Der folgende Text ist ein Beitrag von Nicola & mir für das Buch CHANCE 2000 – die Dokumentation, hg. von Johannes Finke & Matthias Wulff, erschienen im Lautsprecher-Verlag 1999 (vergriffen), in dem die Beteiligten aus den verschiedenen Landesverbände von Schlingensiefs Partei CHANCE 2000 ihre Erlebnisse geschildert haben: „Ich und Chance 2000“. Den 98ern!
Party for your Right to Fight!
1997: DAS JAHRE NULL
Die erste Begegnung mit Schlinge. & Family habe ich Mitte 1997 gemacht. Zum ersten Mal mußte ich unverzüglichst nach Berlin, um Ufokrise ’97 – Schlacht um Europa an der Volksbühne zu sehen. In dieser Zeit steckte ich selber gerade in einer tiefen Ufokrise. Und da stand ich nun vor der V-Bühne und Christoph fuhr in einer fetten Limousine vor und zeigte auf Hale-Bopp, der über dem Theater schwebte wie der Stern überm Stall von Betlehem und rief: „Es funktioniert!“ Da wußte ich: hier bin ich richtig gelandet. Im Theater wurden wir dann wie Planeten im Saal herumgeführt und es wurde mir klar, daß Schlingensief der POP-Brecht sein würde und hier gerade Brechts beide Theatervorstellungen vom P-Typus und vom K-Typus des Theaters vereinte: der Theatertypus Planetarium und Karussell. (s. die Reden des Dramaturgen im „Messingkauf“) Hale-Brecht. INTERKOSMOS.
Während die Ufokrise ’97 in den USA die Mitglieder der „Heaven’s Gate“-Sekte in den Kollektivsuizid trieb, Hippies überall den Beginn des Zeitalters des Wassermanns ausriefen, produzierte Schlingensief Trash-TV in der Kantine der V-Bühne – ich ging erst dorthin und dann auf die Love-Parade. Zeitgleich veranstalteten einige Frankfurter die Hate- und die Fuck-Parade gegen den Planetkommerz in Berlin – in Frankfurt machen wir seit 2 Jahren illegale nacht.tanz.demos: radikale Raver gegen das Ruhe- und Ordnungsamt, die Sperrstunde und die Privatisierung des öffentlichen Raums und der öffentlichen Sicherheit (im Rahmen der europaweiten INNENSTADTAKTION). Die „Disco-Demo“ wurde prompt von der Polizei verhindert: die Partysanen wurden von Robocops eingekesselt und verknüppelt, die Sound-Laster gestürmt und die Anlage zerstört. Das war unser größtes Glück! Noch 1996 bei der zweiten nacht.tanz.demo sahen wir uns auf dem Weg zu einer zweiten Frankfurter Love-Parade und ich als Partysan-Veteran sah darin ein „Schönes Scheitern“ wie das des Punk-Rock und fragte mich, ob wir um Polizei und Gewalt betteln müßten, um Underground zu bleiben. Diese untertänigste Bitte um Repression eines Untertanen des Untergrunds wurde prompt erhört: Es wurde die Chaos-Nacht, das Stalingrad der Partysanen. Rave & Riotz, Protest auf Pille: Einfahren und abfahren, abfahren und dann einfahren. „Stop The Music And Go Home, I repeat: Stop The Music…“ (Daft Punk).
Hessens Chance 2000: die PARTY-PARTEI
„Ich! Ich! Ich! Club der jungen Exzentriker.“ (Anti-Flyer gegen die nacht.tanz.demo, 3.Juli ’97)
„Party-Sahne“, nannte Jutta Ditfurth und GenossInnen ihren Anti-Flyer gegen die nacht.tanz.demo, um die Partysanen-bewegung der Stadt zu dissen. Die „Free Party“- Bewegung verteidigte ihre Clubkultur („Kein Club ist illegal!“) gegen staatliche Schikanen vom Ordnungsamt und den Bullenterror: System I, in Schlingensiefsprech. Durch illegale Parties und illegale Demos eine TAZ produzieren: eine „Temporäre Autonome Zone“: für eine Nacht lang eine „Republik der erfüllten Begierden“ erringen (Hakim Bey): die Frankfurter Republik. Doch was die Politik verschmäht wird von der Kunst gefördert: während auf der documentaX im „hybrid workspace“ das Video des „Inner City Rave Riotz“ lief, wurde Schlingensief, nachdem er 48 Stunden für Deutschland überlebt hatte, verhaftet für seine „Tötet Helmut Kohl!“-Rufe. Seitdem war er ein Held, einer von uns für uns. Kunst & Kriminalität – Politik & Verbrechen. Mit der Bahnhofsmission schob er dann noch die fetteste INNENSTADTAKTION des ganzen Jahres 1997 hinterher, eine ganze Woche lang: das „Abräumen politischer Formen“ (Roberto Ohrt in der BEUTE 1 der Neuen Folge).
Seitdem war das Label „Schlingensief“ im Frankfurt Party- und Polit-Underground korrekt politisch und beim „Lucky Strike“ im Wintersemester freuten sich alle Streik-Studis über seine Solidaritätserklärungen als er „Bei Bio“ war und die Gründung der Partei ankündigte. Der Berliner Streikführer erschien auch prompt auf dem Gründungsparteitag: jetzt ist der Streik vorbei, jetzt machen wir Chance 2000 Wahlkampf. „Sturm auf die Festung der Repräsentation“ (Mark Terkessides in der SPEX).
Doch Schlingensief spaltete sich gleich wieder ab und gründete die Schlingensief-Partei, weil sich da nur Lobbyisten versammelt hatten und das war auch gut so – ich ging in die Frankfurter Opposition (alles schön nachzulesen im Chance Buch im Beitrag von Dietrich Kuhlbrodt). In Frankfurt machte ich erstmal auf Direktdemokrat und trat mit 2 V’s (Gregor Knüppel & Karl von X) an, um mich selbst zu wählen. Als aus Berlin aber das Botschaft kam: „Gründet zwei, drei, viele Landesverbände“, da wurde nicht lange gezögert und am 25.5. gründeten wir Hessens Chance auf dem „partyparteitag“ im SpacePlace, dem führenden Undergroundclub in F-Town seinerzeit. Ein Club junger Existenzen, politisch heiß bekämpft von der Staatsbürokratie (Ruhe- und Ordnungsamt).
Für die hessischen Chancisten war die Chance einfach ein politischer Club und keine Partei, ein republikanischer Club, einmal wöchentlich. In 23min hatten wir uns gegründet dank Kuhlbrodt’schem Turboverfahren und dem genialen System 1-Pragmatiker Dr. Matthias Riedel, seines Zeichens Lehrender für Marketing und Psychologie. Und die Party rockte uns locker den ganzen Sommer, den heißesten Sommer dieser Republik, seitdem es in Deutschland wieder Wahlkämpfe gibt. Egal ob korrekter Polit-Aktivist, Antifaschist, Ravedemokrat, Neoliberaler oder Neokommunist – alle wollten Bewegung, Abfahrt, Riotz, Speed: Den WAHREN SPACE!
„Rave-O-lution 1999“
UNI 3000: Frankfurter (Hoch-)Schule 2000
!Ich und Chance“, das war vor allem: der Dr. Carl Hegemann und ich, der Dr. Druff. Carl hatte den Sommer über einen Lehrauftrag am Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft. Carl hatte 68 seinen heißen Sommer an der Frankfurter Uni; wir 98er Chancisten hatten den Wolfgangssee statt Woodstock, nicht Hans-Jürgen Krahl, sondern Hans-Jürgen Wacker. „Wie Wackersteine“, wie er mehrfach auf meinen AB sprach, viermal an einem Morgen, denn „die Partei hat gesagt, Du sollst Dich um mich kümmern“. Aus Hans-Jürgen wurde Chance Wacker Mai, wobei „Mai“ nicht für die Weltverschwörung alias „Multilaterales Abkommen für Investition“ steht, sondern für die „Metaller Arbeitsloseninitiative“, eine kleine, feine gewerkschaftliche Arbeitslosengruppe. Seitdem er das erste Mal im „Club der Letzten Chance“ erschien waren wir echt authentisch. HEY DO!
Die studentische Arbeitslosenbewegung hatten da größere Probleme mit der Chance und veröffentlichte ein wunderbare Schmähflugblatt gegen uns. Sie sahen in uns eine Art neuen „Opus Dei“ und vermuteten hinter der Chance-Partei einen weiteren Beleg für die Verschwörung von Künstlern, die versuchten, die Weltherrschaft an sich zu reißen. Das hat uns sehr gefallen. Ganz im Sinne des SUBITO-Manifesto von Rainald Goetz. Nur noch die Langeweiler und Peinsäcke müssen vernichtet werden, dann übernehmen wir die Weltherrschaft. „Vor uns? Nichts. – Nach uns? Nichts. Alles, was wir anfangen, wird vollendet.“ (Frei nach Laibach) Wir bestehen auf deiner Freiheit. Die Chance kommt nicht wieder. (Lacan)
Am 18. Mai fand das erste Hegemann-Seminar statt. Zum ersten Mal sehe ich das ersehnte Chance Buch, zum Abschied verabrede ich mich mit Carl im Hotel Prora. Mit Henrik Kuhlmann bin ich dann eines frühen Morgens nach Berlin aufgebrochen. Völlig verbunden lief er bei mir ein, nachdem er nachts zuvor besoffen vom Fahrrad gefallen war. In einem strahlenden Frühlingslicht fuhren wir los und haben uns nach 1 1/2 Stunden Fahrt erstmal verköstigt mit Kaffee und einem Viertelchen SpaceCake, unserem Glückskeks. In allerbester Jubelstimmung sind wir strahlend in Berlin eingefahren und ich hab mich zum Hotel Prora begeben, wo grad keiner da war, weil sie alle bei Jelinek’s „Sportstück“ in der Schleef-Inszenierung waren, um von den Theaterfreunden Unterschriften zu sammeln. Nachdem ich ein Stündchen im Auto locker gemacht hatte, checkte ich dann ein und verbrachte eine wunderbar druffe Nacht im Hotel, las aus Rainald Goetz‘ Frankfurter Poetik Vorlesung PRAXIS vor usw. Am nächsten Tag hackten wir wieder zurück und liefen im Ostklub ein, wo Freunde von mir gerade das Haus rockten und mich ans Mirkophon zwangen, wo ich dann -mittlerweilen völlig besoffen- Chance-Propaganda propagierte, nur um mich dann mit einem meiner Freunde zu kloppen, wobei wir beide auf dem Steinboden aufschlugen, er sich das Gehirn erschütterte und ich mir die Nase anbrach. Henrik fuhr mich in das dasselbe Krankenhaus, in dem er 2 Nächte zuvor eingelaufen war, wo wir auch denselben diensthabenden Arzt trafen, der mir den Schädel röntgen ließ. Vermutlich um das Schlingensief-Braininsert aufzuspüren, was mir in Berlin implantiert war.
PAULS KIRCHE 1848/1998
Nach dem ersten Hegemann-Seminar ging ich mit Henrik in die Stadt, weil wir uns den 1848 Festakt in der Paulskirche nicht entgehen lassen wollten, dieses pompöse patriotische Spektakel der politischen Klasse. Das Symbol der deutschen Demokratie voll mit BRDemokraten, die das Scheitern der deutschen Revolution abfeiern: „150 Jahre Scheitern als Chance“ – Schlingensief also ein reiner deutscher Demokrat.
Hinter dem Polizeikordon kamen wir zum Stehen, es gab nix zum sehen, nur die Orgelklänge der Nationalhymne hallten schauerlich durch die runden roten Wände. Auf einem Mega-Schirm konnten wir live die Bundesprominenz das Deutschlandlied singen sehen. Da kam unsere CDU-OB Petra Roth mit einem kleinen Mann vorgefahren: Gerhard Schröder, allerdings noch nicht als „neuer Kanzler“, sondern in seiner Eigenschaft als Bundesratspräsident. Wo war Helmut Kohl? Und wo Christoph Schlingensief! Dann gab die Roth dem Schröder die Knarre. Der kleine Haufen Volk, der sich angesammelt hatte wurde wütend. Warum konnte man nur so scheiße sehen? Schröder hob die Knarre in die Luft, aber hinter dem verfluchten Einheitsdenkmal konnte man nur drei Ruchschwaden in die Lüfte steigen sehen, als Schröder feuerte, und zwar nicht um Frau Roths Tauben abzuballern, die die ganze deutsche Geschichte vor Ort zuscheißen, sondern als Startsignale für den hessischen Marahthonlauf, den Demokratie-Run. Der Volxhaufen kochte und knurrte: „Wir sind das Volk.“ „Wir sind alle 1 V!“, riefen Henrik und ich.
Meinem Nachbarn erzähle ich, wir wären von der APO 48, einem Journalisten, der mich darauf ansprach, wir seien von CHANCE 2000, eine Vorhut von Christoph Schlingensief, der Rache geschworen hatte, weil er von dieser Nationalversammlung wieder ausgeladen worden war- und nun zurückkehren würde, um Demokratie zu predigen.
4 Tage später waren wir da. Im roten Rundbau des deutschen Demokratietempels wurde „1848“ inszeniert, ein parlamentarisches Protokoll des Frankfurter Publizisten Walter Boehlich, inszeniert vom Frankfurter Schauspiel mit Frankfurter Schauspielern als deutsche Demokraten, die vom Volke sprachen, „das sich nicht schämt, Volk zu sein“. Kaum war ich von Dietrich Kuhlbrodt instruiert vom Hotel Prora mit Henrik zurückgekehrt, hatte ich mich mit Rebekka und anderen GenossInnen der demokratischen Linken zusammengehockt und wir hatten eine Aktion ausgeheckt: Mit kleinen Agit-Prop-Plakaten empfingen wir das bürgerliche Publikum als „APO 48“. Auf den Plakaten prangte: „Volksdruck“ und „Fürsten besteuern! Demokratie & Geld her!“ und „Krieg den Hütten, Paläste für alle! Chance Gleichheit!“ Einem verirrten Linksruck-Aktivisten konnte ich glaubhaft aufschwatzen, wir seien die historischen Vorläufer seiner Organisation, denn wir hatten unser Logo auch durchaus als Parodie auf die umtriebigen Trotzkisten gestaltet. Den Kulturbürgern und Theaterfressen erzählte ich, Friedrich Engels sei mit Schlinges Familie verwandt und Christoph noch immer voller Groll, daß Karl Marx aus dem 48er Palaverment ausgeschlossen worden sei. Dadurch sei doch die deutsche Revolution von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen: Marx statt Bismarck! Das mögen nicht alle geglaubt haben, aber wir hatten eine korrekte Art der Intervention gefunden. Auf einem historischen Flugblatt Berliner Revolutionäre gegen das Polizeimassaker an den demokratischen Demonstranten hatten wir eine Original-Gagern-Karikatur abgebildet, die eher Helmut Kohl als Heinrich von Gagern glich. Kohl muß Bürgerkönig werden: 100 Jahre CDU, 150 Jahre Helmut Kohl …. Die Paulskirche vom Geiste Helmut Kohls befreien!
So. 13. Juni war der Termin, 13h am Paulsplatz, auf dem Einheitsdenkmal: Die Demokratiepredigt des „Christus Schlingensief“ (Rainald Goetz).
Als ich an diesem Morgen nach kaum Schlaf neben Rebekka erwacht war, fand ich sie in eine grünhaarige joyceísche Molly verwandelt und mich in einen militanten Priester, der das Kruzifix gegen ein Megaphon ausgetauscht hatte. Rebekka lachte über meine Messdienerleistung, aber (…) ich wollte eher einen radikalen Rabbi spielen als einen Protest-Pfaffen. (…) Nicola und Andrea kamen, um den Chance-Chanson zu proben mit Ulf, dem Barden der Partei Peter Prahl, der in demselben Wohnprojekt wohnt wie ich seiner Zeit: dem Projekt für Wohnen Kultur und Aktion e.V. „ProWoKultA“, ein echtes Chance-Nest. Es schien so, als sei das ganze Haus wild am Wuseln an diesem Morgen und hektisch wurden die Autos mit Anlage, Boxen, Kostümen, etc. bepackt. Rebekka hatte sich die grüne Perücke auf ihren Druffkopp gesetzt und schminkte sich die Lippen schwarz, mir hatte Pierre, der Plattenspieler der Partei alias Moniseur Guisbert Grottke Pomade ins Haar geklatscht. So trafen wir am Paulsplatz ein, wo unsre Jungs schon Hand angelegt und die Anlage aufgebaut hatten, sodaß wir schon mit wuchtigen Beats und Terrortechno empfangen wurden von DJ Jonny Jungle & Combo. Sofort sollte ich mit dem Texten beginnen, was mich trotz Megaphon bei dem Krach innerhalb weniger Viertelstunden meine Stimme kostete. Schnell wurde ich böse, da das Laufpublikum nur herumstand und keine Anstalten machte, zu unterschreiben und wir hatten nur noch wenig Zeit. Dementsprechend beschimpfte ich die Anwesenden und verlangte von ihnen, die 4. Wand einzureiþen, die uns trennt.
Eine hochschwangere Kommilitonin hatte Schlingensief in ihrem offenen Cabrio vom Flughafen abgeholt und da kam er dann im Bischofsgewand stehend im „Papamobil“ auf den Platz gefahren. „Christus Schlingensief ist DADADA!“, konnte ich nur noch plärren, die Sonne brach heraus und alles schien sich zum Guten zu wenden. Doch Christoph schlüpfte schnell aus seinem Gewand und hielt seine glatte Rede, ohne auf die demokratische Liturgie einzugehen, die wir im Seminar mit Hegemann vorbereitet hatten. Wir hatten einen zeremoniellen Chor einstudiert, der mit Schleefs öffentlichen Chorproben an der Hauptwache und der Konstalberwache sich hätte messen lassen können: das Grundgesetz als Massenchor. (In den vielen kleinen Pocket-Grundgesetzen, die in Frankfurt 1998 auslagen, stand im Vorwort von Rita Süßmuth, man könne das Grundgesetz zwar „nicht zur Laute singen“, aber. Eigentlich wollten wir eine Rock-Version erarbeiten, war uns dann aber zu retro, zu Jürgen Kruse. Ich wollte ganze Passagen in Hexameter umdichten, so wie Brecht das mit dem Kommunistischen Manifest versucht hatte.) Und das ganze im Rahmen einer säkularen Messe. Wir verteilten Oblaten und forderten dazu auf, „mehr Schlingensief zu essen“. Denn Christoph ist die OBLATE FÜR ALLE und wir wollten einen „transsubstantiellen Wahlkampf als Chance für eine transsubstantielle Politik“ (Detlef Neufert). Rebekka und Henrik fingen an zu schreien, daß sie Hunger Hunger hätten und Rebecca stürtzte sich von hinten auf Christoph und biß ihm in die Schulter. Auf mich stürtze ein Kommillitone los, der mein Megafon an sich reißen wollte. Ich schüttelte den Angreifer ab und wehrte mich. Mit Mega werde ich zu MEGALOMANIAX und drosch verbal nun auf alles los, was sich rührte. Die Theaterwissenschaftler, die nicht als Chancisten da waren, hatten eine Gegenpartei gegründet und riefen nun „Faschismus“. Was eine unglaubliche Unverschämtheit ist, bekenne ich mich zu einem radikaldemokratischen Verfassungsfundamentalismus: „UNSERE TREUE HEISST VERFASSUNG!“ Und ich fordere eine gute Verfassung- und zwar für jedes V. (Geschrieben am 6.2.1999, dem 80. Geburtstag der Weimarer Verfassung).
Und dann wandteich mich meinen Kommilitonen zu und outet deren gegnerische „H.T.L.“-Partei als „Hitler-Partei“ und die Theaterwissenschaft als einen Faschismus, da die 4. Wand zementiert würde. (…) Ich pöbelte weiter vor mich her gegen die 48er Feierlichkeiten, daß die wie die Abifeier eines Jahrgangs sei, der komplett durchgefallen ist, weil wir eben keine Franzosen sind. Daß Frankfurt sich aber mit Frankreich wiedervereinigen wolle (wie das auch der LV Baden-Würtemberg vorbereitete). Und daß wir in Frankfurt VOLK mit F schrieben und Faschismus mit V… Christoph machte derweil ganz auf netten Nachbarsjungen und distanzierte sich von uns allen, v.a. von meinen Erklärungen, wir würden nun die Paulskirche stürmen, um ihn dort zum König zu krönen. Und dann zum Kaiserdom weiterziehen, um ihn zum Kaiser zu machen. Damit er dann Papst werden könne. „Ähh, eigentlich wollte ich nur ein paar Unterschriften…“
Das ganze Rausgerissen haben Guisbert Grottke, der Plattenspieler der Partei und Peter Prahl, unser Barde und die Glamour-Girls auf dem Einheitsdenkmal. Der sanfte Chance-Chanson versöhnte die aufgebrachten Gemüter. Man entspannte sich wieder, Peter Prahl gab noch ein paar Schlager zum besten, auch Carl fiel aus heiterem Himmel einer ein und so blieben auf einmal auch die alten Leute verträumt stehen und lauschten dem Werben der Chance. Ich war inzwischen auf Solo-Tour und drehte ein paar friedliche Runden um die Paulskirche und plauderte von den „intersubjektiven Flugerlebnissen“, die wir alle haben würden, wenn 2012 erstmal die Naturgesetze außer Kraft gesetzt würden, wie wir dann in Formation über der Paulskirche kreisen würden und daß im Kommunismus die Hunde fliegen… Alles so Sachen, die ich aus Carls Seminar in meinen eignen wirren MIX mischte. Auch Sachen, die ich bei Dietrich Kuhlbrodt im Jahr zuvor gehört hatte. In seinem „Filmkritik schreiben“-Seminar habe ich über Film schreiben gelernt und über Emmerichs „Interdependence Day“ geschrieben und halluzinierte nun, daß auch uns in Deutschland der ID-Day bevorstünde, an dem die Außerirdischen die Paulskirche wegbomben würden und alle geilen Hochhäuser dieser Stadt. Bis mich ein Busfahrer ansprach, ob ich das Spektakel nicht seinen Gästen erklären könne, die im Bus auf die Abfahrt warteten. Es waren israelische Historiker und als ich ihnen grob davon berichtete, daß wir uns alle selber wählen wollten und daß dieser Clown Christoph Schlingensief der Vorturner der Demokratie sei, sagte einer nur laut: „Unsinn“ und alle lachten laut. Purer Unsinn, genau, genauer: DADA. Für mich das einzig Wahre seit 1914. Gegen das Wahre, gegen das Schöne, gegen das Gute. Und außerdem: die Israelis können über uns lachen, weil sie 1998 nicht 150 Jahre gescheiterte Demokratie feiern, sondern den fünfzigsten Geburtstag ihres demokratischen Staates. Ich kehrte zurück und traf Rene, der auch direkt kandidieren wollte als „Jüdische Mitte für Deutschland.“ Ich zog meine Priesterkutte aus und distanzierte mich von der ganzen Katholizismus-Koketterie, die ich gepredigt hatte, setzte mir die Kippa auf den Kopf, die Rebekka mir geschenkt hatte und las Levinas vor über „Asylstädte“ (Auszug aus dem Traktat Makkot, 10a). Für Israel ist religiöses Heil nicht möglich ohne Gerechtigkeit in der Stadt. Es gibt keinen anderen Weg zum Heil als über die Wohnungen der Menschen. Die einzige Heilige Stadt: Jerusalem 3000. Frankfurt aber ist eher Tel Aviv am Main. Shantel ist schon längst dorthin emigriert, wie auch alle anderen Stars Frankfurt fluchtartig verlassen haben. Frankfurt ist am Ende. Nun war ich endgültig verstummt, das Schweigen nach dem Schreien. Der große Lehrer Levinas schreibt in „Judentum und Revolution„: „Zwischen der revolutionären Attacke und der bloßen verbalen Dreistigkeit liegt ein Abgrund.“ Vielleicht muß ein Revolutionär auch revolutionär schweigen können. Und nicht nur die Personen im Publikum und andere attackieren. Mittlerweilen hatte ich mit meinem Terror real alle abgefuckt. Meine Kommilitonen, die nun nicht mehr mitspielen, die Zuschauer, die nicht unterschreiben wollten und meine Freunde, die sich den Arsch aufgerissen hatten. Zugegebenermaßen war ich ja auch ein wenig stolz auf den erbosten Mittelfinger, der mir entgegengestreckt wurde. Aber über die verbale Gewalt sagt Levinas: „Das Zerreissen der verbalen Verbindungen und das Verletzen der ungeschriebenen Gesetze der Sprache erhöhen die Kriminalität wie eine erste Bresche in der Mauer der Normen, wie das Übertreten der rituellen Gesetze. …“ Den ganzen lieben Rest des Tages gingen dann Christoph und ich arbeitsteilig mit unseren Megas vor und sammelten wie die Besessenen, v.a. grasten wir das Stadttheaterpublikum ab. Ganz anders erlebt hat diesen Tag Nicola:
NEUE MÄNNER SINGEN SICH INS NÄCHSTE JAHRTAUSEND
Meine erste Zusammenarbeit mit der Partei endete fast in einem Hörsturz. Ich war von einer Freundin als Glamour-Girl für die Demokratiepredigt, eine Wahlkampfaktion an der Frankfurter Paulskirche, mit Schlingie persönlich, engagiert worden (ideell natürlich). In rosa Röckchen und bauchfreien Chance-2000-Shirts hüpften wir auf die Klänge der Chance-DJ’s. Leider sollte mir der Ruf als Glamour-Girl (also das Popo-Wackel-Girl von Chance 2000 zu sein) ziemlich lange an mir hängen bleiben (was ich nicht gerade als einen Vorteil empfand). Nachdem ich mich mit Chance-Artikeln (Feuerzeuge, Kugelschreiber und Aufkleber) eingedeckt hatte, wurde mir übel, da es so unglaublich laut war. Es wurde eigentlich nur geschrien. Aus Mega- und Mikrophonen. Eine Frau mit grüner Perücke hatte Hunger und teilte das auch jedem mit. Fußball wurde auch gekuckt, ein andere im Eintracht T-Shirt (offensichtlich ein Spalter) stand ewig unter einem Regenschirm und glotzte in die Leere. Der Typ, dem das alles eher peinlich war, das war Schlingensief. Der andere mit dem Lockenkopp sang plötzlich Schlager in das Chaos, brachte die Sonne zum Scheinen und mich zum Lächeln. Das war wohl der Moment, wo mich Chance 2000 zu interessieren anfing. Na ja, außerdem war ich in den allerlautesten Krakehler verliebt, der dort im Priestergewand herumsprang und zu dem Zeitpunkt zu dem Heftigsten Chance-infiziert war. Schon bald fing ich an, den Club der Letzten Chance zu besuchen, wo ich viele Männer traf, die auf „ihre“ Chance warteten und freudig ein neues weibliches Gesicht begrüßten. Das übliche Pläneschmieden, das Schmieden von Plänen und das Übliche, manchmal mit Musik und dann wurde getanzt. Dann tanzten aber auch alle. Unser Quotenarbeitsloser Hans-Jürgen Walser tanzte Wacker und räumte zwischendurch auf.
(…)
WOLFGANGS SEE:
Die „Party-Pressekonferenz“ war sehr interessant, da sie inszeniertes, stilisiertes Chaos war und unglaubliche Momente hatte (nur der Journalist der Senioren-Zeitung wußte nicht, was er über Chance 2000 schreiben sollte). „Auf zum Wolfgangssee“ war das Schluß-Motto der PPK. Badehose und Handtuch wurde hervorgeholt und die Leute auf die Autos verteilt (ich kürze hier die Stelle mit der noch oberchaotischeren Nacht dazwischen raus). Wir nahmen Hans-Jürgen Wacker bei uns im Auto mit, der schon mit einem Müllsack als Gepäcktasche auf uns wartete. Leider war er gerade in eine Prügelei verwackert (ich verschweige an dieser Stelle, das die Prügelei wegen mir und meinem Damenklobesuch war). Wir zogen ihn ins Auto und es war erst einmal sehr laut, Hans-Jürgen braucht kein Megaphon (und regte sich immer noch schrecklich auf). Da der Mensch ja bekanntlicherweise anpassungsfähig ist, hatten sich meine Ohren bald an den Geräuschpegel gewöhnt. Wie es sich für echte Chancisten gehört, fuhren wir im Konvoi. Hinter uns das Chance-Druffi-Mobil mit der Frau und dem großen Hut und dem Mann mit dem großen Mund. Nach fünzig Kilometer stieß das Druffimobil große schwarze stinkende Wolken aus und wir hielten auf dem Greenbelt an. Da saßen wir erstmal eine Stunde, bis der ADAC kam (mit dem sich Hans-Jürgen noch ein paar Viertelstunden wegen dem Motor stritt, als Maschinenbaumeister, z. Zt. ohne Wirkungsgrad). Dann wurde das Auto abgeschleppt. Jetzt hatten wir nur noch ein Auto und machten es uns zu fünft gemütlich. Es wurde gesungen, gemeckert, gelacht, geschrien, getuschelt und getschekkt, bis immer jemand noch lauter schrie und alle wieder eine Weile ruhig waren. Nach zehn Stunden, nachdem wir durch das dunkelste Gewitter gefahren waren, das alle von uns jemals gesehen hatten, kamen wir am Wolfgangssee an. Dort trafen wir Christoph und seine Gang. Wir feierten Werner Brechts Geburtstag, Axel Silber mochte mich sofort und wollte mir privaten Unterricht im Nacktschwimmen geben. Die Stimmung war euphorisch. Wir hatten als einzigste keinen Schlafplatz. Also schleusten wir uns illegal auf irgendeinen Campingplatz ein zwischen österreichischen Dauercampern. Ein Chancist (Mario Falcke, unsere Rettung) lieh uns ein Iglo, Hans-Jürgen schlief im Freien und hatte Glück, daß er durch sein Schnarchen kein Dauercamper weckte. Wir wurden durch die saunaähnliche Temperatur in unserem Iglo wach, es war ein wunderschöner Tag – der Tag!
Die anderen beiden waren mit unserem Auto weg, Geld hatten wir deshalb keines und warteten sehnsüchtig und ungeduldig auf deren Rückkehr. (Sie hatten vor dem Campingplatz auf dem Parkplatz im Auto gecampt, nachdem sie die ganze Nacht in Salzburg in einem „Club 2000“ Party gemacht hatten). Endlich war es so weit, wir fuhren zu dem Strand am Wolfgangssee, an dem alle Chancisten auf ein ZEICHEN warten sollten. Von Christoph war keine Spur, aber Presse war da, doppelt soviel wie Chancisten. Sie waren aufgeregt und rannten über mein Handtuch und beinahe auch in meine Gitarre. Endlich kam Christoph. Er hatte sich als Michael Schuhmacher verkleidet. Trotzdem stürtzte sich die Presse auf ihn und machte alles, was da noch so rumlag, schmutzig. Dann kam das Zeichen, auf welches sie fast alle ins Wasser sprangen. Mein Freund schwebte bei dieser Aktion übrigens zweimal fast in Lebensgefahr. Zum einen, weil er vor lauter Aufregung vergessen hat, seine Jeans auszuziehen und deshalb fast ertrank. Zum anderen, da ihn zwei Boote, in denen die Presse saß, einkeilten, und ihnen beinahe zerquetschten. Wir sangen und schwammen und es war sehr lustig. Mich verfolgte ein Schnorchel, das war der Mann mit der Unterwasserkamera, der das, was von mir unter Wasser war, filmen wollte. Abends feierten wir unseren Erfolg in einem österreichischen Wirtshaus. Hans-Jürgen hatte sich derweilen mit dem Manager und besten Freund von Schlingensief angelegt und verlangte dessen Kündigung. Es wurde nicht mehr gesungen, die meisten waren jetzt allein. Wir hatten uns um ein Zimmer gekümmert, Hans-Jürgen wollte wieder auf seinem Campingplatz schlafen. Das war so ein bißchen wie Urlaub. Nach dem Frühstück holten wir Hans-Jürgen ab, der sich mit Dauercampern angefreundet hatten, die auch an der Bar abhingen. Wir fuhren wieder nach Frankfurt und gaben den Parteigenossen Bericht ab. Meine Oma rief zwei Tage später an, und erzählte, daß sie mich oben ohne zwischen lauter Verrückten auf RTL gesehen hat. Weiter im alextext:
Wolfgangs See: unser Woodstock! Wir sind die 98er!
BLABLABLA plärrte ich durchs Megaphon. Ich war heilfroh, das Mega mitgenommen zu haben. Meine Waffe, mein Baby: mein Megaphon. Es wurde auch dringendst gebraucht: Christoph hatte seins vergessen und plötzlich war die APPD war im Anmarsch. Eigentlich auf der Suche nach einem versteckten Pinkelplatz traf ich auf eine finstere Horde mit schwarer Flagge mit Fraktur-Schrift: die APPD! Zurück zum Badeplatz gestürtzt und zum Mega gegriffen. Bevor die Punk-Prolls ihre Lieder gröhlen konnten, begrüßte ich sie freundlich und dankten ihnen dafür, daß sie stellvertretend für alle 6 Millionen Arbeitslose gekommen sein, um mit uns mit Kohl baden zu gehen usw. Sie wollten uns übel und ließen die einzige Frau, die sie im Team hatten, ins Wasser pissen und kotzen kurz bevor wir da alle reinrannten und machten sich locker und nackig, die anarchistischen Porno-Punk Deppen. Sie gröhlten dann weiter ihre Lieder von der Balkansierung Deutschlands und so, das fand ich auch OK, bin ja auch dafür. Sie hatten eine viel größere Show aufgefahren als Christoph, aber die Medien interessierten sich kaum für sie, dafür aber die Bullen. Dank der nackten Punker, die mittlerweilen rumfickten, rückten plötzlich eine Armada an Militaria-Polizisten an und stressten rum. Gott sei Dank war Hans-Jürgen da, der Freund und Helfer der Polizei. Sein Einsatz, er rannte zu ihnen und redete auf sie ein. Der Mann ist eine Waffe. Er hatte sich mittlerweilen auch des Megaphons bemächtigt und sorgte für Ordnung und Sauberkeit. Dafür hatte er extra noch ein paar extra Müllsäcke mitgebracht und forderte nun vor allem die APPD auf aufzuräumen und die Bierdose zu entsorgen. Hans-Jürgen hatte mittlerweilen so viel erzählt, daß alle, die uns als „die Hessen“ kennenlernten nur noch sagten: „Ah ja, Frankfurter Bürgerwehr.“ Die Idee hatte wohl bei ihm gezündet. Hans-Jürgen ist der Held jedes Theaterfreunds, er hat nie eine 4. Wand. (Hans-Jürgen ist so Chance 2000 wie kaum einer.) Mit meinen Freunden, den Chance-Hippies, verzogen wir uns von der Szenerie und verschwanden. Wir hatten unseren Spaß gehabt. Ich habe mein Megaphon gehabt und bin mit Christoph Händeschütteln gewesen und all den Scheiß, es war ein rauschender Erfol gewesen, die ganze Aktion, von A bis Z. Wir alle wußten, daß kaum ein Schwein nach St. Gilgen kommen würde, schon gar keine Authentischen (außer Hans-Jürgen), aber die ganze Zeit hat die ganze Republik davon geredet und sich dieses Bild vorgestellt: ein Millionenheer an Arbeitslosen stürtzt sich in die Tiefen des Sees wie die Lemmingen, die Flut steigt…und am anderen Ende tauchen sie wieder auf mit den Goldschätzen der Nazis in den Händen…
SCHEITERN 2000: der PLEITEPARTEITAG
Für Christoph und die Berliner war der diese „Abstimmung mit den Füßen“ am Wolfgangssee die eigentliche Wahl. Die Millionen Unsichtbaren sollten zu Helmut Kohl gerannt kommen wie die Ossis zur D-Mark. Unser Scheitern war kolossal, also glorreich, jedenfalls glorreicher als die nüchternen 0,1% bei der Wahl. Auf dem Pleiteparteitag in Berlin verkündete Christoph daraufhin den materiellen und ideellen Ruin der Partei. Nicola und ich waren extra mit einem Propellerflugzeug angeflogen gekommen, hatten noch unseren ersten Flieger verpaßt und irrten eine Stunde lang durch Berlin, um die Chancisten zu finden. Alle Handies waren aus und keiner wußte, wo die Partei ihre Versammlung abhielt. Schon völlig aufgelöst standen wir auf einem Hinterhof, ich war schon am Ausrasten, da fragte Nicola einen Koch, ob er Christoph Schlingensief kenne und der nickte nur und führte uns durch den Hintereingang der Küche zu den Chancisten. Die saßen da schon ein, zwei Stunden und beratschlagten das Scheitern. Wir Hessen wollten von Konkurs nix wissen und ließen alle wissen, wir würden weiter machen, auch wenn die Berliner aufgeben: Scheiß auf das Scheitern. Also:
SAVE OUR PARTY hieß nun die Devise und Christoph eröffnete den Thinktank im Internet, das NETZ der Partei. Rainald Goetz kam vorbei geradelt und wir redeten uns beim Mexikaner die Köpfe blutig. Wir kamen darin überein: „Über Geld redet man nicht, Geld hat man nicht“ und Rainald schlug vor, die Wahlkampftour dazu zu nutzen, Stimmen zu sammeln, Geschichten und Gesichter von echten Menschen. Nicola und ich übernachteten bei Christoph und Nina und die beiden Frauen beobachteten besorgt, wie sich Christoph und ich sogleich wieder druffschickten und neue Pläne schmiedeten. Der Thinktank sollte das virtuelle Hirn der Partei werden, die kollektive Intelligenz der Intellektuellen, etc. pp. Am nächsten Tag -es war Nicolas Geburtstag- flogen wir zurück -verpaßten wieder beinahe den Flieger- und bereiteten uns mit der Partei auf Bertolt Brechts Geburtstagsparty vor.
BIG BRECHTS BIRTHDAY PARTY
1998 haben wir Brecht 100 hinter uns gebracht: wie nun weiter in die nächsten 900 Jahre Brecht 1000: Brechts Werk war der Abgesang des Jahrtausends, war Christoph Schlingensief der Brechtbarde vorm Herrn oder ist der Herr Brecht wiedergeboren worden?
Brechtbeatz: BB’s Wiedergeburt in FFM.
Freude! Freunde! Freude!
Nicola: Hier in Frankfurt ging das Parteileben weiter. Wir arbeiteten an dem „Brecht100 – Chance2000“ – Abend, welcher ein rauschender Erfolg wurde: „Die einzige freiwillige Brecht-Veranstaltung zu Bertolts Geburtstag!“ (Hegemann) Von Brechts Theorien zum Theater zu Chance 2000, von Chance 2000 zu Fatzer, Brechts bedeutendstem Fragment, von Fatzer zur Parteihymne, von der Parteihymne zur Maßnahme. Brecht hatte für uns Frankfurter unheimlich viel mit Chance zu tun und Chance unheimlich viel mit Brecht. Die Theaterrepublik spielte verrückt zu seinem 100. Geburtstag, auch im TFM-Institut wurde ein Heiligenbild von Berti aufgehängt und wir wollten schließlich und einfach seinen Geburtstag feiern. Happy Birthday, Bertie! Wir hatten wunderbare Räume für die Feier gefunden, ein kleines, aber feines Theater mit Wohnzimmerambiente und schickten Einladungen an all unsere FREUNDE. The flying circus of Bertolt Brecht. Ein großes Spiel- und Stilmittel waren die gebastelten Plakate auf denen Epigramme standen wie:
„Brecht bis ihr kotzt!“
„Keuner hat mich lieb.“
„Ich bin eine Installation.“
„Ich bin nicht bei Chance 2000“
„Mußte das jetzt sein?“
Es wurde viel gemeinsam gesungen und die 4. Wand nachhaltig eingerissen. Alex: Der Brecht-Abend war Nikis Baby. In meinen Augen sind sie und ihre Kommiekids-Freundinnen die wahren Brecht Erben. Wir wollten Brecht samplen und die Erben enterben- „Brecht dem Volke zurück geben!„- und zwar jedem V. Das Volk ist nämlich -laut Brecht- nicht tümlich. „Mehr Brecht essen!„: ein riesiger Brecht-Mann aus Eßbarem lag auf dem Tisch für das Publikum, den es sich einverleibte und sich dabei Brechts Verhör vor dem Ausschuß für undeutsche Umtrieben vorlas. Denn in diesem Dokument steckt die Ankündigung seiner Rückkehr. (Brecht verspricht sich vor Aufregung und Angst am Anfang des Verhörs, als er nach seinem Geburtsdatum gefragt wird und sagt: 1998. HA!) Ich glaube daran! Ich glaube, daß die hessischen Chancisten in dieser Nacht zu einer Schwarzen Sekte wurde, die die Wiederkehr des Großen B.B. heraufbeschworen hat. Chance 2000 war eine MASSNAHME, wir Brechtenkelkinder der Junge Genosse, der hilft vor den Gewehrläufen der Unternehmen das NETZ der Partei zu knüpfen.
WER IST DIE PARTEI?: Du und Du und ich.
Trenne dich nicht von uns:
„Der Einzelne sieht Eine Stadt/ Die Partei sieht 7 Staaten!!!“
KOHL KINKEL & Co.: K.O.
An einem Tage verabschiedeten wir dann Kohl & Kinkel. Am Morgen Kinkel, wieder in der Paulskirche und am abend Kohl der auf dem Römerberg. Kinkel sprach vor 2.000 sog. deutschen Jungunternehmern in der Paulskirche und wir waren als Pausenclowns vorgesehen. Wir: das waren Nicola und ich und Hans-Jürgen und der Chance-Chansonier Peter Prahl zusammen mit Wiens Ludwig Wüst, der mit Nicola gerade „Fräulein Julie“ probte. Dieser Nitschianer hat sich, während wir Chancisten alle von „Christus Schlingensief“ im Wolfgangssee einer Massentaufe unterzogen wurden, eine Woche lang in Prinzendorf kreuzigen lassen mit stinkenden Eingewäden auf dem Kopf als Darmkrone. Als wir ihm vorschlugen, für Helmut Kohl eine Sau auszuweiden, war instantan Feuer & Flamme und engagierte uns für die Paulskirche. Nicola dazu: Ludwig, ein uns zugelaufener Regiesseur, wollte für Chance 2000 eine Sau ausweiden und sich nackt in dieser vergraben nach dem Motto: „Wir graben nach dem Saumagen von Dr. Helmut Kohl„. Wir beschränkten uns dann aber auf einen Saumagen ohne Sau, den wir als Chance Team Dr. Helmut Kohl auf seiner Wahlkampfveranstaltung überreichen wollten. Nur unser Freund Freund Freund und Helfer die Polizei entpuppte sich als Chance-Feind und ließen mit ihren Transparenten nur die Junge Union auf den Vorplatz vor Kohl. Auch die Passanten und Anwohner wollten unseren frischen Saumagen nicht haben, ihnen gefiel auch die Chance-Hymne nicht und sie schütteten uns Wasser über den Kopf. So wars, so weit Nicola. Weiter im alextext:
Die Grundidee war ganz simpel die, zu überprüfen, ob der Herr Dr. Helmut Kohl nun wirklich tot sei oder doch noch nicht. Wenn er noch wirklich leben sollte und kein Kohl-Clon wäre, dann würde er den Saumagen riechen und reagieren. Also wollten wir ihm – als seine Kinder- den Saumagen zu Füßen legen und wenn er reagieren sollte, dann wollten wir ihm die Füße küssen, denn wir wollten ja gar nicht, daß er tot ist. Und Wüst wollte sich nackt in die Sau wühlen und den Magen rauswinden. Dabei -wünschte er sich- sollten ihn möglichst noch zwei Damen mit warmer Blutbrühe übergießen. Mir war das dabei egal, ob Nitsch nun ein Kunst-Reaktionär ist oder nicht, ich wollte die Aktion! Also wurde flugs Herbert Rusche angerufen, damit er ein Fax an das Ordnungsamt schicke. Natürlich wollten wir den Rest der Sau dann auch braten und in einer Art Volxfest oder Vokü ans Volk verfüttern: „Mehr Kohl essen.“ Das Ordnungsamt fand die Aktion gar nicht so komisch wie wir und Herbert berichtet uns höchst amüsiert von der überschäumenden Wut der Amtsschimmel, denen die Rosse durchgingen bei der Vorstellung, ein Paar Kultur-Terroristen wollten das Puddingattentat der Kommune 1 durch ein Gedärm-Anschlag toppen.
Am Morgen also nahmen wir Abschied von Dr. Klaus Kinkel und mit ihm von der ganzen KKK-Bande: Kohl Kinkel Kanther & Co. Unser Barde sang ihm einen schnulzigen Schlager-Hit: „Bei Dir war es immer so wunderschön und es fällt mir unsagbar schwer zu gehen…“ und wedelte sentimental mit seinem güldenen Schal und winkte wehmütig mit Schwarzrotgold. Dann trat ich im Anzug und mit Hans-Jürgen im Blaumann im Rücken an das urdemokratische Podium und predigte den Kapitalisten Menschlichkeit (mit dem Brief von Dr. Carl Hegemann, der schon auf der CDU-Wirtschafts-ZK-Sitzung so begeistert aufgenommen wurde), während Nicola als Putze der Demokratie den Staub der Geschichte aus der Paulskirche fegte unter den Füßen der sitzenden Herren und Damen, gefolgt von einem aufgeregten Peter Prahl, der mit Eifer und seinem Goldschal die Schuhe der Herrschaften putzte, besonders die verschlammten Treter des Herrn Außenministers (wofür der auch ganz dankbar war). „Helfen helfen helfen – handeln handeln handeln !!!„, schrie Hans-Jürgen durchs Megaphon und stürtze sich dann vom Podium, um Herrn Kinkel von seinen Erfahrungen als Maschinenbaumeister und seinen Steuerreformplänen zu erzählen. Dem Veranstalter -einem Großmetzgereibesitzer, den ich eigentlich nochmal wegen der Sau für den Kanzler anhauen wollte- war das dann doch peinlich peinlich, während das Publikum und Kinkel himself begeistert war von den philosophisch- philantropischen Propagandaphrasen. Am Ende wollen sich alle fur das Gute entscheiden.
Am Abend zogen wir dann wieder als Putz-Kolonne mit Kadaver los, wurden aber sogleich von der Polizei abgefangen und mußten erstmal den Römerberg räumen, um nicht gleich eingefahren zu werden. Am verabredeten Ort trafen wir dann ein hr-Team und unseren eigenen Kameramann und gemeinsam zogen wir wieder zurück auf den Platz, beschirmt und beschützt von den Augen Kameras und der virtuellen Anwesenheit der Öffentlichkeit. Doch auf den Vorplatz gelangten wir nicht auf friedliche Art und Weise und überlegten, ob sich ein Sturmangriff über die Barrikaden der Polizei lohnen würde. Da Helmut Kohl noch nicht da war, entschieden wir uns dagegen und mischten uns unter das übrige ausgeschlossenen Gesindel, APPDler, Arbeitslosenaktivisten und Protestpublikum. Außerdem waren wir gegen Gewalt, obwohl das nicht immer easy war. Wir freuten uns auf Papa Kohl und bereiteten ein begeistertes Begrüßungsgeschrei vor, als eine dicke dunkle Gestalt das Podium betrat. Doch da trat die OB Roth ans Mikrophon und begann zu brüllen: „HELMUT! HELMUT!“ Durchs MEGA starteten wir den Gegenterror, vor allem unsere besoffenen Freunde, die sich in unseren Talisman, ein Papmache-Sau verliebt hatten und sie in die Höhe haltend brüllten: „Schlachtet die Sau! Schlachtet die Sau!“ Wir schwangen den Saumagen und brüllten mit dem Putzwedel wedelnd: „Petra, geh putzen!“ Da ergoß sich ein Schwall kaltes Wasser über uns aus einem Fenster und ich durfte nicht mal den Saumagen in die Wohnung schleudern vor lauter Gewaltlosigkeit. Dafür schaltete sich die Polizei ein und beschimpfte die Aktivbürger, die uns naß gemacht hatten. Christoph, dem ich den ganzen Tag wieder und wieder live von Communicator zu Communicator berichtete, brüllte nur noch:“Alex! Du bist ein Gewinnertyp!“ Alles in allem war ich dann am End doch traurig, nicht verhaftet worden zu sein und fühlte mich gescheitert. Außerdem hatte sich Helmut Kohl als Boris Jelzin entpuppt, also als einen Untoten und das wars- gruselig.
WAHLKAMPFSHOW
Neben Kohl gab es noch eine andere, weitaus wichtigere Wahlkampfaktion, schreibt Niki: Christoph Schlingensief kam mit seinem Team in den Mouson-Turm und wir Frankfurter Chancisten durften mit auf die Bühne. Dort erlaubte uns Christoph mit Stühlen zweimal über die Bühne zu laufen und den Sitzplatz zu wechseln. Es war ein unschlagbares Erlebnis. Als Christoph merkte, daß im Publikum viele begeisterte Fans von uns saßen, verließ er die Bühne und überließ uns die Show. Hans-Jürgen Wacker, unsere wichtigster Mann, ging ans Mikro und Alex trug ihn von der Bühne, als alle Leute weg waren. Das Publikum war begeistert von unserem Direktkandidaten und fand die 25 DM Eintritt dafür hätten sich wirklich gelohnt. Als weitere Einlage des hessischen LV’s gab es die „Initiative Christusfinale“: Nicolas Regiesseur, der Nitscheaner Ludwig, schleppte sich nackt am Kreuz durch den Theaterraum und ließ sich von zwei weißen Damen, die eine vermummt, die andere ein blutiges Tuch fressend vorführen, während ein Römersöldner ihn auspeitschte. JESUS 2000. Ich trat ans Mikrophon und wußte nicht, was ich sagen solle. 1000 Spickzettelchen lagen vor mir ausgebreitet. Da erblickte ich in der ersten Reihe einen alten Greis und gerührt forderte ich Gerechtigkeit zwischen den Generationen. Denn der Generationenkonflikt hat den Klassenkampf abgelöst und es droht: der Gerontozid. Die Rechte der zukünftigen Generationen müssen verteidigt werden, wir brauchen einen Friedensvertrag mit den Geronten. Im Insgeheimen hatten wir schon Koalitionverhandlung mit den Grauen Panthern aufgenommen und Trude Unruh, dieser „unwürdigen Greisin“ im Sinne von Bert Brecht. (Darauf verpflichtet uns schon das Chance-Poster aus unseren Faltblättern.) Wir stellten uns vor, mit dem Altersheim einen Tee- und Tanzabend zu veranstalten. Unser Plattenspieler Guisbert Grottke versprach uns, mit seinem Neo-Swing die Greise genauso zum Grooven zu bringen wie die Chancisten des Clubs der Letzten Chance. Auf die Bühne stürtzte die Brecht-Band und wir rissen die 4. Wand ein und begannen das Theater zu rocken. Doch die Party floppten, das Publikum wollte sich nicht so billig beschwichtigen lassen, nachdem sie von uns so ausgiebig beschimpft worden waren. Christoph und seine Crew waren längst verschwunden, Hans-Jürgen hielt noch eine ausführliche Rede durchs Megaphon und aus dem Publikum meldeten sich die Stimmen derer, die sonst schweigen: die zahlenden Gäste. Es war toll, ich kassierte wieder einen mir entgegengeschleuderten Mittelfinger und ich freute mich, wie sehr sich die Leute alle selber wählten und wie viele Stimmen wir wieder gesammelt hatten.
MACHTÜBERTRAGUNG
Freunde, Freunde. Nach dem hyperhektischen Wahlkampf war es mit der Freundlichkeit aus. Chance hatte seinen Charme verloren und bald alle Chancisten. Chance Knüppel, Lars, Miriam, Silke, Matthias II, Rachel, Till, Bernd, Alex II, Susanne, Sabine, … Als ich dann zu Schlinges Schäuble gekürt wurde, dem nachfolgenden Bundes-V, freute sich darüber nur Hans-Jürgen, der jetzt einen direkten Draht zum obersten Chef hätte. „Doris- heute bin ich Bundeskanzler“, freute sich auf der BILD-Headline der neue Kanzler, meine Freundin Nicola freute sich gar nicht und ging mit Rebekka erstmal in Puchers „Flashback„-Produktion in der Volksbühne (Puchers „Bodycheck“ war im TAT genau so brutal gescheitert wie wir im Wahlkampf.) Ich wollte mich nun wirklich haftbar werden und zusammen mit den anderen Chancisten-FUNdamentalisten die Schulden 2000 der Schlingensief-Partei übernahmen. (…) Als echte Obdachlose können wir uns dann vor der Volksbühne rumlungern oder in der Innenstadt eine „Hast’e-ma‘-’ne-MA’CK!„-Kunstdemo machen. Und bei den „Ratten“ mitspielen, das ist wenigstens echtes Arbeitslosentheater. Schlingensief himself ist vom Staatsmann zum Pornoproduzenten geworden („7x“) was ja auch politisch sein kann (s. Larry Flint’s Clinton-Campagne), aber auf APPD-Niveau: PorNO-POP. Den Chancestaat jedenfalls sucht man umsonst auf den neuen Karten für das nächste Jahrtausend. Schlingensief und die Volksbühne repräsentieren das „Neue Berlin“ und mit seinem Schröder-Stück über die „Berliner Republik“ nimmt er Abschied von der „Neuen Mitte“.
CHANCE UNTERGRUND
Für die Mehrheit der Chancisten war das Scheitern am Ende keine Chance. Was verwundert. Die meisten Chancisten-Aktivisten waren wohl so druffgeschickt, daß sie an ihre Chance geglaubt haben. Zumindest daß Schlingensief in Berlin Mitte eine reelle Chance hätte als Direktkandidat. Postwurfsendungen wurden noch rausgehauen, es wurde wild plakatiert, etc. Viele anderen dachten dagegen, wir hätten gerade deswegen dann doch ganz generell kurz vor der Wahl alle Fühler strecken müssen. (Um nicht am End in die Verlegenheit zu kommen, durch diese Faxen die Realpolitik zu verändern, z.B. in Berlin Mitte der PDS ein wichtiges Direktmandat zu kosten.) Das aber sind dieselben Leute, die immer sagten, Chance 2000 hätte nie Bundespartei werden dürfen, sondern hätte bei dem Original-Ding der Direktkandidaturen bleiben sollen. Die Quittung für die Hybris 2000 sei die Unsichtbarkeit am Wahlabend gewesen. Unter Ferner liefen: „Andere“. Dabei sind wir doch genau das:die „Anderen“. Wir sind die 0,1%ers, eine kleine fundamentalistische Minderheit, die den „Mainstream der Minderheiten“ repräsentiert: den postdemokratischen Diskurs aller Anderen. „Neue Minderheiten nur mit uns.“
Doch mit Schröder/Fischer trat die Politik in das Zeitalter des Wassermanns ein und die Wucht des Wechsels hat System 1 über uns triumphieren lassen: die ersten 100 Tage rockte die Party, egal was die Medien von Fehlstart geschrieben haben… Doch irgendwie dachten wir Hessen, daß die Hessenwahl noch wichtig werden würde. Und so setzte sich der neue Frankfurter Bundesvorstand -Alex, Matthias und Herbert- zusammen und den ersten Rundbrief auf. Wir sahen uns ähnlich, wie sich die neue Bundesregierung in ihrer ersten Regierungserklärung sieht: als „modernes Chancenmanagement“. Herbert Rusche, der als Geschäftsführer der Grünen in den 80ern erfolgreich die Landtagswahl gemanaget hatte, gab der ganzen Konkursmasse von Chance 2000 erstmal eine Form und bereitete die Hessenwahl vor. Wir luden ein zum „Großhessischen Parteitag“. Zwei Direktdemokraten hatten wir schon: Hans-Jürgen Chance Wacker Mai und Norbert als Chance Zukunft. Doch für den LV war das Ergebnis schockierend:
„Schangse Zwotausend geht in den Untergrund“.
THEATERTERROR 2000
Der autonome Theateruntergrund versammelt den mystischen Chor der Verdammten, Verrückten und Verstossenen. Das Theater Battle Management verbreitet Subpropaganda, theatralische Revolutionäre proben den Aufstand so radikal und real wie die zeitgenössische russische Avantgarde RADEK „Gegen Alle Parteien„: „Berliner Communarden zerschießen Uhren“, wäre eine radikale Tat oder „Frankfurter Zeitguerillo stoppte Euro-Uhr“, das hätte passieren sollen. Doch der neue Frankfurter Bundesvorstand ist ja dafür: Chance Euro! In der Sylvesternacht stand ein großes kleines e am Messeturm (wo sonst) und das hieß auch nicht „ecstasy„, obwohl ich das in der Sylvesternacht den Druffis immer wieder erzählt habe: e is easy. Dafür stand direkt dahinter auf dem „Marriott“-Hotel fett rot „RIOT„. Das war die rave-o-lutionäre Message: das e und der Riot – Plündern auf Pille: RAVE-O-LUTION in 1999! Und so kehrten wir zurück in den Party-Untergrund, um bei der 98er nacht.tanz.demo „emissionen’98“ mitzumachen. Nach dem Wechsel machte das natürlich umso mehr Spaß, da die Love-Parade ja bekanntlich der „Triumphmarsch für Helmut Kohl“ gewesen sei. Da konnte man als Frankfurter techno-druffi also nochmals auftrumpfen, nachdem kurz zuvor das legendäre OMEN dann doch für immer seine Pforten geschlossen hatte. Wir checkten uns den kaputtesten Wagen von allen, einen alten Traktor, den wir uns mit DJonny DJungle teilten, der seinen PDS-Vater Kohle abgeschwätzt hatte. Wir verwandelten dafür den Wagen in Kunst mit Transpis „Partysanen der Stadt“ und blauen Fahnen: „Freie Druffe Jugend„, ich hüllte mich in die Thälmann-Fahne und zog sie als Cape hinter mir her als Tele-Man. Nicola und Rebekka hatten schwarze Mäntel an und techno-Brillen auf und schossen mit Laserpistolen auf die Menge, während sie Marx und Mao-Ikonen hochhielten. DJ SU legte Brecht-Beatz auf: „DJ Sowjet-Union“. So drufften wir rum und MC’ten auf dem Klapperwagen und dann rannten wir mit einem DDR- Grenzschild durch die Menge:
„HALT! Diese Veranstaltung überschreitet die Staatsgrenze.“
Hans-Jürgen war wieder in Blaumann dabei und redete wieder mit der Polizei, hielt ab und zu eine Rede, während ein paar besoffene Linksradikale mir mit „Chance Stalin“ zuprosteten und Wodka verschenkten und ich Karl Marx als Prophet des Wassermann-Zeitalters bezeichnete. MARX DEUTSCHLAND. Wir hatten 100 Tage Spaß, 100 Tage Untergrund. Dann kam alles anders.