HYPErLYNX 27.4: außerhalb der zeit, stehen - bewegen
"auszeit" #4
Letztes Konzert der Reihe "auszeit" im Kulturviertel
Musik aus Schweigen
Am Anfang, noch vor dem Wort, war der Ton, die Schwingung. Und das Charakteristikum von Schwingungen ist, dass sie Anfang und Ende nicht eigentlich haben, sondern dass ihnen als zyklische Vorgänge beides immanent ist. Hatten die Konzerte am Freitag und Sonnabend eben diesem Urgrund des Tönens nachgespürt, geht die "auszeit" im letzten Konzert noch einen Schritt weiter. Sie fragt, was vor dem Urknall aller Töne war und was am Ende einer Musikgeschichte, auch jener der Gesellschaft für akustische Lebenshilfe, steht.
Doch vor dem Ende der Geschichte stand Entspannendes, ganz am Anfang, am Donnerstag in der Astor-Bar, Boudewijn Buckinx' "Sherlock Holmes Etüden" für Violine solo (Paul Klinck). Charaktervolle Miniaturen, die manchmal an Schumanns "Kinderszenen" erinnern, um in ironischer Rhetorik sich solcherlei Assoziationen gleich wieder zu verweigern. Nicht anders Buckinx' am Sonntag gebotenes "Adagio (the famous one, of course)" (Klavier, John McAlpine), eine schmelzende, bewusst auch schmalzige Liebeserklärung an die nicht mehr einholbare Romantik und doch uneinholbar schön. Auch John White versucht ein Resümmee alter Formen. In seinen "Sonatas" für Klavier schlägt er den Bogen von Scarlattis tänzelnder Unbeschwertheit zu deren Nachwirken bei Bartok, Ravel und Satie, während Chris Newman in "Soul Damage" derlei in konsequent dissonanter Chromatik formuliert und Lasse Laursens "Drowning" in Echos eines Klaviertrios noch einmal die enge Verknüpfung von Raum und Zeit in der Musik aufzeigt.
Mit Jo Kondos "Gardenia" geht es in die Zielgerade. Wittgensteins Satz, "worüber man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen", könnte hier das Motto sein. Denn Geige, Klarinette, Klavier und Vibraphon zeichnen mit sphärisch entrückten Klangfarben Motivfetzen, die sich zu einem eigentümlich löchrigen und doch vollkommenen Gewebe verflechten.
Und dann kommt der Paukenschlag, der auch wirklich mit einem kaum hörbaren Schlag auf die Pauke beginnt: Maria de Alvears "Cortando". Geige und Cello sind mit einem Sordino geknebelt und wispern nur noch, Klarinette, Klavier und Percussion sind zu äußerst verhaltenen Tontupfern reduziert. 45 Minuten spielt die Clark Street Band in unglaublicher Präzision am Rande dessen, was am Ende aller Musik steht und auch ihr Anfang war: das Schweigen.
"Ein Ende ist genauso gut wie ein Anfang", hatte Hauke Harder das Ende der Existenz der Gesellschaft für akustische Lebenshilfe kommentiert. Dieser Satz bekommt am Ende der "auszeit" eine ganz besondere Bedeutung. Mit dem vier-tägigen Programm hat die akustische Lebenshilfe nicht nur einmal mehr Musikgeschichte geschrieben, sie hat mit dem allerletzten Konzert auch einen Kreis eines zehn-jährigen Zyklus geschlossen, in dem sich alle Musik bewegt(e) - den Kreis von Schweigen zu Schweigen, wo Anfang und Ende zusammenfallen.