München, 1. Apr 2004_
München hat drei Pinakotheken, die jeder kennt und eine Kunstakademie,
die niemand kennt. Ein an sich reiches Experimentierfeld voller junger
Künstler, die höchstens alle zwölf Monate durch ihre Jahresausstellung
von sich reden machen. Das soll sich hier und jetzt ändern. Mit einer
sechsteiligen Serie von Kunstabenden unter dem Titel Ewenken der
Ästhetik präsentiert sich die Münchner Akademie jeweils am
1. April eines Jahres der Öffentlichkeit. Das Duo Clara Peters und
Nina Schongauer gab im Münchner Herkulessaal mit Werken von Ernst und
Picasso den Auftakt.
Das Programmheft apostrophiert sie als vielversprechende
Nachwuchsmalerinnen. Und wahrlich, die Voraussetzungen beider für eine
große Karriere sind optimal. Keine nervenaufreibenden Wunderkindjahre,
sondern behutsame Entfaltung der künstlerischen Fähigkeiten. Zwanglos
zur Meisterschaft gereiftes technisches Können, statt früher Rekorde
auf der Leinwand. Und nicht zuletzt: Eine Freundschaft, die über das
Interesse an künstlerischer Zusammenarbeit hinausgeht. Die jungen
Malerinnen wissen: Disharmonie auf der menschlichen Ebene belastet ein
Künstlerduo weit mehr, als Konkurrenzdruck von außen.
Sie brauchten lange, um in dem ausverkauften Haus ihre
Konzentration zu finden. Dann aber entstand Ernsts Hausengel
(nach der 1. Fassung, 1937) mit dem ersten Strich. Keine zarten
Einstimmungsskizzen, sondern Bildaufbau von Anfang an.
Ungewöhnlicherweise wählte das Duo die Konzeption der Element- und
Figurenteilung: Peters, die innerhalb von vier Schichtungen den
Hintergrund erarbeitete und dann die Darstellung des Vogel Loplop
übernahm, glänzte durch ihr Verfahren der horizontalen
Farbanordnung. Für die grüne Fläche im unteren Drittel des Bildes
verwendete sie verschiedene Emeraldtöne. Die vorbereitete
Gelb-rot-Mischung wurde erst während der zweiten Antrocknungsphase in
die Komposition eingebracht. Der nicht unproblematische Weg, mit der
dunkleren Farbe zu beginnen, erwies sich als der richtige. Ernsts
Grünnuancen wurden ausnahmslos sichtbar. Die spanische Hochebene
kontrastierte bestens mit der Farbtiefe des Himmels. Gleichzeitig
entstand eine transparente Grundlage für die Würgeengeldarstellung
ihrer Duopartnerin.
Nina Schongauer zeigte Nerven und gestaltete die filigranen
Gesichtszüge und Zahnreihen des Ungeheuers trotz der hohen technischen
Schwierigkeiten mit ruhiger Hand. Bereits ein wenig zuviel Druck im
Unterarm kann gerade an diesen Stellen nicht wieder gutzumachende
Folgen haben.
Flexibilität in der Pinselführung
Den roten Überwurf, den man als junger Akademieschüler
normalerweise so richtig hinfetzt, sparte Schongauer zunächst völlig
aus, um ihn später (vierte Schichtung) in lyrischen Bögen zu
kolorieren. Beeindruckend: ihre Flexibilität in der Pinselführung.
Das Duo zeigte die Fähigkeit, sich der Kunst hinzugeben, ohne
exhibitionistisch zu wirken. Darüber hinaus vergaß es nicht, das Werk
immerfort auf seinen Gehalt zu hinterfragen. Die Grausamkeit des
spanischen Bürgerkriegs kam in der Mimik des Würgeengels überzeugend
zum Ausdruck. Nicht weniger plastisch war die Ohnmacht des Loplop
gegenüber der kommenden Katastrophe.
Kein Lob ohne kritische Bemerkung. Die Beziehung zwischen den
Hauptbildelementen und deren Stellung in der bzw. zur
Gesamtperspektive wurde nur wenig schlüssig. Hier hätte durch
Ausformung der inneren Spannungsmomente mehr Authentizität erreicht
werden können. Beckmesserei? -- nein, eher Ausdruck der Hoffnung, daß
die jungen Künstlerinnen, die übrigens ihr Studium noch nicht
abgeschlossen haben, auch die Schwierigkeiten einer surrealen Großform
meistern lernen.
Als zweites kam ein Werk aus der frühen Spätphase Picassos zur
Ausführung: Las Meninas, eine Umsetzung des gleichnamigen
Gemäldes von Velásques. Hier arbeiteten die Künstlerinnen nach dem
üblichen Konzept der Farbaufteilung (Peters: weiß, Schongauer:
schwarz). Nun erlebte man Duogestaltung par excellence.
Selbstverständliches Aufeinandereingehen in spontanen Dialogen,
während der Figurenschraffur. Beschwingte Virtuosität, gepaart mit
hoher Risikobereitschaft bei der Detailanlage. Keine Hilfslinien beim
Anlegen der Raumaufteilung, keine Fluchtpunkte für die
Perspektive. Grandioses Ergebnis nach zwölf Schichtungen: Eine Palette
feinstabgestimmter Grautöne mit einwandfrei gelungener
Oberfläche. Kleine Patzer konnten nach der fünften Trockenphase
vergessen gemacht werden.
Dem Duo kam bei diesem Bild zugute, was ihnen bei Ernst bezüglich
der kurzen künstlerischen Reifezeit Schwierigkeiten bereitet hatte:
ihre Jugend. Sie verstanden es, die Reduzierung der Bildersprache auf
die simple Abstraktheit von Kinderzeichnungen umzusetzen, ohne dabei
den Fehler zu begehen, die Kindlichkeit als idealisierte Vergangenheit
zu begreifen. Gerade dies fällt erfahrenen Malern oft schwer.
Picasso, nach der Aussage des Gemäldes gefragt, hatte einst
geantwortet, er habe eine Frage darstellen wollen. Was für eine Frage
dies auch gewesen sein mag, angesichts des jungen Duos muß sie
unumwunden mit Ja beantwortet werden. Eine andere Frage blieb
allerdings offen: Was um Himmels Willen sind Ewenken?
Vorschläge für die Kunstabende der kommenden Jahre, können den
Organisatoren eingereicht werden unter:
ewenken@parapluie.de
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