn dem so ist, so hat sich der philosophische Sprachkomiker Karl Valentin viele Beulen geholt. |
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Das Nur-Lustige war nie Valentins Sache. Doch immer, wenn er seinen melancholischen Blick auf die Wirklichkeit seiner sprachlichen Experimentierlaune unterwarf, zog er die Zuschauer in seinen Bann. In einer Zeit der Orientierungslosigkeit suchte er nach Anhaltspunkten, nach Möglichkeiten und Unmöglichkeiten des Daseins. Alle Situationen und Sprachverhalte waren ihm ein Rätsel, das er mit Witz und Paradoxien zu ergründen versuchte. Lachen und denken bleibt bei Valentin bis heute untrennbar. Wenn er im Sandhaufen der Sprache wühlt, läßt er den Sprachverstand seines Publikums Körnchen für Körnchen durch die Finger rieseln. Nicht zuletzt lebt seine Kunst von zahlreichen Behinderungen, die zu überwinden sind. "Mögen hätt ich schon wollen, aber dürfen hab ich mich nicht getraut!" -- das gilt für vieles in Valentins Leben und Werk. Sein 'Höllentanz der Vernunft um beide Pole des Irrsinns', wie Kurt Tucholsky diese Komik so treffend nannte, ist aktueller denn je. |
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Auch zukünftig wird sich noch so mancher Wissenschaftler über Karl Valentin den Kopf zerbrechen, und das ist gut so! Die Theater, das Münchner Valentin Musäum und das Archiv der Kölner Theaterwissenschaft halten die Erinnerungen an ihn wach. Valentin, der sich zeitlebens beharrlich als 'Volkssänger' bezeichnete, mag sich hier und da über die Rezeptionsansätze seiner Zeitgenossen gewundert haben. Er selbst ist nie theoretisch an seine Kunst herangegangen und hätte sich auch nicht bemüht, nachzuvollziehen, was in sprachwissenschaftlich oder journalistisch geschulten Köpfen dann so vor sich geht. Eine eigene Erklärung für sein Talent hat er im "Tingeltangel" gegeben: "[...] das ist angeboren, das liegt bei [...] Artisten schon im Blut, im Artistenblut, in der Familie, im Familienblut, im Artistenfamilienblut. Im artistischen Familienblut." |
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Wer immer noch keine Ehrfurcht hat, der möge sich doch, bevor er meckert, mal an diesem Wort versuchen: Isopropilprophemilbarbitursauresphenildimethildimenthylaminophirazolon. Ganz hartnäckigen Valentin-Skeptikern bleibt selbstverständlich vorbehalten, sich der unnachahmlichen Liesl Karlstadt anzuschließen: |
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"Ich bin doch nicht verpflichtet, daß ich Ihr saudumm's G'schwätz anhör!" |
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autoreninfo
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Barbara Damm studierte Anglistik, Komparatistik und Germanistik an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Magisterarbeit mit filmwissenschaftlichem Schwerpunkt. Seit 1994 Theaterarbeit an verschiedenen öffentlichen Bühnen und in der freien Szene. Seit August 2005 Festengagement in der Schauspieldramaturgie des Theater Bonn.
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