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no. 22: zeugenschaft -> stolpern im stillstand
 

Stolpern im Stillstand

Interview mit dem Künstler Gunter Demnig

von Thomas Hilger

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Wie lassen sich solche traumatischen Ereignisse wie die Shoah dauerhaft auch mit künstlerischen Mitteln so bezeugen, daß die besondere Art des Gedenkens selbst zur Erkenntnis des Geschehens einen Beitrag zu liefern verspricht? Das folgende Interview führte ich, Thomas Hilger, für parapluie mit Gunter Demnig, der die Stolpersteine zum individuellen Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus verlegt, am 25.11.2005 in seinem Kölner Atelier.

 

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Abb. 1

Das Interview steht mitten im Kontext des Themenschwerpunktes dieser parapluie-Ausgabe. Andererseits gab es noch am Vortag des Interviews, also am 24.11.2005, ein Gespräch in Krefeld mit Schülern und Lehrern der Kurt-Tucholsky-Gesamtschule und der Gerd-Jansen-Schule für Körperbehinderte mit dem Oberbürgermeister über das vom Stadtrat per Ratsbeschluß zunächst zum Scheitern verurteilte Engagement der Schüler für die Stolpersteine. Da ich als einer der beteiligten Lehrer auch parapluie-Redakteur bin, kommt es an dieser Stelle also zu einem Verknüpfungsversuch zwischen dem Wunsch, ein für das Schwerpunktthema Zeugenschaft interessantes Interview zu führen und der Gelegenheit, die besondere basisdemokratische und pädagogische Qualität von Gunter Demnigs Stolpersteinen sichtbar werden zu lassen. Dieses Interview leistet das aus verschiedenen Gründen in der vorliegenden Form aber bei weitem nicht. Einerseits fand das Interview zu einem Zeitpunkt statt, in dem der folgende von den Schülern mitgetragene kommunalpolitische Prozeß eines Bürgerbegehrens noch nicht recht abzusehen war, andererseits ist es gerade die herausragende anschlußfähige Qualität dieses basisdemokratischen Gedenkprojektes von Gunter Demnig, daß es für die unterschiedlichsten Akteure im demokratischen Prozeß zur Mitwirkung offen steht. Deshalb verweisen wir von dieser Stelle auf die Online-Schülerzeitung der Kurt-Tucholsky-Gesamtschule, die in Kürze eine umfassende Dokumentation des von uns inzwischen erfolgreich durchgeführten Bürgerbegehrens gegen den Krefelder Stadtratsbeschluß vom 03.11.2005 bietet. Dies geschieht in der Hoffnung, die außerordentliche Qualität des öffentlichen Gedenkprozesses, den die Stolpersteine anregen können, exemplarisch zu verdeutlichen.

Das nachfolgende Interview führt somit ein in die Entstehung des Projekts von Gunter Demnig, und benennt auch einige Intentionen des Künstlers, aber bis auf die Verlegung der Stolpersteine an sich liegt die konkrete Vorbereitung dieses Aktes bei den Bürgern, also bei uns selbst. Lesen Sie das Folgende daher gerne auch als Einladung zu einem demokratischen Gedenkprozeß.

Es bleibt noch anzumerken, daß der von mir nachträglich für das Interview gewählte Titel eine Hommage an den jüdischen Philosophen Walter Benjamin darstellt, der sich auf seiner Flucht vor den Nationalsozialisten das Leben genommen hat. Seine etwas kompliziert erscheinende Denkfigur einer Dialektik im Stillstand bildet für mich die philosophische Voraussetzung eines ebenso öffentlich reflektierten wie auch praktischen Umgangs mit politisch und historisch relevanter Kunst. Stolpersteine sind für mich, frei nach Walter Benjamin, 'Reflexionsmedien' unseres gesellschaftlichen Bewußtseins. Sollten sie doch noch in Krefeld dank eines Bürgerbegehrens verlegt werden können, so werden sie mir auch ein Stück weit vom Herzen gefallen sein. Auch Walter Benjamin liebte das Futur II.

parapluie:Lieber Gunter Demnig, ich freue mich sehr, dieses Interview für parapluie mit Ihnen führen zu können und möchte gleich beginnen mit der Frage: Seit wann werden von Ihnen Stolpersteine verlegt?

Gunter Demnig: Das Verlegen und die Idee sind zwei Sachen. Die Idee ist eigentlich von 1993. Ich habe damals eigentlich nicht geglaubt, dass ich sie einmal realisieren würde. Ich habe 1996 die ersten Stolpersteine in Berlin-Kreuzberg, Oranienstraße etwas illegal verlegt. Es war da noch kein Tiefbauamt, das das genehmigt hat. Die offizielle Verlegung ist dann im Jahre 2000 losgegangen.

In wie vielen deutschen Städten und Gemeinden gibt es zur Zeit Stolpersteine?

Seit Vorgestern mit Bückeburg sind es 120 Städte in Deutschland, fast 7000 Steine und das Interesse und die Nachfrage ist so groß, dass Uta Franke, die Koordinatorin des Projekts, inzwischen das Jahr 2006 fast ganz ausgebucht hat.

Sehen Sie eine Perspektive, wie sich das Projekt noch weiterentwickeln kann?

Es soll weitergehen, und zwar symbolisch in möglichst viele Städte in Deutschland. Und natürlich, wie es von Anfang an geplant war, über ganz Europa, das ja auch betroffen war, von den Nazis besetzt, und es gab Verhaftungen, Deportationen, Ermordungen. Nur es hat sich herausgestellt, die Umsetzung im mitteleuropäischen Ausland ist schwierig, aber für 2006 sind Kopenhagen, Amsterdam, Hertogenbosch und Odessa eingeplant.

Das Projekt zeichnet sich offensichtlich durch die Möglichkeit der Beteiligung aller daran interessierten Bürgerinnen und Bürger aus. Wer sind die Paten?

Es sind zwei Schienen eigentlich, es sind einmal die Initiativgruppen vor Ort, das sind zum Teil Einzelpersonen wie in Hamburg ein Kunstsammler, es sind Bürgervereine, es sind dann vor allen Dingen Schulen, Schulklassen, die, ich war erst skeptisch, aber ich habe es erfahren, die sind sehr interessiert. Es ist ein anderer Geschichtsunterricht, der dann passiert. Und natürlich die Patenschaften, die über Privatpersonen übernommen werden, oder auch Schulklassen, ganze Schulen, man kann ja auch sammeln. Und das ist für mich ein wichtiger Aspekt dabei. Es ist ein Denkmal von unten. Es wird von der Bevölkerung geschaffen.

Wer außer den Paten unterstützt das Projekt auch auf institutioneller Ebene?

Das ist ganz unterschiedlich, es sind Schulen, es sind Vereine, es sind Kirchen. Man kann es so eigentlich nicht genau sagen, es geht durch alle Schichten durch.

Hat die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes von 4. Oktober 2005 dem Projekt bereits einen Schub verliehen und die Durchsetzung erleichtert?

Einen Schub kann ich nicht direkt sagen, der ist sowieso groß genug, aber die Durchsetzung des Projektes ist in den Kommunen sehr viel leichter geworden.

Obwohl die Stolpersteine inzwischen so bekannt und anerkannt sind, gibt es immer noch Widerstände gegen das Projekt. Ähneln sich die Argumente der Gegner und gibt es aktuelle Beispiele?

Die Argumente tauchen immer wieder auf, man trampelt auf einem Menschen herum, was natürlich nicht stimmt. Es ist kein Grabstein, und die Leute, die das sagen, die dürften nicht mehr in den Petersdom gehen. Dann müsste man den schließen, denn dort sind wirklich die Grabplatten und dort liegen die Gebeine drunter. Ich halte es für vorgeschobene Argumente, denn das, was aus München kam, dass ja Glatzen mit ihren Springerstiefeln darauf herumtrampeln könnten, ja gut, könnten die, um so blanker werden die Steine, aber die Glatzen könnten auch Gedenktafeln von den Wänden reißen oder Hakenkreuze sprühen, wie auch immer. Dann sollte man überhaupt nichts mehr machen.

Was zeichnet das Projekt Stolpersteine gegenüber anderen Formen des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus aus?

Ich denke, die meisten Gedenkstätten liegen irgendwo in der Regel weit ab, bleiben anonym ohne Namen. Für mich war ganz wichtig, dass die Namen zurück gebracht werden. Denn man muss sich vorstellen im KZ, im linken Unterarm war die Nummer eintätowiert, das war alles. Was ich will, ich will die Namen dorthin zurückbringen, wo diese Menschen ihre Heimat, ihr Zuhause gehabt hatten.

Sie hatten eben schon erwähnt, wie Ihre Planung für die nächste Zeit aussieht. Gibt es denn bereits Stolpersteine in anderen Ländern?

Es gibt bis jetzt zwei Stolpersteine in Österreich für zwei Zeugen Jehovas in der Nähe von Salzburg, in Sankt Georgen. Im Augenblick ist Interesse da, Mödling bei Wien. Und wie gesagt in Kopenhagen, in Holland und in Odessa sollen noch sechs Steine gelegt werden.

Ganz aktuell, gestern, am 24. November 2005, gab es ein Gespräch in Krefeld mit Schülern von der Kurt-Tucholsky-Gesamtschule und der Gerd-Jansen-Schule für Körperbehinderte, die vom Oberbürgermeister eingeladen worden sind. Der Oberbürgermeister wollte den Schülern eigentlich nur erklären, warum der Stadtrat in Krefeld das Projekt Stolpersteine in Krefeld am 03.11.2005 abgelehnt hat. Vor dem von ihm persönlich unterstützten ablehnenden Stadtratsbeschluß hatte er leider nie die Zeit dafür gefunden, sich für das Engagement der Schüler ernsthaft zu interessieren. Die Schüler zogen es vor, dem Oberbürgermeister auch weiterhin die Stirn zu bieten und hatten zunächst entschieden, dass sie das bereits gesammelte Geld für Stolpersteine nicht, wie es der Oberbürgermeister gerne gesehen hätte, zweckentfremden werden. Sie wollten auf jeden Fall Stolpersteine verlegen lassen von dem gesammelten Geld und beschlossen, wenn dies nicht in Krefeld möglich sein sollte, dies in anderen Gemeinden zu tun. Vielleicht wäre dies in Partnerstädten oder mit Hilfe von Partnerschulen in anderen Städten möglich, eventuell auch in einer niederländischen Partnerstadt von Krefeld, in Venlo. Da spräche aus Ihrer Sicht also nichts dagegen?

Also ich kann den Schülern nur danken, dass sie die Stirn geboten haben und gesagt haben, man kann das nicht einfach umtiteln in etwas, was die Stadt sich wünscht. Ich denke, es ist von der Stadt und von den Gegnern eigentlich eine Unverschämtheit gegenüber den Paten so etwas zu tun. Ich meine, das umzuwidmen und dann nach Venlo zu gehen, das könnte ich sehr gut verstehen. Und ich kann mir auch gut vorstellen, dass es da genug Steine zu machen gibt.

Das Mahnmal in Berlin stellt eine zentrale Gedenkstätte für die ermordeten Juden in Europa dar, demgegenüber ist Ihre Art des Gedenkens grundsätzlich individuell angelegt. Sie haben anfangs gesagt, dass Sie auch europaweit Stolpersteine verlegen wollen. Liegt darin eigentlich eine Bewegung der beiden Konzepte aufeinander zu?

Ich denke, es kann sich durchaus ergänzen. Ich halte dieses Denkmal in Berlin für etwas zu monumental, es gab bessere Gegenentwürfe, aber es ist für mich eben das, was ich eben nicht will, ein abstraktes Denkmal. Es ergänzt sich mit meinen Stolpersteinen.

Herzlichen Dank für dieses Interview. Möchten Sie abschließend gegebenenfalls noch etwas zur aktuellen Situation erwähnen?

Vielleicht gerade wieder eine Reaktion eines Angehörigen. Der einzige Überlebende aus Mettmann, der mir aus Amerika eine sehr bewegende Mail geschrieben hat, wie sehr er sich darüber freut, dass die Steine für seine Familie gelegt worden sind. Und ich muss sagen, diese Bestätigung gibt mir die Kraft, weiter zu machen.

Wir wünschen Ihnen viel, viel Kraft und Erfolg auch weiterhin mit Ihrem Projekt. Vielen Dank.

 

autoreninfo 
Dr. Thomas Hilger (verheiratet, vorher: Dr. Thomas Hennig) arbeitet seit 2003 als Lehrer für Deutsch, Praktische Philosophie (S I) und Philosophie (SII) an der Kurt-Tucholsky-Gesamtschule in Krefeld. Er initiierte im November 2005 ein Bürgerbegehren für Stolpersteine in Krefeld, in dem Schüler, Kollegen und weitere Mitstreiter sich gegen einen Ratsbeschluß wendeten. Nach seiner Tübinger Promotion (Thomas Hennig: Intertextualität als ethische Dimension. Peter Handkes Ästhetik nach Auschwitz. Würzburg 1996) war er bis 2000 zuletzt als Leiter des Projekts "Kleist intermedial" Wissenschaftlicher Angestellter an der RWTH Aachen. Anschließend Weiterbildung bei Siemens und IBM zum "Experten für multimediales Training". Seit 2002 Mitarbeit als Autor und Redakteur bei parapluie.

 

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