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Chaim Noll
Lesung in Münster

Chaim Noll las aus seinem Roman Die Synagoge.
  Kritik

Foto: Alexander Janetzko
 


»In Die Synagoge tauchen Einzel­schick­sale auf, die sich erst über mehrere Seiten, ja ganze Kapitel hin entwickeln.«






Der deutsch-israe­lische Autor Chaim Noll macht einen Tag vor seinem Rückflug nach Israel Station in Münster im Franz-Hitze-Haus. Es ist ein ver­regneter Abend, herbstlich, und es finden nur wenige Interes­senten den Weg zum katho­lischen Kultur­haus. Das Franz-Hitze-Haus macht sich immer wieder um den inte­rreligiösen Dialog verdient, so dass Nolls Lesung aus seinem aktuel­len Roman Die Synagoge nicht von unge­fähr an diesem Ort stattfindet.


Chaim Noll
Die Synagoge
Roman
Verbrecher Verlag 2014
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Chaim Noll selbst spricht auch vom genius loci der Wüste, die den Haupt­handlungs­ort dieses Romans ausmacht. Vor der eigent­lichen Lesung referiert er über das israe­lische Wirt­schafts­wachs­tum und erläutert, dass besonders zwischen einer nicht geringen Zahl von Bewohnern aus dem West­jordan­land und Israel eine öko­nomische Symbiose existiert, die mit den Bildern in den westlichen Nach­richtens­endungen so gar nicht überein­zu­stimmen scheinen. Wohin­gegen in Paläs­tina durch die Zuwendungen aus dem Ausland und große Gelder aus Saudi-Arabien mit der Bitte, die Hamas vor Ort klein­zuhal­ten, zu einer Clan-Wirt­schaft geführt hätten, die wenig Hoffnung auf eine Bes­serung der Lage verspricht.

Der Ausschnitt aus Nolls Roman schildert die Busfahrt eines ultraorthodoxen US-Ameri­ka­ners, der in eine Wüsten­stadt fährt, die nur von Wissen­schaft­lern und Ver­waltungs­ange­stell­ten bewohnt ist. Er sucht spiri­tuelle Er­leuch­tung, möchte ein Stück weit zu seinen Wur­zeln zurück­kehren. Doch er ver­ursacht nach Ankunft etwas völ­lig Unbe­absichtig­tes und Unerwar­tetes. So weit liest der Autor am heuti­gen Abend allerdings nicht.

Die vorge­trage­nen Passagen malen ein lebendiges Bild von den Businsassen. Der Roman spielt zur Zeit der 2. Intifada, als eine Terror-Welle Israel für mehrere Jahre erschüt­terte und der Touris­mus fast zum Erliegen kam. Laut Noll haben sich viele junge Israelis, die eigent­lich in dieser Branche arbeiten wollten, umorien­tiert und Start-Ups in der Hi-Tech-Branche gegründet. Heut­zutage ist Israel in der Lage, nicht nur sich selbst mit Wasser zu ver­sorgen, sondern auch zum Beispiel nach Jordanien Wasser zu exportieren. Die Zuwan­derung der jüdischen Diaspora nach Israel, aber auch die wirt­schaft­liche Zu­sammen­arbeit mit arabi­schen Ländern, die offiziell verdeckt bleibt, hat einen Wirt­schafts­schwung nach Israel ge­bracht.

Nolls Roman jedoch verkürzt diese Komplexität nicht – er sagt, er habe diese Kom­ple­xität in ein­facher Sprache schildern wollen, wie in den bibli­schen Erzäh­lun­gen über David oder Esther ganze Zeitalter durch Menschen symbo­lisiert worden seien. In Die Synagoge tauchen Einzel­schick­sale auf, die sich erst über mehrere Seiten, ja ganze Kapitel hin entwickeln. Bei der Lesung in Münster wird nur ein kleines Schlaglicht darauf gewor­fen. Ergän­zend liest Noll aus sei­nem Erzähl­band Kolja, für den inzwischen auch eine Über­setzerin in Tel Aviv gefunden wurde, die den Band ins Hebrä­ische über­setzen soll. Es sind kurze Ein­blicke in das Leben von Ein­wan­derern in Israel: ein rus­sischer Soldat, dessen Mutter Christin ist und in Rußland blieb, dann der Vater, der Jude ist, fällt im Liba­non während eines Spezial­ein­satzes. Der Körper soll nach Krasnodar in Rußland über­stellt werden. Noll zitiert Berichte über diesen Vorfall aus hebräisch- und russisch­spra­chigen Zeit­schrif­ten. Die Pointe ist gut gesetzt und über­rascht durch ihre Folge­richtig­keit. In einem Kranken­haus liegt ein bedui­nischer Junge mit großen Schmerzen und beobachtet, wenn er diese nicht spürt, aufmerk­sam die aus Rußland einge­wanderten Juden, deren Groß­vater in seiner Jugend Kampf­pilot in der sowjeti­schen Armee gewesen ist. Zwei Welten, die im Krankenzimmer (unfreiwillig) aufeinander treffen, und schließlich in einer Sprache, die jeder ver­steht, mit­einander in näheren Kontakt kommen.

Chaim Noll deckt verschiedene Aspekte seiner Wahlheimat Israel ab. Durch seine Sozial­isa­tion in Deutsch­land und die bewusste Ent­scheidung, seine Romane in deutscher Sprache zu ver­fassen, zeigt er einen anderen Blick auf Israel, bleibt dabei jedoch stets realis­tisch, was die äußeren und inneren Probleme angeht. Anders ist ein Leben mit Ruhe­phasen wohl nicht möglich, denn wie soll ein Schrift­steller seine Wahr­nehmung des Landes ver­fassen können, wenn er stets neue Raketen­ein­schläge oder einen Anschlag beim nächsten Lebens­mittel­kauf be­fürchten muss. Nicht mal eine Woche nach der Lesung im Franz-Hitze-Haus fordert der geist­liche Führer Irans, Ajatollah Chameini, die Eli­minierung Israels und die Bewaff­nung des West­jordan­lands. Politik spielt an diesem Dienstag keine geringe Rolle. Doch Nolls Können drückt sich viel­mehr in gekonnt geschil­derten mensch­lichen Szenen aus. Davon konnte sich die kleine Runde auf der Lesung in Münster überzeugen.
Dominik Irtenkauf     29.11.2014     Layout-/Druckansicht  Zur Druckansicht - Schwarzweiß-Ansicht

 

 
Dominik Irtenkauf
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