Singapur, 31. Jan 2005_ Es
riecht nicht nach Frittenfett oder McSundae-Süßstoff sondern nach
einem indischen Gewürzpotpourri -- nach Curry, Koriander, Kümmel und
Nelken.
Umgeben von hungrig machenden Düften steht ein Touristenpaar
sehr unentschlossen und verloren vor der kurzen Menschenschlange am
Bestellcounter. Die Bedienung mit Logo-Basecap und Uniform wartet
geduldig auf die Bestellung. Vor der riesigen Fensterfront stehen
funktionale grün-gelbe am gekachelten Boden befestigte Plastikstühle
und -tische und künstliche Pflanzen. Das Fast-Food-Restaurant
Komala's in Singapur Ecke Seragoon Road/Kitchener Street sieht
aus wie jedes andere Fast-Food-Restaurant auf der Welt.
Doch hier werden nicht westlich-kulinarische Einheitsrezepte
wie Sesambrötchen mit Frikadelle und Softdrinks neben French Fries und
Ketchup in Pappschalen mit Plastikgäbelchen serviert. Komala's
'Tischlein-deck-dich' besteht aus einer riesigen Auswahl
indisch traditioneller Speisen aus jeder Ecke der großen
zurückgelassenen Heimat der indischen Einwanderer Singapurs: mit Luft
gefüllte Teigtaschen, so groß wie ein Fußball, serviert mit einer
Currysauce, oder kleine Idlies -- Sauerteigfladen mit einem Püree aus
gekochten Hülsenfrüchten. Serviert wird auf Öko-Geschirr -- echten
Bananenblättern und natürlich ohne Besteck.
Und wer nicht Inder ist oder zumindest kein Insider der
indischen Küche steht ratlos unter der Anzeigetafel des Menüs über den
Köpfen der Bedienung. Bei Fast-Food-Restaurants wie McDonalds kann der
Kunde anhand von bunten Bildchen wählen -- hier wird er mit
kulinarisch indischen Fachbegriffen verwirrt: Masala Dosai, Mysore
Masala, Sambar Vadai, Bhattura. Wenig später verlässt das
Touristenpaar Komala's wieder -- ohne Fast-Food.
Auch wenn in Singapur das Zusammenleben der ethnischen Gruppen
von den gemischten Wohnblöcken hin bis zur multikulturellen
Freizeitgestaltung in staatlichen Programmen verordnet wird -- wenn es
um das Essen geht, scheiden sich die Geister der aus fast allen
asiatischen Ländern zugewanderten Einwohner. Essen ist Heimat, Essen
ist Identität. -- Man ist, was man ißt. Für den indischen
Bevölkerungsteil -- ca. 320 000 Inder leben in der multi-ethnischen
Stadt Singapur - gilt das besonders bei Fast-Food. Im Komala's ist man
Inder.
"Zu McDonalds geht man nur für einen Snack
zwischendurch. Hier kommt man für ein richtiges Essen her, für Lunch
oder Dinner." sagt Antony Nagpal, 29, ein Software Engineer,
der gleich um die Ecke wohnt, hier im Stadtteil Little India. Er
gehört zur Hauptzielgruppe Komala's -- "den großen existierenden
indischen Gemeinschaften in Asien und der ganzen Welt" wie in
Kuala Lumpur, Colombo, Bangkok and Chenai -- so steht es in Komala's
Businesskonzept, welchen sie seit der Geschäftseröffnung 1947 ganze
Mahlzeiten "in der Qualität von hausgemachten Essen preiswert
bieten wollen".
Antony kommt jeden Sonntag hierher. Er könnte auch in einem der
vielen indischen Restaurants essen, aber er mag die besondere
Geschmacksnote von Komala's -- und es geht schnell -- maximal dauert es
drei Minuten bis auf seinem Plastiktablett ein echtes Bananenblatt
liegt, darauf in der Mitte ein Berg Reis und zwei Chapathi-Brotfladen
umringt von kleinen Komala's-Plastikbechern mit verschiedenen
Gemüsecurrys und Linsensuppen und Häufchen aus Gemüsemix in Currysauce
- das süd-indische Value Meal -- ganz im Fast-Food-Style -- ein fest
zusammengestelltes Essensset zum Sparpreis von 5,50 Singapur
Dollar.
"Hier schmeckt es wie in Indien, deshalb komme ich immer
hierher, wenn ich in Singapur bin." -- einen Tisch weiter sitzt
Visamaya Kumar. Er ist auf Geschäftsreise hier, lebt sonst in
Tamilnadu, Indien. "Das Bananenblatt, so erklärt er, ist nicht
zur Dekoration da. Es gibt dem Reis darauf ein besonderes Aroma --
eben wie zu Hause."
Aus der Jukebox neben dem Abhol-Counter erklingt indische Musik
mit vielen musikalischen Verzierungen -- Titel aus
Bollywoodfilmen. Visamaya Kumar hat schnell gegessen und Komala's
verlassen. An seinem Tisch hat eine indischen Familie Platz
genommen. Mit der Präzision eines Chefkochs richtet die 11-jährige
Vasanta selbst in den letzten Schritten ihr Gericht an. Sie klaubt den
Reis mit den Fingern der rechten Hand zusammen und mischt ihn penibel
genau aber in hungriger Hast mit dem nach gelbem Curry duftenden Dahl
-- dem typisch indischen Linsenbrei aus einem der fünf kleinen
Töpfchen. Virtuos, wie auf einem Instrument bewegen sich ihre kleinen
Finger über das Bananenblatt -- etwas mehr Dahl, sie mischt
wieder.
Auch wenn es schnell gehen muss -- im Komala's wird ganz nach
indischer Lebensweise nur mit der rechten Hand gegessen -- ohne
Besteck.
Wenn die meisten Inder sonst auch zum westlichen Besteck
greifen. "Es ist Tradition. In der Schule essen die Kinder mit
Besteck. Wenn wir am Wochenende gemeinsam essen, dann soll sie es auf
indische Art tun -- sowohl wie als auch was sie ißt. Und Komala's mag
sie nun mal." erklärt ihre Mutter Nara Tayal. Vasanta ist eher
pausbäckig und ihr indischer gelber Kindersarie mit Spitze sitzt
eng.
"Indisches Essen ist durch die öligen Saucen fettig, das
hat nichts mit Fast-Food zu tun. Hier ist alles frisch. Nur der Teig
für das Brot und das Gemüse wird vier bis fünf Stunden vorher
zubereitet." -- Herr Fadzil Khan ist Manager von Komala's -- im
grün-gelben Komala's-Outfit. "Daß es nur vegetarische Speisen
gibt, ist Familientradition. Die Rajoos sind Hindus und leben daher aus
religiösen Gründen vegetarisch wie viele ihrer
Kunden."
In der Ecke am Gang zu den Waschbecken des Restaurants sitzt
ein chinesisches Paar. Herr Mang How und seine Frau Gui Ping essen mit
beiden Händen -- und mit Besteck, wenn es gar nicht anders geht:
"Wir kommen hier nicht oft her, aber ich mag das Essen hier. Es
ist wirklich anders -- sehr intensiv gewürzt. Ich kenne nur einzelne
Speisen und weiß, was davon gut schmeckt. Das bestelle ich dann
einfach immer wieder." Während seine Frau lustlos mit dem
Plastiklöffel im Masala stochert, schielt Herr Mang How, der bereits
alles aufgegessen hat, interessiert auf das Bananenblatt eines
vorübergehenden Inders. Vielleicht ist er ja experimentierfreudiger
als das Touristenpaar und probiert das nächste Mal ein indisches
Essen, das er noch nicht kennt.
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autoreninfo

Deike Lautenschläger studierte Mediengestaltung und Medienkultur an der Bauhaus-Universität Weimar und Multimedia am Art Institute of Pittsburgh. Nach Volontariaten und Praktika in Deutschland, Hongkong und Singapur arbeitet sie jetzt als freie TV-Journalistin und Mediendesignerin für TV-Produktionsfirmen. Lebt zur Zeit in Taiwan.Homepage: http://www.deike-la.deE-Mail: deike_lautenschlaeger@yahoo.com