HYPErLYNX 27.2: außerhalb der zeit, stehen - bewegen
"auszeit" #2
Ausstellung "auszeit" in der Stadtgalerie
Schwebender Schwanengesang
Ein Schwanengesang, "letzter elegischer Akzent", sollte es sein. Stadtgalerieleiter Knut Nievers hätte das Ende der Stadtgalerie in den einzigartigen Räumen des Sophienhofs gerne mit der "auszeit" der Gesellschaft für akustische Lebenshilfe begangen. Dafür kommt die Ausstellung etwas zu früh. Ein Schwanengesang ist sie dennoch geworden, nicht nur auf Stadtgalerie und akustische Lebenshilfe, die mit dem zehnten Geburtstag ihre Arbeit einstellt, sondern vielleicht auf das (Klang-) Bildnerische an sich.
Mit einem extremen Minimalismus gestalten die Klanginstallateure Peter Ablinger und Roland Dahinden sowie der Maler Rainer Grodnick die Ausstellungsräume. In "lichtung kiel" läßt Dahinden die Obertöne einer Viola über drei mal drei Lautsprecherpaare durch den Raum wandern. Eines der Paare wird durch die Zwischenwand getrennt. Weil man durch Wände zwar nicht sehen, aber hören kann, öffnet sich der Raum klanglich, gerät in Schwingungen und Schwebungen. An den Wänden hat Rainer Grodnick vier monochrome Flächen so angeordnet, dass sie den Lichtweg durch das einzige schmale Fenster nachzeichnen. Reduktion total, denn drei Flächen bestehen aus einem kontinuierlichen Pigmentauftrag von blassem Beige, bloßem Bindegrund oder einfach nur Schliff des Wandputzes, eine vierte thront schwarz im zweiten Teilraum. Auch hier wird die Zwischenwand vom imaginierten Lichtkegel durchbrochen. Durch das Zusammenwirken mit der Klangsphäre kommt der Ausstellungsraum in der verhalten gefüllten Leere zu sich. Der Betrachter bleibt in einer Einsamkeit zurück, die zugleich fasziniert und verstört und die Wahrnehmung durch die Minimalität der Reize ungeheuer schärft.
Auch in Peter Ablingers "WEISS/WEISSLICH" führt die Reduktion zur Reinigung. Weißes Rauschen erfüllt den Heinrich-Ehmsen-Raum und verändert sich je nach Position des Hörers. Zwischen den Ehmsen-Gemälden hat Rainer Grodnick 16 winzige Farbtafeln verteilt, zurückhaltende Wegweiser zurück zum Urgrund aller Malerei. Bei solcher Minimalität wirkt Ablingers "Buch der Gesänge", sechs CD-Spieler auf Tischen, die zum Zuhören per Kopfhörer einladen, zunächst geradezu sinnlich. Doch auch hier entfaltet sich Sinn in seiner Zurücknahme. Aleatorisch aufgenommene Geräusche sind zu hören, Straßenlärm, Kneipen-Atmo. Der Alltag selbst wird zur Klangskulptur. Im Foyer hat Ablinger einen Kunstkopf aufgestellt, der nichts mikrofoniert als das Umgebungsgeräusch. Setzt man den Kopfhörer auf, hört man, was man sonst auch hören würde. Dennoch, durch die Distanz, die durch die Wiedergabe zum eigenen Gehör entsteht, gerät dieses plötzlich in schwebende Bewegung.
Im Studio sind Teile der Examensarbeit von Yvonne Wahl zu sehen. Auch sie bringt den Raum zum Schwingen, indem sie ihn durch ein Foto am Fenster zum Treppendurchgang hin öffnet. Die zwei Kabinette hingegen, den eigentlichen musealen Raum, versperren ein riesiger, grüner Polyester-Dackel und eine Figur als Werbeständer. Auf dem Boden lenken Hinweisschilder mit der Aufschrift "Point of view" den Blick auf einen Monitor, wo "TavorTec" angepriesen wird. Das Anziehende der Werbung ironisiert Wahl durch die Ungeborgenheit des Raumes. Ruhe in dem verwirrenden Ensemble versprechen nur noch Attraktionen, gepaart aus Psychopharmakum und Technik. Ein treffendes Gegenbild zur "auszeit"-Ausstellung, wo eine fast klösterliche Ruhe den Blick auf den Kern des Wesentlichen weitet.