München, 20. Nov 2003_
Vor zwei Wochen musste ich den 35 Teilnehmern meines Proseminars
mitteilen, dass meine Stelle als wissenschaftliche Mitarbeiterin am
Institut für deutsche Philologie der Ludwig-Maximilians-Universität, die
ich zwei Wochen zuvor angtreten war, mit sofortiger Wirkung gesperrt und
ich ohne Vertrag und arbeitslos sei. Meine Anstellung, befristet auf ein
Jahr, sollte mir dazu dienen, meine Habilitation zum Abschluss zu
bringen. Die Bestürzung in dem bis zum letzten Sitzplatz gefüllten
Seminar war groß -- verständlich, wollen doch einige Teilnehmer dieses
Seminar zur Teilnahme an bevorstehenden Prüfungen nutzen und sehen somit
ihr Studium gefährdet oder zumindest unfreiwillig und unverschuldet um
ein Semester verlängert, wenn sie durch den Wegfall meines Seminars an
diesen Prüfungen nicht teilnehmen können. Auch einem niederländischen
Seminarteilnehmer aus dem Erasmusprogramm musste ich fairerweise raten,
er solle versuchen, sich noch nachträglich in einem anderen Seminar
anzumelden, da er an seiner Heimatuniversität den Erwerb von sogenannten
credit points nachweisen muss. Ob ihm das allerdings im laufenden
Semester gelingt, ist fraglich.
Das sind erste Konsequenzen aus den Sparvorgaben der Bayerischen
Staatsregierung an der Ludwig-Maximilians-Universität und der
Technischen Universität in München. Um diesen zu entsprechen -- es geht
um eine Haushaltskürzung von 10% -- müssen im Jahr 2004 an dieser
Universität 600 Stellen vor allem aus dem wissenschaftlichen Mittelbau
gestrichen werden. Das entspricht einem Viertel der wissenschaftlichen
Angestellten, die den Löwenanteil der Lehre an der Universität
leisten. Die Vorgehensweise hierbei kann als blindwütig bezeichnet
werden: planlos wird einfach jede vakant werdende Stelle gekürzt und
nicht wiederbesetzt, ganz egal an welchem Institut, bis die Zahl 600
erreicht ist. Damit, das betont der Rektor der LMU, Prof. Dr. Bernd
Huber, wäre im Jahr 2004 allerdings erst die Hälfte des Sparziels
erreicht mit der Folge, dass im Jahr 2005 weitere 600 Stellen abgebaut
werden.
Da die meisten Verträge nur auf ein halbes oder ein Jahr beschränkt
sind und daher zu verschiedensten Zeitpunkten auslaufen, werden sich
Szenen, wie die, welche sich vor zwei Wochen in meinem Seminar
abspielte, im kommenden Jahr 2004 an der LMU also 600fach
wiederholen. Mit katastrophalen Folgen.
Studien können nicht mehr sinnvoll geplant werden, wenn Dozenten
mitten im Semester ihre Stelle verlieren und ihre Lehrveranstaltungen
abbrechen müssen; wenn Studierende nicht mehr sicher sein können, dass
ihre Prüfer zum Prüfungstermin überhaupt noch an der Uni beschäftigt
sind, wenn Lehrveranstaltungen, in die sich sich vor Semesterbeginn
eingeschrieben haben, dann einfach nicht stattfinden. Studien werden
aufgrund solcher organisatorischer Unsicherheiten auch nicht mehr
innerhalb den vorgesehenen Regelstudienzeiten absolviert werden
können. Mögliche Zulassungbeschränkungen und auch das Wegfallen ganzer
Fachbereiche machen ein Studium noch schwerer planbar.
Für die Lehre gibt es aber noch andere unabsehbare Konsequenzen. Beim
Anheben des Lehrdeputats der bleibenden Dozenten und bei ständig
steigenden Studentenzahlen werden Seminare auch nach 2005 mehrfach
überbelegt sein, Dozenten werden in der Lehre vollkommen überlastet
sein. Eine sinnvolle oder wenigstens angemessene Betreuung von immer
mehr Studierenden durch immer weniger Dozenten ist unter diesen
Bedingungen nicht mehr möglich. Die Qualität der Lehre wird drastisch
absacken.
Langfristig fatal ist es überdies, unter denkmöglich schlechten
Bedingungen zu schlechter Lehre gezwungen schlecht auszubilden -- und
somit Generationen schlecht ausgebildeter Schullehrer auf Schüler
loszulassen. Pisa lässt grüßen.
Der drastische Qualitätsverlust der Lehre hat aber noch einen einen
weiteren Grund. Der wissenschaftliche Mittelbau, das sind diejenigen
Dozenten an der Universität, die intensiv forschen und mit ihren eigenen
Qualifikationsarbeiten, Doktorarbeiten und Habilitationsschriften vor
allem die innovative Forschung an der Hochschule leisten. Muss nun das
um ein Viertel reduzierte Lehrpersonal den ständig wachsenden
"Studentenberg", wie Ministerpräsident Stoiber sich
ausdrückt, bewältigen, so wird die eigene Forschungsarbeit darunter
empfindlich leiden, wenn nicht gar ganz zum Stillstand kommen.
Stagniert aber die innovative Forschung an einer Universität auf
voraussichtlich viele Jahre, so wirkt sich das nicht nur auf die
Qualität in der Lehre aus, wenn dort keine Innovationen mehr einfließen
können, sondern auf den gesamten Status einer Universität: in wenigen
Jahren wird sie international vom Stand der Forschung abgehängt
sein. Und darüberhinaus zunehmend unattraktiv für möglicherweise
irgendwann einmal doch wieder einzustellende Wissenschaftler.
Im Grunde kann man die zu erwartende Situation für die verbleibenden
Wissenschaftler als geradezu demütigend bezeichnen, wenn ihre Lehre weit
hinter ihrem eigentlichen Leistungsniveau, ihrem Fachwissen und ihren
Kompetenzen zurückbleibt.
Der wissenschaftliche Betrieb an einer Universität lebt nicht allein
von Forschung und Lehre, sondern insbesondere auch von den unzähligen
Projekten, non profit Unternehmen von Wissenschaftlern für
Wissenschaftler, wie -- inzwischen zum Teil elektronischen --
Zeitschriften, Rezensionsorganen und anderen Projekten, die der
wissenschaftlichen Kommunikation dienen, gerade auch der
fächerübergreifenden, transdisziplinären Kommunikation, wie sie der Idee
der Universitas, der Versammlung der Wissenschaften entspricht. All
diese Projekte sind in ihrem Fortbestehen gefährdet, wenn ein Viertel
der Mitarbeiter fehlen, von denen diese Projekte größtenteils getragen
werden.
Werden die Sparvorgaben in der hier skizzierten Weise durchgesetzt,
so bedeutet dies effektiv die Aufgabe der Idee der Universität und ihre
Einschrumpfung zu Fachhochschulen.
Dagegen wehren wir uns in München und in ganz Bayern gemeinsam:
Hochschulrektoren, Professoren und ihre wissenschaftlichen Mitarbeiter,
Studierende und Schüler. _//